Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

Moment! Herr Dregger! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hansel? Ich wollte Sie nicht unterbrechen, deswegen frage ich jetzt.

Bitte schön, Herr Kollege!

Bitte, Herr Hansel, Sie haben das Wort!

(Burkard Dregger)

Kollege Dregger! Es gab einen Änderungsantrag. Da ist jetzt zur Kippa und zum Kopftuch auch das Kreuz dazugekommen. Das entspricht dem, was Sie gerade gesagt haben, dass alle Opfergruppen gleich beteiligt werden sollen. Das ist auch richtig. Aber meinen Sie, dass die Nennung des Kreuzes – Sie sind ja von der CDU als christliche Partei – wirklich das richtige Signal ist? Das Kopftuch ist kein Glaubenssymbol, in Teheran und im Islam gab es vor 40 Jahren das Kopftuch als Glaubenssymbol nicht. Halten Sie es wirklich für angemessen, das Kreuz gleichwertig zum Kopftuch in dieser Debatte zu setzen?

Ich glaube, dass es darauf ankommt, den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt deutlich zu machen, dass wir nicht mit zweierlei Maß messen.

[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wir müssen schon respektieren, wenn Menschen bestimmte Symbole aus religiöser Überzeugung tragen.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Nur, wenn sie gezwungen werden!]

Wenn sie gezwungen werden, dann ist es etwas anderes. Aber ich weiß nicht, welche Wahrnehmung Sie haben. Sie können sich einmal mit Betroffenen unterhalten. Es ist nicht mein Eindruck, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle das als oktroyiertes Kleidungsstück getragen wird.

[Beifall von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Das ist nicht die Realität. Ich kann das aufgrund der vielen Gespräche, die ich selbst führe, nicht bestätigen. Wir müssen Respekt aufbringen, und es wäre geradezu ein fatales Signal, hier der Erdoğan-Propaganda für ihre Legendenbildung Futter zu geben, Nahrung zu geben dafür, dass Muslime in dieser Stadt schlechter behandelt, weniger geschützt werden als andere Bürgerinnen und Bürger.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN – Beifall von Stefan Förster (FDP)]

Das ist nämlich genau das, was sich in den türkischen Medien, die staatsgelenkt sind, abspielt. Das ist leider auch das, was in nicht geringem Maße konsumiert wird – auch von Türkischstämmigen hier in Berlin. Deswegen ist es wichtig, dass wir hier eine klare Haltung einnehmen und nicht anfangen rumzumäkeln wegen irgendwelcher Kleinigkeiten. Selbstverständlich hat für mich persönlich das Kreuz eine besondere Bedeutung, aber ich bin auch ein Mensch, der von sich behauptet, kulturell gebildet zu sein, das heißt, ich bin auch offen für andere Überzeugungen, und ich toleriere selbstverständlich, dass Frauen

mit Kopftuch ihren religiösen Glauben ausdrücken. Deswegen sind wir alle – oder in der überwiegenden Zahl – der Auffassung, dass das persönlich zulässig und im öffentlichen Dienst unzulässig ist. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN – Beifall von Stefan Förster (FDP) und Henner Schmidt (FDP)]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Frau Abgeordnete Kittler das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir sehen mit Sorge eine Zunahme von Intoleranz und Hass in unserer Stadt und in unserer Gesellschaft. Wir erleben Bedrohungen und tätliche Angriffe gegen Menschen in Berlin oder hören von ihnen. Wir können wissen, erleben, sehen und hören, und wir werden nicht wegschauen und untätig bleiben, wenn Menschen in unserer Stadt Hass und Gewalt entgegenschlägt.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD, der CDU und den GRÜNEN – Beifall von Henner Schmidt (FDP)]

Diese Entschließung ist ein Bekenntnis unseres Hauses zur Unantastbarkeit der Würde aller Menschen, die in unserer Stadt leben, und die in unsere Stadt kommen – aller Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer sexuellen Identität. Sie ist die Bekräftigung der Verpflichtung für uns als Abgeordnete, für den Senat und die Behörden, die Menschenwürde zu schützen und zu sichern, wie es in unserer Landesverfassung steht – und zwar gegen alle Angriffe auf sie, unabhängig, von wem sie ausgehen. Herr Dregger! Ich danke Ihnen für Ihre klaren Worte am Ende.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Florian Graf (CDU)]

Sie ist eine Solidarisierung mit jüdischen Menschen, genauso wie mit muslimischen, die deswegen angegriffen werden, weil sie jüdisch oder muslimisch sind. Diese Entschließung ist eine Solidarisierung mit Frau Ateş, die gegen die Unterdrückung von Frauen, gegen Zwangsverheiratung, Kinderehen und Ehrenmorde kämpft, und für einen liberalen Islam steht und deshalb verfolgt und bedroht wird, eine Bedrohung, die sie bei einem Attentat 1984 nur knapp überlebte und die bis heute anhält.

Die Entschließung ist eine Verurteilung jeglicher Form von Antisemitismus und die Forderung an uns als Abgeordnete und an den Senat, noch mehr als bisher dagegen zu tun. Sie ist eine Solidarisierung mit den Israelis, die

angegriffen wurden, weil sie in Prenzlauer Berg eine Kippa trugen.

