Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Jahr 2015 wurden in Berlin 569 000 549 Straftaten in der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. Das sind 26 393 Fälle bzw. 4,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Wenn dies allein schon ein Grund zur vorsichtigen Besorgnis hinsichtlich des Zustands der inneren Sicherheit in Berlin liefert, bleibt Berlins wahre Kriminalität allerdings weiterhin verborgen.
Eingeschränkt wird die Aussagekraft der polizeilichen Kriminalstatistik nämlich dadurch, dass der Polizei ein Teil der begangenen Straftaten nicht bekannt wird. Art und Umfang dieses Dunkelfelds hängen naturgemäß von der Anzeigebereitschaft der Bevölkerung und der Kontrollintensität der Polizei ab. Vor allen Dingen in den Bereichen, wo Straftaten kaum oder nur schwer ermittelt werden können, ist die Berliner Politik derzeit quasi im Blindflug unterwegs.
Ein Beispiel: Im Rahmen einer parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber von der SPD aus dem Jahr 2015 zur organisierten Kriminalität, Menschenhandel und Zwangsprostitution fragte dieser, wie hoch das Landeskriminalamt die Dunkelziffer im Bereich der Zwangsprostitution einschätzt. Die Antwort des Berliner Senats: Die Polizei Berlin kann hierzu keine belastenden Angaben machen.
Während sich die neue Senatsregierung unter rot-rot-grün anscheinend als Sittenpolizei lieber um die Beschränkung bürgerlicher Freiheiten wie ein Verbot vermeintlich sexistischer Werbung mit Pin-Up-Girls nach dem Vorbild Afghanistans und Saudi-Arabiens kümmert und,
ist ein Vorgehen gegen die grassierende Straßen- und Zwangsprostitution in Berlin selbstverständlich mit keinem Wort im Koalitionsvertrag erwähnt, wie auch, wenn man hierzu keine belastenden statistischen Zahlen hat.
Es gibt aber viele weitere Bereiche, in denen eine Dunkelfeldstudie sprichwörtlich Licht ins Dunkel bringen kann, Kleinstkriminalität, welche selten zur Anzeige gebracht wird, weil sich der Bürger denkt, dass es sowieso nichts bringt, weil das Verfahren ohnehin eingestellt und der Täter nie ermittelt wird. Schätzungen gehen davon aus, dass jede zweite Tat nicht angezeigt wird. Bei Sachbeschädigungen liegt das Dunkelfeld demnach bei 52 Prozent, bei Fahrraddiebstahl bei 40 Prozent und bei Beleidigungen bei 98 Prozent. Ebenfalls im Dunkelfeld verharrt die organisierte Drogenkriminalität. Dealer, welche in Berlin beinahe wöchentlich von der Polizei aufgegriffen werden, sind keine Seltenheit. Wie groß ist das Handelsvolumen tatsächlich? Auch hier fehlen Zahlen.
Und auch das große Feld der häuslichen Gewalt liegt in Berlin zumindest weiterhin im Dunkeln. Wir hatten gerade schon auf dem Vorplatz des Abgeordnetenhauses die Thematik zur Frage Gewalt gegen Frauen.
Das Land Niedersachsen hat hier hingegen einen anderen Weg gewählt. Die kriminologische Forschungsstelle des Landeskriminalamtes Niedersachsen führte im Rahmen des Projektes bereits im Jahr 2013 eine erste periodisch angelegte sogenannte Dunkelfeldstudie in Niedersachsen durch. Die Erkenntnisse daraus haben die polizeiliche Kriminalstatistik um die Perspektive der Bevölkerung ergänzt und so ein deutlicheres Bild von der Kriminalitätslage im Land Niedersachsen ermöglicht. Die Erhebung war in dieser Form bundesweit einzigartig. Mittlerweile haben sich auch die Länder Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern diesem Vorhaben angeschlossen, sodass nach Abschluss ein Vergleich zwischen den Bundesländern möglich sein wird. Berlin sollte sich diesem neuen Modell des Erkenntnisgewinns nicht verschließen. Umso bemerkenswerter ist es, dass es sich bei den Bundesländern, welche sich bereits für eine Dunkelfeldstudie ausgesprochen haben, bisher um SPD-regierte Bundesländer handelt.
