Protokoll der Sitzung vom 22.02.2018

Der Antrag ist nicht nur in sich widersprüchlich, sondern zeigt auch die weitgehende Unkenntnis oder Missachtung der AfD für zentrale Verfassungsgrundsätze. Exemplarisch will ich hier nur die von der AfD angedachte Aushöhlung des Subsidiaritätsprinzips nennen. Das Subsidiaritätsprinzip besagt, dass den jeweils unteren Einrichtungen zur Behandlung und Entscheidung vorbehalten bleiben soll, was sie in der Lage sind zu behandeln und zu entscheiden. Mit Ihrem Verstoß dagegen, werte AfD, wollen Sie die Bezirke durch Bezirksausschüsse im Abgeordnetenhaus weitestgehend entmündigen. Ich sage Ihnen: Das ist mit der Linken und mit der Koalition nicht zu machen!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Woldeit?

Nein! – Hier zeigt sich exemplarisch, dass es der AfD in keiner Weise um eine ernsthafte Auseinandersetzung über notwendige Reformen des Parlamentarismus in Berlin geht. Mit ihrem Antrag will die AfD – das haben auch die Vorredner deutlich gemacht – lediglich den Parlamentarismus als solchen denunzieren,

[Frank-Christian Hansel (AfD): So ein Quatsch!]

wobei dies vielleicht nicht nur aus Ihrem ungeklärten Verhältnis zum Parlamentarismus resultiert. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass Sie bis heute noch nicht zur Gänze durchdrungen haben, dass das Berliner Abgeord

netenhaus nicht ohne Weiteres mit anderen Landesparlamenten zu vergleichen ist.

[Paul Fresdorf (FDP): Weil wir das beste sind!]

Wir haben hier nämlich eine Doppelfunktion, wir sind sowohl ein Landtag als auch ein Kommunalparlament. Wir haben eine Doppelbelastung im Vergleich zu vielen anderen Landtagen und deswegen haben wir auch mehr Abgeordnete. Das ist auch völlig richtig so.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Stefan Förster (FDP) – Frank-Christian Hansel (AfD): Quatsch!]

Wer ernsthaft darüber reden will, wie sich hier Prozesse und Strukturen verbessern lassen, darf dies nicht einfach als eine populistische Sparmaßnahme diskutieren, sondern sollte der Materie ein bisschen tiefer auf den Grund gehen.

Den Abgeordneten der AfD sage ich: Wenn Sie tatsächlich etwas zur Professionalisierung der Arbeit des Hauses beitragen wollen, sollten Sie vielleicht erst einmal bei sich selbst anfangen. Ersparen Sie dem Haus unausgegorene Anträge wie diesen, bereiten Sie sich ordentlich auf die Sitzungen vor, ersparen Sie uns allen Ihre unsäglichen Zwischenrufe, vor allem, wenn weibliche Mitglieder des Hauses aus den demokratischen Fraktionen sprechen. Heute ist das ja leider deutlich geworden.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Stefan Förster (FDP)]

Die Qualität des Parlaments ist nicht nur von seinen Strukturen und Prozessen abhängig, sondern vor allem auch davon, wie wir Abgeordnete sie mit Leben erfüllen. Da sind wir alle gefragt. Das werden wir in unserer Arbeit weiter tun, und wir werden im Ausschuss sicherlich auch noch zu dem einen oder anderen Argument und Detailproblem, das Sie in dem Antrag, der unausgegoren ist, zutage gebracht haben, reden. Aus meiner Sicht ist er nicht zustimmungsfähig. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Florian Graf (CDU)]

Die AfD-Fraktion hat eine Zwischenintervention angemeldet. – Herr Woldeit! Sie haben das Wort. – Herr Swyter! Sie dürfen sich trotzdem bereithalten.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Schlüsselburg! Das ist mitunter haarsträubend und hanebüchen, was Sie in den Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission hineininterpretieren. Wir haben schon in verschiedenen Ausschüssen gesessen. Ich erinnere mich noch, als ich

(Sebastian Schlüsselburg)

