Protokoll der Sitzung vom 24.11.2016

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass ein Strafgefangener mit seinem Nettoverdienst in der Haft nicht grundlegend schlechter steht als normale Arbeitnehmer unter Abzug von Lohnsteuer, Sozialabgaben, Lebenshaltungskosten, Kosten für Wohnung und den Arbeitsweg.

Die Koalition sieht den Zugang zu modernen digitalen Kommunikationsmitteln vor, ein Thema, das uns in der 17. Legislaturperiode umfassend beschäftigt hat. Die Sicherheitsanforderungen sollen zwar gewahrt bleiben, aber wie, das bleibt ein Geheimnis von Rot-Rot-Grün. Es genügt nicht, Ideen zu haben, wenn man den Risiken nicht entgegenwirken kann. Ein Internetzugang für Gefangene führt aber zu schwerwiegenden Sicherheitsrisiken. Es ist nicht auszuschließen, dass Gefangene den geplanten Internetzugang für kriminelle Handlungen missbrauchen. Für strenge Kontrollen jedes E-MailAccounts fehlt es trotz massiven Stellenaufbaus durch Justizsenator Heilmann am Personal. Anstatt neue Sicherheitsrisiken zu schaffen, sollte sich die zukünftige Koalition um weitere Verstärkung des Personals kümmern. Daran hat uns der designierte Justizsenator Dirk

Behrendt doch zehn Jahre lang gemahnt. Und der demografische Wandel im Bereich der Mitarbeiter des Justizvollzugs hat sich seitdem nicht verändert. Auch die Opferschutzorganisation Weißer Ring lehnt solch einen Vorstoß weitgehend ab, denn es besteht die große Gefahr, dass Opfer erneut zu Opfern werden, weil über das Internet Druck auf sie ausgeübt wird oder sie belästigt werden. Auch Zeugenbeeinflussung ist immer denkbar.

Die Koalition sieht weiterhin vor, dass die Installation der Mobilfunkblocker in der JVA Moabit in dem bisher geplanten Kostenumfang realisiert wird. Dazu stellen sich zwei Fragen: Heißt das, weitere Mobilfunkblocker in anderen Haftanstalten wird es nicht geben? Heißt das weiter, dass die Installation in der JVA Moabit beendet wird, wenn der Kostenrahmen überschritten wird? Wenn eine dieser beiden Fragen mit Ja beantwortet wird, dann wird die ungestörte Kommunikation von Gefangenen in den Berliner Justizvollzugsanstalten die Sicherheit aller Berliner gefährden,

[Beifall bei der CDU und der AfD – Beifall von Holger Krestel (FDP)]

zum einen, weil die Resozialisierung in Gefahr ist, da die Gefangenen so ungestört mit einem kriminellen Milieu in Kontakt bleiben und somit dem schlechten Einfluss weiterhin ausgesetzt sind, zum anderen, weil es den Gefangenen so leichter gemacht wird, weiterhin Straftaten aus dem Gefängnis heraus vorzubereiten und zu organisieren. Ich nenne hier nur das Stichwort der arabischen Familienclans. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Kommunikation der Strafgefangenen unter Kontrolle zu haben.

Schließlich möchte die neue Koalition den offenen Vollzug ausweiten. Er soll zum Regelvollzug werden. Dagegen haben wir heute schon einiges gehört. Dagegen sprechen sowohl die bundesweiten als auch die berlinweiten Zahlen. Dort sind 16 und 19 Prozent der Gefangenen im offenen Vollzug. Die ganz überwiegende Anzahl, etwa 80 Prozent, ist im geschlossenen Vollzug. Die Ausweitung des offenen Vollzugs erscheint nur möglich, wenn die Voraussetzungen für den offenen Vollzug gelockert werden. Offener Vollzug ist nur möglich, wenn insbesondere nicht zu befürchten ist, dass die Gefangenen sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeit des offenen Vollzugs zur Begehung von Straftaten missbraucht werden. So sind zum Beispiel Drogendealer weitgehend vom offenen Vollzug ausgeschlossen. Es mag aber sein, dass Rot-Rot-Grün auch in diesem Bereich in der Drogenpolitik im Vollzug neue Wege beschreiten möchte, dann: nur zu!

