Protokoll der Sitzung vom 28.09.2017

Auch die umfangreichen Angebote der politischen Bildung, die sich an alle Altersgruppen, vor allem aber an die Schulklassen richten, sind in ihrer Quantität und Qualität etwas, was man nicht oft genug hervorheben kann. Man sollte diese Angebote unbedingt fortsetzen.

Es soll auch niemand sagen, es gebe keine Informationsmöglichkeiten. Die Schriftenreihe des Landesbeauftragten hat zu einer beachtlichen Bandbreite geführt. Sie war in einem Fall, bei Siegfried Berger, einem Streikführer des 17. Juni in Köpenick, sogar Anlass für eine Stra

ßenbenennung in unmittelbarer Nähe, bei der der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende und heutige Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick als Initiator der Benennung noch im Januar 2007 beschimpft und Berger, der Streikführer vom 17. Juni, von Anwohnern als Konterrevolutionär geschmäht wurde. Auch das zeigt, wie wichtig es ist, dieses Ereignis im Bewusstsein wachzuhalten.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Aber die Kollegin West hat es bereits in ihrer Eingangsrede gesagt: Das Amt des Landesbeauftragten ist untrennbar mit Ihnen, lieber Martin Gutzeit, verbunden. Ob das Amt nun zu Ihnen kam oder Sie zum Amt, wer weiß das schon so genau. Beide passen jedenfalls seit einem Vierteljahrhundert untrennbar zueinander und haben auch viel gemeinsam erreicht, Amt und Person im Amt.

Ich würde gerne aus dem biografischen Lexikon „Widerstand und Opposition im Kommunismus“ einige Sätze des Eintrags über Martin Gutzeit zitieren, weil man, denke ich, besser nicht formulieren kann, was seine hervorstechenden Charaktereigenschaften sind und warum er dieses Amt auch so gut und überparteilich und in unser aller Sinne ausgeführt hat. Ich zitiere:

Es gibt eine Reihe von Frauen und Männern, die ganz zu Recht Mütter oder Väter der ostdeutschen Revolution von 1989 genannt werden. Nur ganz weniger aber können behaupten, auch zu den Architekten des Systemumsturzes zu zählen. Dazu bedurfte es neben moralischer Entrüstung, humanen Empfindens und energischen Mutes auch intellektueller Redlichkeit, optimistischer Geschichtssicht und Lust auf die Rückkehr von Geschichte und Politik in die eigene Gesellschaft. Der Kampf gegen die Feinde der offenen Gesellschaft hat Martin Gutzeit nicht nur Spaß gemacht, er hat dabei auch Gespür und Sinn für die Frage entwickelt, die eine Revolution erfolgreich und irreversibel werden lässt, die Machtfrage. Mit der Gründung der Sozialdemokratischen Partei in der DDR im Herbst 1989 haben Gutzeit und Markus Meckel auf den Schultern des Weltgeistes stehend gewagt, wozu viele andere ihrer Freunde in der Opposition noch nicht bereit waren: Das Machtmonopol der Kommunisten nicht nur zu hinterfragen, sondern unmissverständlich anzugreifen und die von den Herrschenden entworfene Selbstlegitimation nachhaltig zu unterhöhlen.

Das sind also Worte über Sie, lieber Martin Gutzeit, die Bände sprechen und noch einmal unterstreichen, welchen herausragenden Ruf Sie sich auch als Person erarbeitet haben.

