Protokoll der Sitzung vom 24.11.2016

[Zuruf von der FDP: Schlimm genug!]

Und ja, wo wir der Meinung sind, Befugnisse, Datenbanken oder Überwachungsmaßnahmen sind nicht erforderlich oder verhältnismäßig, sollten wir darauf verzichten oder sie anders regeln, völlig klar.

[Beifall bei der LINKEN]

Deswegen ist für mich auch völlig klar: Sich um die Sicherheit zu kümmern und Grundrechte zu stärken, ist kein Widerspruch. Da werden wir uns nicht von irgendwelchen Populisten beirren lassen, die meinen, der Stammtisch sei der Ort, wo Sicherheitspolitik gemacht wird.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Lachen bei der AfD – Zuruf von Frank Scheermesser (AfD)]

Wir hatten jetzt fünf Jahre lang zwei CDU-Senatoren, denen die Schlagzeile wichtiger war als die Lösung von Problemen. Herr Heilmann hat immer schöne Pressekonferenzen gemacht und stolz irgendwelche Projekte verkündet, die dann meistens im Sande verlaufen sind. Frank Henkel war eigentlich mehr weg als da. – Sein Stuhl ist schon wieder leer. Wir haben uns daran gewöhnt.

[Heiterkeit bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Er wird höchstens als Dienstreisesenator in die Geschichtsbücher eingehen.

[Zuruf von der AfD: Das kann man nicht ertragen!]

Wenn es so sein sollte, wenn es Rot-Rot-Grün gibt, wäre ich froh und erleichtert, dass das endlich ein Ende hat. Ich glaube, die meisten Berlinerinnen und Berliner wären es auch. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion der Grünen jetzt Frau Kollegin Bayram.

[Kurt Wansner (CDU): Jetzt kommt die Steigerung!]

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wort, das ich mir aus der ersten Rede notiert habe, lautet „Gewohnheitsverbrecher“. Also die Aussage, Rot-Rot Grün – oder im Jargon der AfD „die links-grün Versifften“ –

[Beifall bei der AfD]

wollen jetzt auch die Rechtspolitik dominieren. Allein, wenn Sie diese, Ihre erste Aktuelle Stunde nutzen wollten, um uns wirklich unter Druck zu setzen, dann hätten Sie sich ein Thema wählen sollen, das tatsächlich „grün“ oder „links“ oder besonders neu in den Koalitionsvertrag

(Niklas Schrader)

aufgenommen wurde. Alle haben hier versichert: Es bleibt bei der bisher in Berlin geltenden Regelung beim offenen Strafvollzug. Zur Information: Seit 1977 gilt auf gesetzlicher Grundlage, dass der offene Vollzug der Regelvollzug ist. Hier wird also nicht eine neue Praxis von der von Ihnen nicht so geliebten neuen Koalition auf den Weg gebracht, sondern hier wird das gemacht, was sich in vielen Jahren bewährt hat, umgesetzt.

Worum geht es? Was sind „Gewohnheitsverbrecher“? Wer will die denn in den offenen Vollzug stecken? Nennen Sie die Fälle, in denen das passiert ist. Das werden Sie nicht können.

Ich will einige Zahlen nennen, wohl wissend, dass der Kollege bereits zu Beginn gesagt hat, ich solle keine Statistik aufführen, denn wir lebten im postfaktischen Zeitalter. Alles, was die AfD scheut, sind Zahlen und Fakten. Gerade deshalb werde ich die Zahlen nennen. Derzeit – das kann sich jeder im Internet anschauen, die Zahlen sind öffentlich –, Stand 16. November 2016 haben wir 2 732 Männer im geschlossenen Vollzug und 713 im offenen Vollzug, mit Plötzensee kommen wir insgesamt zu der Zahl 865. Das ist die Summe im offenen Männervollzug. Das müssen Sie sich einmal anschauen und ins Verhältnis setzen, bevor Sie hier einen Popanz aufbauen, dass angeblich eine Gefahr für die Menschen in Berlin bestehen würde, weil wir das machen, um genau zu verhindern, dass Menschen zu Gewohnheitsverbrechern werden. Schauen Sie sich doch die Studien an, was Gefängnis mit Menschen machen kann.

