Protokoll der Sitzung vom 16.11.2017

Wenn man sich diese Jubiläen anguckt, muss man rückblickend mit Entsetzen feststellen, dass keine Idee in der Menschheitsgeschichte mehr Opfer gefordert hat als der Sozialismus bzw. Kommunismus in seiner Praxis,

[Vereinzelter Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP]

sei es bei den großen Hungersnöten in der Lenin-Zeit oder bei der Ausschaltung der vermeintlichen Feinde im Inneren in der Stalin-Zeit, sei es bei den Schikanierungen im China der Kulturrevolution, unter den Steinzeitkommunisten der Roten Khmer in Kambodscha oder noch heute in den Konzentrationslagern Nordkoreas – oder aber auch die Opfer von Mauer und Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze. Deswegen ist die Erinnerung an die friedliche Revolution in Deutschland 1989 wichtiger denn je.

Auch wenn 30 Jahre kein so traditionelles Jubiläum ist, wie sie üblicherweise begangen werden – 25 oder 50 Jahre –, dann ist es gut und richtig, dass das Abgeordnetenhaus gerade in einer solchen Situation diesen klaren Willen, auch dieses Jubiläum zu begehen, bekennt.

[Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP]

Heute sind es immer weniger Menschen, die die DDR und ihre Unterdrückung selbst erlebt haben. Eine ganze Generation ist mittlerweile in Freiheit und Demokratie aufgewachsen, und gerade für diejenigen ist die Erinnerung wichtig. Es ist kein Zufall, dass wir heute diesen Tagesordnungspunkt in einer Sitzung besprechen, die zusammenfällt mit der Wahl eines neuen Beauftragten für die Aufarbeitung des SED-Unrechts, dessen Aufgabenspektrum wir in dem neuen Gesetz erweitert haben. Mit Tom Sello haben wir einen guten und geeigneten Kandidaten gefunden, der hoffentlich nachher mit großer Mehrheit in diesem Haus bestätigt werden wird.

Wir alle haben das 25. Jubiläum des Mauerfalls noch in guter Erinnerung. Ich glaube, die Bilder bleiben bei allen, die dabei waren, prägend im Gedächtnis. Die Lichtgrenze war eine sehr eindrucksvolle Veranstaltung. Das wird nicht beliebig wiederholbar sein, aber es geht auch gar nicht um die großen Bilder, sondern es geht darum, was wir den Menschen mitgeben, die sich mit dieser Frage beschäftigen. Ich denke zum Beispiel an die Open-AirAusstellung am Alex, die großes Interesse gefunden hat bei Personen, die sich mit dem Thema noch nie großartig beschäftigt haben, aber auch bei Leuten, bei denen wir unterstellen würden, über das Thema sehr viel zu wissen. Deswegen ist es ein wichtiger Hinweis, wenn in dem Antrag steht – ich zitiere –:

Wichtige Orte wie etwa der Alexanderplatz, die Gethsemanekirche und die ehemalige Stasi-Zentrale in der Normannenstraße sollen besonders einbezogen werden.

Der Schwerpunkt muss auf der historischen Aufarbeitung liegen. Das DDR-Unrecht, die Unterdrückung, Mauer, Stacheldraht und der Schießbefehl waren keine zwangsläufigen Folgen weltweiter Entwicklungen im Kalten Krieg, denen man sich auf deutschem Boden nicht entziehen konnte. Nein, sie waren vielmehr konkrete Entscheidungen von Politikern hier in Deutschland, Politikern der SED und keinesfalls alternativlos. Das muss in diesen Veranstaltungen und den Ausstellungen deutlich werden.

Ein weiterer Aspekt dieses Antrags ist für mich spannend. Ich zitiere weiter:

Das Jubiläum soll gemeinsam mit Berliner Partnerstädten, insbesondere in Osteuropa, begangen werden.

Diese unsere Partnerstädte teilen die Geschichte Berlins ein Stück weit und haben ähnliche, aber auch anders geartete Erfahrungen einzubringen. Gerade in Zeiten, wo die Bindungskraft der europäischen Idee nachzulassen scheint, ist das Ausloten von Gemeinsamkeiten von nicht zu unterschätzender Bedeutung und auch eine wichtige Präzisierung inhaltlicher Art. Deswegen glaube ich, dass wir hier einen insoweit ausgewogenen und ausreichenden Antrag vorfinden. Weitere inhaltliche Vorschreibungen wären an dieser Stelle überflüssig – um der Kritik der AfD zu entgegnen, die sie im Ausschuss schon vorgebracht hat.

Wir von der CDU gehen im Übrigen nicht davon aus, dass die Kommunistische Plattform der Linkspartei die Deutungshoheit über die Ereignisse von 1989 erringen wird, auch wenn die Linkspartei mit Antragsteller ist. Sollte es dennoch so sein, werden wir uns rechtzeitig einmischen; dafür kann ich garantieren. Ich hoffe daher auf breite Zustimmung und danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat der Kollege Zillich das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht zufällig geht es in diesem Antrag darum, dass der Senat aufgefordert wird, sich gut auf das Jubiläum der friedlichen Revolution in der DDR vorzubereiten. Es geht darum, weil das ein einschneidendes Ereignis in dieser Stadt, aber auch darüber hinaus war und es bei einer Reihe von Jubiläen von Ereignissen der jüngeren

(Dr. Robbin Juhnke)

deutschen Geschichte, die wir in den nächsten Jahren zu feiner haben, dieses in seiner eigenständigen Bedeutung hervorzuheben gilt.

