Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Abgeordnete Herr Otto das Wort. – Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! – Sehr geehrter Herr Gutzeit! Sie haben die Behörde des Landesbeauftragten seit 1993 kontinuierlich aufgebaut und können einiges vorweisen. Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist die Beratung in Fragen der Reha
bilitierung für einzelne Menschen, für Menschen, die in Haft waren oder beruflich in der DDR benachteiligt waren. Da geht es um ganz konkrete Schicksale. Viele wenden sich nach 28 Jahren – das muss man sich erst einmal vorstellen – zum ersten Mal an die Behörde. Das ist eine auch für mich durchaus überraschende Erkenntnis gewesen, sie hat aber mit dem Leben dieser Menschen zu tun. Hier ist vorhin schon Faulkner zitiert worden: Die Vergangenheit ist nicht tot, eigentlich ist sie noch nicht einmal vergangen. – Ich würde das so deuten: Die Vergangenheit ist noch da. Sie lebte in allen Menschen weiter, zumindest in denen, die vor 1989 die Diktatur erlebt haben. Allen anderen können wir nur davon erzählen.
Anfang der 1990er-Jahre hat man gedacht: Das mit dem Landesbeauftragten ist möglicherweise in fünf Jahren erledigt oder zumindest überprüfungsbedürftig. Deswegen hat man die Sache befristet. Inzwischen wissen wir, dass auch heute, 28 Jahre nach 1989, ein Landesbeauftragter nötig ist. Wir wollen das Gesetz entfristen. An dieser Erkenntnis haben Sie, Herr Gutzeit, mitgewirkt und haben uns da sehr gut beraten. Sie haben großen Anteil daran, dass Berlin heute ein so wichtiges Zentrum der Aufarbeitung der SED-Diktatur ist. Nicht zuletzt durch Ihren beharrlichen Einsatz haben auch alle Landesregierungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte immer Geld in die Förderung der Arbeit der Beratungsstellen, Gedenkstätten und Archive gesteckt – ob große Koalition oder Rot-Rot. Das gilt auch und besonders für die aktuelle rot-rot-grüne Koalition, das darf ich Ihnen an dieser Stelle versichern.
Ihr Wirken, sehr geehrter Herr Gutzeit, war manchmal von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, aber es war nicht minder erfolgreich. Dafür möchte ich Ihnen im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen von dieser Stelle aus ganz herzlich danke sagen.
Es ist immer wieder strittig, ob man aus der Geschichte etwas lernen oder Lehren für heutiges Handeln ziehen kann – oder ob nicht jede Gesellschaft, jedes Land, jedes Volk, jeder politisch Handelnde seine guten oder schlechten Erfahrungen erst einmal selbst machen muss. Die Geschichte der Menschheit bietet dafür viele Belege. Ich persönlich hänge der These an, dass die Demokratie sich nur weiterentwickeln kann, wenn wir unsere Wurzeln kennen und beachten. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass die SED-Diktatur und die friedliche Revolution, die die Diktatur überwunden hat, in Berlin sichtbar und erinnerlich bleiben. Ich glaube, das ist dringlicher denn je, und darauf müssen wir uns einstellen.
1989 war gewaltlos. „Keine Gewalt“ war der vielleicht am meisten gerufene Slogan. Die Stasi-Leute wollten wir in die Produktion schicken, die sollten mal richtig arbei
Aber es war eine friedliche Revolution, das kann man gar nicht oft genug hervorheben. Polizisten wurden damals nicht mit Steinen beworfen, wie das heutzutage manchmal passiert, etwa beim G-20-Gipfel. So etwas tut mir weh, weil ich glaube, dass wir die Tradition der Friedfertigkeit auch weiterhin brauchen. Die müssen wir in Berlin eigentlich auch jeden Tag leben.
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Das sagen Sie mal Ihrer Koalition!]
