Was veranlasst Frauen, sich bis zur Unkenntlichkeit zu verschleiern? Geschieht dies selbstbestimmt, oder sind sie fremdbestimmt? Sind ihre Menschenwürde, ihre Grundrechte auf freie Entfaltung verletzt? Berauben sie sich nicht der gleichberechtigten Teilnahme am beruflichen und gesellschaftlichen Leben in unserem Land? Oder berauben nicht ihre Männer sie der emanzipierten Wahr
nehmung ihrer Rechte? Wir können nicht davon ausgehen, dass alle betroffenen Frauen durch Zwang und Druck seitens ihrer Männer und Familien zum Anlegen des Vollschleiers gezwungen werden, sondern wir müssen in Betracht ziehen, dass betroffene Frauen die Vollverschleierung auch selbst gewählt haben. Dennoch ist es richtig: Unsere offene Gesellschaft lebt vom respektvollen Umgang der Menschen miteinander und von gegenseitigem Vertrauen untereinander. Vertrauen kann nur entstehen zwischen Menschen, die sich ansehen und erkennen können. Die Vollverschleierung verhindert das. Sie ist respektlos dem Mitmenschen gegenüber, der sein Gegenüber erkennen möchte.
Sie ist ein erhebliches Integrationshindernis. Sie vereitelt jegliche zwischenmenschlichen Kontakte. Sie erzeugt Ablehnung der Betroffenen in unserer Gesellschaft sowie Unsicherheit und Ängste im Umgang mit Vollverschleierten und gefährdet damit die öffentliche Ordnung.
Immanuel Kant, einer der bedeutendsten deutschen Philosophen der abendländischen Aufklärung, hat uns gelehrt – ich zitiere wörtlich –:
Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
Deutschland ist in den Genuss der Aufklärung gekommen, und die Aufklärung ist ein Meilenstein in der Entwicklung unseres Landes zu dem, was es heute ist, dem freiheitlichsten Rechtsstaat dieser Erde, einem Magneten für die Eliten dieser Welt. Damit das so bleibt, müssen wir dafür sorgen, dass die nicht wenigen Zugezogenen in unserem Land in den Genuss dieser Errungenschaften der Aufklärung kommen. Dazu mag auch ein gewisser Nachdruck gehören im Rahmen dessen, was unsere Verfassung erlaubt. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Erstens: Dieser Antrag der AfD ist verfassungswidrig.
Drittens: Dieser Antrag befeuert religiösen Fundamentalismus und gefährdet die Offenheit unserer liberalen Demokratie.
Liebe CDU! Das gilt im Kern auch für den Antrag, den Sie hier per Tischvorlage Copy-and-paste vorgelegt haben. Ich glaube, Sie haben das gemacht, weil Sie ein kleines Abgrenzungsproblem zur AfD haben, aber darüber reden wir dann in den Ausschüssen.
Warum ist dieser Antrag verfassungswidrig? – Ganz einfach: Er verstößt gegen Artikel 4 des Grundgesetzes, die Glaubens- und Religionsfreiheit und das staatliche Neutralitätsgebot. Für den Fall, dass Sie Artikel 4 Grundgesetz nicht verstehen, meine Herren, hören Sie mal zu, eine kleine Nachhilfe. Ich zitiere aus dem erwähnten Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes:
Das Tragen der Burka im öffentlichen Raum wird von Artikel 4 GG geschützt. … Ein generelles Verbot der Burka im öffentlichen Raum verstößt gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes und lässt sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen.
Warum ist das so? – Das ist so, weil die Religions- und Glaubensfreiheit ein vorbehaltlos geschütztes Grundrecht ist. In sie darf überhaupt nur und auch nur schonend eingegriffen werden, wenn und soweit andere Grundrechte und Güter von Verfassungsrang betroffen sind. Und jetzt faseln Sie an dieser Stelle von der Vollverschleierung im öffentlichen Raum von einer permanenten Demonstration. Ich bin mal gutwillig und unterstelle Ihnen, dass Sie damit die negative Religionsfreiheit meinen, also einem Glauben nicht angehören zu müssen. Ja, die Vollverschleierung ist ein starkes Bekenntnis zu religiösen Kleidungsvorschriften.
in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen... verschont zu bleiben
Die AfD stellt sich die Welt offenbar als eine Ansammlung von kulturell und religiös homogenen Gemeinschaften vor, die sich am besten auch noch an Landesgrenzen halten. Das hat nichts, aber gar nichts mit der Realität im Jahr 2016 zu tun. Sie treffen mit Ihrem Vorschlag fast ausschließlich Frauen islamischen Glaubens mit Migrationshintergrund.