Uns geht es darum, dass gerade angesichts einer Situation von mannigfaltiger tagespolitischer Überformung von Erinnerung und Erinnerungspolitik die Erinnerung an diejenigen authentisch wachgehalten wird, die dieses Ereignis vorbereitet haben, nämlich an diejenigen, die sich in der DDR im Bewusstsein der damit verbundenen Risiken entschieden haben, politische Opposition zu leisten und auch an ihre Unterdrückung zu erinnern.

Es geht uns darum, gerade angesichts als nicht so positiv wahrgenommenen Nachwendeerfahrungen von Menschen vor allen Dingen in Ostdeutschland, von Deklassierungs- und Ungerechtigkeitserfahrungen, daran zu erinnern, wie Menschen in der Breite in dieser friedlichen Revolution Erfahrungen und Motivation von Mut, Kreativität, Demokratisierungswillen, Selbstermächtigung, Befreiung und von Veränderungsmöglichkeit erlebt haben, wie sehr das viele Menschen geprägt hat und was für eine wichtige Erfahrung genau das für die Entwicklung eines demokratischen Gemeinwesens ist. Daran wollen wir erinnern. Deswegen ist es uns so wichtig – ich sprach es gerade kurz an –, dass verständlicherweise und in gewisser Weise durch die Macht der Bilder geprägt, die wichtige Erfahrung des Mauerfalls nicht die Erfahrungen und die Erinnerungen an diese friedliche Revolution gänzlich dominiert, sondern wir hier eine eigenständige Möglichkeit haben, daran zu erinnern. In welchen Formen das stattfindet, darum wird zu ringen sein, und ich glaube, wir können sowohl vom Senat als auch vom neu zu wählenden Aufarbeitungsbeauftragten einiges erwarten.

Der Antrag soll nicht nur eine leere Forderung bleiben, dieses Ereignis vorzubereiten, sondern wir befinden uns derzeit in den Haushaltsberatungen und ringen in der Koalition darum, diesen Auftrag mit Ressourcen zu untersetzen.

Wir wählen heute einen neuen Aufarbeitungsbeauftragten. Wir haben dazu üblicherweise keine Aussprache, aber diese Rederunde gibt die Möglichkeit, wenigstens ein paar Worte dazu zu verlieren. Auch 30 Jahre nach den Ereignissen der friedlichen Revolution hat ein solcher Beauftragter einiges vor sich, einiges zu bewältigen, nicht nur die Beratung der Opfer und Hilfe, nicht nur das Suchen und Finden von neuen Formen der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, neue Wege der Erinnerung zu gehen, nicht nur die Frage, vielleicht eine Bilanz zu ziehen, eine Evaluierung, dessen vorzunehmen, was denn Aufarbeitungskultur bisher erreicht hat, was sie erreichen konnte und was vielleicht nicht. Wir wollen in Berlin konkrete Projekte angehen, den Campus der Demokratie in Lichtenberg oder das Erschließen von historischen Orten wie in der Keibelstraße. Wir wünschen Tom Sello dabei eine

gute Hand und sichern ihm unsere Unterstützung zu. Ich möchte das aber auch mit dem Dank an Martin Gutzeit, dem scheidenden Landesbeauftragten, für viele Jahre Arbeit verbinden. Insofern sollten wir diesen Antrag beschließen und nachher mit einem sehr guten Ergebnis Tom Sello zum neuen Beauftragten wählen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat nun Herr Trefzer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist ein beredtes Beispiel für einen interfraktionellen Kompromiss, bei dem am Ende keinem gedient ist und alle Beteiligten als Verlierer dastehen.

Der Antrag, auf den sich fünf Fraktionen dieses Hauses ohne Hinzuziehung der AfD verständigt haben, ist eine peinliche Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten und Allgemeinplätzen ohne jede geschichtspolitische Substanz. Und das wissen Sie auch, Frau Dr. West, daran können auch Ihre Ausführungen hier nichts ändern.

[Beifall bei der AfD]

Natürlich müssen wir alle diese Ausstellungen, Aktionen und Veranstaltungen anstoßen, von denen im Antrag die Rede ist. Wir müssen wichtige Orte des Gedenkens einbeziehen, herrichten und herausstellen, das Ganze international einbinden und dann am Ende des Tages den Berlinern und Touristen präsentieren. Das ist doch selbstverständlich. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können mit Ihrer Aufzählung nicht der allerersten und allerwichtigsten Frage jeden Gedenkens aus dem Weg gehen, nämlich der Frage, mit welcher Absicht die Geschichte der friedlichen Revolution denn eigentlich präsentiert werden soll. Sie können kein Gedenken betreiben, ohne den historisch-politischen Rahmen abzustecken, in dem sich dieses Gedenken bewegen soll. Sie präsentieren die Geschichte der friedlichen Revolution quasi im luftleeren Raum und tun so, als wäre Geschichte selbstexplikativ. Und das geht eben so nicht.