Die Menschen damals haben sich nach freien Wahlen, nach Gedankenfreiheit, nach Pressefreiheit, nach Reisefreiheit gesehnt. All diese Freiheiten haben wir heute, und sie sind sehr, sehr kostbar. Seit 28 Jahren leben wir auch im Ostteil der Stadt in Freiheit und Demokratie. Manche hier im Raum sind in der Zeit erst geboren; denen erzählen wir davon. Wir können ihnen immer nur sagen: Demokratie ist nicht selbstverständlich. Lassen Sie sich das gesagt sein von jemandem, der die erste Hälfte seines Lebens in der Diktatur aufgewachsen ist und sich seit nunmehr 27 oder 28 Jahren politisch dafür einsetzt, dass der Rechtsstaat besteht, dass die Freiheit besteht, dass wir Redefreiheit, Pressefreiheit, Gedankenfreiheit haben, dass wir einen Sozialstaat haben und der weiß, dass all das nicht selbstverständlich ist. Das muss jeden Tag neu erkämpft werden, und ich glaube, da müssen wir alle zusammenstehen.
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Beifall von Burkard Dregger (CDU) und Roman Simon (CDU)]
Das gilt gerade jetzt. Seit wenigen Jahren werden die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen schärfer, auch in Europa, auch in der EU und auch in den USA. Das kann man schon daran erkennen, dass auch die Sprache rauer wird. Wenn die Sprache rauer wird, dann besteht die Gefahr, dass auch Taten folgen. Wenn Asylbewerberheime angezündet werden, ist der Grundsatz „Keine Gewalt“ offenbar vergessen worden, und wir müssen darüber wieder viel öfter diskutieren, nicht nur hier, sondern in der ganzen Stadt und im ganzen Land.
Am Sonntag hat im Fernsehen ein Spitzenkandidat gesagt: Wir werden sie jagen, und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen. – Das hat Herr Pazderski heute noch durch den „Volkssturm“ ergänzt. Ich möchte von niemandem irgendwohin zurückgeholt werden. Ich fühle mich sehr wohl im demokratischen Berlin und bin gerne in diesem Parlament!
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU, der LINKEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]
Die Lehre aus 1989 ist doch die: Glaube nicht Leuten, die dich in autoritäre Strukturen führen wollen! Freiheit heißt in allererster Linie selber denken. Darum geht es!
Wir dürfen uns auch von gewalttätiger Sprache nicht anstecken lassen. Ich möchte auch nicht, dass im Parlament irgendwem gedroht wird, er werde demnächst was in die Fresse bekommen oder er solle mal die Fresse halten.
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU, der LINKEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]
Wir leben in einer Demokratie, und in der Demokratie ist man manchmal in der Mehrheit, manchmal in der Minderheit; das ist so. Damit können wir auch alle gut umgehen. Aber, und da schwenke ich noch mal auf die Aktuelle Stunde zurück: Wer einer Minderheit Schutz versprochen hat, der muss für diese Minderheit auch etwas tun und kann den Schutz nicht einfach aufkündigen. Minderheitenschutz ist ein ganz hohes Gut; auch das kann man aus 1989 sehen. Es ging immer darum, gemeinsam ein neues Land aufzubauen und gemeinsam Minderheiten zu beachten und sie nicht unterzubuttern. Das ist ein ganz wichtiger Grundsatz, auch für uns hier heute.
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Beifall von Burkard Dregger (CDU) und Paul Fresdorf (FDP) – Frank-Christian Hansel (AfD): Auch im Parlament bei uns!]
Herr Gutzeit hat in seinem Bericht noch einmal die Aufgaben beschrieben. Er hat geschrieben, was 2016 alles geleistet worden ist. Er hat uns aber auch ein paar Sachen ins Stammbuch geschrieben, die wir beachten müssen und die wichtig sind, nicht nur bei der Frage des Gesetzes, sondern auch bei der Frage des Haushaltes, den wir gerade in den Ausschüssen beraten, und sicherlich auch bei der Frage der Gestaltung von Orten. Die sind zum Teil schon erwähnt worden. Ich denke, und wir als Bündnis 90/Die Grünen sehen das als sehr zentral an, dass die Beratung von Personen, denen Schaden zugefügt wurde, ein ganz wichtiger Punkt und auch weiterhin Teil dieser Aufgabe ist. Den wollen wir auch finanziell untersetzt sehen.