[Georg Pazderski (AfD): Schafft man die Gefängnisse ab!]

Warum soll jemand, der nicht gemeinschädlich und gefährlich für die Öffentlichkeit ist, seinem Job nicht weiter nachgehen? Warum soll der seinen Job verlieren, um nach Entlassung aus der Haft einen neuen Job suchen zu müssen? Schauen Sie sich die Praxis an oder lesen Sie sie nach. Der „Tagesspiegel“ hat es vor einigen Jahren sehr schön dargestellt.

Die Leute müssen sich zunächst, wenn sie die Haft antreten, vier Wochen kontrollieren lassen. Da wird gecheckt, ob sie Drogen nehmen, da wird alles Mögliche untersucht, und es wird untersucht, ob die Leute überhaupt geeignet sind für einen offenen Vollzug. Erst dann wird entschieden, ob der offene Vollzug bei diesen Menschen praktiziert wird oder nicht. Schauen Sie sich einmal an, es sind derzeit ca. 79 Prozent im offenen Vollzug in Bezug auf die vorhandenen Gesamtplätze, die dort die Resozialisierung auf diesem Weg erleben können. Die Faktenlage widerspricht dem, was Sie aufgezeigt haben.

Um diese Frage, die Sie vielleicht auch noch haben, zu beantworten: Ja, wir wollen die Situation in den Haftanstalten verbessern und denken, dass wir damit auch die Resozialisierung tatsächlich vorantreiben. Es gibt natürlich das Interesse der Allgemeinheit, der Bevölkerung,

vor Straftätern geschützt zu werden. Deshalb muss man sehr umsichtig damit umgehen. Wir haben aber kein Interesse daran, das Geld in noch mehr Knäste zu stecken, sondern wir möchten, dass die Menschen möglichst in den Stand versetzt werden, ein straffreies Leben zu führen.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Das geht am besten durch soziale Beziehungen in der Praxis, die der offene Vollzug letztlich übt. Dort sollen die Menschen üben, wieder Teil der Gesellschaft zu werden, nicht wieder straffällig zu werden.

[Heiko Melzer (CDU): Gar nicht erst straffällig zu werden!]

Die ganze Lobhudelei hinsichtlich der Studie von Herrn Heilmann muss ich jetzt nicht noch einmal wiederholen. Dass das funktioniert, das belegen die Zahlen. Darum werden Sie nicht herumkommen. Damit werden wir Sie immer wieder in den jeweiligen Ausschüssen und in den Debatten konfrontieren. Ich freue mich schon auf diese Diskussionen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Luthe das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs gehört, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Die Möglichkeit der Begnadigung allein ist nicht ausreichend; vielmehr gebietet das Rechtsstaatsprinzip, die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren gesetzlich zu regeln.

So das Bundesverfassungsgericht 1977.

Dieser Gedanke findet sich im 1977 von der sozialliberalen Koalition unter den Ministern Maihofer und Vogel eingeführten Strafvollzugsgesetz und seinen Nachfolgern seit 2006 in den Bundesländern wieder. Dort geregelt sind die Aufgaben des Vollzugs.

Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.

Das ist das Vollzugsziel. –

Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.

(Canan Bayram)

So weit das theoretische Ziel.