[Allgemeiner Beifall]

Wenn man sich dann mit Ihrer Biografie befasst, auch mit Ihrem gradlinigen Elternhaus, Ihrem Vater, der Pfarrer war, der Ihnen ein breites Kreuz und das moralische

Rüstzeug mitgegeben hat, seine Meinung konsequent zu vertreten, auch wenn sie nicht mehrheitsfähig ist, auch Widerstand zu leisten, wenn man der Meinung ist, er gehört da hin. Wenn man einen ordentlichen moralischen Kompass hat, mit dem man entsprechend durchs Leben geht, dann ist das auch nur folgerichtig. So ist auch mein Abschlusszitat, das von Ihnen selbst stammt. Sie haben einmal auf die Frage hin, wie es denn möglich war, dass Sie in der DDR-Opposition, wo sie auch an führender Stelle dabei waren und dort Dinge getan haben, die Sie sehr leicht in längere Inhaftierungszeiten hätte bringen können, auf die Frage hin, wie Sie das alles ausgehalten haben und wie Sie das selbst durchstehen konnten, gesagt, Zitat Martin Gutzeit:

Es gibt gewisse Werte, Normen, Prinzipien, Verantwortung, zu denen man steht. Und da spielt es keine Rolle, was andere Menschen dazu sagen, ob man diskreditiert wird oder nicht.

Herzlichen Dank und alles Gute für Sie!

[Allgemeiner Beifall]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der 23. Tätigkeitsbericht ist damit vorgelegt und besprochen worden. Gestatten Sie aber auch mir, im Namen des Hauses Herrn Martin Gutzeit sehr herzlich für die geleistete Arbeit zu danken. – Geben Sie diesen Dank gerne auch an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter. – Vielen Dank!

[Allgemeiner Beifall]

Zum Gesetzesantrag Drucksache 18/0416 empfiehlt der Hauptausschuss einstimmig mit allen Fraktionen die Annahme mit Änderungen. Wer dem Gesetzesantrag mit den Änderungen der Beschlussempfehlung Drucksache 18/0552 zustimmen möchte, den bitte ich nun um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion Die Linke, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die SPD-Fraktion, die Fraktion der CDU, die Fraktion der FDP und die AfD-Fraktion und auch die beiden fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist das Berliner Aufarbeitungsbeauftragtengesetz einstimmig beschlossen.

[Allgemeiner Beifall]

Nun kommen wir zu

lfd. Nr. 4:

Prioritäten

gemäß § 59 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

(Stefan Förster)

lfd. Nrn. 4.1 und 4.3:

Priorität der Fraktion der SPD und Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 16

Berliner ÖPNV-Netz zielgerichtet ausbauen und an den Wohnungsneubau anschließen

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/0546

In der Beratung beginnt die Fraktion der SPD. Hier hat der Abgeordnete Herr Schopf das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir dem Koalitionsziel gerecht werden und den zielgerichteten Ausbau des ÖPNV-Netzes voranbringen. Zielgerichtet heißt in diesem Fall, ÖPNV-Verdichtung dort zu schaffen, wo Neubauquartiere entstehen wie z. B. in Pankow. Hier entstehen in den nächsten Jahren neue Stadtteile, z. B. der sogenannte Blankenburger Süden zwischen Blankenburg und Heinersdorf. Das Stadtquartier Pankower Tor auf dem Geländes des ehemaligen Güterbahnhofs und auch die Nachverdichtung im Ortsteil Heinersdorf sowie neue Schulstandorte führen zu einer drastisch erhöhten Nachfrage nach leistungsstarken Mobilitätsangeboten im Bezirk. Es ist unser Ziel, die Haltestellensituation am S- und U-Bahnhof Pankow zu verbessern, das Ortszentrum Heinersdorf verkehrlich zu erschließen und zu entlasten und zugleich eine Umgestaltung mit Priorität auf den Umweltverbund zu ermöglichen. Dafür ist die Straßenbahn bestens geeignet.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wir haben das Ziel, das Straßenbahnnetz als ein leistungsfähiges Rückgrat weiter auszubauen. Der Koalitionsvertrag enthält hierfür eine umfangreiche Liste von Straßenbahnplanungen, die in der jetzigen Legislatur umgesetzt werden sollen. Auch für die Verbindung Alexanderplatz–Kulturforum sehen wir Handlungsbedarf. Der verkehrliche Nutzen der Strecke wurde bereits festgestellt und der Planungsauftrag an die BVG erteilt. Die Vorarbeiten zur Einarbeitung des Planfeststellungsverfahrens sind auch für diesen Abschnitt zügig herzustellen, um die Baumaßnahmen sukzessive fortführen zu können.