Der zweite Punkt ist die Bildungsarbeit. Wenn ganz viele Menschen in dieser Stadt in der Demokratie aufgewachsen sind und vielleicht gar nicht wissen, dass das auch
anders sein könnte, dass es auch Mauern geben kann, dass es auch Einschränkungen von Reisefreiheit, von Pressefreiheit, von Gedankenfreiheit geben kann, dann müssen wir denen etwas darüber erzählen. Das ist, glaube ich, eine ganz enorm wichtige Aufgabe für den neuen Beauftragten, den wir hier zur Aufarbeitung der Diktatur wählen wollen. Ich glaube, da ist viel vor uns. Ich freue mich auf diese neue Etappe.
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Beifall von Stefan Förster (FDP)]
Hier ist zu zwei wichtigen Orten schon etwas gesagt worden, die auch für unsere Fraktion wichtig sind. Das ist einmal das Polizeigefängnis in der Keibelstraße. Herr Dr. Juhnke hat darüber gesprochen. Das ist ein ganz wichtiger historischer Ort. Ich denke, als erster Schritt entsteht dort dieser Lernort, weil es gerade um junge Menschen geht. Schulklassen sollen dort erleben und erfahren können, was Diktatur angerichtet hat und wie sie überwunden wurde. Es ist aber darüber hinaus wichtig, dass das nicht auf Schülerinnen und Schüler beschränkt ist, sondern dass zunächst in der ersten Phase, wenn da die eine Etage hergerichtet ist, auch andere Gruppen abends oder am Wochenende oder in den Ferien da rein können. Das hat uns der Senat auch zugesagt. Sie können das alles in der roten Nr. 0669 nachlesen. Da ist das schon aufgeschrieben. Und das muss dann weitergehen. Darüber sind wir im Gespräch.
Der zweite Ort ist der Campus der Demokratie. Ich freue mich, dass die Senatorin Frau Lompscher uns zugesagt hat, dass sie über Stadtumbau Ost dafür Geld hat, diesen Ort zu entwickeln, dass sie ein Standortmanagement einrichten wird. Ich glaube, da sind wir einen ziemlich großen Schritt weiter. Auch Herr Freymark nickt und freut sich darüber. Das ist ja das, worüber wir hier die letzten fünf Jahre schon diskutiert haben. Ich freue mich, dass das jetzt unter dieser Koalition möglich wird und dass wir mit dem Campus weiterkommen.
Ich glaube, wir haben eine gute Diskussion heute hier, aber wir haben auch sehr viel Arbeit. Vielleicht als allerletzter Satz: Der Landesbeauftragte war bisher so erfolgreich, weil er unabhängig und ganz vielfältig tätig war. Unabhängigkeit und Vielfalt, das soll auch das Motto für die nächsten fünf Jahre sein. Ich hoffe, dass wir alle gebührend daran mitwirken. – Herzlichen Dank!
Das waren jetzt noch drei Sätze, Herr Otto, aber ist egal! – Für die Fraktion der FDP hat jetzt der Abgeordnete Herr Förster das Wort. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Martin Gutzeit! Die heutige Debatte ist geprägt von Kontinuität in der Aufarbeitung der SED-Diktatur, aber auch vom Wandel des Aufgabenbereiches des künftigen Landesbeauftragten. Darüber haben wir in früheren Debatten bereits ausführlich gesprochen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir überparteilichen Konsens für eine zukunftsfähige Aufgabenstellung für diese immer noch wichtige Funktion finden konnten.
Der 23. Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten, der wie in den früheren Jahren vom Abgeordnetenhaus mit einer Aussprache gewürdigt wird, bietet erneut Gelegenheit, sich mit dem Erreichten und dem noch zu Erreichenden bei der Aufarbeitung eingehend zu befassen. Dabei wird deutlich, dass der Aspekt der Bürgerberatung immer noch einen großen Stellenwert in der Arbeit des Landesbeauftragten einnimmt. Die Frage von Rehabilitierung und Wiedergutmachung stellt sich vielen Betroffenen oft erst nach der Akteneinsicht, die nicht selten mit sehr schmerzhaften, ja traumatischen Erfahrungen verbunden ist.
