Protokoll der Sitzung vom 16.11.2017

Im Zuge der letzten Abgeordnetenhauswahlen haben sich alle drei Koalitionspartner zu der Sanierungsoffensive bekannt. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ja, der Sanierungsstau ist enorm, aber unser Bedarf an neuen Schulplätzen ist größer. Wir müssen 70 000 bis 80 000 neue Plätze innerhalb der nächsten sieben Jahre generieren. Das sind 50 neue Schulen, und die MEPs sind da noch nicht enthalten. Und das, nachdem wir jahrzehntelang gar keine Schulen gebaut haben. Allein das ist ein Unterfangen, das die Baukapazitäten in einer Stadt, die nicht nur Schulen, sondern auch Wohnungen bauen will, enorm belastet. Der einfache Weg wäre gewesen, sich auf die wachsende Stadt zu beziehen und zu sagen: Ein paar Großsanierung schaffen wir, aber mehr nicht. – Aber das haben wir nicht gemacht. Wir haben anerkannt, dass die Konsolidierung der Nullerjahre an unseren Schulen so große Spuren hinterlassen hat, dass wir uns nicht damit begnügen können, den baulichen Unterhalt aufzustocken. Wir wollen allen Berliner Schulen eine Perspektive geben, wann, von wem und in welchem Umfang sie saniert wird.

[Heiko Melzer (CDU): Wann kommt das?]

Das ist eine Schlüsselforderung vieler Eltern über Jahre hinweg. Sie wollen wissen, wann die Schulen ihrer Kinder an der Reihe sind und was gemacht wird.

[Kurt Wansner (CDU): Dann macht doch mal was!]

Wir haben uns als R2G zu dieser Transparenz bekannt und werden Endes dieses Jahres die schulscharfen Sanierungsfahrpläne veröffentlichen. Wir haben eine bundesweite Vorbildfunktion. R2G wirkt.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Das vergangene Jahr wurde auch darauf verwendet, die schwierige Frage der Zuständigkeit zu klären. Genauso lange stöhnen manche herum, dass das Konstrukt zu kompliziert sei und man es nicht verstehe. Auch der heutige Antrag der FDP ist nichts anderes als die Sehnsucht nach einer einfachen und in diesem Falle privatisierenden liberalen Welt. Nun: R2G träumt nicht, wir regieren.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Und regieren heißt, verantwortlich umgehen mit der zweistufigen Verwaltung in Berlin und der geteilten Zuständigkeit zwischen Land und Bezirken. Richtig ist, dass die Bezirke die bevorstehenden Herausforderungen des Neubaus und der Sanierung nie im Leben hätten alleine stemmen können. Also ist es richtig, dass Teile der Verantwortung an das Land übertragen werden, um die Verantwortung gemeinsam zu schultern. Das Wundervolle an dem bestehenden Konzept ist, dass man genau darauf achtet, dass den Bezirken genauso viel Last abgenommen wird wie notwendig, sie aber nicht über das notwendige Maß hinaus aus der Verantwortung für die Gebäude entlässt.

Noch einmal zur Erinnerung: Alle Neubauten und Großsanierungen über 10 Millionen sind beim Land, da diese Vorhaben die Bezirke überfordern würden. Die Sanierungen unter 10 Millionen Euro verbleiben überwiegend bei den Bezirken. Aber hier bleibt das Modell ebenfalls flexibel. Wir erkennen an, dass unsere Bezirke nun einmal nicht alle gleich gut aufgestellt sind, und ermöglichen Bezirken, mittelgroße Sanierungsmaßnahmen an das Land abzugeben. Dieses Konstrukt ist – im Gegensatz zu den Wunschträumen der FDP – ganz nah an der Struktur unserer Stadt und ermöglicht uns allen – dem Senat, dem Abgeordnetenhaus sowie allen Bezirken und Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt – sich hinter das Modell zu stellen und die bevorstehenden Schritte gemeinsam anzupacken.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Es ist auch kein Zufall, dass sich die Bezirke bei ihrem kürzlich erfolgten Treffen einvernehmlich hinter die Schulbauoffensive gestellt haben. Allein das zeigt, dass der Senat und unsere Koalition mit der Schulbauoffensive

auf dem richtigen Weg sind. Wie ernst es die Bezirke meinen, zeigt auch ihre Bereitschaft zur überbezirklichen Kooperation mit dem Ziel der Erhöhung der Planungs- und Baukapazitäten. Wir als Land wiederum stärken die Bezirke durch erheblichen Ressourcenzuwachs. Der bauliche Unterhalt wird mit dem neuen Haushalt endlich aufgestockt, und wir müssen auch in Zukunft schauen, wie wir den Bezirken sinnvoll zur Seite stehen und sie dabei unterstützen können, wenn sie ihre Prozesse beschleunigen wollen, z. B. wenn es darum geht, die Planung späterer Sanierung vorzuziehen.

