Protokoll der Sitzung vom 17.05.2018

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu dem Antrag auf Drucksache 18/0636 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich – gegen die Oppositionsfraktionen – die Ablehnung, auch mit geändertem Berichtsdatum 30. Juni 2018. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Oppositionsfraktionen und ein fraktionsloser Abgeordneter. Gegenstimmen? – Bei Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen ist der Antrag damit abgelehnt.

[Christian Gräff (CDU): Ganz knapp!]

Ich komme zu

lfd. Nr. 18:

Kitabroschüre zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt stoppen

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie vom 3. Mai 2018 Drucksache 18/1023

zum Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/0831

In der Beratung beginnt die Fraktion der SPD und hier die Kollegin Kühnemann-Grunow. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass wir heute doch noch die Gelegenheit haben, über den Antrag der CDU zum sofortigen Stopp der von der CDU als Sex-Broschüre diffamierten Handreichung „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“ zu sprechen. – Lieber Herr Simon! Ihren Ausführungen im Ausschuss hat man angemerkt, dass Sie persönlich den Antrag am liebsten vermieden hätten. Sie stehen als jugendpolitischer Sprecher auch nicht unter dem Antrag, müssen sich jetzt aber dazu verhalten. Ich muss ganz ehrlich gestehen: Sie tun mir da fast ein bisschen leid.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Mir nicht!]

Bei der Handreichung, die Sie stoppen wollen, handelt es sich um eine Handreichung für pädagogische Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung, nicht für Kinder.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

(Andreas Wild)

Die Handreichung steht in einer Reihe von Arbeitsmaterialien, die im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe eingesetzt werden.

Berlin ist vielfältig, Berlin ist bunt, Berlin ist Regenbogenhauptstadt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Pädagoginnen und Pädagogen in Berlin nicht mit dem Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Berührung kommen, ist nahezu ausgeschlossen. Die Handreichung stellt eine Reaktion auf den formulierten Wunsch, den formulierten Bedarf von Fachkräften dar, die aus der Berliner Kindertagesbetreuung geäußert wurden – den Sie den Kolleginnen und Kollegen aber verweigern wollen.

Es geht um Themen der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt in der frühen Bildung – ein Themenfeld, das sich an den Anforderungen des inklusiven Bildungsverständnisses des Berliner Bildungsprogramms orientiert. – Lieber Herr Simon! Demokratisch verfasste Gesellschaften sind verpflichtet, jedem Menschen das gleiche Recht auf Entwicklung seiner Persönlichkeit und auf die Teilhabe an der Gemeinschaft zu sichern.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Christian Buchholz?

Gerne!

Bitte schön!

Frau Kollegin! Ich habe mal eine Frage: Sie haben eben gerade behauptet, dass die Forderung nach dieser Broschüre von den Fachkräften käme. Für wie groß halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass die Fachkräfte diese Forderung schon aus einer Zeit mitgebracht haben, bevor sie ihren Job angetreten haben, dass es schon von der Uni kommt und den angehenden Fachkräften dort so beigebracht wird?

[Lachen von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Sie werden da wahrscheinlich ganz schlimm indoktriniert an der Universität, dass sie alle auf den Gender-Wahn reinfallen.

[Beifall bei der AfD]

Nein, Spaß beiseite! Pädagoginnen und Pädagogen müssen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Antwor

ten finden, und jetzt komme ich nämlich genau zu dem, was Sie ansprechen und was vielleicht Ihrem Weltbild besser entspricht: Geschlechterstereotypische Botschaften behindern Bildungsprozesse. Mädchen pink, Jungs blau – finden Sie mal für ein Mädchen etwas anderes als irgendwelche pinken Kleidchen! Jungs sind cool, Jungs sind stark; bei Mädchen steht auf dem T-Shirt, sie sind cute oder niedlich.

[Zurufe von der AfD]

Das behindert insofern Bildungsprozesse, als dass sie Jungen und Mädchen auf bestimmte Verhaltensweisen, Vorlieben und Eigenschaften festlegen und darauf reduzieren. Dies kann für Mädchen und Jungen in der Entwicklung ein Nachteil sein und untermauert althergebrachte Geschlechterverhältnisse – Mädchen dürfen auch mutig sein.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Im Ausschuss haben Sie, Herr Simon, von Jungen- und Mädchenkleidung gesprochen – das habe ich gerade schon gesagt: Wer Ihrer Meinung nach pink und Kleidchen trägt und wer blau und Hose trägt, ist da wohl klar.

Pädagoginnen und Pädagogen sollen aber darauf achten, Mädchen und Jungen eben nicht durch stereotype Sichtweisen und Zuschreibungen in ihren Erfahrungen zu beschränken, sondern sie sollen in der Erziehung neue und ergänzende Erfahrungsmöglichkeiten bieten.

Die Handreichung hat auch gar nicht mit sogenannter Frühsexualität und Sexualisierung von Kindern zu tun. Hier mache ich Ihnen auch den Vorwurf, was Sie mit diesem Antrag bezwecken: Wenn es um vielfältige Lebensformen an dieser Stelle geht, dann ist alles, was über Vater, Mutter, Kind hinausgeht, für das Kind belastend und verdirbt es.

Heute begehen wir übrigens den internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie. Ich bin sehr froh, dass Berlin den Erzieherinnen und Erziehern mit der Broschüre eine Praxisunterstützung anbietet, die Vielfaltsdimension erläutert und Hilfestellung bietet, wenn es einen Bedarf gibt. Dies ist nichts Neues, sondern eine von vielen Fortbildungsmöglichkeiten und Veröffentlichungen zu den Themen Vielfalt, Inklusion, vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung und ein Baustein, um für mehr Akzeptanz zu werben und um eben Diskriminierung gegen Menschen, die in anderen Lebensformen, in anderen Partnerschaften leben, zu verhindern. Es gibt überhaupt keinen Grund, dieses Bildungskonzept zu stoppen.

