Ich fordere Sie wirklich zu Sachlichkeit auf! Eine Moral, die Sie uns auferlegen wollen, wo Sie starke antizionistische Kreise haben in Ihrer Linkspartei, das lasse ich schon gar nicht zu!
[Starker Beifall bei der AfD – Zurufe von der AfD: Bravo! – Torsten Schneider (SPD): Sie machen Grenzübertritt und dann: Das sind Einzelfälle! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN ]
Dazu möchte ich Sie fragen: Was sagen Sie beispielsweise zu den drei Abgeordneten der Bundestagsfraktion der AfD, die eine Anfrage zu Menschen mit Behinderung stellen,
Was sagen Sie dazu? Ich habe von Ihnen hier im Haus keinen Aufschrei gehört. Vielleicht äußern Sie sich mal dazu, das wäre angebracht!
[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von Thorsten Weiß (AfD) und Herbert Mohr (AfD)]
Alles andere, was Sie gesagt haben – tut mir leid! Was sagen Sie zum Beispiel zu Beatrix von Storch? Dazu haben Sie sich jetzt nicht geäußert.
[Beifall von Sebastian Schlüsselburg (LINKE) – Thorsten Weiß (AfD): Wir müssen uns doch vor Ihnen nicht moralisch rechtfertigen!]
Nein, ich muss mich nicht rechtfertigen, tut mir leid. Sie haben sich gerade rechtfertigen wollen. Es ist einfach lächerlich und furchtbar, was aus Ihren Reihen kommt.
Zur Geschäftsordnung möchte ich Sie darauf verweisen: Während einer Zwischenbemerkung sind keine Zwischenfragen zugelassen.
Es spricht jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Abgeordnete Frau Jarasch. – Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vizepräsident des Auschwitz Komitees der Holocaustüberlebenden, Christoph Heubner, hat gefordert, Antisemitismus an allen Orten der Gesellschaft tabulos zu benennen. Das tue ich hiermit. Die Täter, die vergangene Woche zwei junge Männer mit Kippa attackiert haben, waren Araber. Ja, es gibt einen israelbezogenen Antisemitismus, der zusammen mit dem alteingesessenen Antisemitismus hierzulande zu einem üblen Gebräu wird, wie Heubner es formuliert hat, einem Gebräu, das uns alle bedroht. Tatsächlich rührt Antisemitismus an die Grundlagen, auf denen dieses Land nach dem Dritten Reich wieder aufgebaut wurde. Antisemitismus dulden wir auch deshalb nicht, weil er unser Selbstverständnis als Deutsche, zumindest als Deutsche nach 1968, infrage stellt. Das ist jedem Menschen klar, der wenigstens einmal in der Schule oder zu Hause durch die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Dritten Reich begangen wurden, zutiefst erschüttert wurde, egal ob durch Filme, Bücher, ein Gespräch mit Zeitzeugen oder einen Besuch einer KZ-Gedenkstätte.
Religionsfreiheit und der Schutz der Menschenwürde gehören zu diesen Grundlagen. Religionsfreiheit schützt jedes Bekenntnis, unabhängig davon, ob wir es teilen oder nicht. Deshalb sagen wir heute in diesem Haus ganz klar: Alle Menschen müssen sich in dieser Stadt frei bewegen können, ob mit Kippa oder Kopftuch. Es ist sehr
Die Moscheegründerin Seyran Ateş kann sich derzeit nicht frei bewegen. Seit Monaten wird sie von Personenschützern begleitet. Bedroht wird sie nicht von Islamhassern, sondern von einem Teil des konservativ-orthodoxen muslimischen Spektrums. Wer im Namen der Religion anderen Menschen Religionsfreiheit abspricht, rüttelt damit an dem Fundament, auf dem diese freiheitliche Gesellschaft gebaut ist. Auch das akzeptieren wir nicht.
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU, der LINKEN, der AfD und der FDP – Frank-Christian Hansel (AfD): Darauf haben wir hingewiesen! Vor drei Monaten!]
Aber, Herr Hansel, gerade wenn wir hier offen und ohne Tabus miteinander reden, müssen wir umso aufmerksamer sein auf die falschen Töne und die Schieflagen, die es in dieser öffentlichen Debatte reichlich gibt.