Sie begegnen diesen Frauen mit Misstrauen und sprechen ihnen eigene Entscheidungen ab. Natürlich wird es ein paar geben, die das nicht freiwillig tun,
aber mit einem Verbot lösen wir das Problem nicht. Wir müssen ihnen helfen und sie unterstützen, statt diejenigen zu treffen, die tatsächlich ihr Grundrecht an der Stelle ausüben. Für uns als Linke ist es wichtiger, was im Kopf steckt, und nicht, wie er umhüllt ist.
Herr Curio! Eine Wortwahl möchte ich für meine Fraktion ganz klar zurückweisen. Frauen sind keine Säcke, dass das mal ganz klar ist!
Ich möchte mir weder als Mann noch als Volksvertreter anmaßen, einer Frau Vorschriften darüber zu machen, wie sie sich bekleidet oder bedeckt.
Letzter Punkt: Warum befeuert dieser Antrag religiösen Fundamentalismus? – Stellen wir uns doch nur mal eine Sekunde vor, das Grundgesetz gäbe es nicht und dieser Antrag würde tatsächlich beschlossen. Was wäre die Konsequenz? – Sie würden den religiösen Fundamentalisten direkt in die Hände spielen. Sie würden selbst den Beweis erbringen, dass unser Staat religiös nicht neutral ist und bestimmte Religionen privilegiert und andere diskriminiert. Sie würden einen religiösen Kampf der Kulturen um die richtige Kleiderordnung entfachen. Wie grotesk! Was kommt denn dann? – Eine Sittenpolizei, die herumrennt und Kopftücher, Niqabs und andere Kleider kontrolliert? Denken Sie Ihre Vorschläge doch mal zu Ende!
Sehr geehrter Herr Pazderski! Offensichtlich, das zeigt Ihr Antrag, reicht es nicht – Sie sitzen ja noch nicht einmal hier –, als Soldat einfach nur auf das Grundgesetz zu schwören. Man sollte es verstehen, auch die Grundrechte. Ich schenke Ihnen die aktuelle Ausgabe des Grundgesetzes. Verinnerlichen Sie unsere Grundwerte, und bis dahin belästigen Sie dieses Haus nicht mit verfassungswidrigen Anträgen! – Vielen Dank!
[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – (Sebastian Schlüsselburg) Zuruf von Stefan Franz Kerker (AfD) – Abg. Sebastian Schlüsselburg (LINKE) überreicht Abg. Frank-Christian Hansel (AfD) ein Buch.]
Vielen Dank! – Nun hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort, und dort die Kollegin Bayram. – Bitte schön!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In dem Antrag steht, der Senat solle ein Vollverschleierungsverbotsgesetz vorlegen – diesen Antrag beraten wir jetzt –, und das heißt, der Senat soll etwas möglich machen, was den AfD-Fraktionen in Berlin und in anderen Bundesländern bisher nicht gelungen ist. Bisher konnte kein Gesetzentwurf vorgelegt werden, der dem Bestimmtheitsgebot tatsächlich genügt, Stichwort: Definition der zu verbietenden Vollverschleierung. Fällt darunter auch der Weihnachtsmann, weil er einen Bart aufgesetzt hat?
Schwierige Frage – bisher keine Antwort. Wer sich das ganze Bild machen möchte, kann sich das anschauen. Es gibt interessante Videos, die man sich von den Parlamentsdebatten ansehen kann.
Ebenso bereitet es Probleme, verfassungskonforme Gesetze hinzubekommen – die Kollegen haben dazu schon einige Ausführungen gemacht –, denn: Das Anliegen widerspricht unserem Grundgesetz. Der Wert unseres Grundgesetzes besteht darin, nicht alles zu untersagen, solange nicht gleichwertige Verfassungswerte es gebieten. Man kann nicht alles verbieten, was man ablehnt, sagt der Bundesinnenminister. Und auch wir sind der Ansicht, dass Burka und Niqab Unterdrückungsinstrumente sind. Wir lehnen diese ab, aber wir sagen: Es wird nicht gelingen, das mit einem Gesetz zu verbieten.
In der Begründung zu dem Gesetz wird ausgeführt, dass das angestrebte Ziel dem Individualfreiheitsrecht der muslimischen Frau dienen solle. Das scheint ja Ihr Anliegen zu sein.