Zentral ist für uns außerdem, die städtebaulichen Rahmenbedingungen am Spittelmarkt unverzüglich festzulegen und alle notwendigen Maßnahmen prioritär in die Brückenbauplanung einzuordnen.

Mit der Strecke zum Mierendorffplatz soll eine unmittelbare Weiterführung der in Planung befindlichen Strecke Hauptbahnhof–Turmstraße ermöglicht werden. Im Rahmen der dortigen baulichen Realisierung ist die spätere

Weiterführung der Straßenbahnlinie in Richtung Schloss Charlottenburg zu berücksichtigen.

Zum Schluss möchte ich die Erschließung des Spreeraums erwähnen. Gerade für die Verbindung der Ortsteile Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln einschließlich der Schnellbahnknoten ist die Straßenbahn das ideale Verkehrsmittel. Auch für diesen Streckenabschnitt lässt die Herstellung der neuen Direktverbindung ein hohes Fahrgastaufkommen erwarten. Diese neue Linie muss die Auswirkungen auf den Görlitzer Park und die spätere Realisierung einer Straßenbahnstrecke auf der Neuköllner Sonnenallee planerisch berücksichtigen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die im Antrag aufgeführten Linien sind die Vorplanungen im Planfeststellungsverfahren jetzt einzuleiten, sodass die bauliche Umsetzung für einen Großteil der Trassenvorschläge innerhalb dieser Wahlperiode bzw. für die mittelfristigen Maßnahmen spätestens ab 2026 beginnen kann. Wir bitten daher um Zustimmung zum Antrag. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt der Abgeordnete Herr Friederici das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich Ihnen, Herr Schopf – wir kennen uns jetzt ein Jahr –, konzedieren, dass ich Sie als sachpolitisch sehr ernst vortragenden und nicht zur Diffamierung neigenden Verkehrsexperten sehr schätze. Das muss man auch mal erwähnen, auch wenn es im Diskurs zwischen Regierung und Opposition manchmal etwas härter zugeht, aber Sie suchen immer den verbindlichen Ton. Sie sind sachlich, aber – und jetzt kommt das Aber –

[Derya Çağlar (SPD): Ha, ha!]

wenn Sie einen Antrag – und ich glaube, er ist unter Federführung der Sozialdemokraten entstanden – mit der Überschrift „Berliner ÖPNV-Netz zielgerichtet ausbauen und an den Wohnungsneubau anschließen“ nehmen, dann kommen doch, zumindest der CDU-Fraktion einige Fragen, warum wesentliche Teile des Ausbaus des öffentlichen Nahverkehrs hier fehlen. Sie nehmen Bezug auf Neubaugebiete, Sie möchten, dass diese besser erschlossen werden, Sie wollen die Verbindung stärken, alles das ist richtig, nur wenn ich mich an die Wahlkampfdiskussionen des vergangenen Jahres 2016 erinnere und einmal den Blick in Ihre Richtung lenke, in den Berliner Bezirk Reinickendorf, dort haben wir das Märkische Viertel, dort ist unter sozialdemokratischer Senatsherrschaft in den

(Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt)

Sechzigerjahren ein Großbauvorhaben mit 40 000 Menschen entstanden, das Märkische Viertel, – –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mario Czaja?

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Lassen Sie ihn doch erst mal ausreden!]

Passt jetzt nicht ganz, Mario. – Bitte, gerne!

Bitte, Herr Abgeordneter!

Lieber Herr Kollege Friederici! Wie empfinden Sie denn diese Situation, dass bei dieser Debatte zum Thema „ÖPNV-Netz und Wohnungsneubau anschließen“ auf der Senatsbank kein einziger Vertreter des Senats zu finden ist?

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]