Protokoll der Sitzung vom 27.09.2018

lfd. Nr. 9:

Gesetz zur Anpassung der Hinausschiebung des Eintritts von Richtern in den Ruhestand wegen des Erreichens der Altersgrenze auf Antrag und der Gewährung eines Zuschlages

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/1317

Erste Lesung

Dieser Tagesordnungspunkt soll nunmehr vertagt werden. – Widerspruch dazu höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Tagesordnungspunkt 10 war Priorität der Fraktion der FDP unter Nr. 4.3. Die Tagesordnungspunkte 11 bis 17 stehen auf der Konsensliste.

Ich komme nun zur

(Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt)

lfd. Nr. 18:

Folgeprojekt zum Gutachten „Die Unterstützung pädophiler bzw. päderastischer Interessen durch die Berliner Senatsverwaltung“: Vom Land Berlin unterstützten sexuellen Missbrauch endlich aufklären!

Antrag der AfD-Fraktion Drucksache 18/1222

In der Beratung beginnt die AfD-Fraktion. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiß. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Aufgrund der Wichtigkeit des Themas bitte ich um Anwesenheit von Frau Senatorin Scheeres.

Ich bitte zu veranlassen, dass Frau Senatorin Scheeres herbeigeholt wird. – Sie ist unterwegs. Wir warten einen Moment und setzen dann die Beratung fort.

Frau Senatorin ist im Raum. – Herr Weiß, Sie haben nun das Wort!

Vielen Dank! – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Erlaubnis der Präsidentin beginne ich mit einem Zitat aus dem „Spiegel“ vom 30. Dezember 2017:

… als ein älterer Pflegebruder ausgezogen war, … begann es … (Fritz H.) sagte, er möchte „kuscheln“. Dann forderte er, dass Marco seinen Penis in den Mund nimmt. „Das machen Söhne mit ihrem Papa so, wenn sie sich lieb haben“, erklärte er. Marco war sieben. Er glaubte ihm. An dem Abend drang H. anal in ihn ein.

Meine Damen und Herren! Sie stimmen mir sicherlich zu, dass dieses Zitat schockierend und ebenso erschütternd ist. Ebenso aufwühlend ist aber der Kommentar aus demselben Artikel – Zitat –:

Noch immer scheint es so, als mühte sich der Senat vor allem darum, das ganze Ausmaß des staatlich geförderten Kindesmissbrauchs zu vertuschen.

Zitat Ende. – Der Missbrauch der beschriebenen Bespielfälle begann 1989 und zog sich über zehn Jahre hin. Für den Täter dieses Missbrauchs und für die anderen Täter setzte sich Helmut Kentler beim Jugendamt ein. Im selben Jahr 1989 legte Kentler ein Gutachten vor. Direkt am Anfang dieses Gutachtens, das der damalige Senat kannte, weil er es in Auftrag gegeben hat, schilderte Kentler unverblümt den Kindesmissbrauch. Der damalige Senat hat es geschafft, ein Päderastie unterstützendes Gutachten in Auftrag zu geben, und bis heute warten wir

leider vergeblich auf ein fundiertes Gutachten zur Aufarbeitung dieses staatlich geförderten Missbrauchs.

Auch wenn Frau Senatorin Scheeres immer wieder fälschlicherweise von „Ereignissen der Sechzigerjahre“ spricht, ist klar, das sogenannte Kentler-Experiment dauerte weit länger als zunächst angenommen. Das 2016 veröffentlichte Gutachten zeigt vor allem, so die Aussage der Forschungsleiterin, wie wenig die Berliner Senatsverwaltung mit den Forschern kooperierte. Es gibt nach wie vor 48 Meter unerschlossene Akten, aber der Senat macht diese Akten bis heute für die Aufarbeitung nicht zugänglich. Das ist nicht hinnehmbar, und das werden wir auch nicht hinnehmen, Frau Senatorin.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Unsere Anträge in der Beratung zum Nachtragshaushalt und zum Haushalt 2018/2019 im Landesarchiv, die Voraussetzung für eine schnellstmögliche Aufarbeitung zu gewährleisten, wurde mit der Begründung abgelehnt, der Senat sei bereits tätig.

[Katrin Seidel (LINKE): Eben!]

Dazu die Frage: Ist das denn überhaupt hier der Fall? Beginn der Gespräche über ein Folgeprojekt war im Februar 2017, also vor mehr als anderthalb Jahren. Frau Senatorin! Das ist nicht angemessen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Nehmen wir einen Vergleich: Um sich mit der Universität Hannover über ein Forschungsgutachten zu Kentler einig zu werden, brauchte Dr. Nentwig genau einen Tag. Einen Tag! Und Sie haben nach anderthalb Jahren immer noch nichts Konkretes vorzuweisen.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass der für Fritz H. zuständige Jugendamtsmitarbeiter später noch Karriere mit seinem SPD-Parteibuch gemacht hat und offenbar beste Beziehungen zu Frau Senatorin Scheeres und ihrer Staatssekretärin Frau Klebba unterhielt. Auch von diesem Mann wollen wir Antworten. Auch seine Rolle muss genau beleuchtet werden, Frau Senatorin, und vor diesem Hintergrund müssen Sie sich dann leider auch den Vorwurf gefallen lassen, hier würde Aufklärung bewusst verschleppt werden.

In der Presse müssen wir lesen, dass sich die Opfer vom Senat im Stich gelassen fühlen. Außer meiner Fraktion hat sich keine Fraktion aktiv für die Opfer eingesetzt. Herr Wesener von den Grünen erklärte im Kulturausschuss wiederholt, die AfD wolle die Gelegenheit nur parteipolitisch instrumentalisieren.

[Daniel Wesener (GRÜNE): So ist es!]

