Protokoll der Sitzung vom 28.06.2018

(Karsten Woldeit)

[Zurufe von der SPD und der CDU]

Wenn ich mir Ihren Antrag ansehe, bin ich sehr froh, dass Sie einen Koalitionspartner hatten, der Sie gebremst hat.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Sonst hätte Berlin wohl einen noch nie dagewesenen Polizeistaat aufgedrückt bekommen. Das ist weder seriös noch glaubwürdig.

[Lachen bei der AfD – Zuruf von der CDU: Ist doch Quatsch, was Sie da erzählen! – Weitere Zurufe von der CDU]

Auch geschichtsvergessen: Das Berliner UzVG ist noch durch den Kalten Krieg geprägt und trägt Züge eines Gesetzes gegen Aufstandsbekämpfung. Diese will die CDU nicht beseitigen, sondern verschärfen, indem sie die Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch gegen Menschenmassen erleichtert.

Berlin und die Bundesrepublik sind sicherer denn je, allerdings wird immer wieder versucht, mit Hetze, Hass und Vorurteilen das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger zu zerstören. Noch nie wurde ein Anschlag vereitelt, weil Bürgerrechte abgeschafft wurden.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Wenn ich mir den bisherigen Verlauf der Untersuchungen im Fall Amri ansehe, bestätigt mich das umso mehr in meiner Meinung, dass die CDU einfach nur Aufmerksamkeit braucht und diese durch autoritäre Schnapsideen erhalten möchte. Der Fall Amri war der verheerendste terroristische Anschlag der Neuzeit in Berlin. Die Behandlung der Thematik hat aufgezeigt, dass es nie an Befugnissen der Polizei gefehlt hat. Die Befugnisse waren da, aber die strategischen Entscheidungen sind falsch gefällt worden. Insofern ist es mehr als nur fadenscheinig, hier solch eine Debatte anzustoßen. Die Befugnisse wurden im Fall Amri auch formal ausgenutzt, aber führten zu keinen praktischen Maßnahmen.

Wir werden nicht zulassen, dass die Freiheits- und Bürgerrechte der Berlinerinnen und Berliner dem chronischen Aufmerksamkeitsbetrieb der CDU geopfert werden.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Anja Schillhaneck (GRÜNE)]

Wenn das ein Einblick in die künftige Arbeit der CDUFraktion unter dem Hardliner Dregger sein wird, muss man kein Prophet sein, um düstere Zeiten für die Berliner CDU vorherzusehen.

[Lachen von Frank-Christian Hansel (AfD) – Danny Freymark (CDU): Das hatten Sie schon aufgeschrieben! – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE) – Weitere Zurufe von der CDU – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Auch das geht vorüber!]

Das interessiert Sie vielleicht, Herr Dregger: Eine aktuelle Umfrage in Bayern macht deutlich – das können Sie übrigens heute nachlesen –, dass Sie mit noch mehr Einschränkungen der Grundrechte bei Wählerinnen und Wählern nicht punkten können.

Deshalb möchte ich noch einmal unsere Gründe für eine Ablehnung des Antrags zusammenfassen:

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU ]

Erstens – hören Sie genau zu, da können Sie noch etwas dazulernen, Herr Melzer – geht der Antrag komplett an der bunten, vielfältigen und liberalen Stadtgesellschaft in Berlin vorbei. Zweitens würde der Antrag in Summe das recht liberale ASOG wahrscheinlich in das schärfste deutsche Polizeigesetz verwandeln. Drittens, Herr Melzer, schießt der Antrag angesichts aktueller Kriminalitätsstatistiken massiv über das Ziel hinaus.

[Heiko Melzer (CDU): Das ist schon wieder falsch!]

Und viertens wird keine der genannten Freiheitseinschränkungen, Herr Melzer, die Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung voranbringen. Hören Sie endlich auf, den Menschen zu erklären, weniger Freiheit bedeute mehr Sicherheit! Das ist falsch. Nur wer es schafft, Sicherheit und Freiheit in Einklang zu bringen, der hat Berlin verstanden. Insofern wird der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion von uns vollumfänglich abgelehnt. – Herzlichen Dank!

Für die Fraktion der FDP spricht jetzt der Abgeordnete Herr Schlömer. – Bitte, Sie haben das Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

[Unruhe]

Vielleicht hören Sie mir einmal zu! Das ist ein bisschen respektvoller, wenn ich hier spreche. Die sieben Minuten, die ich als Ersatz für meinen Kollegen spreche, möchte ich dann auch Aufmerksamkeit haben.

[Beifall bei der FDP]

Mit der heutigen Vorstellung eines Gesetzentwurfs über die Ausweitung polizeilicher Befugnisse im Bundesland Berlin stößt die Fraktion der Christdemokraten eine für Berlin sehr wichtige Diskussion an. Auch Berlin muss seine Bürgerinnen und Bürger vor den Bedrohungen durch allgemeine Kriminalität, durch Gewaltkriminalität, durch organisierte Kriminalität oder terroristische Akte stärker schützen. Das ist Verpflichtung und Verantwortung aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien. Wir Freien Demokraten stellen uns dieser Herausforderung.

(Hakan Taş)

[Beifall bei der FDP]

Die Politik hat hierbei jedoch auch die Grenzen zu beachten, die uns das Grundgesetz bei staatlichem Handeln setzt. Diese Grenzen darf der Gesetzgeber nicht überschreiten. Bürgerrechte, Grundrechte und Freiheit müssen weiter und müssen wieder stärker respektiert werden. Sie müssen das einzige Argument und die Begründung dafür sein, warum wir staatliches Handeln brauchen. Das gilt auch und insbesondere in der Auseinandersetzung mit Kriminalität und Terrorismus in diesem Land.

Diesem Gesetzentwurf gelingt es in der vorliegenden Form nicht, diese Grenzen einzuhalten. Freiheit und Sicherheit geraten aus der so wichtigen Balance, wenn wir den Christdemokraten unkommentiert folgen.

[Beifall bei der FDP, der LINKEN und den GRÜNEN]

Und, sehr geschätzter Herr Kollege Dregger, es ist auch nicht klug, immer die äußerste Schmerzgrenze des gerade so noch Rechtmäßigen, Verfassungsgemäßen ständig neu auszutarieren und zu überschreiten.

Ihrem Gesetzentwurf fehlen derzeit die überzeugenden Argumente. Warum immer nur Papier und reines Gesetzeswerk? Wo bleibt denn mehr Polizei? Wo bleiben Vorschläge für die stärkere Zusammenarbeit der Bundesländer und des Bundes? Warum nicht mehr Präsenz vor Ort bei kriminalitätsbelasteten Orten?

Meine Kritik im Einzelnen: Anlasslose Überwachungen sollen ausgeweitet werden, die Polizei mit geheimdienstlichen Kompetenzen ausgestattet sein. Die sogenannte drohende Gefahr gerät in den Fokus – ein zentraler Begriff, der Kollege Zimmermann hat dazu ausgeführt. Schon wenn die Polizei lediglich annimmt, es könnte sich einmal eine gefährliche Situation entwickeln – was sich praktisch immer irgendwie begründen lässt –, soll sie vielfältige Eingriffe in bestehende Grund- und Bürgerrechte vornehmen können. Damit knüpfen polizeiliche Maßnahmen letztlich an keinerlei nachprüfbare Voraussetzung mehr an. Diesem Punkt können und wollen wir nicht folgen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Der Einsatz von mehr Videotechnik, breit und unreguliert, ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. Die Videoüberwachung in Berlin ist nur dann ein sinnvolles Mittel im Kampf gegen Kriminalität, wenn sie a) mit Augenmaß eingesetzt wird, b) strengen gesetzlichen Grundlagen folgt, c) sie nur fokussiert auf besonders kriminalitätsbelastete Orte beschränkt bleibt, die die Polizei transparent, offen und gut begründet auch gegenüber dem Parlament herleiten muss, dass dort nach polizeilichen Erkenntnissen Straftaten von erheblicher Bedeutung konkret verabredet oder vorbereitet werden, sowie – wenn die Videotechnik als Echtzeitüberwachung durchgeführt wird – mit

der Möglichkeit eines direkten Zugriffs von Polizeibeamten.

[Beifall bei der FDP]

Es ist fraglich, ob Sie das mit Ihrer Gesetzesinitiative wirklich beabsichtigen.

Wir brauchen nicht nur immer neue Gesetze – wir brauchen ein bisschen mehr Trendwende in der Berliner Innenpolitik, nicht nur Restriktion und Ausweitung von Befugnissen, vielleicht auch mal ein bisschen mehr Kriminalprävention. Wir brauchen auch ein kriminalpräventives, ein sozialintegratives und übergreifendes Konzept mit klarem Anspruch und konkreten Zielen:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schrader?

Nein! – Integration fördern, Tätern Konsequenzen aufzeigen und Recht durchsetzen, Tatgelegenheiten reduzieren, Straftaten mindern, Selbstschutz stärken und kriminalbegünstigende Faktoren mindern.

Wir brauchen ein Konzept, das auch Sozialarbeit als primäres Ordnungsmittel zur Begegnung von Kriminalität aufgreift und dem Prinzip der Sorgfaltsverantwortung stärker Rechnung trägt.

[Beifall bei der FDP und den GRÜNEN]

Wir brauchen ein Konzept, das auch mehr Polizei vor Ort unmittelbar beinhaltet, sei es in Form von mobilen Wachen oder Kontaktbeamten.

Zu einem der drängendsten Probleme zählt aber sicherlich auch die städtebauliche Entwicklung von Berliner kriminalitätsbelasteten Orten, insbesondere in meinem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Wir brauchen dort mehr Übersichtlichkeit, ausreichende Beleuchtung und verbesserte Wegeführung mit dem Ziel leichterer Orientierung. Bislang unzugängliche Bereiche sind zu öffnen, Aufenthalts- und Kommunikationsbereiche sind zu schaffen, neue Verkehrsführungen anzudenken, insbesondere am Kottbusser Tor. Mobilitäts- und Ruheräume haben Einfluss auf das Sicherheitsempfinden unserer Bürger.

Und genau darum geht es nämlich: das Sicherheitsempfinden unserer Bürger. Dieses müssen wir stärken, aber nicht immer nur mit schärferen Gesetzen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Lux. – Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir in Berlin sind nicht allein in Deutschland. Wir stehen auf dem Boden des Grundgesetzes, und es gibt eine freiheitlich-demokratische Grundrechtsordnung. Ein ganz wesentlicher Bestandteil ist der Föderalismus, das heißt, dass der Bund für die Gesetzgebung zuständig ist gemäß dem Grundgesetzkatalog. Dort heißt es, dass der Bund gemäß Artikel 73, Abs. 1, Nr. 9a ausschließlich zuständig ist für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Damit heißt das auch zwingend, dass der erste Teil Ihrer Überschrift des Gesetzentwurfs der CDU-Fraktion nicht mit der Verfassung, also mit unserem Grundgesetz vereinbar sein dürfte, denn Sie legen ein Gesetz zur Terrorismusabwehr vor. Sie erwähnen auch mit keinem Wort, dass Sie diese grundgesetzlich zwingende Kompetenz geprüft haben.

Wissen Sie, Sie berufen sich hier immer auf Recht, Gesetz und Ordnung, aber sind selbst nicht in der Lage, die grundlegenden staatsorganisationsrechtlichen Linien zu beachten, die weit über 60, fast 70 Jahre unsere Bundesrepublik und auch unser Bundesland prägen, sondern Sie verstoßen einfach mal mir nichts, dir nichts, nur der billigen Effekthascherei wegen gegen unsere grundgesetzlichen Standards. Nur um hier irgendwie gegen die MitteLinks-Koalition, die dieses Land sehr gut regiert, zu pöbeln, missachten Sie einfach mal unsere grundgesetzlichen Standards, Herr Dregger, und das, finde ich, ist eine Frechheit!