Protokoll der Sitzung vom 12.05.2016

Zum Abschluss: Ich zitiere ihn immer gerne, den französischen Sozialisten Jean Jaurès: Ja, Tradition heißt nicht, die Asche zu bewahren, sondern die Flamme weiterzutragen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Kapek. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen grundsätzlich den Umbau des Molkenmarkts, und vor allem begrüßen wir die Anlehnung bzw. die Umgestaltung an den historischen Stadtstrukturen. Allerdings: Vieles von dem, was Sie gerade gesagt haben, Frau Haußdörfer, war richtig und unterstützenswert, hat aber wenig mit diesem Bebauungsplan zu tun und findet sich leider auch weder in der textlichen noch in der graphischen Niederlegung wieder.

[Oliver Friederici (CDU): Dagegenpartei!]

Ich beginne jetzt mit Ihrem Lieblingsthema, nämlich der Straße, die – ich habe mich selbst zum Glück noch mal vergewissert – tatsächlich von acht Spuren nicht auf vier, sondern auf sechs zurückgebaut wird.

[Oliver Friederici (CDU): Stimmt nicht!]

Das stimmt sehr wohl, Herr Friederici! Vielleicht lesen Sie einfach noch mal nach. Dann spreche ich von der Stelle Grunerstraße/Mühlendamm/Gertraudenstraße. In diesem Bereich sprechen wir von einer sechsspurigen Verkehrsschneise, die sich durch die Berliner Mitte durchschneidet und frisst.

[Oliver Friederici (CDU): An einer Stelle! Nur da!]

Allein die Tatsache, dass wir hier 63 Meter Straßenprofil haben, ist doch das Gegenteil von einem lebendigen Quartier.

[Oliver Friederici (CDU): Und zwei Straßenbahnschienen! – Ole Kreins (SPD): Unglaublich, die haben was gegen Busspuren!]

Meine Güte! – Wenn wir ein lebendiges Stadtquartier, wenn wir lebendige Stadt, so wie Sie es in Ihrem Koali

(Ellen Haußdörfer)

tionsvertrag selber richtigerweise festgeschrieben haben, erzielen wollen, dann müssen wir aber auch sicherstellen, dass die Stadtquartiere, die dort vorhanden sind, miteinander verbunden werden können. Das gelingt mit dem vorliegenden Plan nicht.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Oliver Friederici (CDU): Stimmt nicht!]

Richtig ist, dass es überall oder in den meisten Bereichen jetzt Radwege geben soll. Schade ist nur, dass diese Radwege auf Kosten der Fußgänger angelegt werden – auf dem Bürgersteig.

[Oliver Friederici (CDU): Bisher gibt es gar keine!]

Warum, wenn man einen solchen Bereich umbaut, tut man es dann nicht gleich richtig? Warum orientiert man sich nicht mal an Städten, die den Anspruch haben, Vorbild zu sein, wie z. B. Kopenhagen? Wir fordern an dieser Stelle: Wenn in Berlin neu oder umgebaut wird, dann bitte schön Radwege nach dem Kopenhagener Modell, das heißt Fußgänger, Radverkehr und Autoverkehr so nebeneinander, dass sie nicht mehr zu Konflikten untereinander führen!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Tue ich dieses nicht, dann laufe ich Gefahr, dass die autogerechte Stadt weiterhin am Molkenmarkt das Leitmotiv bleibt. Und es tut mir leid, ich lebe im Jahr 2016 und nicht mehr 1960. Sie selbst kommen zu dem Schluss, dass dieser B-Plan und die darin enthaltene Verkehrsplanung zu einem Anstieg der Luft- und Lärmbelastung führt und vor allem dass sie Konflikte, gerade zwischen Rad- und Fußverkehr, nicht auflöst.

Anderes Thema: Es entstehen dort neue Wohnungen. Das ist ja erst mal etwas Richtiges, etwas Gutes, etwas, was auch dem Anspruch, ein Quartier zu werden, gerecht wird. Jetzt frage ich allerdings: Warum setzen Sie sich nicht, nach allen Möglichkeiten, die Ihnen das Baugesetzbuch gibt, hier für eine stärkere soziale Mischung ein? Warum werden keine Flächen für den sozialen Wohnraum ausgewiesen? Und warum werden keine Personen mit besonderem Wohnbedarf wie z. B. Studierende oder Senioren hier textlich mit gefördert?

