Die Gründergeneration, die vor 60 Jahren in Rom den Einigungsprozess eingeleitet hat, hat die zwingende Konsequenz aus dem Zivilisationsbruch gezogen: die Verständigung und das Zusammengehen der Staaten auf der Grundlage von Humanität, unveräußerlichen Menschenrechten, Freiheit und Demokratie. Ihre Geltung ist nicht selbstverständlich. Jede Generation braucht die Selbstvergewisserung über diese Grundlagen des Zusammenlebens. Und wir können und müssen Wesentliches dazu beitragen. In einer rasant sich verändernden Welt ist es die Aufgabe aller Demokraten, diese Werte zu verteidigen, sei es im europäischen Kontext, im Bund oder hier auf Landesebene.
Dabei stehen wir vor einem doppelten Problem. Einerseits sind zunehmend komplexere Anforderungen zu bewältigen: Globalisierung, Klimawandel, Flüchtlingsbewegungen, Finanzmarktkrise, Spaltungstendenzen in der Gesellschaft, Terror. Andererseits erleben wir eine anhaltende Phase der Desintegration in Europa: schwindende Akzeptanz der Europäischen Union, nationale Alleingänge und das Vorgaukeln wiedergewonnener nationaler Souveränität – ein gefährlicher Trugschluss, denn die globalen Herausforderungen sind im nationalen Rahmen überhaupt nicht mehr zu lösen. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Nur durch intensivere internationale Kooperationen gewinnen die Staaten ihre Souveränität zurück, etwa um die Finanzmärkte zu zügeln oder den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Bei aller berechtigten und notwendigen Kritik an mancherlei Fehlentwicklungen innerhalb der EU: Die autokratischen, undisziplinierten und unberechenbaren Rechtspopulisten, die mit ihrer Polemik gegen die EU Volksnähe vorgau
keln, sind nicht Teil der Lösung, sie sind Teil des Problems. Sie sind allesamt Lobbyisten der Vergangenheit.
Von den Halbwahrheiten und Unwahrheiten, die hier andauernd verbreitet werden, nicht hier alleine, in ganz Europa, will ich nur drei herausgreifen. Es sind viel mehr, aber ich will auch noch über ein paar tatsächliche Probleme sprechen.
Legende Nummer eins: Der Euro sei schlecht für Deutschland, mit der guten alten DM würden wir weit besser fahren. – Richtig ist, kein Land profitiert von der Eurozone so sehr wie Deutschland.
Die stärkste Wirtschaft im Währungsraum zieht das Geld geradezu an. Deutschland ist neben der Schweiz
Während Italien und Spanien horrende Zinsen am Kapitalmarkt zahlen müssen, Griechenland ohne Stütze überhaupt keine Kredite mehr kriegt, kriegt Deutschland das Geld nahezu hinterhergeworfen.
Nicht falsch verstehen! Auch Berlin profitiert erheblich, kann durch Umschuldung Zinsen sparen, gewinnt Spielräume für die Sanierung von Schulen oder die bessere Besoldung seiner Beamten.
Ich will nur sagen: Hier werden Ressentiments geschürt, allein um des eigenen politischen Vorteils willen.
[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zurufe von Gunnar Lindemann (AfD), Frank-Christian Hansel (AfD) und Stefan Franz Kerker (AfD)]
Legende Nummer zwei: Deutschland sei der Zahlmeister der Union, dauernd fließe das ganze Geld in die Mittelmeerländer, und die liegen da auf der faulen Haut. – Tatsächlich fließen die Gelder des ESM-Rettungsschirms, finanziert auch von deutschen Steuerzahlern, nicht in die Taschen der Griechen oder Spanier,
im Gegenteil, die Griechen müssen bitter für die Hilfsgelder bezahlen, etwa durch den Verkauf ihrer Telefongesellschaft Telefónica an die Telekom oder den Verkauf der lukrativsten zwölf Flughäfen an Fraport.
Das Geld aus dem ESM fließt an die Gläubiger der Griechen, Kapitalanleger in Deutschland, der Schweiz, in England.
Mit anderen Worten: Das Geld der deutschen Lohnsteuerzahler gelangt über den Umweg Griechenland auf die Konten der Anleger unter anderem in Deutschland, keine Umverteilung zugunsten Griechenlands!
besser des Finanzdiktats der ehemaligen Troika, maßgeblich inspiriert vom deutschen Finanzminister, leider, die die Spaltung Europas vertieft und das dringend korrigiert werden muss.
Das muss genügen. Lassen Sie uns gemeinsam mit diesen Legenden aufräumen, damit wir uns den wahren Problemen endlich widmen können,
nämlich denen, die zeigen, dass die EU endlich ein politisches Programm braucht, das wirtschaftliches Gleichgewicht und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt!
[Georg Pazderski (AfD): Ihr Schulz ist doch Millionär bei der EU geworden! – Holger Krestel (FDP): Die SPD will Armut abschaffen, bei Schulz hat sie es schon geschafft! – Heiterkeit bei der FDP und der AfD]
Viele der Defizite sind allerdings gar nicht der EU anzulasten, sondern der auf kurzfristigen Erfolg ausgerichteten Politik der Mitgliedstaaten.
Die Finanzmarktkrise und das von Deutschland dominierte Agieren in der Eurogruppe haben in dramatischer Weise veranschaulicht, wie das Krisenmanagement die Krise in Europa weiter verschärft.
Die Spekulation auf den Bankrott von Staaten treibt die Zinsen für ihre Refinanzierung nach oben und erzwingt nach der Logik der Austeritätspolitik Einschnitte in die Sozialsysteme, Lohn- und Rentenkürzung und den Abbau öffentlicher Leistungen.
Die Spaltung Europas vertieft sich. Und jetzt nur einmal nachrichtlich: Aktuelle Jugendarbeitslosigkeit in Italien 34,1 Prozent,
[Frank-Christian Hansel (AfD): Unser Argument, nicht eures! – Derya Çağlar (SPD): Hören Sie doch mal zu!]