Protokoll der Sitzung vom 24.11.2016

Haupttäter bei Gruppenvergewaltigung muss vier Jahre in Haft

Im Prozess um die Gruppenvergewaltigung einer 14-jährigen Hamburgerin sind die Urteile gefallen. Fünf Täter wurden verurteilt, vier davon zur Bewährung, einer zu vier Jahren Haft.

Das soll also nach der Vorstellung von Frau Bayram – wenn ich Sie da richtig verstanden habe – ein klassischer Fall für diejenigen sein, die wir in den offenen Vollzug schicken wollen. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Zuruf von der AfD: Unverantwortlich!]

Die teilweise aus Redebeiträgen herausklingende Formulierung, man müsse doch die Bürger vor Straftaten schützen und deshalb dürfe es nicht so viel offenen Vollzug geben, halte ich für falsch. Ich halte es insbesondere für falsch zu sagen: Mensch, der ist ja ein Mörder, deswegen muss er da auch sitzen! – Das ist genau der Vergeltungsgedanke, den es auch im Strafrecht gibt, den wir aber lange – jedenfalls in modernen Gesellschaften – abgelegt haben. Diesen Gedanken, dass man Vergeltung statt Resozialisation fordern solle, kennt allenfalls noch die Scharia. Hier in Europa, liebe Kollegen von der AfD, kennen wir das nicht.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von der AfD]

Wir haben vorhin noch abschließend gehört, dass die Justizvollzugsanstalten in Berlin ausreichend ausgestattet seien. Tatsächlich ist es doch so, dass wir in der Tat im Moment bei den Männern eine Auslastungsquote von etwa 93 Prozent haben. Im Frauenvollzug hingegen liegt die Quote bei 123 Prozent der Belegung. Von einer

ausreichenden Ausstattung kann also nun wirklich keine Rede sein. Wenn ich jetzt von der CDU die Kritik an den Plänen von Rot-Rot-Grün für den offenen Vollzug höre, die wiederum mit zu wenig Plätzen in den JVAs begründet werden, dann – muss ich sagen – kann ich die Kritik der CDU-Fraktion an dieser Stelle nicht nachvollziehen, denn Sie hätten doch genau für diese ausreichenden Plätze fünf Jahre lang sorgen können.

[Beifall bei der FDP]

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Für den Senat hat jetzt der Senator Heilmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt die etwas kuriose Aufgabe,

[Zuruf von links: Tja!]

noch für den offenen Vollzug zuständig zu sein und insofern für den Senat zu reden und gleichzeitig zu einer Koalitionsvereinbarung Stellung zu nehmen, an der ich bekanntermaßen nicht beteiligt war und bin. Deswegen muss ich ein bisschen Text- oder Aussageninterpretation machen, was eigentlich geplant ist, was davon der bisherige Senat unterstützt und wie er die Zukunft des Justizvollzugs und der inneren Sicherheit darauf basierend sieht.

Ich habe das Vorhaben so verstanden: Sie wollen das Prinzip – und so waren auch Ihre Äußerungen, Frau Bayram und Herr Schrader, zu verstehen – des offenen Vollzugs, so wie er in den letzten fünf Jahren in meiner Amtszeit praktiziert wurde, nicht verändern. Logischerweise finde ich das nicht schlecht. Ich würde kurz zusammenfassen, was in den letzten fünf Jahren passiert ist und warum das so gut war.

Einige Vorredner haben erwähnt, dass ich den offenen Vollzug relativ zu Beginn meiner Amtszeit sehr gründlich habe evaluieren lassen. Dabei sind zwei Ergebnisse herausgekommen. Das eine ist der grundsätzlich richtige Ansatz des offenen Vollzugs, es sind aber auch 20 Maßnahmen definiert worden, wie man ihn verbessern kann. Alle 20 Maßnahmen – Herr Schrader, ich komme noch zum Thema Umsetzung – sind umgesetzt worden.

Das führt dazu, dass die jüngste, ganz aktuelle Missbrauchszahl, die ich mir für diese Debatte habe heraussuchen lassen, bei 0,03 Prozent liegt, also noch etwas niedriger als einige Vorredner gesagt haben. Jetzt muss man mal kurz sagen, was überhaupt ein Missbrauch ist. Miss

brauch bedeutet, dass jemand, der im offenen Vollzug gelockert ist, der nicht nur zur Arbeit, sondern auch zu sonstigen sozialen Maßnahmen, insbesondere zur Ausbildung, Schule, Hochschule oder Therapie gehen kann, nicht oder nicht freiwillig in den offenen Vollzug rechtzeitig zurückgekehrt ist. Das darf nicht sein. Dagegen gehen wir auch vor, wenn das jemand macht, aber bleiben wir bitte bei den Fakten: Das ist natürlich noch keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Einzelner, wenn jemand etwa durch verbotenen Alkoholkonsum während seiner Lockerung nicht zurückkehrt.

