Protokoll der Sitzung vom 16.11.2017

Tagesordnungspunkt 32

Urban Gardening in der Stadt verwurzeln

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/0633

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der Abgeordnete Herr Dr. Altug hat das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahr 2050 werden voraussichtlich 70 Prozent der Menschen weltweit in den Städten leben. Die Stadt wird als Wohn-, Arbeits- und Lebensort neu definiert. Die Bürgerinnen und Bürger sind selbstbewusster denn je. Sie wollen die Zukunft ihrer Stadt mitbestimmen und ihren Lebensraum mitgestalten. Mit demografischen und soziokulturellen Veränderungen erwächst auch eine Gegenbewegung zu den Merkmalen, die bisher eine Stadt charakterisierten. Die sich langsam formierende Bewegung setzt auf mehr soziale Kommunikation, Solidarität, Entschleunigung, ein grünes Umfeld und nachhaltiges Leben. Der öffentliche Raum wird dadurch zu einem Ort, der zu mehr sozialer Integration, Interaktion, Teilhabe und Lebensqualität beiträgt.

Wir Grünen wollen diese Bewegung mit dem vorliegenden Antrag unterstützen. Urban Gardening, also Gärtnern in der Stadt, ist ein Ausdruck dieses Wandels. Anfangs wurden die Stadtgärtner belächelt. Heute sehen Stadtplaner und Wissenschaftler im Urban Gardening eine Chance, den sozialen und ökologischen Problemen entgegenzutreten, die durch wachsende Städte entstehen. Die urbanen Gärten bieten nicht nur Erholungsräume, sie dienen auch dazu, mit der Nachbarschaft in Kontakt zu treten, sind Orte des kulturellen Austauschs, der biologischen Vielfalt und des Bienenschutzes. Außerdem haben sie eine positive Wirkung auf das Stadtklima. Nicht kommerzielle, selbst organisierte Gärten sind Keimzellen und Labore der grünen, lebenswerten und zukunftsfähigen Stadt.

Wenn ich in die Reihen schaue, stelle ich fest, welchen Fraktionen dieses Thema wichtig ist. Da sehe ich kaum SPD, wenig CDU, weniger FDP und AfD. Das sieht in Ihren Reihen nicht gut aus. Das zeigt, wie wichtig Ihnen dieses Thema ist. Schade drum!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Sie geben konkrete Antworten auf einige der drängendsten Fragen unserer Zeit wie zum Beispiel, wie wir dem Klimawandel begegnen, wie wir solidarisch miteinander leben können, wie Lebensmittel in der Stadt erzeugt werden können. In Berlin gibt es bereits eine sehr aktive Urban-Gardening-Szene. Das ist eine Chance für Berlin.

[Unruhe bei der FDP]

Herr Czaja! Wenn Sie etwas zu sagen haben, können Sie sich gerne in Form einer Frage melden!

[Lachen von Holger Krestel (FDP)]

Über die ganze Stadt verteilt gibt es großartige Beispiele für urbane Gärten,

(Thomas Seerig)

[Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

die den sozialen und ökologischen Mehrwert solcher Gärten bestätigen. Urban-Gardening-Projekte wie die Prinzessinnengärten, das Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld oder die Rosa Rose in Friedrichshain sind inzwischen berühmt und werden nicht nur in Berlin, sondern in den Metropolen der Welt kopiert.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Woldeit?

Ja, gerne!

Herr Woldeit, bitte! Sie haben das Wort.

Die Zeit muss gestoppt werden, Frau Präsidentin!

Das wissen wir.

Herzlichen Dank, Herr Dr. Altug! – Ich möchte das nicht ins Lächerliche ziehen. Ich finde, dass im Bereich Urban Gardening in der Tat interessante Ansätze sind. Die BVV-Fraktion der AfD in Lichtenberg hat übrigens dazu auch einen Vorstoß geleistet – ich komme sofort zu meiner Frage –, gerade Baumscheiben attraktiver zu machen und dadurch bürgerliches Engagement zu stärken. Wie erklären Sie sich dann, dass genau so ein Vorstoß mit dieser Intention seitens der BVV-Fraktion der Grünen in Lichtenberg abgelehnt wurde?

[Ülker Radziwill (SPD): Wahrscheinlich, weil sie das alle sowieso schon wollten!]

Herr Dr. Altug, bitte!

Wissen Sie, Herr Kollege, ich sitze nicht in der BVV von Lichtenberg.

[Lachen bei der AfD]

Ich kann jetzt zu diesem Sachstand nichts sagen.

[Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

Ich bin nicht über alles informiert. Ich nehme an, dass Sie auch nicht über alles in dieser Stadt, in allen zwölf Bezirksverordnetenversammlungen informiert sind.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Wir Grünen stehen für solche Projekte in dieser Stadt. Wir stehen für Urban-Gardening-Projekte. Wir wollen eine lebenswerte, grüne Stadt haben. Die rot-rot-grünen Koalitionsfraktionen fordern den Senat daher entsprechend dem Koalitionsvertrag mit diesem Antrag auf, ein gesamtstädtisches Konzept für Urban Gardening und interkulturelle Gärten zu entwickeln. Dabei geht es uns auch um Obstbäume zum Ernten in Parks und Grünanlagen, damit Berlin eine essbare Stadt wird. Weiterhin sollen Kitas und Schulen bei der Entwicklung der Schulgärten unterstützt werden. Eine Ansprechpartnerin oder ein Ansprechpartner für Urban-Gardening-Projekte bei der Senatsverwaltung ist eine weitere Forderung des vorliegenden Antrags.