[Sebastian Czaja (FDP): Sie organisieren die Verantwortungslosigkeit!]

Sprechen wir noch einmal über das liebe Geld: 5,5 Milliarden Euro sind eine Menge Geld und angesichts der Schuldenbremse auch eine große Herausforderung für uns als Haushaltsgesetzgeber. Wir sind dennoch überzeugt, der Herausforderung gerecht zu werden. Von den 5,5 Milliarden Euro werden ca. 2,2 von den Bezirken verbaut. Der Rest bleibt beim Land. In diesem Rest von ca. 3,3 Milliarden Euro sind neben den Großsanierungen vor allem die Neubaumaßnahmen enthalten, die das Wachstum der Stadt auffangen sollen. Diese Neubaumaßnahmen können nicht walten. Gleichzeitig gibt unser Haushalt nicht die Möglichkeit her, dass wir die notwendigen Investitionen aus dem jeweils laufenden Haushalt finanzieren. Daher ist es richtig, dass die HOWOGE- Tochter gegründet wird. Es ist richtig, dass die Hälfte der Verantwortung und auch der baulichen Last von der Landesebene übernommen wird.

Diesbezüglich gibt es viele Unsicherheiten in der Stadt. Daher ist es mir wichtig zu betonen: Einen dauerhaften Eigentumsübergang von schulischen Liegenschaften und einen dauerhaften Verbleib von Schulneubauten bei der HOWOGE-Tochter wird es mit uns nicht geben.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Für solchen Privatisierungsstuss kann gerne die FDP in Zukunft auch noch verantwortlich sein.

[Paul Fresdorf (FDP): Sie haben die Vorlage noch nicht mal gelesen!]

Jetzt komme ich noch einmal zu dem Punkt, der mich in der öffentlichen Debatte so wahnsinnig macht. Ich sehe unsere Koalition wöchentlich entweder im persönlichen Gespräch, in der medialen Berichterstattung, aber auch hier im Abgeordnetenhaus dem Vorwurf ausgesetzt, bei der Schuloffensive passiere nichts, außer dass wir uns über die Strukturen verständigen. Da finde ich es essenziell zu betonen, was eigentlich schon alles passiert ist: Aktuell sind ca. 40 MEB durch SenStadt gebaut, darüber hinaus reichlich weitere MEB geplant. Das entspricht gesicherter Kapazitätserweiterung von 13 000 bis 15 000 Schulplätzen.

Außerdem sind von den ca. 50 Neubaumaßnahmen zehn bereits im Schnellbauverfahren in Planung und Realisierung. Weitere zehn Maßnahmen sind in Vorbereitung. Das entspricht geplanter Kapazitätserweiterung von 20 000 bis 23 000 Schulplätzen.

An diesen Zahlen können Sie erkennen: Die Schulbauoffensive ist nicht erst dabei, zu beginnen. Sie ist schon längst da.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Und wer behauptet, es erfolge nichts, oder so, wie die GEW gestern, dass die Politik endlich aus den Puschen kommen soll, der arbeitet mit alternativen Wahrheiten und nicht mit dem tatsächlichen Ist-Zustand unserer Stadt. Das schadet uns allen.

Wahr ist: Wir werden nicht jede einzelne Sanierungsmaßnahme jetzt machen können, sondern zu den transparent und offen dargelegten Zeitpunkten im Sanierungsfahrplan und in der Investitionsplanung. Diese Wahrheit muss von uns allen angenommen werden.

Aber was wir dieser Stadt als R2G versprechen, ist: Wir werden fast 80 000 Schulplätze schaffen, und wir werden die Berliner Schulen innerhalb der nächsten zehn Jahre sanieren. Dazu stehen wir.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Letztendlich bin ich aber Bildungspolitikerin und muss am Ende doch ein wenig vom Beton wegkommen und hin zur Pädagogik: SenBildJugFam und SenStadt haben letztes Jahr das Konzept zur Schulraumqualität vorgestellt, das als richtungsweisend für die kommenden Neubauten gelten soll. Wir werden im Lauf der nächsten zwei Legislaturperioden 50 neue Schulen entstehen lassen, und es ist nicht egal, ob diese Schulen nach den modernen Maßstäben errichtet werden oder nicht.

