Protokoll der Sitzung vom 14.06.2018

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Ja, ich spreche nur gerade mit dem Kollegen!]

Na ja, Sie haben uns gerade direkt angesprochen, und ich würde Sie fragen wollen: Haben Sie den Antrag eigentlich gelesen?

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Ja, mit großer Begeisterung!]

Sie haben gerade bemerkt, dass wir doch relevante Kennzahlen einbeziehen müssten. Das steht, bitte schön, im Antrag. Wenn Sie einmal auf Seite 2 schauen wollen, im zweiten Anstrich:

auf der Grundlage der relevanten Kennzahlen perspektivisch die personellen, finanziellen und technischen Ausstattungsmerkmale und Standards vorschlagen;

Genau das ist unser Wunsch. Wenn Sie das unterstützen, finden wir das sehr schön. Wenn Sie aber erzählen, dass das alles überhaupt nicht von uns definiert wird, kann ich Ihnen den Antrag jetzt auch noch in Gänze vorlesen, wenn Sie das brauchen.

[Zuruf]

Ich habe den Eindruck, dass er das leider gar nicht gelesen hat.

[Sabine Bangert (GRÜNE): Er kann vielleicht nicht lesen! Er muss öfter in die Bibliothek gehen! – Sven Kohlmeier (SPD): Geht mir genauso!]

Die Punkte, die wir hier aufführen, definieren ganz genau, was wir in diesem Konzept erwarten. Offensichtlich haben Sie ähnliche Erwartungen, das freut mich sehr. Wenn Sie allerdings sagen, wir sollen schon einmal aufschreiben, was wir eigentlich an Kennzahlen und Standards wollen, sage ich: Das wollen wir doch bitte unter Partizipation derjenigen machen, die die Arbeit tun müssen, und aller, die an der Konzepterarbeitung beteiligt werden sollen. Sie wollen doch sicherlich auch die Beteiligung, oder?

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Herr Juhnke! Sie können erwidern.

Frau Kittler! Ihre Anwürfe gehen völlig ins Leere. Ich habe mit keinem Wort behauptet, dass Sie in Ihrem Antrag nicht formulieren, was Sie von der Kommission erwarten. Ich erwarte aber von Ihnen, und die Kommission erwartet vielleicht auch vom politischen Arbeitgeber – in Anführungszeichen – eine gewisse Richtschnur, eine gewisse Vorgabe, auch einmal den Mut, sich in irgendeiner Weise festzulegen. Man könnte doch Dinge, wie ich sie gerade beschrieben habe, vielleicht einmal politisch vorgeben. Das wäre doch für einen kulturpolitischen Gesetzgeber oder eine Kulturpolitik, die sich ernst nimmt, nichts Ehrenrühriges. Das ist das Gleiche wie bei der Alten Münze. Dort haben Sie auch gesagt: Wir machen ein Konzept, und es wird mit allen gesprochen. – Dem Haus würde es aber sicherlich nicht schlecht anstehen, wenn man sich einfach einmal ein wenig ernst nimmt und sagt, wir wollen in diese oder jene Richtung gehen. Das vermeiden Sie aber vollkommen.

[Beifall von Martin Trefzer (AfD)]

Das machen Sie auch mit diesem Antrag wieder. Es wird nur wieder etwas formuliert, das ein Dritter lösen soll, und dem geben Sie eigentlich keine ernsthaften Dinge an die Hand. Natürlich soll er viele verschiedene Fragen beantworten, und Sie übernehmen dann alles. Sie können Partizipation ganz groß schreiben, dann ist nur die Frage: Wozu sind Sie dann noch da?

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD und der FDP – Regina Kittler (LINKE): Wir beteiligen uns auch!]

Herr Jahnke! Jetzt dürfen Sie. – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Jahnke das Wort.