Obwohl urbane Gärten häufig ein wichtiger Faktor der sozialen Integration sowie Umwelt- und Naturbildung sind, sind viele Gartenprojekte und auch Kleingärten in ihrer Existenz bedroht. Der Druck auf die Frei- und Grünflächen nimmt immer weiter zu. Dies hat zur Folge, dass Mietverträge für urbane Gärten nicht verlängert werden und mühsam aufgebaute Nachbarschaftsprojekte Bauvorhaben weichen müssen. Ein aktuelles Beispiel ist der Gemeinschaftsgarten Prachttomate in Neukölln. Der Wohnungsbau darf nicht gegen das Stadtgrün ausgespielt werden. Berlin braucht beides.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Ülker Radziwill (SPD) – Georg Kössler (GRÜNE): Bravo!]

Was mir die Akteurinnen und Akteure des Stadtgrüns seit Jahren berichten, ist, dass eine Ansprechpartnerin oder ein Ansprechpartner in der Verwaltung fehlt, die bzw. der sich mit den Belangen der Gärtner befasst. Der vorliegende Antrag zielt deshalb auch darauf ab, dass in der Verwaltung eine Zuständigkeit für das Thema Urban Gardening geschaffen und ein Konzept mit der Zivilgesellschaft erarbeitet wird. Berlin wird mit diesem Ansatz Vorbildern wie New York und Stuttgart folgen. Berlin wächst. Es entstehen immer mehr Neubauquartiere, die viel Mitgestaltungspotenzial mit sich bringen. Viele Berlinerinnen und Berliner wollen mehr Grünflächen, mehr Stadtnatur und mehr Flächen für Urban Gardening. Mit diesem Antrag machen wir den ersten Schritt, um die Urban-Gardening-Projekte in Berlin zu schützen und tiefer zu verwurzeln. – Danke schön!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt der Abgeordnete Herr Gräff das Wort. – Bitte schön!

(Dr. Turgut Altug)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie sehr dieses Thema den eigenen Senat interessiert, sehen wir ja auf der Senatsbank. Bedauerlich!

[Heiterkeit bei der AfD und der FDP – Zurufe von der CDU und der AfD]

Ich sage an der Stelle ganz ausdrücklich: Ich finde das Thema sehr interessant, und wir als CDU-Fraktion werden dem auch zustimmen – das vielleicht vorausgeschickt!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Ob man das in einer solchen Phase – das sage ich an der Stelle auch –, bei den Herausforderungen, die die Stadt hat, zur Priorität machen muss, das kann ja jede Fraktion für sich entscheiden.

Ich möchte an der Stelle noch anmerken: Ja, das ist ein wichtiges Thema, auch die Frage der Entwicklung der Parkanlagen, der vielen kleinen Gärten. Wie entwickelt sich die Stadt? Insofern haben Sie viele richtige Dinge aufgenommen. Auch das Thema grüne Bildung und Bildungsorte ist mit Sicherheit ein Thema, das uns in den nächsten Jahren mehr beschäftigen wird, vor dem Hintergrund des Wachstums der Stadt, des Wohnungsneubaus und der Flächenkonflikte, die dort auftreten.

Was ich an dieser Stelle bedauerlich finde – aber da sind Sie in der Kontinuität, auch wenn ich es mir, ehrlich gesagt, anders gewünscht hätte –, ist, dass man Ende des Jahres 2017 auch als Grüne, vielleicht auch als Koalitionsfraktion zu einem sehr, sehr wichtigen Projekt, das wir in diesem Jahr hatten und das sich mit diesen Fragen beschäftigt hat, nämlich der Internationalen Gartenausstellung in Berlin, kein einziges Wort gesagt hat. Wir haben uns mit dem Thema „Grüne Orte, Bildungsorte“ beschäftigt. Möglicherweise hat es damit zu tun, dass Sie als Grüne das Projekt immer abgelehnt haben, was ich sehr bedauerlich gefunden habe. Vielleicht können Sie im weiteren Prozess dazu noch drei, vier Worte sagen. Aber in der Tat haben wir in diesem Projekt darstellen können, wie sich Städte entwickeln, wie man heute neue Bildungsinhalte auch zum Thema Urban Gardening und Gärten in der Stadt vermitteln kann.

Ich möchte an der Stelle noch einmal ausdrücklich, auch wenn er nicht im Raum ist, Herrn Staatssekretär Gaebler danken, denn am Ende des Tages liegt es immer an Einzelnen. Ich glaube, ohne seine damalige Verantwortung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hätten wir dieses großartige Projekt so nicht hinbekommen. Insofern, dafür herzlichen Dank!

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und der SPD]

Was ich mir allerdings auch wünschen würde – und da bedauere ich schon, dass die Stadtentwicklungssenatorin und Ihre Umweltsenatorin nicht im Raum sind –, ist, dass

Sie zu einer der zentralen Fragen, wo auch Flächenkonkurrenzen auftreten, nämlich der Kleingartenentwicklung, Stellung nehmen, anstatt kein einziges Wort zu sagen und keine Antwort darauf zu geben, dass der Fahrplan zur Entwicklung eines Kleingartenentwicklungsplans in Berlin immer weiter nach hinten geschoben wird und bis heute zu keinem Entwurf geführt hat. Hören Sie sich mal – Wie hat es die Kollegin gesagt? – in den Bezirken um. Hören Sie sich bei den Bezirksverbänden um, den Kleingärtenverbänden, den vielen Betroffenen und anderen, die darum bangen, ob die Scholle dort bleiben kann oder nicht. Wir wissen, dass wir Wohnungsneubau in der Stadt brauchen. Gar keine Frage!

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Altug?

Sehr gerne!