Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP auf Annahme einer Entschließung Drucksache 18/1013
Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP Drucksache 18/1013-2
Der Dringlichkeit hatten Sie bereits eingangs zugestimmt. Der Änderungsantrag der antragstellenden Fraktionen, Drucksache 18/1013-2, ist Ihnen gerade eben als Tischvorlage verteilt worden.
Die Fraktionen haben sich einvernehmlich darauf verständigt, nach Fraktionsstärke zu reden. Es beginnt daher die Fraktion der SPD. Für sie hat Frau Dr. Kitschun das Wort. – Bitte, Frau Abgeordnete!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern Abend waren zahlreiche Mitglieder dieses Hauses, darunter der Regierende Bürgermeister und andere Mitglieder des Senats, bei der Solidaritätsaktion „Berlin trägt Kippa“ der Jüdischen Gemeinde Berlin. Ich fand,
das war eine bewegende Kundgebung. Mehr als 2 500 Berlinerinnen und Berlin sind in die Fasanenstraße gekommen. Es ist wichtig, dass wir gemeinsam Gesicht zeigen – Gesicht zeigen gegen Antisemitismus, gegen Intoleranz, für Menschenwürde und Religionsfreiheit in unserer Stadt.
Die Aktualität des Themas wurde gestern Abend auf beschämende Weise deutlich, und zwar parallel zur Kundgebung. Zeitgleich musste eine privat angemeldete Solidaritätsaktion gegen Antisemitismus auf dem Hermannplatz abgebrochen werden. Nur wenige Minuten nach Beginn gab es antisemitische Beleidigungen, und die israelische Fahne wurde entwendet. Im Ergebnis fühlten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht mehr sicher. Die Aktion wurde beendet. Für uns gilt: Jeder Angriff auf Jüdinnen und Juden ist ein Angriff auf uns alle und unsere pluralistische Gesellschaft. So hat es Michael Müller gestern Abend bei der Kundgebung in der Fasanenstraße richtig formuliert.
Heute wollen wir hier im Parlament ein weiteres Zeichen gegen Antisemitismus, Hass und Intoleranz setzen, und ich freue mich sehr, dass es uns trotz der Kurzfristigkeit in vielen Gesprächen gelungen ist, dass fünf Fraktionen aus diesem Haus den Entschließungsantrag jetzt gemeinsam einbringen.
947 antisemitische Vorfälle gab es im letzten Jahr in Berlin – eine bedrückende Zahl! Sie stammt aus dem Bericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus – RIAS – für das letzte Jahr, den das Projekt letzte Woche öffentlich vorgestellt hat. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber 2016. Ob das auf einen wirklichen Anstieg der Vorfälle oder darauf zurückzuführen ist, dass das Meldenetzwerk noch recht jung ist, ist nicht ganz abschließend zu klären. Klar ist aber, dass fast 1 000 antisemitische Vorfälle im letzten Jahr deutlich machen, wie wichtig und notwendig unsere Arbeit gegen alle Formen von Antisemitismus ist.
[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Beifall von Karsten Woldeit (AfD) und Martin Trefzer (AfD)]
Deshalb fördern wir in Berlin insbesondere im Rahmen des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus eine Vielzahl von Projekten gegen Antisemitismus, darunter die bereits erwähnte Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus – RIAS –, das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus und viele mehr. Und wir fördern Antisemitismusprävention an Schulen, selbstverständlich auch Projekte zur Antisemitismusprävention, die insbesondere die Zielgruppe muslimisch sozialisierter Jugendlicher im
Blick haben, und auch Projekte, die sich direkt an junge Geflüchtete wenden. Deswegen sage ich mit Blick auf den Änderungsantrag der AfD, dass wir diesen ablehnen werden.
Im letzten Doppelhaushalt haben wir den Bereich Antisemitismusprävention insgesamt ausgebaut. Aber das ist uns noch nicht genug. Wir wollen, politisch breit aufgestellt, die Antisemitismusprävention weiter stärken und optimieren. Voraussichtlich schon im Mai werden wir das Thema deshalb hier in diesem Haus wieder aufrufen.
Die Zahl der Menschen in dieser Stadt, die Opfer von Intoleranz, Hass und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit werden, wächst. Das dürfen und werden wir nicht hinnehmen. Wir verurteilen die Aufrufe zur Gewalt gegen Frau Seyran Ateş und die anderen Mitglieder der IbnRushd-Goethe-Moschee. Ebenso verurteilen wir die Anschläge auf Moscheen wie den Brandanschlag auf die Koca-Sinan-Moschee-Gemeinde. Jeder und jeder hat in unserer Gesellschaft das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, jede und jeder hat das Recht, seine religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen ohne Angst vor Verfolgung und Gewalt zu leben,
und zwar immer, solange das Recht anderer Menschen nicht verletzt wird. Toleranz und Religionsfreiheit haben in unserer Stadt eine jahrhundertealte Tradition. Tun wir unseren Teil dazu, für ein menschenrechtsbasiertes, friedliches Zusammenleben in unserer Stadt der Vielfalt! – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Menschenwürde, die Grundrechte, vor allen Dingen die Freiheitsrechte und die demokratische Ordnung sind die Grundregeln für ein friedliches, gerechtes und freiheitliches Zusammenleben in unserem wunderbaren Land. Diese freiheitliche Ordnung gewährt seinen Bürgerinnen und Bürgern ein Höchstmaß an individueller Freiheit, das allein begrenzt ist durch die Grundrechte des anderen. Wer sich aber anmaßt, die Freiheit anderer anzugreifen, wer die Arroganz besitzt, durch Gewalt regeln zu wollen, welche religiösen Symbole auf offener Straße sichtbar getragen werden dürfen und welche nicht sichtbar getragen werden dürfen, der stellt sich selbst außerhalb unserer Werte und Rechtsordnung, und dem müssen wir energisch entgegentreten.