Wir haben in den letzten 10 bis 15 Jahren einen Paradigmenwechsel in der Pädagogik vollzogen: weg vom reinen Frontalunterricht hin zu wechselnden Unterrichtsformen und einem rhythmisierten Ganztag. Die klassischen Flurschulen können den neuen Ansprüchen der Pädagogik kaum gerecht werden. Es ist an der Zeit, dass Berlin neue Schulen hat, die den pädagogischen Zeitgeist auch wiedergeben.

Ich stelle mir vor, wie ich in 30 Jahren als alte Frau den Nachwuchspolitikerinnen der Zukunft erzähle, wie sich eine linke Landesregierung zu diesem riesigen Unterfangen bekannt hat und in einer komplizierten Stadt wie Berlin die wichtigste Schulbauoffensive des 21. Jahrhunderts eingeleitet und auch vollständig umgesetzt hat.

[Lachen bei der CDU und der FDP]

Darauf freue ich mich schon. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Mario Czaja das Wort.

[Unruhe]

Ich darf um Ruhe und Aufmerksamkeit bitten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der „Tagesspiegel“ hat jüngst die Berlinerinnen und Berliner fragen lassen, wie sie den Zustand der Berliner Schulen bewerten. Rund 6 Prozent haben gesagt „gut“ oder „sehr gut“. 84 Prozent der Befragten beurteilten den Zustand als „schlecht“ bis „sehr schlecht“. – Ich finde, das ist ein vernichtendes Urteil, und es ist ein Armutszeugnis für die zuständige Senatorin, die dieses Ressort zu verantworten hat.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Aber es ist eben so, dass nicht nur die bestehenden Schulen in einem erbärmlichen Zustand sind, denn gleichzeitig benötigt Berlin 42 neue Schulen für 86 000 Schülerinnen und Schüler.

Manche sagen, dass sei eine nicht vorhersehbare Entwicklung gewesen. – Mitnichten ist das der Fall!

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Ich bin ja dankbar für die erste Zwischenfrage. Ich weiß auch, dass viele sehr aufgeregt sind, dass ich das erste Mal wieder hier rede. Aber ich würde gern ein paar Gedanken zu Ende bringen, Herr Kollege Albers!

Also keine Zwischenfrage?

Kollege Albers, ich weiß, dass Sie hohen Wissensbedarf haben – aber lassen Sie mich noch diesen kleinen Moment reden!

[Heiterkeit und Beifall bei der CDU]

Denn das Bevölkerungswachstum kam nicht über Nacht und ist nicht über Nacht über Berlin hereingebrochen. Das Anwachsen der Schülerzahlen ist nicht überraschend. Der eigentlich stärkste Zuwachs wird nach dem von der Bildungsverwaltung selbst veröffentlichten „Blickpunkt Schule“ ausdrücklich erst in den nächsten Jahren erwartet.

Da drängt sich schon die Frage auf, was unter Stahmer, Böger, Zöllner, Scheeres, unter diesen Senatoren 21 Jahre in Berlin für die Schulen eigentlich getan wurde und welcher Eindruck jetzt vermittelt werden soll, dass auf einmal dieses Problem da ist, das jetzt gelöst werden muss, aber wie über Nacht vom Himmel fiel.

[Beifall bei der CDU]

Und, Frau Scheeres, aufgefallen ist zuletzt ja nur der Versuch, diejenigen, die den Zustand an den Schulen kritisieren, mundtot zu machen. So schreiben Sie in den „Schul-Informationen“ vom September/Oktober 2017 unter der wirklich bezeichnenden Überschrift „Eine Frage des Stils“ wie folgt:

Es finden sich immer wieder – zuletzt in MarzahnHellersdorf – Kronzeugen unter den Schulleitungen, die gelegentlich auch in drastischen Worten ihre eigene Schule zur Schrottimmobilie erklären. Abgesehen von der Frage, dass es manchmal schon zum Selbstschutz der Schule angezeigt ist, Drehtermine und Presse-Anfragen an die Pressestelle der Senatsverwaltung zu melden, geht es mir auch hier um Haltung.

[Heiterkeit und Beifall bei der CDU und der FDP]