Es steht niemandem zu, selbst zum Rechtsbrecher zu werden, nur weil er die, wenn vielleicht auch abwegige, Meinung anderer Menschen nicht ertragen will.
Wir reden hier nicht nur über Kollegen im luftleeren Raum, es sind Abgeordnete, die diese Regierung mittragen. Ich frage auch die SPD, ich frage den Regierenden Bürgermeister Müller: Wie stellen Sie sich dazu, wenn hier Abgeordnete der Regierungskoalition auf der Straße randalieren?
Nehmen Sie doch endlich einmal die Nase aus dem Handy dort, und tun Sie das, wofür Sie gewählt worden sind.
Regieren Sie diese Stadt, und machen Sie sich nicht zum Getriebenen derer, die den radikalen Rand dieser Koalition bilden!
Das ist das Erschreckende. Sie lassen diese Abgeordneten, die da am Rand agieren und die möglicherweise Straftaten begangen haben, schlicht gewähren.
Auch in dieser Sitzung, in der wir das hier gemeinsam aufarbeiten wollen, sagen Sie nichts gegen das Verhalten. Es gibt von Ihnen kein Wort der Distanzierung, wenn sich Leute auf die Straße setzen und möglicherweise – wir haben keine rechtsgültige Verurteilung – Nötigung begehen.
Das sind die Momente, in denen man sich wirklich Sorgen machen müsste. Was wäre, wenn die hier allein politischen Einfluss in diesem Land hätten?
Das ist aber nicht der einzige Punkt. Der frühere Senator Körting aus der SPD hat in diesem Haus einmal mit Recht gesagt, dass es sich eine demokratische Partei schlicht nicht leisten kann, ein gebrochenes Verhältnis zur Gewalt zu haben. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Was bietet uns aber dieser Senat von heute? – Sie bieten uns Innensenator Geisel, der einem Abgeordneten – man muss ja die Partei von ihm nicht mögen –, der persönlich angegriffen und dessen Frau bedroht worden ist, zur Antwort gibt: Wer austeilt, der muss auch einstecken können. – Mit dieser Kindergartenattitüde können Sie keine Hauptstadt regieren.
Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gilt als Bestandteil unserer Rechtsordnung für und gegen Jedermann. Ich finde das Auftreten der identitären Demonstranten am Samstag genauso abwegig wie hoffentlich der Rest dieses Hauses. Gleichwohl haben diese Menschen das Recht gehabt, Ihre Ansichten zu äußern und in einer
Und auch Dumpfbacken haben Grundrechte. Das sollten Sie sich immer vor Augen führen, denn sonst könnten viele Demonstrationen, an denen Sie sich selbst gerne beteiligen, gar nicht stattfinden.
Wir wollen nämlich kein Berlin, in dem sich – ich komme zum Schluss – Rechte und Linke vom Rand gegenseitig auf der Straße bekriegen und die Polizei hinterher die Reste zusammenkehrt. Das hatten wir in diesem Land schon einmal, und das möchten wir hier nie wieder erleben.
Wir möchten ein Berlin, dem jedermanns Grundrechte am Herzen liegen und in dem diese auch ausgeübt werden können, in dem die gesamte Rechtsordnung für und gegen jedermann gilt und in dem auch jeder Abgeordnete den Charakter hat, nicht selbst zum Gesetzesbrecher zu werden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit sind tolle Grundrechte. Das sehen Sie hier am Schlagabtausch in diesem Parlament. Sie können es selber bewerten. Sie haben es auch auf Berlins Straßen am letzten Wochenende gesehen. Wir haben dieses Recht im Artikel 8 Abs. 1 GG geschützt. Da steht übrigens nur, dass alle Deutschen das Recht haben, sich ohne Anmeldung zu versammeln. In dem Fall, Herr Wild, war es eine Kollegin mit kurdischem Hintergrund, glaube ich, die die Anmeldung vorgenommen hat. Ich finde, die Debatte hat heute zumindest gezeigt, dass die AfD auch für Menschen mit Migrationshintergrund die Anmeldung von Demonstrationen zulässt. Vielleicht ist das ein Schritt des Erkenntnisgewinns.