(Dr. Robbin Juhnke)

Danke, Herr Präsident! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss jetzt auch den Eindruck haben, den Frau Kittler hier zum Ausdruck gebracht hat, dass Herr Juhnke wirklich nicht gelesen hat, was wir aufgeschrieben haben. Also dann noch einmal, jetzt im Einzelnen: Im Koalitionsvertrag hat sich Rot-Rot-Grün die zukunftsfähige Gestaltung der Berliner Bibliotheken ins Aufgabenbuch geschrieben. Der Grund hierfür ist, dass alle drei Koalitionspartner der Modernisierung des Berliner Bibliothekswesens erhebliche Bedeutung beimessen. Bibliotheken sind Medien. Immer schon haben sie Wissen gespeichert, verteilt und generiert. Selbstverständlich kommt ihnen daher gerade in der Wissens- und Informationsgesellschaft erhebliche Bedeutung zu.

Allerdings wandelt sich mit der Wissensgesellschaft auch die Rolle. Neue Wissensspeicher, -verteiler und -generatoren nämlich, das globale Internet und die sozialen Medien, treten hinzu, die anders funktionieren als die klassische Bestandssammlung von Büchern. Damit ergeben sich für Bibliotheken neue Aufgaben. Zum Beispiel stellen soziale Medien und das Internet ganz neue Anforderungen an die Medienkompetenz der Nutzerinnen und Nutzer – nicht nur technisch, sondern auch im Hinblick auf den Wert und die Bedeutung der verbreiteten Informationen.

In einer Medienwelt, in der praktisch jeder und jede in einem Blog, einem Facebook-, Twitter-, Youtube- oder Instagramprofil zum Massenmedium werden kann, eröffnen sich neue Chancen, aber auch Risiken der Kommunikation. Fake-News und Filterblasen sind nur die bekanntesten Risiken, aber in ihnen steckt ein erhebliches Manipulationspotenzial, das nicht ohne Folgen für demokratische Entscheidungsprozesse bleibt und ganz neue Anforderungen an die Mediennutzer, also letztlich an uns alle stellt: einerseits Anforderungen an die eigene Medienproduktion, andererseits solche an die eigene Medienrezeption.

Das hat Konsequenzen für die Meinungsbildung. Immer weniger Menschen rezipieren immer weniger gleichzeitig. Mit Ausnahme von Zeiten internationaler Fußballweltmeisterschaften – was ja heute unmittelbar bevorsteht – ist es aber die absolute Ausnahme, dass von vielen Menschen auch nur zwei am Abend zuvor die gleiche Sendung gesehen haben. Dieses Verschwinden von Gleichzeitigkeit stellt ganz neue Anforderungen an die politische und demokratische Kommunikation.

Als Sozialdemokrat verspreche ich mir von dem Antrag, dass die sich bereits vollziehenden Modernisierungsprozesse des Berliner Bibliothekswesens organisatorisch gestrafft und strategisch auf die Anforderungen der vernetzten und digitalen Gesellschaft ausgerichtet werden. Der Antrag geht daher ganz sozialdemokratisch von einem user-orientierten Ansatz aus: Im Fokus steht das

aktive Handeln der Mediennutzer und -nutzerinnen. Dieses Handeln gilt es zu unterstützen und zu entwickeln.

Im Zentrum steht daher der Begriff der Medienkompetenz. Medienkompetenz umfasst, wie gesagt, nicht nur technische Kompetenzen – also etwa Lesefähigkeit oder den Umgang mit digitalen Medien –, sondern meint zudem Rezeptionskompetenzen, etwa die Bewertung von Glaubwürdigkeit, das Erkennen von Manipulationsabsichten und die strukturierte Einordnung der Information in den eigenen Wissensstandard.

Medienkompetenz meint auch Produktionskompetenz, etwa die Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte anderer, den fairen Umgang mit Rezipienten, Wahrheitsorientierung. Im Rahmen einer kompetenten Mediennutzung ergeben sich daher eine ganze Reihe neuer kommunikativer Chancen, die genutzt werden sollten. Medien sind heute neben Elternhaus und Schule der wichtigste Sozialisationsfaktor, den man nutzen muss, anstatt ihn zu verbieten.