Zum Abschluss: Wenn Ihr Antrag allerdings ein Gutes hatte, dann das, dass die Broschüre inzwischen vergriffen ist; wirklich jeder weiß von dieser Broschüre.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Alle wollen diese Broschüre haben. Andere Bundesländer fragen nach dieser Broschüre, und noch etwas: Da muss man fast dem Paritätischen Wohlfahrtsverband danken, die haben die Broschüre kostenfrei nachdrucken lassen. Also insofern: Danke für die Werbung! Aber ansonsten: Stoppen muss man hier gar nichts!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Simon das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Letztens haben wir den Antrag im Ausschuss beraten; heute debattieren wir den Antrag der CDU-Fraktion, die Broschüre „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“ zu stoppen.

Weshalb fordern wir den Stopp der Broschüre? – Die in dieser Broschüre behandelte Thematik ist eine, mit der man aus unserer Sicht sehr sensibel umgehen muss. Diese Broschüre berücksichtigt nicht in ausreichendem Maß Elternrechte. Bei der Erziehung ihrer Kinder müssen Eltern ein gewichtiges Wort mitzureden haben.

[Beifall bei der CDU und der AfD]

Wir dachten auch, das wäre nahezu Konsens in Berlin. Deshalb heißt es im unisono gelobten Berliner Bildungsprogramm von 2014 – also dem Leitfaden, an dem sich die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher in den Berliner Kindergärten und Tagespflegestellen zu orientieren hat – unter anderem, dass sich Eltern und Pädagogen intensiv austauschen, abstimmen und eine gemeinsame Sprache entwickeln sollen. Dies gelte insbesondere für sensible Themen wie etwa der Auseinandersetzung der Kinder mit ihrer eigenen Sexualität.

Die Auseinandersetzung mit dem Elternwillen und dem elterlichen Erziehungsrecht findet in dieser Broschüre aber nicht in der notwendigen Form statt. Die Autoren der Broschüre empfehlen sogar Erziehern für den Fall, dass Eltern bestimmte Verhaltensweisen ihrer Kinder nicht in einer bestimmten Weise deuten, eine Kindeswohlgefährdung durch die Eltern zu prüfen.

Das Anliegen der Broschüre, Toleranz zu vermitteln und Erziehungstipps für Erzieherinnen und Erzieher zu geben, ist nicht falsch. Aber gut gemeint ist in diesem Fall schlecht gemacht.

[Beifall bei der CDU]

Wer die Broschüre liest, erkennt schnell, dass sachliche Sensibilisierung leider nicht genügend Raum einnimmt

und eine staatlich verordnete und finanzierte Ideologie, die den Normalfall zum Problem erklärt, zu viel Raum einnimmt, ja, die Broschüre dominiert. Mehrheitlich gelebte Familienmodelle werden geradezu zum Problemfall stigmatisiert – Diskriminierung ist aber nicht dadurch, dass sie gegen eine andere Art der Diskriminierung gerichtet ist, zu legitimieren.

Ein weiterer struktureller und inhaltlicher Fehler, der diese Broschüre durchzieht, ist, Verhaltensweisen und Identitätskonstruktionen, die für Erwachsene und Jugendliche gelten, auf Kinder und Kleinstkinder zu übertragen. Kinder nehmen ihr lebensweltliches Umfeld zum Glück mit einer uns Erwachsenen verloren gegangenen Selbstverständlichkeit wahr. Da halten wir auch den erzieherischen Impetus, der die Broschüre wie ein roter Faden durchzieht, für falsch. Die schier grenzenlose Experimentierfreude und Neugier von Kindern, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen, haben in den allermeisten Fällen nicht das Geringste mit Transsexualität zu tun. Ein Mädchen, das lieber an der Werkbank hämmert, als sich mit Puppen zu umgeben, oder ein Junge, der sich gern verkleidet, sind nicht per se Transkinder, wie es die Verfasser der Broschüre uns einzureden versuchen. Hier verkenn die Autoren das kindliche Selbstverständnis.

[Beifall bei der CDU und der AfD]

Die Wirklichkeit wird an einigen Stellen der Broschüre ausgeblendet. So heißt es unter anderem, das Thema Transgeschlechtlichkeit sei „allgegenwärtig“. Allgegenwärtig sind bei Kindern doch tatsächlich andere Fragen: Was gibt es zum Mittagessen? Wer spielt mit mir? Was wollen wir jetzt spielen? –, und vieles mehr, aber nicht das Thema Transgeschlechtlichkeit.

[Beifall bei der CDU und der AfD]

Weshalb geben die Autoren der Intersexualität einen so großen Raum? Die Wahrscheinlichkeit, dass sich in einer Kindertagesstätte ein betroffenes Kind befindet, ist verschwindend gering. Am Ende führt die Broschüre viele Adressen mit „Trans“, „Queer“ und „Inter“ im Namen auf, aber nicht die Spezialsprechstunde der Berliner Charité zum Thema Intersexualität. Bei allen Fragen der geeigneten Methoden in der Erziehung und Pädagogik sollten wir uns jedoch darüber im Klaren sein, dass wir unsere Kinder am besten dadurch unterstützen, indem wir Ihnen eine Kultur der Offenheit, eine Kultur der Wertschätzung vermitteln, die weder Minderheiten ausgrenzt, noch die Mehrheit zum Problem erklärt.