Es hat in den fünf Jahren meiner Amtszeit keinen einzigen Fall in Berlin gegeben, bei dem eine wirklich nennenswerte Gewalttat aus dem offenen Vollzug heraus begangen wurde. Vorsichtiger formuliert: Es ist keiner entdeckt worden. Alle der wenigen Beispiele, die eingangs genannt wurden, stammen ja bekanntermaßen aus einem sehr langen Zeitraum und kein einziges davon aus Berlin.

Wir gelten, was den offenen Vollzug betrifft – das war auch letzte Woche Thema in der Justizministerkonferenz –, als ein Land, das ein vorbildliches System eingeführt hat. Dieses vorbildliche System liegt – auch das haben einige Vorredner gesagt – darin, dass wir feststellen, ob jemand geeignet ist. Wir versuchen auch, möglichst viele Geeignete zu finden und zum offenen Vollzug zuzulassen, weil es natürlich so ist, dass jemand, der seine Strafe im offenen Vollzug bekommen hat, eine viel größere Wahrscheinlichkeit hat, dass er hinterher keine Straftat begeht. Und das ist im Interesse unserer Bürger, dass Leute, die aus dem Vollzug herauskommen, hinterher keine Straftat begehen. Natürlich ist jemand, der in die Arbeitswelt integriert ist, der eine Ausbildung macht, viel besser dazu geeignet als jemand, der nach seiner Haftzeit mit einer Tasche vor dem Gefängnistor steht, eigentlich von vorne anfangen muss und häufig nicht dafür geeignet ist. Man kann also bilanzierend sagen: Der offene Vollzug in Berlin funktioniert sehr gut, und ich bin froh, wenn dies in den kommenden fünf Jahren so fortgesetzt wird.

Aber natürlich: Der offene Vollzug ist keineswegs die Lösung aller Probleme im Justizvollzug. Er ist auch in Berlin nur für eine Minderheit der Gefangenen geeignet. Die ganze Debatte ist, Frau Bayram, glaube ich, durch Ihre Medienäußerung entstanden, dass wir weniger Haftplätze brauchen, weil wir ja mehr Menschen in den offenen Vollzug schicken können. Ich bin gar nicht sicher, ob Sie das so gesagt haben. Wie immer bei Medienäußerungen muss man ja vorsichtig sein.

[Zuruf von der AfD: Oh ja!]

Ihre Äußerung, Frau Bayram, ist allerdings mit großer Skepsis zu sehen. Es gibt einen Eignungsfindungsprozess, der gerichtlich überprüfbar ist, der nicht politisch gesteuert wird und aus meiner Sicht auch nicht politisch gesteuert werden darf und kann. Insofern kann man sich

(Marcel Luthe)

keineswegs darauf verlassen, dass man den offenen Vollzug ausbauen kann.

Keiner hat das hier gesagt, aber die Debatte hat ja einen anderen Hintergrund: Es steht ein Satz in der Koalitionsvereinbarung, man wolle keine zusätzlichen Haftplätze bauen. Der zielt darauf, und so habe ich ihn verstanden, dass man die Teilanstalt 1 in Tegel nicht neu bauen soll. Das hat die bisherige große Koalition anders entschieden und mit dieser Maßnahme sogar schon begonnen.

Es steht in einer gewissen Tradition, dass die GrünenFraktion immer gegen den Neubau der Haftanstalt Heidering, die in den letzten fünf Jahren eröffnet wurde, war. Liebe Kollegen von den Grünen! Wir haben heute 97 Prozent Auslastung im geschlossenen Männervollzug trotz der gut 600 Haftplätze in Heidering. Also den Bedarf hat es ja wohl gegeben. Ich warne davor anzunehmen, dass wir die Teilanstalt 1 in Tegel nicht brauchen, und zwar aus vier Gründen – erstens: Wenn wir schon bei 97 Prozent Belegung sind, dann ist der geschlossene Männervollzug relativ voll. Zweitens: Wir sind eine wachsende Stadt, und in einer wachsenden Stadt wird die Zahl der Straftäter eher zu- als abnehmen. Jedenfalls besteht kein Anlass anzunehmen, dass die Kriminalität deswegen sinkt.

[Zuruf von der AfD: Ja, genau!]