Funktioniert das? – Ich kenne aus meiner Praxis als ehrenamtlicher Strafrichter am Landgericht Berlin verschiedene Fälle. Ich möchte beginnen mit einem verurteiltem Betrüger, zuletzt zu dreieinhalb Jahren Haft, also ein Regelfall für den offenen Vollzug, wie die Kollegin Bayram vorgeschlagen hat. Der Mann hat seit 1980 kontinuierlich Straftaten begangen. Er kam immer wieder in den offenen Vollzug, und immer wieder hat er den offenen Vollzug zu neuen Straftaten genutzt. Auf der anderen Seite haben wir das Beispiel eines verurteilten Mörders, der nach langer Haft über den offenen Vollzug resozialisiert wurde, der seitdem ohne weitere Straftaten als Mitglied der Gesellschaft resozialisiert ist und als solches leben kann. Was bedeutet das? – Es bedeutet doch sicherlich – darüber sollten wir uns im Rechtsstaat einig sein –, dass es keine Pauschallösungen geben kann, keine Quoten für den einen oder anderen Vollzug, sondern es wie immer auf den Einzelfall, auf das Individuum ankommt.

Eine freie Stadt erfordert Sicherheit. Sicherheit bekommen wir nicht durch Videos von Straftaten – wie manche hier glauben. Wir erreichen sie, indem wir diese Taten von vornherein verhindern. Diese Taten verhindern wir einerseits durch eine reaktionsfähige und gut ausgestattete Polizei und andererseits durch einen rehabilitationsfähigen Justizvollzug, durch den Straftäter künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten führen können. Diese Sicherheit muss das Ziel Berliner Innen- und Rechtspolitik sein.

Ein Weg dahin führt über die verantwortungsvolle Ausstattung der JVAs, im offenen wie im eigentlichen Regelvollzug. Ich sehe bislang nicht, dass diese Koalition dieses Ziel ernsthaft erreichen will. Wir haben aktuell eine Quote von etwa 1 zu 30 Sozialarbeitern zu Häftlingen. Das Ziel der Resozialisierung wird weder im offenen noch im Regelvollzug tatsächlich ausreichend verfolgt. Nur auf der Grundlage einer vernünftigen Ausstattung der JVAs kann dann jeder Strafgefangene oder – nehmen wir die weibliche Form, um zu gendern – jede Strafgefangene in den ihrer Resozialisation angemessenen Vollzug gelangen. Die Pläne des Senats, am grünen Tisch zu beschließen, wie viele Strafgefangene künftig als geeignet für den offenen Vollzug gelten sollen, ähnelt in fataler Weise den sonstigen Quotenfantastereien sozialistischer Systeme,

[Beifall bei der FDP und der AfD – Beifall von Roman Simon (CDU)]

die das Ergebnis einer objektiv-fachlichen Prüfung im Interesse einer vermeintlich stumpfen mathematischen Gerechtigkeit politisch festlegen wollen. Nur wer tatsächlich körperlich und gesundheitlich den Ansprüchen des offenen Vollzugs genügt, Verantwortungsbewusstsein für die Straftat, Reue, Opferempathie empfindet und bei Gewalt- und Sexualstraftätern, Brandstiftern auch die psychologischen Gutachten besteht, nur der kann und

sollte dann auch in den offenen Vollzug gelangen. Auf wen das nicht zutrifft, der darf zu seinem Wohl und dem Wohl aller Berliner schlichtweg noch nicht in den offenen Vollzug gelangen. Alles andere wäre ein Hohn für die rechtstreuen Bürger dieser Stadt.

Ich möchte auf meine Vorrednerin Frau Bayram eingehen, die in einer Zeitung mit den Worten zitiert wurde:

Wir wollen den offenen Vollzug stärken, besonders für kurze Haftstrafen von zwei bis vier Jahren, was daher weniger Haftplätze erforderlich macht.

[Zuruf von der AfD]

Das Zitat legt also zum einen nahe, dass es darum geht, an Haftplätzen zu sparen. Das soll der Grund sein, weshalb Sie den offenen Vollzug für vermeintlich kurze Haftstrafen von zwei bis vier Jahren als wünschenswert erachten. Um allen ein Beispiel dafür zu geben, was eine kurze Haftstrafe von zwei bis vier Jahren ist, möchte ich Ihnen aus einem Artikel vom 20. Oktober 2010 aus dem „Spiegel“ vorlesen:

Haupttäter bei Gruppenvergewaltigung muss vier Jahre in Haft