Allein die Tatsache, dass hier mehr Menschen wohnen werden – die dann auch unter dieser Verkehrsschneise leiden, aber gut –, führt auch dazu, dass die Bevölkerung insgesamt steigt. Wir haben jetzt schon dort vor Ort einen Mangel an Grundschulplätzen, von mehr als 100 Stück. Mindestens 50 weitere Grundschulplätze werden durch die Neubebauung dazukommen, bzw. der Bedarf wird steigen. Deshalb frage ich mich: Warum wird dann an dieser Stelle eine private Oberschule geplant statt der Festsetzung einer Grundschule? – Richtigerweise muss ein lebendiges Quartier nicht nur aus Wohnen bestehen, sondern wir brauchen auch Leben, Gastronomie und Handwerk. Dieser B-Plan beschränkt dieses völlig unnö

tig, ganz zu schweigen davon, dass keine entsprechenden Grünausgleiche festgesetzt werden und die von Ihnen angesprochene Grünplanung nicht mal planungsrechtlich gesichert wird.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Energetische Standards kann man weit suchen, die gibt es nicht. All das gibt Ihnen ökologische Bauleitplanung auf jeden Fall mit. Sie hätten von der dezentralen Regenwasserversickerung bis hin zu hohen energetischen Standards der Gebäudetypen alles Mögliche in den B-Plan schreiben können. Nichts davon haben Sie gemacht. Deshalb kann man sagen, die Grundidee, den Molkenmarkt umzugestalten, ist richtig. Die Festsetzung im B-Plan gibt dieses in keinster Form her. Deshalb kann man sagen: Der Molkenmarkt ist heute ein hässliches Entlein. Er hätte ein wunderschöner Schwan werden können. Das ist Ihnen nicht gelungen. Deshalb bleiben wir hier leider im Kükenteich. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kapek! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Brauner. – Bitte!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Molkenmarkt beschäftigt uns in der Tat schon sehr lange. Dazu gab es vorhin auch einen Zwischenruf. Wir sind seit über zehn Jahren hier damit befasst, und es ist auch gut, dass das Ganze heute zu einem Abschluss gebracht wird. Es ist die Entwicklung in der Innenstadt, die hier beschrieben wird, und die gilt es gerade in der jetzigen Zeit zu formen, denn es ist im Moment gut möglich, das umzusetzen. Der Plan bietet Möglichkeiten: die Rückgewinnung von Stadtraum, ein neues urbanes Quartier und das Herstellen von Verbindungen zwischen dem Rathaus und dem danebenliegenden Bereich. Wir schaffen eine neue Fläche, die sozusagen den Bereich auch fasst, und wir gewinnen Raum für die Stadt zurück – in dem Fall für die verdichtete und urbane Stadt. Es ist auch angemessen, dass wir, wenn wir in der Mitte der Stadt bauen, dort eine entsprechende Verdichtung und eine entsprechende Möglichkeit haben, urbanen Raum zu schaffen.

Frau Kapek! Zu dem, was Sie jetzt zum Thema Verkehr kritisieren: Wir sind eh immer etwas anderer Meinung, was man alles im Bebauungsplan festsetzen kann. Das, was Sie beschreiben, geht meines Erachtens deutlich über das hinaus, was ich nach dem Baugesetzbuch vernünftigerweise ordnen und festsetzen kann. Das, was wir im Bereich Verkehr dort schaffen, ist ein Stück weit ein Kompromiss. Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man, dass die Verkehrseinschätzung von einem deutlichen Rückgang der Fahrzeuge ausgeht. Wir haben eine

(Antje Kapek)

deutliche Reduzierung der Leistungsfähigkeit der Trasse von 80 000 auf 60 000 Verkehrsbewegungen. Das geht auch deshalb, weil wir an anderer Stelle den Verkehr entlasten. Dieser Bebauungsplan setzt auch voraus, dass die Stadtautobahn entsprechend verlängert wird, damit wir hier eine Entlastung der Innenstadtachse haben und es überhaupt möglich ist, diese Raumverdichtung vorzunehmen.

Darüber hinaus finden wir mit den geschaffenen Sichtachsen ausreichend Raum und Berücksichtigung für das Stadthaus, und den Wohnraum, den wir hier in der Mitte der Stadt schaffen, können wir gut gebrauchen.

Das Land Berlin ist selbst Akteur. Ich habe vorhin die Frage gehört, wie man damit umgeht, dass das Land Berlin in dem Fall selbst Akteur und meistenfalls der Eigentümer ist. Das heißt, das Land Berlin wird im Rahmen seiner Verkaufsaktivitäten zu den Grundstücken Themen wie z. B. die Quote für sozialen Wohnungsraum durchsetzen können – im Rahmen der Ausschreibung der Grundstücke. Es kann hier direkten Einfluss auf die Gestaltung nehmen und nicht nur indirekt über einen Bebauungsplan. Werte Frau Kapek! Ich glaube, das ist an der Stelle sogar der noch deutlich bessere und günstigere Weg.

[Beifall bei der CDU)]

Dass wir diesen Plan jetzt beschließen, der nun nach so vielen Jahrzehnten – so kann man beinahe sagen – einen entsprechenden Reifegrad hat, ist auch deshalb wichtig, damit wir nicht noch mal Zeit auf der Achse verlieren. Die wichtigen Bebauungsvorhaben für die Stadt laufen jetzt am Alexanderplatz und begünstigen hier in der aktuellen Phase die Investitionen. Wir sollten das Zeitfenster nutzen, um neue Wohnungen zu errichten, die wir dringend brauchen, und um vor allem den Innenstadtbereich, der an der Stelle dringend einer Neuordnung bedarf, entsprechend zu gliedern, damit wir das Herz der Stadt in der Mitte dann auch wieder errichten. Das ist uns mit dem Molkenmarkt gelungen, und deswegen werden wir als CDU-Fraktion zustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Ülker Radziwill (SPD)]