Bundestagsvize Thomas Oppermann hat jüngst erklärt: Das Judentum gehört zu Deutschland. – Im ersten Moment dachte ich, ich hätte mich verlesen. Müssen wir wirklich wieder darüber diskutieren, ob das Judentum zu Deutschland gehört? War Herrn Oppermann nicht klar, wie befremdend das gerade für deutsche Jüdinnen und Juden klingen muss?
Aber Oppermann wollte natürlich nicht infrage stellen, dass das Judentum zu Deutschland gehört. Er wollte im Gegenteil darauf hinaus, dass nichts in Deutschland zu suchen hat, wer das nicht akzeptiert. Mit solchen Sätzen allerdings geht Oppermann dem Spiel der Rechten und der rechten Medien auf den Leim, denn Muslime werden immer stärker zu der Gruppe gemacht, die in Deutschland nichts zu suchen hat.
An die AfD: Auch Ihr Änderungsantrag spricht diese Sprache. Ihre Sorge konzentriert sich auf den Antisemitismus von muslimischen Migranten, wie Sie es nennen,
während Sie den sonstigen Antisemitismus weit, weit an den Rand schieben, als die Tat von törichten, einfältigen Menschen des rechtsextremistischen Rands und nicht etwa von Menschen, die auch Ihre Partei wählen oder wie Bernd Höcke aus Thüringen sehr aktiv in Ihrer Partei sind.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Raed Saleh (SPD) – Thorsten Weiß (AfD): Der Mann heißt Björn!]
So froh wir über jeden Einzelnen und jede Einzelne sind, die gestern an der Kundgebung in der Fasanenstraße teilgenommen haben, müssen wir doch genau hinhören. Nicht allen, die ihre Empörung über den antisemitischen Vorfall von letzter Woche lautstark kundtun, geht es dabei um den Kampf gegen Antisemitismus oder gar für Religionsfreiheit.
Nein! – Es sollte uns zu denken geben, dass es bei Weitem keinen vergleichbaren Aufschrei der Empörung gibt, wenn einer Frau in der Berliner U-Bahn das Kopftuch vom Kopf gerissen wird oder aber einer Frau die Burka, und zwar so gewaltsam, dass sie dabei Kopfverletzungen erlitten hat. Beides ist jüngst in Berlin geschehen. Beides hat nicht mehr bewirkt als eine kleine folgenlose Zeitungsmeldung. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen; Herr Dregger hat schon darauf hingewiesen. Das prägt das Verhältnis der muslimischen Menschen zu dem Land und der Gesellschaft, in der sie leben. Wir dürfen Muslime nicht zu den neuen Parias machen. Der Kampf gegen Antisemitismus braucht Klarheit, nicht Ausgrenzung.
Die jüdische Community weiß um diesen Zusammenhang. Alle jüdischen Anzuhörenden bei der Anhörung zu Antisemitismus im Integrationsausschuss haben sich dagegen verwahrt, dass der Kampf gegen den Antisemitismus instrumentalisiert wird, um pauschal Muslime zu diffamieren. Der jüdische Politologe David Ranan – er hat ein Buch über muslimischen Antisemitismus geschrieben –
sieht die Perfidie der aktuellen Debatte darin, dass manche Deutsche sich freuen, wenn man ihnen zeigt, dass die Muslime mit ihrem Antisemitismus noch schlimmer sind. Das sei eine komische Art des Persilscheins, der von der nötigen Auseinandersetzung mit dem eigenen Antisemitismus ablenke.
Die multikulturelle Gesellschaft ist kein Wunschtraum. Sie ist auch keine Vision. Sie ist schlicht unsere Wirklichkeit, die wir gestalten müssen.
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Ronald Gläser (AfD): Ein Horrorszenario!]
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat Juden geraten, in der Öffentlichkeit lieber Basecaps
zu tragen. Diese Vorsichtsmaßnahme sollte uns als Ansporn dienen, denn unser Ziel bleibt: Auf den Straßen Berlins sollen sich alle Menschen ohne Angst bewegen können, auch mit Kippa oder Kopftuch. – Ich danke Ihnen!
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Frank-Christian Hansel (AfD): Sagen wir auch!]