Dass auch 28 Jahre nach der friedlichen Revolution immer noch viele Menschen diese Beratungsleistung in Anspruch nehmen, zeigt, welch großen Nachlauf die Bewältigung einer Diktatur und ihrer Folgen hat. Die Arbeit der Institution des Landesbeauftragten lebt daher auch durch die Tatsache, dass dort nicht nur formal eine behördliche Aufgabe wahrgenommen wird, sondern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zuvorderst der Landesbeauftragte selbst, sensibel und mit dem richtigen Gespür für Umgang und passenden Ton die Arbeit immer sehr persönlich durchführen. Dafür auch unseren herzlichen Dank!
Dass die Thematik der Heimkinder stärker in den Fokus der Arbeit des Landesbeauftragten geraten ist, geht ebenfalls aus dem Bericht hervor. Als Treptow-Köpenicker finde ich das besonders wichtig, war doch mit dem Kinderheim Makarenko in der Königsheide, nicht weit vom Bahnhof Schöneweide entfernt, nach seiner Fertigstellung 1952/53 die größte derartige Einrichtung in der DDR. Zwei rührige Vereine bemühen sich darum, Zeitzeugen zu befragen, die Erinnerung aufzuarbeiten und vor Ort ein Museum einzurichten. Nun war nicht jedes DDR-Heimkind traumatisiert oder hat Unrecht erlitten, es gibt aber auch nicht wenige der damaligen Bewohnerinnen und Bewohner, die bis heute mit psychischen Nachwirkungen ihrer damaligen Unterbringung dort zu kämpfen haben.
Dass die Stasi-Überprüfung im öffentlichen Dienst immer noch sinnvoll ist und keinesfalls ein Alibi darstellt, zeigen die Fälle von Neueinstellungen, in denen ehemalige höherrangige Mitarbeiter des MfS 2016 die Einstellung in den öffentlichen Dienst des Landes Berlin begehrten und zum Teil ihre Mitarbeit verschwiegen, weshalb es auch wieder zur Lösung von Arbeitsverhältnissen gekommen ist. So sagt es der Bericht aus. Ich sage hier allerdings auch klar und deutlich: Wer bis 1989 in einer höherrangigen Funktion bei der Stasi war und damit bis zuletzt aktiv der SED-Diktatur gedient hat, gehört generell nicht in den öffentlichen Dienst, auch nicht 28 Jahre später.
Weitere Aspekte des Berichts befassen sich mit den strafrechtlichen und beruflichen Rehabilitierungen von Opfern der SED-Diktatur. Die genannten Beispiele sind eindrücklich und bedrückend. Während man begangenes Unrecht im formalen Sinn wieder aufheben kann, sind Jahre der Einzelhaft, der psychischen und physischen Zersetzung, der verlorengegangenen Lebenszeit nicht materiell aufzuwiegen und wiedergutzumachen.
Die benannte Tatsache, dass Rehabilitierungsverfahren relativ selten reibungslos verlaufen, zeigt, wie wichtig auch hier die Arbeit des Landesbeauftragten und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist. Aber eine Besserstellung für entgangene berufliche Perspektiven, die heute oft zu einer kleinen Rente führt, ist das Mindeste, was die Betroffenen erwarten. Hier muss politisch noch einiges passieren. Über diese Punkte konnten wir im Hause schon in früheren Debatten mit größtmöglichem Konsens sprechen, allerdings mangelt es zum Teil noch an der Umsetzung, auch auf Bundesebene.
Zu den weiteren Schwerpunkten zählt die Öffentlichkeitsarbeit des Landesbeauftragten, die eine beachtliche Bandbreite aufweist. Zahlreiche Veranstaltungen, zu denen wir auch immer eingeladen werden, wo wir aber aus Zeitgründen oftmals nicht hingehen können, dokumentieren die facettenreiche und vielschichtige Aufarbeitung dieses Bereichs.