Im Moment nicht! – Wie menschenfeindlich muss man eigentlich sein, im Bundestag einen Menschen zum Vizepräsidenten machen zu wollen, der Millionen von Menschen, muslimischen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land pauschal – und eben nicht differenziert, Herr Hansel – die Religionsfreiheit abspricht?
[Beifall bei der FDP und der LINKEN – Hakan Taş (LINKE): Hetzer, mehr nicht! – Frank-Christian Hansel (AfD): Sie hören einfach nicht zu!]
Wie unpatriotisch muss man eigentlich sein, um so die deutsche Geschichte zu verraten und unsere Verfassung zu verachten? Ihr Antrag auf Solidarität mit Seyran Ateş in diesem Hause ist doppelzüngig und falsch, und das wissen Sie ganz genau.
Nein. – Ihre Scheinheiligkeit hat Frau Ateş nicht verdient, und Ihre Beiträge zum religiösen Unfrieden hat Deutschland nicht verdient.
Ich höre ganz genau zu, Herr Hansel! – Aber wir wissen auch: Seyran Ateş ist eine mutige Frau, die seit über einem Jahrzehnt jeden Tag mitten in Deutschland um ihr Leben fürchten muss, weil sie für Frauenrechte und ihr Verständnis eines säkularen und liberalen Islam eintritt.
Ich habe Frau Ateş selbst in der Moschee besucht. Es ist bedrückend, sich nur noch in Begleitung von Personenschützern zu bewegen. Es ist bedrohlich zu hören, welcher Hass, welche Gewaltbereitschaft ihr entgegenschlagen. Und es beschämt uns alle, dass es in Deutschland ein Klima gibt, in dem sich islamistische Extremisten und türkische Nationalisten berechtigt fühlen, Frau Ateş mit dem Tode zu bedrohen.
Und so erklären wir Freien Demokraten uns solidarisch mit Seyran Ateş, einer streitbaren Bürgerin, Demokratin und Rechtsanwältin unseres Landes, denn unsere Demokratie lebt vom Mut zum zivilen Widerspruch. Der liberale Soziologie Ralf Dahrendorf hat uns stets daran erinnert: Konflikte sind nicht abzuschaffen, sondern zu bändigen, damit Wandel Gesellschaften nicht überrollt, sondern ihr zu ihren besten Möglichkeiten verhilft. Freiheit, so sagt er, ist ohne Mut, ohne Widerstand nicht zu sichern.
Aber dieser demokratische Streit ist erst möglich, weil es auch einen Konsens gibt: dass die Stärke des Rechts gilt, nicht das Recht des Stärkeren, dass mit Bürgerrechten auch Bürgerpflichten, mit viel Freiheit auch viel Verantwortung kommt.
Jeden Tag tragen Bürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens zu unserer Republik bei. Wir Freien Demokra
ten bekennen uns zur Partnerschaft mit all jenen Muslimen, die unser Grundgesetz als Grund und Grenze des gesellschaftlichen Zusammenlebens achten – egal, ob sie sich dabei als säkulare oder gläubige Muslime verstehen.
Wir erwarten von allen religiösen Führern aber auch eine deutliche Absage an jegliche religiöse Begründung von Terror und Gewalt, ein Bekenntnis zum Respekt und zur Toleranz gegenüber Anders- oder Nichtgläubigen. Keinen Platz in unserer Republik hat die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, weder der Antisemitismus noch die Feindlichkeit gegenüber Muslimen, weder Homophobie noch Frauenfeindlichkeit.
Und mit der Solidarität für Frau Ateş bekennen wir uns auch hier in Berlin ebenfalls zu der tief verwurzelten Idee der Toleranz: Möge ein jeder Mensch nach seiner Fasson glücklich werden!
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Abgeordnete Frau Jarasch das Wort. – Bitte schön!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zu den Grundlagen einer freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaft, dass Menschen ihre Religion ungestört, ohne Angst vor Verfolgung oder Gewalt und auch öffentlich leben dürfen und dass es nicht Sache der Politik ist zu entscheiden, was Menschen glauben dürfen und was nicht.
Wir verteidigen und schützen die Religionsfreiheit aller Menschen in Berlin, solange sie nicht die Rechte anderer Menschen verletzen: liberale genauso wie orthodoxe Juden, Mitglieder der großen christlichen Kirchen genauso wie die Mitglieder von Freikirchen, liberale genauso wie traditionell-konservative Muslime. Und wir haben übrigens mit der Verleihung des Körperschaftsstatus an den Humanistischen Verband soeben gezeigt, dass wir auch die Bekenntnisfreiheit weltanschaulicher Gemeinschaften anerkennen und ihren Beitrag zum Zusammenhalt dieser Gesellschaft schätzen.
Wir dulden es zudem nicht, dass Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt bedroht und mit Hass verfolgt werden oder dass ihnen Gewalt angetan wird. Deshalb hat die Anwältin, Frauenrechtlerin und Moschee-Gründerin Seyran
Ateş selbstverständlich unsere volle Solidarität und bekommt den Schutz, den sie braucht – schlimm genug, dass sie ihn braucht.