Rot-Rot-Grün steht mit anderen Worten für mehr offenen Vollzug und für weniger Sicherheit der Berliner.

[Beifall bei der CDU und der AfD]

Jedenfalls ist eine Ausweitung nur dann möglich, wenn an sich nicht geeignete Gefangene im offenen Vollzug

berücksichtigt werden. Auch die Lösung einer Verschiebung von Strafgefangenen nach Brandenburg ist nicht durchdacht, zumal das in den letzten zehn Jahren an Brandenburg, nicht an Berlin, gescheitert ist. Zum anderen ist die Resozialisierung erschwert, wenn die Familie eines Strafgefangenen – also ein positiver Stabilitätsfaktor für Gefangene – bei jedem Besuch erst nach Brandenburg anreisen muss. Und rechtssicher ist eine nicht wohnortnahe Inhaftierung durchaus schwierig zu gestalten.

Die Maßnahmen zur Sicherheit in den Justizvollzugsanstalten sind laut neuer Koalition der Einsatz von Drogenspürhunden – ich freue mich, dass hiergegen jetzt keine Bedenken mehr bestehen, das klang in den letzten Haushaltsberatungen ganz anders – und mehr Durchsuchungen. Wie das allerdings mit nicht deutlich mehr Personal realisiert werden soll, darauf bin ich gespannt. Aber die CDU-Fraktion wird die neue Koalition und auch den designierten Justizsenator Dirk Behrendt an seinem eigenen Koalitionsvertrag messen, und das regelmäßig.

Gestatten Sie mir noch eine persönliche Anmerkung. Andere Abgeordnete halten Ihre Abschiedsrede zum Ende einer Legislaturperiode, ich habe heute meine Abschiedsrede – jedenfalls aus dem Justizvollzug,

[Heiterkeit]

aus dem Justizbereich und dem Justizvollzug – zum Anfang einer Legislaturperiode gehalten.

[Carola Bluhm (LINKE): Na, Mensch!]

Ich werde dem Rechtsausschuss in den nächsten Jahren nicht mehr angehören. Ich möchte mich ganz herzlich bei den Kollegen aller Fraktionen für die gute und sehr kollegiale Zusammenarbeit im Rechtsausschuss bedanken, den ich in den letzten fünf Jahren leiten durfte. Ich habe den Rechtsausschuss immer als einen ganz besonderen Ausschuss empfunden, der mir im Wesentlichen großen Spaß gemacht hat. Ganz besonders möchte ich mich bei dem Kollegen Kohlmeier für die vergangenen fünf Jahre bedanken. Eine sichere Erwartungshaltung des letzten Rechtsausschusses tritt nun nicht ein: Wir waren alle davon ausgegangen, dass der Kollege Dirk Behrendt dem nächsten Rechtsausschuss nicht angehört; er ist jetzt wieder dabei. Dafür wird der Kollege Lederer uns sicherlich abhandenkommen. Seien Sie versichert, ich werde das eine oder andere Mal im Rechtsausschuss vertreten und auch wieder die eine oder andere Kleine Anfrage aufgreifen. Ich freue mich schon heute auf die Haushaltsberatungen, in denen Dirk Behrendt normalerweise auch noch um Mitternacht mit dem gleichen Elan wie um 17 Uhr verschiedene Fragen gestellt hat. Das wird zukünftig die CDU übernehmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Vielen Dank, Frau Kollegin Seibeld! Gestatten Sie mir zu Ihrem Versprecher eine Bemerkung: Die fünf Jahre, die ich unter Ihrer Leitung im Rechtsausschuss sein durfte, habe ich als ausgesprochen offenen Vollzug empfunden.

[Beifall und Heiterkeit]

Herr Kollege Schrader, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag von SPD, Linken und Grünen steht der hier schon zitierte schöne Satz:

Der Anspruch bleibt: Der offene Vollzug ist Regelvollzug.