Kommunikation ist ein wichtiges soziales Band, das wir entwickeln müssen und nicht vergiften und missbrauchen dürfen. Hierzu soll und kann das neue Bibliothekskonzept einen wichtigen Beitrag leisten, indem es grundsätzlich von einer Nutzerperspektive und den Interessen der Nutzerinnen und Nutzer ausgeht, indem es attraktive Medienkompetenzen in ihrer ganzen Bandbreite entwickelt, den Medienwandel nicht nur nachvollziehbar gestaltet, sondern selbst aktiv neue Dienstleistungsangebote entwickelt, indem es die Kooperation der Berliner Bibliotheken optimiert. Hierbei geht es ja nicht nur um die ZLB und die Bezirksbibliotheken, sondern, das hat Frau Bangert schon gesagt, genauso um Schulbibliotheken, um die Stabi, um Universitätsbibliotheken –, indem es die Finanzierung durch entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen sichert, dabei insbesondere die Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützt und für ihre Weiterbildung Sorge trägt sowie gemeinsame Standards formuliert, die in allen Bezirken umgesetzt werden.

Bereits 2016 erhielt der Verbund der öffentlichen Bibliotheken, VÖBB, eine erhebliche finanzielle Unterstützung aus SIWA-II-Mitteln für die Verbesserung der digitalen Infrastruktur. Das war eine gute Investition, denn im letzten Jahr ist die Anzahl der Bibliotheksbesuche um 300 000 gewachsen. Das zeigt, dass das Bibliothekswesen in Zeiten des Internets kein Auslaufmodell darstellt. Ein in sich abgestimmtes und modernisiertes Bibliothekskonzept, wie wir es ja heute als Koalition vorlegen, ist aus sozialdemokratischer Sicht ein wichtiger Baustein zur Festigung der Demokratie, zur Sicherung der informationellen Selbstbestimmung und zur Entwicklung der Kreativität. Insbesondere das Letztere ist auch von wirtschaftlicher Bedeutung.

Ich unterstütze ausdrücklich das vorgeschlagene Konzept und bitte um breite Zustimmung. – Danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die AfD-Fraktion hat jetzt Herr Dr. Berg das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition simuliert mit ihrem Antrag für ein Bibliothekskonzept nur ein ernsthaftes Bemühen, die Situation der öffentlichen Bibliotheken in unserer Stadt zu verbessern. Nach ihren eigenen Vorgaben soll diese Simulation auf jeden Fall bis zum 30. Juni nächsten Jahres verlängert werden. Was danach geschehen soll, steht in den Sternen.

Wer wirklich die Bibliotheken in unserer Stadt voranbringen und zukunftsfähig machen will, sollte zunächst den Bericht der Expertenkommission aus dem Jahre 2005 auswerten und erst dann nach neuen Experten rufen. Wem dieser Expertenbericht zu lange zurück liegt, der hätte sich wenigstens mit den offenen Briefen des Arbeitskreises Berliner Stadtbibliotheken von 2017 ernsthaft auseinandersetzen sollen.

[Beifall bei der AfD]

Der Kultursenator lobt sich in seiner Antwort vom 6. Juni 2017 an den Arbeitskreis wie folgt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

Mit der „Zukunftsstrategie“ für die Berliner öffentlichen Bibliotheken hat die Kulturverwaltung mit den Bezirken eine vom Senat beschlossene Strategie.

Was ist diese sogenannte Strategie von 2017 wert, wenn die Koalitionsfraktionen ein Jahr später schon wieder eine neue Strategie entwickeln lassen wollen?

Ihr Konzeptantrag ist offenbar nichts weiter als eine Vorlage für weiteres Nichtstun. Anstatt sich als Parlamentarier ernst zu nehmen und dem Senat ernsthafte inhaltliche Hausaufgaben zu diktieren, listen Sie in Ihrem Antrag im Wesentlichen nur eine Reihe organisatorisch-bürokratischer Vorgaben auf.

[Beifall bei der AfD]

Dabei haben es unsere öffentlichen Bibliotheken in den Schulen, in den Bezirken, in den wissenschaftlichen Institutionen und in der Landesbibliothek selbst mehr als verdient, endlich eine verbindliche, zukunftsorientierte, technische, finanzielle, personelle und schließlich auch bauliche Perspektive zu erhalten. Denn noch immer gilt: Wo Bücher sind, da ist auch Bildung. Deshalb ist es eine unersetzliche öffentliche Aufgabe, diesen Zugang nicht

nur jedermann niederschwellig zu ermöglichen, sondern zum Lesen geradezu zu verführen.