Dennoch ist der AfD-Antrag für uns nicht zustimmungsfähig, denn er suggeriert, dass Frau Ateş unsere Solidarität deshalb verdient, weil sie eine besonders liberale Art des Islam vertritt, die die AfD für – ich zitiere – „in Europa integrierbar“ hält. Damit wird Frau Ateş zur Kronzeugin gegen alle anderen muslimischen Gemeinschaften, die in dieser Logik einen Islam leben, den wir offenbar nicht für integrierbar halten sollen.
Mit diesem Antrag tun Sie, werte Kollegen von der AfD, Frau Ateş einen Bärendienst. Haben Sie sie gefragt, ob sie eine Solidaritätserklärung von Ihnen in dieser Form überhaupt will?
[Frank-Christian Hansel (AfD): Ich hätte vermutet, Sie bringen den Antrag ein! Aber dazu sind Sie zu feige!]
Ich glaube kaum. Ich habe Frau Ateş nämlich gefragt, und Sie hat mir gegenüber sehr deutlich gemacht, dass sie nicht von Islamfeinden wie Ihnen vor den Karren gespannt werden will – und jetzt empören Sie sich nicht, das ist ein Zitat!
Herr Hansel, ich weiß, dass Sie für eine Berliner Variante eintreten, dass Sie differenzieren wollen. Die Berliner Variante dieser Islamfeindschaft heißt dann aber: alle böse außer Frau Ateş. – Und das machen wir nicht mit.
Und, Herr Dregger: Auch wir wollen – wir haben ja schon darüber diskutiert hier im Plenum –, dass sich der Beirat für das Islamische Institut breiter aufstellt und liberale Stimmen da Platz finden. Das ist in der Konstruktion aber auch jetzt schon möglich; das habe ich auch damals schon gesagt. Wenn Sie aber Frau Ateş als die einzige liberale Muslimin darstellen, ohne die es praktisch im Beirat keine liberalen Stimmen geben kann, dann machen Sie an dieser Stelle dieses Spaltungsspiel der AfD mit.
Frau Ateş ist eine streitbare Frau. Politisch haben wir viel Übereinstimmung mit ihr, aber es gibt auch Themen, in denen wir zu ganz anderen Schlüssen kommen als sie. Ihr Recht auf Religionsfreiheit, auf freie Meinungsäußerung und körperliche Unversehrtheit verteidigen wir aber völlig unabhängig davon, ob wir ihren Versuch, den Islam zu reformieren, für richtig oder falsch halten. Denn Grundrechte muss man sich nicht verdienen, die hat man. – Vielen Dank!
Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Wild gemäß § 64 Abs. 2 GO einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt bis zu drei Minuten. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! – Schon wieder ich. – Nicht nur im Islam, auch im Christentum gab es immer wieder Ausgründungen. Wenn man sich einmal in eine Freikirche begibt, erfährt man, dass diese Kirchen erstaunlichen Erfolg haben können. Im Endeffekt entscheidet, ob es einer Gruppe gelingt, genug Anhänger zu finden, und ob es ihr weiterhin gelingt, diesen Anhängern zur seelischen Gesundung, zur seelischen Reinigung zu verhelfen, und ob es gelingt, inneren Frieden zu finden.
Beim Projekt Ibn-Rushd-Goethe-Moschee wird die Zeit erweisen, ob die obigen Ziele erreicht werden können. Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist in Deutschland selbstverständlich. Ob man beim Gebet gemischt sein muss, erscheint weder Kirchgängern noch Atheisten der Frage wert. Wer aber einmal in einer Moschee war, dem wird nicht entgangen sein, dass dort die Gläubigen dicht an dicht knien und sich zur Erde beugen, und zwar dicht an dicht nebeneinander und dicht an dicht vor- und hintereinander. Ich vermute, in keinem AerobicKurs der Welt würde man solche körperlichen Übungen geschlechtergemischt machen.
Die Gründung eines kulturellen Begegnungsprojekts ist eine Sache, die Gründung einer Kirche oder Moschee eine andere. Frau Ateş und Herr Ourghi müssen selbst wissen, ob sie über die spirituelle Kraft verfügen, eine Schar von Gläubigen zu führen, ob sie in der Lage sein werden, über das Niveau der Begegnungsstätte hinaus Menschen zu inspirieren und ihnen Frieden zu geben. Wie dem auch sei: Keiner hat das Recht, einen Andersdenkenden mit dem Tod zu bedrohen, gleich, ob es einen liberalen Islam geben kann oder nicht. In Deutschland sind die Gedanken frei. In Deutschland ist die Rede frei. Deshalb unterstütze ich den Antrag der Kollegen der AfD-Fraktion. – Schönen Dank!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Es wird die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten und mitberatend an den Ausschuss für Integration, Arbeit und Soziales empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.
Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Tagesordnungspunkt 20 komme, darf ich darauf hinweisen, dass sich die Fraktionen gemäß § 56 Abs. 3 GO darauf verständigt haben, alle offenen Tagesordnungspunkt noch zu behandeln, ggf. auch über 19.00 Uhr hinweg. Nach dem folgenden Tagesordnungspunkt soll jedoch keine Beratung mehr erfolgen. – Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so.