Eine Dunkelfeldstudie ermöglicht neben der sogenannten Hellfeldstudie einen objektiven Überblick über die Kriminalität in Berlin, um notwendige Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Insbesondere die Frage, warum die Bevölkerung bestimmte Straftaten nicht mehr zur Anzeige bringt und weshalb die Polizei durch die eigene Kontrolldichte nicht in der Lage ist, die Straftaten in das Hellfeld zurückzuholen, ist hierbei essenziell. Im Rahmen der Transparenz öffentlicher Handlungen hat die Berliner
Bevölkerung also ein Recht darauf zu erfahren, wie es um die Sicherheitslage in Berlin tatsächlich bestellt ist.
Es besteht also Handlungsbedarf. Wir beantragen daher die Überweisung unseres Antrag in den Ausschuss für Inneres, um Feinheiten wie mögliche Kosten, Durchführbarkeit und Art und Umfang der Studie im Detail besprechen zu können. Die Erstellung einer Dunkelfeldstudie ist ein kleiner Schritt für uns, aber ein großer Schritt für die Kriminalstatistik hier in Berlin. – Vielen herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir können ganz froh sein, dass Sie nicht für innere Sicherheit in diesem Land zuständig sind; denn mit einer Dunkelfeldstudie die Sicherheit zu erhöhen, zu glauben, dass man mit diesen Daten tatsächlich relevant etwas erreichen kann, ist ein bisschen blauäugig. Da halten wir uns lieber an belastbare Zahlen.
Aber ein Thema ist selbstverständlich schon länger, dass die polizeiliche Kriminalstatistik nicht das ganze Bild abgibt und dass die Realität durchaus ein umfassenderes Bild abgibt, als es in der polizeilichen Kriminalstatistik gezeigt werden kann, weil es – an diesem einen Punkt haben Sie recht – natürlich ganz stark von dem Anzeigeverhalten der Menschen abhängt, was tatsächlich in die Statistik einfließt und was nicht. Deswegen ist das das eigentliche Thema, das wir hier gemeinsam im Haus erörtern müssen: Wie können wir die Leute dazu bringen, dass sie bei Gewalt, bei Straftaten tatsächlich regelmäßig die Polizei aufsuchen und das anzeigen?
Ein Beispiel ist die häusliche Gewalt, wo ich lange Zeit davon ausgegangen war, dass wir eine gesellschaftliche Entwicklung haben, dass sich das Anzeigeverhalten von Frauen tatsächlich relevant verbessert, dass die Taten tatsächlich angezeigt werden. Leider ist das nicht so; leider stagniert das Anzeigeverhalten in diesen Bereichen. Das ist ein Beispiel, wo man – auch mit Aufklärung – daran arbeiten muss, zu einer besseren, belastbareren zahlenmäßigen Aussage zu kommen.
Also: Lassen Sie uns gucken, wo man tatsächlich die statistischen Angaben belastbarer herstellen kann! Wir werden nicht das ganze dunkle Feld ausleuchten können. Auch mit einer Dunkelfeldstudie wird das Dunkelfeld
nicht zum Hellfeld; es bleibt dunkel. Aber die Taschenlampe, die Sie anbieten, kann man vielleicht nehmen, um an einigen Punkten bessere Erkenntnisse zu gewinnen. Das werden wir beraten, ganz vernünftig, ganz sachlich, und dann werden wir wieder damit ins Plenum kommen. – Herzlichen Dank!
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die polizeiliche Kriminalstatistik ist immer wieder Gegenstand heftiger Diskussionen hier im Hause, ob im Innenausschuss oder auch im Plenum. Ich habe das seit einigen Jahren beobachtet, kenne auch beide Sichtweisen, aus der Opposition und aus der Regierung. Bisweilen unterscheiden sich dann die politischen Bewertungen, keine Frage.
Ich habe daraus folgende Schlüsse gezogen: Die nackte Zahl der Vorfälle ist eigentlich nicht sakrosankt, sondern wir wissen, dass die Vergleichbarkeit von Jahr zu Jahr schwanken kann, weil sich statistische Erhebungsmethoden ändern. Der Teufel steckt auch im Detail. Beispielsweise ist die Anzahl der Kontrolldelikte ein solches Thema. Sie ist abhängig von der Arbeitsintensität der Polizei oder auch von Fahrkartenkontrolleuren und anderen. Sie sehen, die Zahlen kann man nicht immer von Jahr zu Jahr vergleichen. Man muss sich auch andere Parameter ansehen, die Aufklärungsquote usw.