Ich würde sagen, dass dieser Satz keine Revolution ist. Das ist seit vielen Jahren geübte Praxis. Auch in Berlin war genau das über 30 Jahre lang die wie im ganzen Bundesgebiet geltende Rechtslage, denn bis zur Föderalismusreform galt auch in Berlin das Strafvollzugsgesetz des Bundes, in dem der offene Vollzug Regelvollzug war. Jetzt sind die beiden Vollzugsarten gleichrangig nebeneinandergestellt, Kollege Kohlmeier hat es beschrieben. Ich finde, das ist ein guter Vorsatz der neuen Koalition, aber kein Umsturz der Verhältnisse.

Dieser Satz ist aber offenbar geeignet, eine aufgeregte Debatte auszulösen, wenn eine große bunte Zeitung darüber berichtet. Da werden Mythen und Schreckensszenarien verbreitet, die dann in der Welt herumgeistern. Damit will ich gleich am Anfang einmal aufräumen. Was ist der offene Vollzug? – Im offenen Vollzug muss man abends in den Bau und darf tagsüber raus – in der Regel, um zu arbeiten. Bevor das passiert, wird geprüft, ob die Person für solche Vollzugslockerungen geeignet ist. Das heißt, es sind eben nicht die üblen Straftäter, von denen eine Gefahr für die Sicherheit ausgeht, und zwar egal, ob es die Regel oder die Ausnahme ist; eine Prüfung findet immer statt.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Fast ein Viertel der Berliner Inhaftierten verbüßt bereits jetzt seine Strafe im offenen Vollzug. Das ist viel im bundesweiten Vergleich. Ich finde das gut. Wenn jetzt einige behaupten, der offene Vollzug an sich sei eine Gefahr für die Sicherheit, dann lege ich nahe, sich mit den Fakten auseinanderzusetzen. Der noch amtierende Senator für Justiz – Thomas Heilmann, CDU – hat die Praxis im offenen Vollzug evaluieren lassen, und siehe da: Die Missbrauchsquote, also der Anteil derjenigen, die nicht aus dem offenen Vollzug in die Anstalt zurückkommen, liegt bei 0,07 Prozent. Wer da behauptet, das sei eine Gefahr für die innere Sicherheit, macht Politik mit den Ängsten der Bürger, und das ist verantwortungslos.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Dr. Hugh Bronson (AfD)]

Ich zitiere noch einmal den Herrn Senator dazu – Herr Kohlmeier hat es schon getan, aber ich finde, den schönen Satz kann man ruhig noch einmal wiederholen –:

Der offene Strafvollzug ist keine liberale Verirrung, sondern ein hocherfolgreiches Konzept, wie Strafgefangene besser resozialisiert werden

können. Das sagt ein CDU-Senator, und ich finde, das ist eine sehr schöne Formulierung. Da darf man sich schon darüber wundern, warum sich jetzt einige über diesen Satz so aufregen.

Ja, wir wollen den offenen Vollzug stärken. Gerade in Berlin kann man sagen, er ist eine Erfolgsgeschichte. Er hat die Aufgabe, dass Inhaftierte das Leben außerhalb der Gefängnismauern erproben und sich auf ein Leben nach der Entlassung vorbereiten können. Wir nennen das Resozialisierung. Das ist das Gleiche wie andere Dinge, die sich SPD, Linke und Grüne im Koalitionsvertrag gemeinsam vorgenommen haben. Kollegin Seibeld hat schon alles aufgezählt; ich habe auch noch ein paar Dinge. Wir haben die Ausweitung der Arbeitsmöglichkeiten im Vollzug, den Zugang zu digitalen Kommunikationsmitteln – denn jemand, der zehn Jahre lang im Bau nicht einen einzigen Computer gesehen hat, wird es schwer haben, sich im Leben danach zurechtzufinden –, die Einbeziehung von Strafgefangenen in die Rentenversicherung und nicht zuletzt die Verbesserung der Personalausstattung im Vollzug, damit die Menschen dort nicht nur verwahrt werden, sondern Betreuung, Therapie und Entlassungsvorbereitung vernünftig stattfinden können. Und jetzt sage ich Ihnen mal was:

[Georg Pazderski (AfD): Au ja! – Ja! von der CDU]

Resozialisierung ist nicht nur Teil eines menschenwürdigen Strafvollzugs – Sie nennen es Romantik. Jede Maßnahme, die Inhaftierten dabei hilft, nach der Haft wieder ein geregeltes, straffreies Leben zu führen, nützt uns allen, denn Resozialisierung verhindert Straftaten. Deswegen ist Resozialisierung auch die beste Sicherheitspolitik.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Marcel Luthe (FDP)]

Ich komme auf die Haftplätze zu sprechen. Es wurde behauptet, Rot-Rot-Grün würde nun die Knäste dichtmachen oder keine neuen bauen, und dann würden die ganzen Straftäter frei herumlaufen. Was für ein absurder Unsinn!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Wir haben im Moment ausreichend Haftplätze, und wir haben eine ähnliche Auslastung wie vor einem Jahr. Da

hat sich nicht sehr viel geändert. Wenn wir wirklich mehr brauchen sollten, gibt es die Möglichkeit, mit Brandenburg zusammenzuarbeiten. Eine der großen Berliner Vollzugsanstalten steht in Brandenburg, wer es noch nicht gemerkt hat. Beim Jugendarrest gibt es auch schon eine Kooperation, die gut funktioniert. Das wäre also möglich.

[Zuruf von Cornelia Seibeld (CDU)]

Man muss sich aber doch auch einmal anschauen, wer in den Berliner Gefängnissen alles sitzt, der da eigentlich gar nicht hingehört.

[Lachen bei der AfD – Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Dann stellt man fest – da sitzen jede Menge Ersatzfreiheitsstraftäter: Menschen, die zu Geldstrafen verurteilt wurden, Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen diese Geldstrafen nicht bezahlen können; sehr viele von ihnen sind Schwarzfahrer. Das sind ganz überwiegend von Armut betroffene Menschen, das sind Menschen, die Probleme in ihrem Leben haben. Ganz überwiegend sind es Menschen, die nicht kriminell oder gefährlich sind.

[Zuruf von der CDU: Ja, ja, ja!]

Und ich sage: Diese Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, gehören nicht in den Knast, sondern sie brauchen Lebenshilfe und Sozialarbeit.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Deswegen sollte es unsere Aufgabe sein, den Anteil der Ersatzfreiheitsstrafe im Vollzug zu verringern, damit man sich dort um die wirklich Kriminellen kümmern kann. Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, Programme der Haftvermeidung wie „Arbeit statt Strafe“ auszuweiten. Ich finde, das ist der richtige Weg, um den Berliner Vollzug zu entlasten.

Wenn es tatsächlich zu einer rot-rot-grünen Koalition auf Grundlage des ausgehandelten Koalitionsvertrags kommt, könnte man sagen: Diese Strafvollzugspolitik ist beispielhaft für die Grundausrichtung beim Thema öffentliche Sicherheit und Bürgerrechte. Wir wollen Straftaten verhindern und setzen auf gezielte Prävention. Wir wollen die Arbeitsbedingungen und die Besoldung bei Polizei, Feuerwehr und Justiz deutlich verbessern. Wir setzen beim Thema Kriminalität auf eine bessere Personalausstattung bei den Sicherheitsbehörden, auf mehr Präsenz, auf klassische personalintensive Ermittlungsarbeit insbesondere bei der Polizei. Wir setzen eben nicht auf spektakuläre, aber sinnlose Maßnahmen wie Frank Henkels Null-Toleranz-Zonen oder die Belagerung der Rigaer Straße durch die Polizei.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Und wenn sie nicht gestorben sind…]

Wir setzen auch nicht auf wirkungslose Grundrechtseinschränkungen wie die Videoüberwachung.

[Zuruf von der FDP: Schlimm genug!]