Drittens: Die Maßnahmen, die die große Koalition in den letzten fünf Jahren ergriffen hat – namentlich der Ausbau der Staatsanwaltschaft, namentlich die zusätzlichen Spezialabteilungen für die organisierte Kriminalität – wirken durchaus. Wir haben heute 150 Untersuchungshäftlinge mehr als im Durchschnitt der fünf Jahre davor, also eine Steigerung um etwa 25 Prozent, und das, obwohl die Rechtsprechung die Anforderung an die Untersuchungshaft verschärft hat – sprich: Man kommt schwerer in Untersuchungshaft als früher. Das liegt ausschließlich daran, dass wir gegen die organisierte Kriminalität in Berlin erhebliche Ermittlungserfolge erreicht haben, und zwar eine ganze Reihe. Da reden wir über ganz schwere Straftaten: Menschenhandel, Drogenhandel, systematische Einbrüche, systematische Gewalttaten, Rockerkriminalität und vieles andere.

Der vierte Grund – wahrscheinlich sogar der allerwichtigste – ist: Wir haben in der großen Koalition ein umfangreiches Modernisierungsprogramm für die zum Teil 100 Jahre alten Haftanstalten gestartet. Das bedeutet immer, dass Sie Haftplätze verlieren. Wir werden allein in der Teilanstalt I in Moabit – das heißt, in einer von elf Anstalten, und davon auch nur in einer Teilanstalt – 50 Haftplätze verlieren, weil wir Gruppenräume einführen. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass die nächste Koalition diese der Resozialisierung dienenden Verbesserungen in den Haftanstalten stoppen will. Wenn Sie diese Maßnahmen von uns aber fortsetzen, dann wird es ganz

sicher so sein, dass Sie Haftplätze verlieren. Und dafür brauchen Sie als Ersatz die Teilanstalt I in Tegel.

Wenn Sie die nicht bauen, dann werden Sie allerdings Häftlinge, die zur Haft verurteilt sind und bei denen die Eignungsprüfung festgestellt hat, dass sie in den geschlossenen Männervollzug müssen, nicht inhaftiert lassen können. Das halte ich allerdings spezial- und generalpräventiv für eine ganz gefährliche Maßnahme. Nun sagen Sie, Sie wollen keine zusätzlichen Haftplätze mehr haben. Wenn Sie das ernst nehmen, dann müssen Sie die Teilanstalt I bauen, denn bis diese fertig ist, sind die anderen Haftplätze verlorengegangen, jedenfalls im Wesentlichen. So scheint mir der Koalitionsvertrag ein Kompromiss zu sein, aber das müssten Sie irgendwann aufklären.

Ich würde gerne zu Ihnen, Herr Schrader, noch zwei Kommentare geben. Erstens haben Sie den gemeinsamen Jugendarrest gelobt. Da, lieber Herr Schrader, kann ich mir nicht verkneifen zu sagen, dass ich das gegen den anfänglichen Widerstand der Linkspartei, insbesondere in Brandenburg, durchgesetzt habe. Aber ich freue mich, dass Sie das heute positiv erwähnt haben. Sie haben auch den offenen Vollzug positiv erwähnt, und dann haben Sie in einem Nebensatz gesagt, ich sei ein Ankündigungssenator gewesen und hätte nichts umgesetzt.

Erstens hat Frau Seibeld ein Dutzend Maßnahmen genannt, die alle umgesetzt wurden. Diese will ich gar nicht wiederholen. Ich würde gerne Ihren eigenen Koalitionsvertrag zitieren. Der hat – immerhin – vier Projekte genannt, die eindeutig von mir angestoßen und umgesetzt worden sind und die Sie offensichtlich so gut finden, dass Sie sie alle fortsetzen wollen und deswegen im Koalitionsvertrag erwähnen. Das ist erstens der Stellenaufbau im Vollzug und die Besserstellung der Mitarbeiter – das können Sie auch als zwei Maßnahmen rechnen – mit der Einstellungskampagne. Gerade heute ist wieder Soldatentag. Ich bin hier und kann deshalb dort nicht hingehen, um ausscheidende Berufssoldaten für den Vollzug zu gewinnen.

Zweitens wollen Sie die Stelle des Opferbeauftragten nicht nur fortsetzen, sondern sogar besser ausstatten. Drittens wollen Sie die Gewaltschutzambulanz ausbauen. Auch das finde ich alles sehr vernünftig. Und viertens erwähnen Sie den Gesundheitspakt im Justizvollzug – nicht im Justizkapitel, sondern einem anderen – und sagen, dass das ein Vorbild sei und dass Sie das auf alle Senatsverwaltungen ausdehnen wollten. Ich freue mich auch über dieses Kompliment bezogen auf die vergangenen fünf Jahre, nur tun Sie mir einen Gefallen: Lassen Sie uns bei den Fakten bleiben! Man muss nicht alles gut finden, was ich gemacht habe, aber es gibt eine ganz lange Liste von Dingen, die nicht angekündigt wurden, sondern umgesetzt werden, und einige erwähnen Sie sogar ausdrücklich positiv in Ihrem Koalitionsvertrag.