Von daher komme ich zu der Feststellung, dass die polizeiliche Kriminalstatistik eigentlich eher ein Instrument für die Polizei und die Kriminologen ist. Sie gibt vor allem Aufschlüsse über die Struktur der Kriminalität. Darin liegt ihre große Stärke, und daraus ergeben sich dann auch Handlungsempfehlungen für die Polizei.
Ein Beispiel: Wir wissen, dass in ganz Deutschland der Einbruchdiebstahl ein Bereich mit hohen Wachstumsraten ist. Das ist die Kehrseite eines offenen Landes und betrifft natürlich auch Ballungsräume wie unsere Stadt. Da kann und muss die Polizei reagieren. In Berlin ist das auch geschehen. Wir haben durch Schwerpunktsetzung etwas erreicht. Unter Herrn Senator Henkel konnte die Anzahl der Wohnungseinbrüche von 15 im Vergleich zu 14 um 10 Prozent gesenkt werden.
Damit steht Berlin übrigens neben Bayern bundesweit allein da, weil alle anderen Bundesländer im Regelfall
zweistellige Wachstumsraten verzeichnen. Das ist ein Beispiel für die hilfreiche Zurkenntnisnahme der polizeilichen Kriminalstatistik.
Nun ist es kein Geheimnis, dass die polizeiliche Kriminalstatistik nur das Hellfeld abbildet. Alles andere ist logisch unmöglich. Deswegen gibt es auch die Diskussion über die Dunkelfeldstudien. Sie sind nicht neu. Wir haben in Sachsen so etwas 2012 erlebt. Da wurden 27 Delikte ermittelt, die 50 Prozent der in der polizeilichen Kriminalstatistik dargelegten Straftaten repräsentieren sollen. Da ergab sich dann, dass die Dunkelfeldziffern je nach Delikt ganz unterschiedlich sind. Wir haben beispielsweise bei Kfz-Diebstahl 29 Prozent Dunkelfeld, bei der Beleidigung 98 Prozent.
Deshalb warne ich dringend davor, dass man der Auffassung ist, dass man mit einer Dunkelfeldstudie die genaue Zahl über das Kriminalitätsgeschehen erwarten dürfte. Das wird nicht der Fall sein. Es kann sich nur um eine Annäherung an einzelne Deliktsfelder handeln.
Im Übrigen: Rein für ein solches Ergebnis einer – in Anführungszeichen – richtigen Zahl der Kriminalitätsvorfälle wäre der Aufwand meiner Auffassung nach nicht gerechtfertigt. Das Ganze kostet Geld, bindet Arbeitszeit, aber ein möglicher Mehrwert läge woanders. Die Studie könnte Anhaltspunkte geben für die Prävention. Wir von der CDU-Fraktion wollen den Menschen Hilfe anbieten. Wir wollen potenzielle Opfer besser schützen. Ein Ergebnis kann sein, wie wir zum Beispiel die Videoaufzeichnung angepasst haben. Sie wurde von 24 auf 48 Stunden ausgeweitet. Das haben wir gemacht, weil solche Studien ergeben haben, dass damit mehr Menschen geholfen werden kann. Und das könnte ein sinnvolles Ergebnis einer Dunkelfeldstudie sein.
Ich fasse zusammen: Das kann man machen, entscheidend ist aber, mit welcher Zielsetzung. Hier geht es nicht um die Schelte über die Tätigkeit oder die Untätigkeit der Polizei, sondern es geht um die Hinweise, welche Angebote gemacht werden müssen, es geht um die Hinweise, welche Schwerpunkte gesetzt werden müssen, und es geht um die Hinweise, wo eventuell der Gesetzgeber tätig werden muss. Die Begründung der AfD in ihrem Antrag und auch die Äußerung von Herrn Kollegen Vallendar lassen den Schluss zu, dass hier eher der erhobene Zeigefinger gegen die Polizeiarbeit gemeint ist.