In der Berliner Verfassung und in der Europäischen Menschenrechtskonvention ist die Versammlungsfreiheit als konstitutives Grundrecht für jeden anerkannt. Sie gilt für jeden. Auch das wurde hier schon ausgeführt. Ich finde es auch richtig, dass wir heute die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit allen Menschen, die hier leben, in Deutschland, in Berlin, gewähren und sie auch, solange sie die Strafgesetze nicht verletzen, zubilligen. Anders übrigens als die Fraktionsvorsitzende der AfD, die dem Journalisten, der über ein Jahr zu Unrecht in der Türkei in Haft saß, Deniz Yücel, abgesprochen hat, erstens Deutscher zu sein und zweitens Journalist zu sein. Eine große Verletzung der Meinungsfreiheit in diesem Fall. Da sieht man schon, das führt mich auch zu leichten Zweifeln – und auch die Anspielung an die Weimarer Republik finde ich gar nicht so abwegig –: Da sitzen Personen, die die Grundrechte dann in Anspruch nehmen, wenn sie für ihre Hetze passen. Dann müssen wir Demokraten uns fragen: Wie lange billigen wir das zu? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das müssen wir gemeinsam diskutieren.
Es ist nicht ein Verdienst von Ihnen, dass die Versammlungsfreiheit ein starkes Grundrecht in Deutschland ist, sondern ein Verdienst der Umweltbewegung und der Bürgerrechtsbewegung zu Beginn der Achtzigerjahre, die mit dem Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts– lesen Sie einmal deutsche Geschichte nach –
Es sind nur zwei Zwischenfragen zulässig. Dann möchte ich diese Zwischenfragen nicht zulassen. Der spannende Teil meiner Rede kommt später,
und ich will nicht jetzt schon zwei Zwischenfragen aus Ihren Reihen verbrauchen. Es freut mich aber, dass Sie mir auch folgen. Ich habe Ihnen ja auch zugehört. Vielleicht geht im gegenseitigen Austausch von Argumenten ja noch etwas. Ich habe zwar schwere Zweifel, aber mal sehen.
Also: Wir in Berlin haben pro Jahr 5 000 Versammlungen, weitestgehend störungsfrei. Seit Jahren keine
schlimmen Szenen mehr, seit Jahren keine Szenen, die auf Randale hindeuten. Alle konnten stattfinden, 5 000 Versammlungen. Wir reden hier über eine Versammlung, die am Wochenende gut ein Drittel der Wegstrecke zurücklegen konnte und die dann aufgelöst worden ist von den Versammlungsanmelderinnen, wenn ich das richtig sehe. Das sind ungefähr – wenn wir es umrechnen – 0,002 Prozent aller Versammlungen, bei denen Sie irgendwelche Störungen bemängeln. Daraus machen Sie die Überschrift: „Demonstrationsrecht in Berlin in Gefahr!“ – Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, in welcher Welt leben Sie eigentlich?
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Frank-Christian Hansel (AfD): Wehret den Anfängen!]
Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht auf Demonstration und Gegendemonstration noch weiter ausgeführt: Recht auf Gegendemonstration ist zulässig in Ruf- und Hörweite. – Seit dem Heiligendamm-Urteil von 2006 wird es gesondert geschützt. Dieses Spannungsverhältnis wird in der Tat von der Versammlungsbehörde und der Berliner Polizei geschützt. So, wie die Berliner Polizei gestern im Deutschen Bundestag von Ihren Rednern beschimpft worden ist, so, wie der Senat, der auch der Neutralitätspflicht bei Versammlungen unterliegt und an sie gebunden ist, die Neutralitätspflicht auch wahrt, so, wie die Berliner Polizei bei Demonstration und Gegendemonstration ihren Kopf hinhalten muss, ihr Leben und ihre Sicherheit gefährdet als Berliner Beamte, damit Sie demonstrieren können, von Ihnen beschimpft zu werden, das ist wirklich abenteuerlich, und dafür sollten Sie sich schämen.