Daher verurteilen wir auf das Schärfste die steigende Zahl der antisemitischen Übergriffe in unserer Stadt und unserem Land so wie vor einigen Tagen den Übergriff auf kippatragende Israeli. Wir sind dankbar, dass jüdisches Leben in unserer Stadt und unserem Land wieder am Entstehen und auch am Wachsen ist; denn es gehört zur Geschichte, zur Identität unseres Landes, und wir haben hier eine besondere Verpflichtung. Wir wenden uns in gleicher Weise gegen den rechtsextremistischen Antisemitismus wie gegen den Antisemitismus aus manchen muslimischen Milieus.
Bitte schön, gegen jede Form des Antisemitismus! – Und wir müssen konstatieren, dass die anfänglichen auch naiven Vorstellungen einer multikulturellen Naivität oder Beliebigkeit gescheitert sind.
der muss mit Nachdruck von diesem Antisemitismus befreit werden. Wer das als Assimilation kritisiert, hat kapituliert vor der Aufgabe, Antisemitismus wirksam zu bekämpfen.
Und wir müssen deutlich machen, dass wir nicht mit zweierlei Maß messen, sondern wir wenden uns in gleicher Schärfe gegen die Übergriffe und Angriffe auf andere Gläubige wie die Bedrohungen gegen die liberale IbnRushd-Goethe-Moschee und ihre Mitglieder, insbesondere die Initiatorin Frau Ateş,
die in beispielloser Weise persönlich bedroht wird, die vom Personenschutzkommando unserer Berliner Polizei geschützt werden muss. Ich finde, es ist ein Ausdruck von Intoleranz derjenigen, die diese Bedrohungen ausstoßen, aus dem Inland, aber auch aus dem Ausland, die wir uns nicht gefallen lassen dürfen.
[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Frank-Christian Hansel (AfD): Das war unser Antrag!]
Wir können es aber auch nicht ertragen, dass – welche Konflikte auch immer dazu führen – Brandanschläge auf Moscheen verübt werden wie der wirklich entsetzliche Brandanschlag auf die Koca-Sinan-Moschee in Reinickendorf. Wer die Bilder gesehen hat, wer vor Ort war, weiß, dass das eine geradezu traumatische Erfahrung für
die Angehörigen dieser Moscheegemeinde war – in der Regel Bürger, die schon seit zig Jahren friedlich und als rechtschaffene Bürger in unserem Land leben. Wir dürfen hier nicht mit zweierlei Maß messen, wir müssen auch hier ganz klar sagen: Das können wir nicht tolerieren.
[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Beifall von Martin Trefzer (AfD) und Kay Nerstheimer (fraktionslos)]
Es ist die Stärke unseres Entschließungsantrages, dass wir uns nicht nur bestimmte Gruppen vornehmen, die sich hier als Täter und als Opfer gegenüberstehen, sondern es ist unsere Aufgabe, dazu beizutragen, dass sich diese bunte Bevölkerung in Berlin, die sich aus Menschen aus über 180 Herkunftsländern zusammensetzt, mehr und mehr als zusammengehörig begreift. Und da ist von ganz entscheidender Bedeutung, dass wir nicht nur einzelne menschenunwürdige, menschenverachtende Angriffe thematisieren und ihnen den Kampf ansagen, sondern dass wir es ohne Unterschied für alle tun, damit alle Angehörigen, alle Bürger dieser Stadt erkennen: Wir messen nicht mit unterschiedlichem Maß, wir messen mit gleichem Maß, und alle, die sich in ihrem persönlichen Leben rechtschaffen verhalten, haben unseren Schutz verdient.
[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]
Zum Abschluss: Ich möchte mich für die großartige interfraktionelle Zusammenarbeit bedanken, und ich möchte mit dem Satz schließen: Das Ziel und mein Traum ist, wenn derartige Übergriffe, gegen wen auch immer, stattfinden, dass dann alle Communitys dieser Stadt, muslimische, jüdische und christliche gemeinsam, dem entgegentreten. Da ist noch ein bisschen Luft nach oben, aber wir haben gestern in der Fasanenstraße einen Anfang gemacht. Ich hoffe, dass wir hier auch zukünftig eine klare Haltung einnehmen können. – Herzlichen Dank!
Moment! Herr Dregger! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hansel? Ich wollte Sie nicht unterbrechen, deswegen frage ich jetzt.