Wir müssen mit dieser Entschließung deutlich sagen, dass der Antisemitismus nicht plötzlich wieder da ist. Er war in Teilen der Bevölkerung nie weg. Wenn in Ostritz 1 000 Rechte Hitlers Geburtstag feiern, wenn ein Herr Nerling, der den Holocaust leugnet, über Jahre in Berliner Schulen unterrichten darf, wenn Rapper wie Kollegah und Farid Bang für antisemitische Texte von ihren Fans gefeiert werden und dafür auch noch einen Preis der deutschen Musikindustrie bekommen, wenn jüdische Kinder in Berliner Schulen beschimpft und bedrängt werden, sodass Eltern keinen anderen Ausweg sehen, als sie von der Schule zu nehmen, wenn der französische Präsident Macron auf der Website des Onlineportals „Die Freie Welt“, das zu dem von der AfD-Spitzenpolitikerin Beatrix von Storch betriebenen Vereinsnetzwerk gehört, als „Ex-Rothschild-Banker“ bezeichnet wird, der Merkel als „Hauptmarionette der Finanzglobalisten“ ablöst, wenn aus den Reihen der AfD die Forderung nach einem Ende der Stolpersteinverlegung kommt, oder der AfD-Abgeordnete Gedeon in einem seiner Bücher schreibt:

Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes.

wodurch sich dann jede und jegliche Schuldzuweisung an andere durch Änderungsanträge verbietet, meine Damen und Herren von der AfD –, dann spricht das eine deutliche Sprache.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Dem müssen wir uns entgegenstellen.

Wenn ich schon bei Sprache bin, da haben wir seit 2016 in diesem Haus und seit 2017 im Deutschen Bundestag einiges aus der äußerst rechten Ecke hören und lesen müssen. Victor Klemperer hat dazu in „LTI“ über die Sprache des „Dritten Reiches“ geschrieben:

Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt; sie scheinen keine Wirkung zu tun – und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.

Wir Demokratinnen und Demokraten dürfen auch deshalb nichts unwidersprochen stehenlassen, was sich gegen die Menschenwürde richtet.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP]

Sagen wir allen Menschen in unserer Stadt, die hier friedlich leben wollen, auch denen, die eine Kippa oder ein Kopftuch tragen: Sie sind willkommen hier! – Das haben gestern 2 500 Berlinerinnen und Berliner in der Fasanenstraße getan.

Wir haben als Berliner Abgeordnete aus einer Stadt, in der schon einmal zugelassen wurde, dass von ihr der größte Völkermord der Geschichte ausging, eine besondere Verantwortung für den Schutz von Menschenwürde und Demokratie. Dieser Verantwortung stellen wir uns mit dieser Entschließung – und mit unserem Handeln.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD, der CDU und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Herr Kerker! Ihre Zwischenanfrage kam jetzt leider zu spät. Aber Ihre Fraktion hat eine Zwischenbemerkung angemeldet. – Bitte schön, Herr Woldeit, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank! – Frau Kittler! Das kann so nicht unwidersprochen stehenbleiben. Sie versuchen in einer unsäglichen Art und Weise eine Nähe des Antisemitismus zu meiner Partei herzustellen. Dem muss ich mit Nachdruck und ausdrücklich wiedersprechen!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Sie fügen an, dass ein Herr Gedeon, der nach meiner Bewertung zu Recht aus der Landtagsfraktion in BadenWürttemberg ausgeschlossen worden ist, Schriften verfasst hat, die unterschiedliche Gutachten bewerten. Das ist aber definitiv nicht die Haltung der AfD. Wenn Sie sich anschauen, wie unsere Pressemitteilungen in den letzten Wochen zu den Überfällen an Schulen ausgesehen haben, als jüdische Schüler angegriffen worden sind, da haben wir ein ganz klares Bekenntnis sowohl als Land als auch als einzelne Abgeordnete als auch als Fraktion gegeben, dass wir Antisemitismus ganz klar verurteilen, ohne Wenn und Aber,

[Zuruf von Regina Kittler (LINKE)]

und wir auch nicht die Augen davor verschließen, dass wir einen neuen Antisemitismus im Rahmen einer eingewanderten, einer importierten anderen Kulturquelle haben. Das gehört auch zur Wahrheit mit dazu.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Noch einmal, meine lieben Kollegen von Links bis Linksaußen: Ich fordere Sie auf, zur Sachlichkeit zurückzukehren.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist ja abenteuerlich!]

(Regina Kittler)

Es kann nicht sein, dass Sie ständig versuchen, einzelne Äußerungen, einzelne herausgezogene Dinge in eine Sippenhaftsituation für die gesamte AfD zu nehmen.

[Zuruf von Stefanie Fuchs (LINKE) – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN]

Ich könnte dann wiederum genauso argumentieren, dass die gesamte SPD mit einem Pädophilieverdacht aufgrund eines Abgeordneten Edathy konfrontiert wird. Das funktioniert so nicht.

[Hakan Taş (LINKE): Und was ist mit Björn Höcke?]