Ihr Antrag strotzt vor einer historischen Unbedarftheit, über die man sich nur wundern kann. Und da frage ich mich schon, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP, aber auch Frau Dr. West: Warum reichen Sie zu solch einer banalen Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten die Hand? – Ja, das nenne ich eine Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten. Warum schreiben Sie nicht in Ihren Antrag hinein, Frau Dr. West, was Sie hier ausgeführt haben? Es versteht sich eben bei

(Steffen Zillich)

Ihren Koalitionspartnern nicht von selbst, was Sie hier gerade gesagt haben, Frau Dr. West.

[Beifall bei der AfD]

Das ist doch genau der Punkt. Und deswegen vermissen wir genau diese Aussage, die Sie hier gemacht haben, in Ihrem vorliegenden Antrag. Ich kann Ihnen eins sagen: Es war bezeichnend, was Kultursenator Lederer vergangene Woche im Kulturausschuss auf meine Frage, warum es keine historische Einordnung des Gedenkens im vorliegenden Antrag gibt, antwortete. Er sagte, hören Sie gut zu: Im Gegensatz zur offiziell verordneten Geschichtspolitik der DDR lasse man die Frage, wie die historischen Geschehnisse zu bewerten seien, jetzt mit voller Absicht offen; dann könne sich jeder seinen eigenen Reim machen. – Das ist nicht verkürzt, das ist genau das, was Sie gesagt haben. Und das trifft des Pudels Kern: Der Antrag lässt jede mögliche Interpretation der friedlichen Revolution offen, im Zweifelsfall auch die von Egon Krenz. Das ist doch die Wahrheit.

[Beifall bei der AfD]

Sie haben sich eine historische Bewertung der Ereignisse von 1989 für ein Linsengericht von der Linkspartei abkaufen lassen. Das ist die Wahrheit.

[Beifall bei der AfD]

Dabei wissen Sie eigentlich ganz genau, Frau Dr. West, dass es keine historische Aufarbeitung ohne einen geistigmoralischen Kompass gibt. Indem Sie in Ihrem Antrag, nicht in Ihrer Rede, so tun, als wäre die Geschichte der friedlichen Revolution und damit die Geschichte der DDR-Diktatur beliebig interpretierbar, untergraben Sie ein freiheitlich wertgebundenes Geschichtsbild und bereiten den Nährboden für Nostalgie und Geschichtsrelativismus, wie wir ihn letzte Woche gesehen haben aus Anlass des 100. Jahrestags der Oktoberrevolution. Aus diesem Dilemma, Frau Dr. West, gibt es unseres Erachtens nur einen Ausweg, und das ist die Ergänzung des vorliegenden Antrags um die fehlende geschichtspolitische Einordnung. Das ist doch ganz klar.

Die AfD-Fraktion füllt diese Lücke und macht Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von allen Parteien, mit unserem Änderungsantrag einen Vorschlag, auf den sich nach menschlichem Ermessen die allermeisten Mitglieder dieses Hauses einigen können sollten. Wir haben uns auf drei Punkte beschränkt, aber diese drei Punkte sind aus unserer Sicht zentral, um den Jahrestag sinnvoll gedenkpolitisch einordnen zu können. Wir wollen des 30. Jahrestags des Mauerfalls und der friedlichen Revolution gedenken, erstens, um der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft und des Leids der Getöteten, Geschundenen, Missbrauchten, ihrer Freiheit Beraubten zu gedenken.

[Beifall bei der AfD]

Wir wollen ihnen zurufen: Wir haben euch nicht vergessen! Und darum geht es auch bei diesem Gedenktag. Das ist ein zentraler Punkt.

Zweitens: Wir wollen der Berlinerinnen und Berliner gedenken, die sich mutig und friedlich der Diktatur der SED entgegengestellt haben und so die Voraussetzung für die Entstehung des wiedervereinigten Berlins auf der Grundlage einer demokratischen Verfassung eines geeinten Deutschlands geschaffen haben.

Drittens wollen wir das Bewusstsein für die Erhaltung eines demokratischen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Landes Berlin wachhalten. Die Erinnerung an Mauer und DDR-Unrecht muss auch für zukünftige Generationen eine Mahnung sein. Ich bitte Sie, stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD]

Für eine Zwischenbemerkung hat Frau Dr. West das Wort.

Herr Trefzer! Ich hätte Ihnen ja gerne eine Zwischenfrage gestellt, aber ich mache es auch gerne so. – Wie kommen Sie denn darauf, dass man den Berlinerinnen und Berlinern per Parlamentsbeschluss erklären muss, was der Mauerfall für diese Stadt bedeutet?

[Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Zur Erwiderung hat Herr Trefzer das Wort.

Frau Dr. West! Ich glaube nicht, dass wir das den Berlinerinnen und Berlinern erklären müssen. Ich glaube, das müssen Sie Ihrem Koalitionspartner erklären!

[Beifall bei der AfD]