(Senator Thomas Heilmann)

Bekanntermaßen ist dies meine letzte Rede vor diesem Abgeordnetenhaus. Ich verabschiede mich von der Landespolitik in dieser Form und bedanke mich für die spannenden, guten, interessanten und über weite Strecken sehr fairen, auch von der Opposition sehr fair geführten Debatten und wünsche dem Land Berlin und dem Senat alles Gute. Es wäre im Interesse des Landes und seiner Bürger, wenn Ihnen Positives gelänge! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP]

Vielen Dank, Herr Senator! – In der zweiten Rederunde hat jetzt noch einmal für die AfD der Kollege Bachmann das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute die Pläne der Koalition für den Strafvollzug als Thema gewählt, weil diese Pläne exemplarisch für eine Politik im Bereich der inneren Sicherheit sind, die sich nicht etwa an den realen Gegebenheiten und Erfordernissen orientiert, sondern vornehmlich ideologisch motiviert ist. Die Vorredner der Koalition haben auch nicht vermocht, die Befürchtungen, die sich mit dieser neuen Praxis im Strafvollzug verknüpfen, zu widerlegen. Alle Vorredner der Koalition haben eine sehr starke täterzentrierte und eine wenig opferzentrierte Sichtweise an den Tag gelegt.

[Beifall bei der AfD]

Was bedeuten Ihre Pläne tatsächlich? – Herr Heilmann hat es schon dargelegt, es wird zwangsläufig auf einen Mangel an Plätzen im geschlossenen Vollzug hinauslaufen, und damit wird zukünftig die Macht des Faktischen entscheiden, ob jemand in den geschlossenen oder offenen Vollzug kommt und nicht mehr, wie es § 16 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz Berlin vorsieht, ob jemand die besonderen Anforderungen für den geschlossenen Vollzug erfüllt.

[Canan Bayram (GRÜNE): Totaler Quatsch! – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Den Kopf im Sand gehabt die letzte halbe Stunde?]

Es ist rechnerisch ganz logisch – und das hat auch Herr Heilmann dargelegt –: Die Stadt wächst, und allein schon deshalb wird auch ein Mehr an Haftplätzen im geschlossenen Vollzug nötig sein. Wenn Sie den Ausbau unterlassen und dann auch noch zusätzlich bestehende Plätze verlorengehen, ist die zwangsläufige Folge, dass der offene Vollzug ausgebaut wird, aber nicht aus sachlich gerechtfertigten Gründen, sondern allein aus dem Mangel an Plätzen. Herr Heilmann hat auf die Belegungsrate von 97 Prozent hingewiesen, aus der sich ersehen lässt, dass

das jetzige System schon an seine Grenzen gekommen ist. Weiterhin haben Sie sehr stark auf den Gesichtspunkt der Prävention abgehoben. Prävention heißt aber auch, dass schwere Straftaten entsprechend geahndet werden. Wenn also jemand, der zu zwei bis vier Jahren Haft verurteilt wird und damit einiges auf dem Kerbholz haben muss, denn solche Strafen sind schon im mittleren Verbrechensbereich und damit keineswegs mehr im Bagatellbereich, wenn ein zu solcher Strafe verurteilter Verbrecher damit rechnen kann, dass er von vornherein in den offenen Vollzug kommt, ist das natürlich das genaue Gegenteil von Prävention.

[Beifall bei der AfD – Canan Bayram (GRÜNE): Kann er doch nicht!]

Es ist eher ein Anreiz, Straftaten zu begehen.

[Canan Bayram (GRÜNE): Wie bitte? – Unruhe bei den GRÜNEN]

Ich beziehe mich hier laut Medien auf die Aussage von Frau Bayram, bei zwei bis vier Jahren Freiheitsstrafe könne man den offenen Vollzug ausweiten. – Herr Luthe von der FDP hat es auch schon dargelegt, welche Straftaten in diesem Bereich abgeurteilt werden.

Bei der SPD sehe ich einen gewissen Widerspruch. Sie hat in der alten Koalition den Ausbau der Haftplätze mitbeschlossen, und jetzt auf einmal soll er nicht mehr nötig sein. Das erschließt sich einem auch nicht.