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch noch einmal bitten: Wissen Sie, gerade Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, sollten sich doch besonders zurück

(Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt)

halten, da es Ihre ehemaligen Spitzenpolitiker wie Daniel Cohn-Bendit und Volker Beck waren, die der Päderastie das Wort redeten. Sie sollten also so klein mit Hut sein.

[Beifall bei der AfD]

Ich komme auch gleich zum Ende. Die kritischen Forscher aus Göttingen, die dem Senat aufgrund ihrer offenen Pressepolitik offensichtlich unliebsam waren, wurden ausgebootet. Was uns jetzt leider droht, ist ein Alibiprojekt des Senats. Die besser angeleinten Forscher aus Hildesheim werden damit abgespeist, es gäbe keine Akten. So hakt der Senat die Sache offensichtlich für sich ab. Um dies zu verhindern, werden wir das Thema immer wieder auf die Tagesordnung bringen. Es gibt Akten, das wissen wir, und wir lassen nicht zu, dass es gelingt, staatlich geförderte Päderastie unter den Teppich zu kehren. – Danke schön!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die SPD-Fraktion hat nunmehr Frau KühnemannGrunow das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es ist richtig, es ist nur sehr schwer zu ertragen, dass es in den Siebzigerjahren in Berlin möglich war, obdachlose Jugendliche mit Duldung des Jugendamtes bei pädophilen Männern unterzubringen. Das ist erst einmal richtig, und das muss man auch so offen sagen. Das ist nicht nur aus heutiger Sicht verwerflich, auch in der damaligen Sicht war es bereits ein Verbrechen, im Rahmen eines pädagogischen Modellprojekts obdachlose Jugendliche gezielt in die Obhut von pädophilen Pflegevätern zu geben. Dass es Sexualkontakte und Missbrauch zwischen Kindern und Erwachsenen gab, wurde damals bewusst in Kauf genommen. Aber – und da stehe ich ganz an der Seite der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie –: Es besteht heute ein großes Interesse daran, das Wirken von Helmut Kentler in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe aufzuarbeiten.

Aus diesem Grund wurden Prof. Dr. Schröer und Prof. Dr. Baader von der Stiftung Universität Hildesheim beauftragt, im Rahmen des Forschungsprojekts das Wirken Helmut Kentlers in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe aufzuarbeiten. Es wurde ein Vorgehen verabredet; dieses hat sich noch nicht erschöpft, es ist noch nicht zu einem Ende gekommen.

In der ersten Phase des Projekts sollten – mit dem Ziel einer späteren Beauftragung durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und unter Hinzuziehung von Expertinnen und Experten – die bisherigen For

schungsarbeiten im Bereich dieser Thematik und die verfügbaren Quellen erkundet werden. – Ich finde es interessant, dass Sie wissen, dass es da Akten gibt; da wissen Sie mehr als ich. – Erst im Anschluss daran sollte eine Vorhabenbeschreibung erstellt werden.

Wenn man wissenschaftlich arbeitet, bedeutet das auch, dass man sehr sorgfältig vorgeht. Folgende Fragestellungen wurden festgelegt – erstens: Wie war das Wirken von Helmut Kentler in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe verankert? Verantwortlich und organisatorisch sowie fachlich gerahmt – war er überregional verflochten?

Zweitens: Wie kann die Aufarbeitung die Betroffenen in ihren persönlichen Rechten stärken? Wie können wir ihre Anliegen in der Aufarbeitung einbeziehen?

Drittens: Welche Konsequenzen ergeben sich? Und – und das ist mir sehr wichtig –: Welche Konsequenzen ergeben sich für unsere Arbeit heute, für die Jugendhilfe und für die fachliche Entwicklung von Organisationsstrukturen der Kinder- und Jugendhilfe?

Es wurde eine Förderung der ersten Phase des Pilotprojekts von 6 500 Euro vereinbart. Bis 31. Oktober dieses Jahres sollen die Vorgespräche mit Archiven und Expertinnen und Experten abgeschlossen und ausgewertet sein. Also – bis Oktober dieses Jahres!

[Karsten Woldeit (AfD): Fast zwei Jahre!]

Es ist nicht mehr lange hin. Bis November folgt dann eine Vorlage der Vorhabensbeschreibung. Für die angestrebte Gesamtumsetzung des Untersuchungsvorhabens jenseits des Teilauftrags sind insgesamt 75 000 Euro vorgesehen.

[Karsten Woldeit (AfD): In einem Zeitraum von zwei Jahren!]

Lassen Sie mich neben der Umsetzung aber noch etwas zu den Opfern sagen. Sie haben es eben selbst gesagt und den Vorwurf, den man Ihnen macht, selbst benannt. Das sogenannte Kentler-Experiment gehört zu den dunklen Kapiteln der Berliner Kinder- und Jugendhilfe; das bestreitet hier niemand. Insbesondere die Senatorin hat das deutlich gemacht. Es ist ganz schwer zu ertragen, dass Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre Jugendliche auf Trebe mit dem Ziel der Resozialisierung bewusst an pädophile Pflegeväter vermittelt wurden. Wir haben hier die Pflicht aufzuklären, und die nehmen wir auch wahr. Das macht die Senatsverwaltung ganz klar mit dem Gutachten und dem Forschungsauftrag. Das gebietet aber eben auch einiges an Behutsamkeit und wissenschaftlicher Expertise. Ich kann nur davor warnen, die Opfer zu instrumentalisieren. Das würde bedeuten, sie ein zweites Mal zu missbrauchen. Ich empfehle, erst einmal die Ergebnisse abzuwarten. Ich halte deshalb Ihren Antrag auch für erledigt. – Vielen Dank!

(Thorsten Weiß)