[Beifall bei der AfD]

Dazu leisten Sie leider keinerlei inhaltlichen Beitrag. Ihr ganzer Antrag vermittelt den Eindruck, dass Sie sich hier ein parlamentarisches Fleißkärtchen ausstellen lassen wollen, ohne wirkliche parlamentarische Fleißarbeit geleistet zu haben. Diese dünne parlamentarische Wassersuppe werden wir mit Ihnen nicht gemeinsam auslöffeln. Wir lehnen Ihren Antrag deshalb ab. – Danke!

[Beifall bei der AfD – Regina Kittler (LINKE): Glauben Sie selbst, was Sie da sagen?]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Frau Kittler das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Menschheit soll in ihrer langen Geschichte bis zur letzten Jahrtausendwende auf allen bis dahin entwickelten Speichermedien etwa 5 Millionen Gigabyte Daten produziert haben.

2011 wurde die gleiche Datenmenge in 48 Stunden hergestellt. 2013 brauchte die Menschheit nur noch 10 Minuten dafür, und heute schaffen wir das in wenigen Sekunden. Diese Zahlen stammen übrigens nicht aus meiner Sammlung, sondern aus einem spannenden Impulsreferat von Anja Witzel, Referentin der Landeszentrale für politische Bildung, das sie gestern in der Kuratoriumssitzung hielt und das ich allen zum Nachlesen empfehlen möchte. Als diese rasante Entwicklung mit dem digitalen Zeitalter begann, haben viele den Bibliotheken nicht mehr viel Existenzzeit gegeben. Allen Unkenrufen zum Trotz behaupten sich unsere Bibliotheken als meistgenutzte Kultur- und Bildungseinrichtung nicht nur im digitalen Zeitalter, sondern sie erhalten durch IT-gestützte neue Formen und Wege der Informations- und Wissensvermittlung eine noch größere Bedeutung, verbunden mit neuen Aufgaben und Herausforderungen.

Diese ergeben sich natürlich gleichermaßen aus der wachsenden Stadt und der zunehmenden Vielfältigkeit von Nutzer- und Nutzerinnenbedürfnissen. In der Fachtagung der Linksfraktion – so weit jetzt unser Werbeblock, Frau Kollegin Bangert – am 2. März 2018 haben wir mit Bibliotheksleiterinnen und Bibliotheksleitern und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie mit vielen Nutzerinnen und Nutzern über die Zukunft der öffentlichen Bibliotheken in Berlin diskutiert. Da wurden als neue Anforderungen die Zunahme von ausgeprägten interkulturellen Kompetenzen und Sprachkenntnissen oder das Erfordernis, dass abgewogen werden muss, ob mehr

(Frank Jahnke)

WLAN-fähige Arbeitsplätze oder große Freihandbereiche Priorität haben, genannt. Wie soll zukünftig das Verhältnis von digitalen zu traditionellen Medien in den Bibliotheken sein? Welche Öffnungszeiten brauchen einzelne Nutzer- und Nutzerinnengruppen, und wie sind diese personell abzusichern? Welchen Raum bieten Bibliotheken für Begegnungen? Können Schülerinnen und Schüler oder Studierende hier in Ruhe recherchieren und arbeiten? Wie werden Lese- und Medienkompetenz gefördert? Welche guten Erfahrungen einzelner Bibliotheken lassen sich verallgemeinern? Wie lassen sich kiezbezogen oder zielgruppengenau besondere Angebote realisieren?

Das sind nur einige Fragen, die von den fach- und sachkundigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Fachtagung in die Diskussion eingebracht wurden. Den Anwesenden war klar, dass noch viele Aspekte der Bibliotheksentwicklung genauer betrachtet werden müssen und vor allem, dass es bestimmter finanzieller, technischer und räumlicher Grundvoraussetzungen bedarf, um den Herausforderungen an moderne Bibliotheken gerecht zu werden. Gut ausgestattete Bibliotheken, frei vom Konsumzwang und mit kostenfreiem Zugang zum Internet, gehören zur Daseinsvorsorge. Rot-Rot-Grün hat sich in der Koalitionsvereinbarung verpflichtet, die öffentlichen Bibliotheken zukunftsfähig zu machen, und dafür braucht Berlin genau dieses Bibliothekskonzept, das jetzt entwickelt werden soll.