Vielen Dank, Herr Brauner! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Prieß. – Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Zunächst einmal erschließt sich für uns die Dringlichkeit dieses Antrags nicht so ganz. Wir haben gehört, dass das Verfahren schon sehr lange dauert, aber jetzt muss es plötzlich mit Dringlichkeit durch das Plenum gebracht werden. Auch aus dem Plan wird klar, dass

der Bau an dieser Stelle erst losgehen soll, wenn der Bau der U 5 in der Innenstadt fertiggestellt ist. Demzufolge wäre also noch genug Zeit, diesen Plan noch einmal zu überarbeiten. Eine Überarbeitung sehen wir durchaus als notwendig an. Da unterscheiden wir uns nicht von den anderen Oppositionsfraktionen, obwohl wir oder zumindest ich die Schwerpunkte etwas anders sehen würden. Trotzdem sind die Mängel an diesem Bebauungsplan so groß, dass auch ich ihn ablehnen und die Ablehnung empfehlen werde.

Zunächst einmal zum guten Teil des Bebauungsplans: Auch die Piratenfraktion steht hinter der Absicht, die Wunden heilen zu wollen, die der Umbau der Innenstadt zur autogerechten Stadt in den 60er-Jahren gerissen hat. Breite Schneisen in der Stadt für den Autoverkehr freihalten, das war einmal. Das, was für die Verlängerung der A 100 heute andernorts noch vorangetrieben wird, versucht man an dieser Stelle wieder rückgängig zu machen, und das ist auch gut so.

[Beifall bei den PIRATEN]

Es wäre ein unterstützenswertes Ziel, wenn die Sache denn auch gut gemacht wäre. Aber gut gemeint ist nicht immer gleich gut gemacht. Hier soll z. B. die Grunerstraße auf ein städtisches Maß eingeengt werden. Bei der Frage, ob das noch schmaler werden sollte, habe ich so meine Zweifel, denn das Problem ist, dass wir bereits eine ziemlich breite Grunerstraße im Bereich des Tunnels haben. Von dieser breiten Piste gelangt man nach dem jetzigen Bebauungsplan direkt in ein Nadelöhr. Der Stau an dieser Stelle ist also schon vorprogrammiert, auch wenn die Verkehrsprognose eine gewisse Abnahme des Verkehrs ausweist. Über viele Jahre werden sich die Auto- und Zweiradfahrer fragen müssen, wer denn für diese kapitale Fehlplanung verantwortlich ist. Die Senatsverwaltung hat im Ausschuss erklärt, dass die Zeiten vorbei seien, wo sich die Stadtplanung nach den Anforderungen des Autoverkehrs richtet. Das mag richtig sein, aber es hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, einen flüssigeren Übergang zu schaffen – z. B. eine trichterförmige Straßenlösung –, um von der breiten Piste der Grunerstraße an der S-Bahn-Unterführung zu dem schmaleren Teil zu kommen. Das wird aber hier nicht gemacht. Es wird ein Nadelöhr an der Einmündung Littenstraße geschaffen.

Ein zweiter Punkt – das wurde auch schon von Frau Kapek angesprochen – ist die Führung des Fahrradverkehrs. Die Senatsverwaltung verfolgt hier insbesondere in der Grunerstraße das mittlerweile eher verpönte Konzept der strikten Trennung der Verkehrsarten: einen gesonderten Radweg, der hinter einer Baumreihe getrennt von der Autofahrbahn verläuft. Verpönt ist dieses Konzept vor allem deshalb, weil man im Allgemeinen erkannt hat, dass die Radfahrer dadurch aus dem Blickfeld und damit aus dem Bewusstsein der Autofahrer verbannt werden. Die gefürchteten Rechtsabbiegerunfälle sind dann die Folge.

(Matthias Brauner)

Zum Abschluss noch eine Kritik an der baulichen Entwicklung des Areals. Auch das klang schon an. Dass die Ruine der Klosterkirche durch einen Arkadengang zur Klosterstraße hin verbaut werden soll und damit der freie Blick auf das Baudenkmal verstellt werden kann, können wir nicht nachvollziehen.

Insgesamt bleibt also zu sagen, dass ich bei allen positiven Ansätzen, die der Bebauungsplan beinhaltet – die Entwicklung zum Wohn- und Gewerbestandort, die Schließung der baulichen Narben in der Stadt –, diesem Bebauungsplan in dieser Form leider nicht zustimmen kann. Ich kann auch meiner Fraktion und allen anderen Abgeordneten im Hause nur die Ablehnung empfehlen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Katrin Lompscher (LINKE) und Steffen Zillich (LINKE)]

Vielen Dank, Herr Prieß! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zu der Vorlage Drucksache 17/2854 empfehlen die Ausschüsse mehrheitlich – gegen die Oppositionsfraktionen – die Annahme. Wer der Vorlage zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der SPD und die Fraktion der CDU. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Linksfraktion und Piratenfraktion. Enthaltungen? – Ich sehe keine Enthaltungen. Dann ist die Vorlage so angenommen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.2: