Protokoll der Sitzung vom 13.09.2018

man nur sagen: Herr Maaßen! Haben Sie den Anstand, treten Sie zurück, und nehmen Sie Bundesinnenminister Seehofer gleich mit!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Ob unser Land nach rechts kippt oder nicht, das liegt vor allem an den Konservativen. Denn ob wir nach rechts rücken oder nicht, entscheidet sich in der Mitte und nicht an den politischen Rändern. Sie entscheiden also, wo Sie die Grenze zum verträglichen Rechtspopulismus aus Ihrer Sicht ziehen oder nicht. Deshalb erwarte ich von der Union, und zwar egal, ob in Bayern, im Bund oder in Berlin, dass Sie sich künftig glasklar nach rechts abgrenzen, und zwar auch sprachlich.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Das machen die schon selber!]

Denn rechte Stimmungsmache hilft am Ende nur den Rechten. Genau das habe ich auch Herrn Czaja als Reaktion auf seinen Tweet an Sawsan Chebli geschrieben. Dass dieser Tweet ein Schlag ins Gesicht all jener war, die sich Tag für Tag gegen Rechts engagieren, sehen Sie hoffentlich genauso. Ich erwarte nämlich von allen Demokraten in diesem Haus, dass wir mit vereinten Kräften gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus kämpfen. Und deshalb, Herr Czaja, kann ich Sie nur freundlichst darum bitten, dass Sie das in Ihrer Rede endlich richtigrücken.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Wir sind solidarisch mit dem antifaschistischen Engagement, auch gegen die Schmutzkampagne der AfD. Deshalb und aus vollster Überzeugung haben wir die Haushaltsmittel für Projekte wie die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus oder die „Register“-Stellen massiv erhöht, denn sie schützen die Demokratie in Berlin, und Rot-Rot-Grün stärkt ihnen dabei den Rücken.

Aber wie demokratisch und freiheitlich eine Gesellschaft tatsächlich ist, bemisst sich an ihrem Umgang mit Minderheiten. Deshalb ist es auch gut, dass die Koalition einen Antisemitismusbeauftragten bei der Generalstaatsanwaltschaft eingesetzt hat und die Beratungsstellen für Opfer von Gewalt und Diskriminierung fördert. Aber der größte Wurf steht leider noch aus, nämlich das deutschlandweit erste Landesantidiskriminierungsgesetz. Deshalb, lieber Senat, kann ich nur sagen, freuen wir uns über eine baldige Vorlage.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Demokratie muss gelebt werden, und Demokratinnen und Demokraten fallen nicht vom Himmel. Deshalb will ich, dass Schulen zu Orten werden, an denen Politik nicht nur gelehrt, sondern auch gemacht wird, und dass Berlin eine

neue, eine starke und eine überzeugende Kampagne zur Demokratiebildung auf den Weg bringt, im Mittelpunkt die Landeszentrale für Politische Bildung.

Politik ist aber keine reine Dienstleistung, sondern muss auf Augenhöhe stattfinden. Und man kann es nur immer wieder sagen: Jeder Einzelne von uns in diesem Land trägt Verantwortung für unsere Demokratie. Das gilt auf für diejenigen, die sich aus Enttäuschung, Wut oder Verzweiflung in den Zug der Faschisten einreihen. Ihnen müssen wir Einhalt gebieten und gleichzeitig Brücken bauen, denn wenn Armut und soziale Spaltung zunehmen, dann fühlen sich Menschen zu Recht alleingelassen.

Ein Staat ist dann stark, wenn er sich um seine Bürgerinnen und Bürger kümmert. Die Probleme dieser Menschen werden aber von Sozialministern gelöst und nicht von Innenministern. Mit der Sozialpolitik steht und fällt der gesellschaftliche Zusammenhalt. Sie ist die Friedenspolitik, die wir in unserem Land brauchen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das gilt vor allem für die fehlende Angleichung von Sozialleistungen im Osten. Auf sie warten Menschen 29 Jahre nach der Wende immer noch vergeblich, und der Frust darüber treibt den einen oder anderen tatsächlich in die Arme der Rechten. Einige von denen, die ’89 für Freiheit und Menschenrechte auf die Straße gegangen sind, demonstrieren heute gemeinsam mit Pegida und Co. für die Ausgrenzung ihrer Mitmenschen. Ihnen muss man ein klares Stopp setzen, denn eins bleibt unverhandelbar: Auf Menschenrechte gibt es kein Monopol – sie gelten bedingungslos für alle Menschen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Der Kern unserer Gesellschaft ist antifaschistisch. Davon bin ich überzeugt. All diejenigen, die nicht zurückwollen in düstere Zeiten, müssen sich schützen. Also runter vom Sofa, und zeigen Sie Herz gegen Hetze, damit „Nie wieder!“ keine Floskel bleibt! Für unsere Freiheit und für unsere Demokratie! – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Czaja das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die letzten Tage und Wochen waren eine Zäsur für unser Land. Die Bilder von Chemnitz haben gezeigt, wie fragil und gefährdet unsere demokratische Gesellschaft ist: Wenn normale Bürger gemeinsam mit Hooligans,

Rechtsextremen und Rechtspopulisten geschlossen durch eine deutsche Großstadt ziehen, dann ist das ein Bild, das niemanden, wirklich niemanden kaltlässt.

Das Ausmaß eines offenen zelebrierten Hasses gegen Flüchtlinge, das radikale Auftreten der Feinde unserer offenen Gesellschaft, das Versagen unseres Rechtsstaats in einer Situation, in der er niemals versagen dürfte, der widerliche Überfall auf das jüdische Restaurant „Shalom“, der an die dunkelsten Zeiten erinnert – fragen wir uns: Welchen Weg wählen wir aus der zeitweiligen Sprach- und Fassungslosigkeit?

Wie stark waren die Bilder von zehntausend engagierten Menschen nach den Ereignissen, die sich der blinden Ideologie der Wenigen entgegengestellt haben! Doch noch viel stärker war für mich das Bild von zahlreichen Grundgesetzen als symbolische Blockade gegen die Feinde unserer Demokratie. Denn sie symbolisieren, um was es jetzt wirklich geht: Wir müssen einstehen für unsere Gesellschaft, gegen Hass, gegen Intoleranz, für die Werte eines demokratischen Rechtsstaats!

[Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Seit dem 29. April 1993 haben wir in diesem Hause an genau dieser Stelle viel gestritten. Der Parlamentarismus zeichnet sich durch Streit aus. Es geht um Ideen, um Lösungen, um Konzepte und ja, manchmal auch um das eigene Ego. Die Tragfähigkeit von Lösungen wird allerdings nicht im Wettbewerb um die lauteste Trillerpfeife oder die knackigste Zuspitzung entschieden. Heute geht es in dieser Aktuellen Stunde um viel mehr als um parteitaktische Erwägungen oder die schönsten TwitterRezensionen. Wer heute noch glaubt, Politik darf sich im technischen Klein-Klein verlieren oder hinter Semantik verstecken, der ist morgen seiner eigenen Freiheit beraubt.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Das düsterste Kapitel der Menschheitsgeschichte, der menschenverachtende Nationalsozialismus, hat Deutschland tiefer in die Dunkelheit geführt, als es sich je ein Mensch hätte vorstellen können. Die Republik hat daraus ihre Lehren gezogen, und die heißt: Nie, nie wieder!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Diese Lehre ist Mahnung und Verpflichtung für uns alle zugleich. Ich möchte niemals meiner Tochter erklären müssen, wieso wir uns im Jahr 2018 diesen entscheidenden Fragen nicht gestellt haben, und vor allen Dingen möchte ich niemals gefragt werden, wieso wir genau das zugelassen haben.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Das ist für uns demokratische Kräfte doch der gemeinsame Konsens, der uns verpflichten sollte.

(Antje Kapek)

Und ja, uns geht es gut in Deutschland. Wir können im politischen Alltag über alles diskutieren, ja sogar streiten: über Einwegbecher, über Unisextoiletten, selbst über Flughäfen. Der Wohlstand ist groß wie noch nie, die Arbeitslosigkeit sinkt, und die Wirtschaftsleistung ist stark. Natürlich hat auch all das seine Schwachpunkte und kann besser, bürgerfreundlicher, effektiver und verantwortungsvoller gestaltet werden. Aber die Zeiten sind gut wie noch nie. Nichts und niemand ist daher zu Wohlstandschauvinismus berechtigt und zu Rufen wie „Ausländer raus – Deutschland den Deutschen!“ oder „Haut ab!“

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, der LINKEN, und den GRÜNEN – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Trotzdem fühlen sich manche Menschen abgehängt und zurückgelassen, und sie mögen damit recht haben. Sie lassen sich aus der Angst vor der Zukunft von gefühlten Wahrheiten und einfachen Lösungen leiten. Wo Ohnmachtsängste grassieren, haben Allmachtsfantasien Konjunktur.

Politik darf sich nicht selbst zum Brandbeschleuniger degradieren. Sie darf sich nicht zum Multiplikator von Gewalt und Menschenverachtung machen. Es gehört auch zur Wahrheit hinzu: Auch in diesem Haus sitzen Abgeordnete, die unser System bekämpfen. Sie arbeiten mit gefühlten Wahrheiten und vergiften die Gesellschaft. Langsam weicht die demokratische Maske – die vermeintlichen Freunde Deutschlands zeigen ihr wahres Gesicht.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN]

Es gibt keine einfachen Lösungen, aber die einfache Erkenntnis: Das Leben ist kompliziert und wird es bleiben, auch wenn es die Parolenproduktion der Phrasendrescher am rechten Rand anders suggeriert. Wir müssen die Freunde der offenen Gesellschaft sammeln und sichtbar machen. Wir sind mehr, wir wollen nicht in die Vergangenheit zurück – das ist die Aufgabe der Stunde!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Lassen Sie uns deshalb alle als aufrechte, alle als freie Demokraten, als Freunde der offenen Gesellschaft über die Verteidigung der Freiheit debattieren und den Verächtern des Rechtsstaats und der Demokratie, von Toleranz und Weltoffenheit geschlossen entgegentreten – ganz gleich, wie wir oder sie sich am Ende des Tages nennen! Lassen wir nicht zu, dass Hass geschürt wird gegen Andersaussehende, Anderslebende, Andersdenkende! Wir müssen die Feinde unserer freiheitlichen Grundordnung ins Visier nehmen. Das ist unsere Aufgabe, und deshalb gilt: Keine Toleranz den Intoleranten!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Verantwortungsvolle Politik zeigt sich im Lösen von Problemen, nicht in der Eskalation dieser Probleme. Wir brauchen einen starken, wehrhaften und funktionierenden Rechtsstaat. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich sicher sein, dass Recht gesprochen und Recht durchgesetzt wird. Die Zusammenrottung und die Rechtsverstöße in Chemnitz haben gezeigt, wie gefährdet unsere demokratische Gesellschaft ist. Der Rechtsstaat muss Handlungsfähigkeit zeigen. Die Verantwortlichen für die öffentliche Sicherheit müssen ihre Arbeit machen und nicht durch leichtfertiges Gerede zur Verunsicherung beitragen. Aufklären statt Mutmaßen ist gefragt.

[Beifall bei der FDP]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind gerade kurz davor, das Vertrauen in das System, das sich seit 1947 bewährt hat, zu verspielen, denn der unserem Zusammenleben zugrundeliegende Leitsatz: „Einheit und Vielfalt!“ verdient Vertrauen. Wir müssen alle dazu ermutigen, den eigenen Horizont zu erweitern, Möglichkeiten zu nutzen, Neues zu erfahren und das eigene Leben immer und immer wieder selbst gestalten zu wollen. Freiheit in Verantwortung ist Ausdruck der Menschenwürde, wie sie in Artikel 1 unseres Grundgesetzes niedergeschrieben ist. Die Politik ist verpflichtet – in Berlin, in Deutschland, in Europa, ohne Zweifel und ohne Alternative. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN]

Nun gebe ich dem Regierenden Bürgermeister das Wort. – Bitte schön, Herr Müller!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede etwas zu diesem Ort sagen. Dieser Saal hier, in dem wir debattieren, ist ein für uns selbstverständlicher Ort lebendiger politischer Debatten, des politischen Schlagabtauschs. Dieses Haus, dieser Plenarsaal, ist das Zentrum der Berliner Demokratie, und ich glaube, wir Abgeordneten sollten uns gerade in diesem Saal unserer besonderen Verantwortung bewusst sein, tatsächlich alles zu tun, um unsere Demokratie zu schützen, denn in diesem Saal tagte das letzte Mal ein demokratisches Parlament Preußens vor der Machtübernahme der Nazis, die dann wie in vielen anderen Parlamenten hier wüteten, gewählte Abgeordnete einschüchterten. Wir wissen, viele landeten im Konzentrationslager, wurden verfolgt, wurden drangsaliert. In diesem Raum tagte zwei Jahre der Volksgerichtshof. Diesen Saal, unseren Plenarsaal, hat Hermann Göring zu einem Ballsaal gemacht – mit der Begründung, dass er dieses „Haus der Schwätzer“ nicht mehr ertrage.

(Sebastian Czaja)

Ich glaube, diese Geschichte macht diesen Saal so besonders, und sie verpflichtet uns. Sie verpflichtet uns hinzugucken. Niemand darf mehr weggucken, wenn Parolen gegrölt werden, wenn der Hitlergruß gezeigt wird und wenn Nazi-Symbole gezeigt werden. Dagegen gibt es Gesetze, und wir müssen und werden sie durchsetzen. Wir sind es den Menschen schuldig, die unter Nazis gelitten haben. Wir sind es den Jüdinnen und Juden schuldig.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP]

Herr Pazderski! Sie können hier erzählen, was Sie wollen, und noch so freundlich auftreten und Appelle formulieren. Dass eben an dieser Stelle – und ich habe es bewusst so formuliert, weil ich wusste, was kommt – niemand aus Ihrer Fraktion geklatscht hat, das zeigt, wessen Geistes Kind Sie und Ihre Fraktion sind. Das zeigt es.