Sie auf den Unterschied supranationaler zu nationaler Gesetzgebung im Tegel-Offenhaltungsgesetz hingewiesen habe, als Sie auch falsche Abkürzungen benutzt haben und Ähnliches,

[Steffen Zillich (LINKE): Echt? Wie war das mit den Abkürzungen?]

also das muss ich definitiv zurückweisen. Wenn Sie uns auch vorwerfen, wir hätten das Subsidiaritätsprinzip hier komplett missachtet, dann weise ich Sie auf Folgendes hin: Sie kennen drei Stadtstaaten, das setze ich einmal voraus. Sie kennen auch den Stadtstaat Hamburg. Sie kennen auch die Vergleichbarkeit unter den Stadtstaaten. Verstößt das Land Hamburg – unabhängig von dem zweistufigen Verwaltungssystem in Berlin – gegen das von Ihnen gerade genannte Subsidiaritätsprinzip? Ich sage Ihnen, was der Unterschied ist: Wir sind in Berlin in einer Situation, dass wir in den Kommunen eine schlicht und ergreifend mitunter schlechte und ineffiziente Verwaltung haben.

[Stefan Förster (FDP): Wir haben in Berlin keine Kommunen!]

Da gibt es gute Bezirke, beispielswiese Reinickendorf, beispielsweise auch Steglitz-Zehlendorf oder Spandau,

[Lachen bei der SPD]

es gibt mitunter aber auch Bezirke wie FriedrichshainKreuzberg. Da ist das Problem. Hier in Berlin sind es Bezirksbürgermeister, in Hamburg ist es ein Amtschef. Dort sind das Profis, hier haben wir Parteienklüngel. Wenn ich überlege, dass ein Grünen-Stadtrat mir zum Thema Gerhart-Hauptmann-Schule erzählt, das Geld zur Unterhaltung der Schule komme nicht vom Steuerzahler, sondern vom Bezirk,

[Torsten Schneider (SPD): Jetzt nehmen wir Sie besonders ernst!]

da schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen. Das ist ein Zeichen dafür, dass eine Enquete-Kommission und eine Verwaltungsreform notwendig sind. Was Sie hineininterpretieren, ist aberwitzig. – Danke schön!

[Beifall bei der AfD]

Herr Schlüsselburg! Sie möchten erwidern? – Sie haben das Wort – bitte schön!

Herr Woldeit! Jetzt ist noch einmal klar geworden, was Sie hier bezwecken. Sie wollen, ich habe es eben sogar noch etwas freundlicher ausgedrückt, die Bezirke entmachten. Sie wollen ihren politischen Charakter negieren, und Sie wollen versuchen das Land und vor allem die untere Veraltungsebene stromlinienförmig wie ein Unternehmen „effizient“ zu machen.

[Karsten Woldeit (AfD): Ich habe ein Beispiel unterschiedlicher Stadtstaaten genannt!]

Das mag ihr Staatsverständnis sein, das ist nicht unser Staatsverständnis.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Dummes Zeug!]

Die Berliner Bezirke sind politische Einheiten. Sie haben einen Verwaltungsapparat, und sie sind nah an vielen Problemen der Bürgerinnen und Bürger konkret vor Ort dran. Das bekommen Sie nicht mit, weil Sie mit Ihren paar Abgeordneten nicht wirklich unterwegs sind,

[Karsten Woldeit (AfD): Ach so!]

wo die Leute die Probleme haben und wo sie sich an uns wenden, sondern Sie versuchen hier mit den Medieninstrumenten, die Sie zur Verfügung haben, billigen Populismus zu betreiben und Abgeordnete und den Parlamentarismus dort, wo Sie können, schlechtzumachen.

Jetzt komme ich noch einmal zu Hamburg. Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Hamburg ist ein Stadtstaat, ja. Hamburg hat aber gerade einmal 1,8 Millionen Einwohner. Wir haben 3,7 Millionen Einwohner. In Hamburg haben wir die doppelt so hohe Summe des Bruttoinlandprodukts bezogen auf den Einwohnerkopf wie in Berlin. Sie vergleichen Äpfel und Birnen, ohne von der Materie konkrete Kenntnisse zu haben.

[Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

Das ist das Problem, was wir haben. Sie senken das Debattenniveau, dass man hier ein Loch graben müsste, um danach zu suchen, wo es ist. Ein riesiges Problem ist das.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Beschäftigen Sie sich doch einmal mit der Materie!

Es ist ein Wert an sich, dass wir in den Bezirken politische Wahlbeamte haben, die ein Bezirksamt leiten, aufgrund eines Wahlergebnisses der Bürgerinnen und Bürger im Bezirk. Ich möchte dort keine Leute haben, die wir einfach per Ausschreibung suchen und dann als vermeintliche Experten hinstellen. Die machen den Job nämlich auch nicht besser. Wir haben sehr viele hoch kompetente Bezirksbürgermeister, unabhängig davon, welches Parteibuch sie haben, die viele Probleme in der Lage sind zu lösen. Die Entdemokratisierung der Bezirke ist mit dieser Koalition – ich glaube, auch mit dem Rest des Hauses – nicht zu machen. Da sind Sie ganz allein.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die Fraktion der FDP hat jetzt der Abgeordnete Herr Swyter das Wort. – Bitte schön!

(Karsten Woldeit)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus den Debattenbeiträgen hier im Haus, die sich tatsächlich mit der Bezirks- und der Verwaltungsstruktur dieses Landes befassen, wurde für mich ganz deutlich: Es bestätigt sich das, was wir als FDPFraktion schon vor über einem Jahr thematisiert haben, sowohl öffentlich als auch in diesem Haus: Der Handlungsbedarf ist riesengroß. Wir haben Handlungsbedarf, was die Verwaltung anbetrifft, denn wir haben schlichtweg eine andere Situation als zu Zeiten der ScholzKommission. Wir haben eine wachsende Stadt, die Digitalisierung hat eine ganz andere Bedeutung, und wir stellen fest, dass diese – da sind sich uns alle einig, da bin ich bei Ihnen, wenn Sie sagen, wir hätten kein Erkenntnisproblem – Verwaltung nicht das leistet, was eine Verwaltung im 21. Jahrhundert einer Weltstadt wie Berlin leisten müsste.

[Beifall bei der FDP]

Da kann man nun alle Experten in den Zeugenstand rufen, da kann man von Wissenschaft über IHK bis zu ehemaligen oder amtierenden Politikern, die sich mittlerweile in über zehn Namensartikeln allein im „Tagesspiegel“ darüber verbreitet haben, auch aus diesem Haus, alle aufzählen. Richtig ist aber auch: Wir haben nicht nur ein Umsetzungsproblem. Wenn es so einfach wäre, wären wir schon weiter, sogar Sie, meine Damen und Herren, von der rot-rot-grünen Regierung wären weiter.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Karsten Woldeit (AfD)]

Allein im Beitrag von Herrn Zimmermann wurde deutlich, welche wichtigen Fragen hier zu klären sind. Deswegen haben wir als FDP schon im letzten Sommer vorgeschlagen, eine Enquete-Kommission anzustoßen, in der wir diese Fragen klären: Wie gehen wir mit der Digitalisierung um? Wie kann eine Verwaltung so gestaltet sein, dass sie für Personalmanagement auch für das 21. Jahrhundert gerüstet ist, und wie ist eine Struktur so zu bauen, dass die politische Willensbildung einerseits erfolgt und andererseits aber auch eine Umsetzung in vertretbarer Zeit? – Das alles sind die Fragen, und dafür bietet sich eine Enquete-Kommission besonders an, weil wir in einer Enquete-Kommission für eine bestimmte Zeit mit bestimmten Untersuchungsgegenständen, mit externem Sachverstand einiges erreichen können – jedenfalls im größeren Konsens, als wenn wir uns hier im politischen Kleinklein und in der Tagespolitik möglicherweise verzetteln.

[Beifall bei der FDP]