Protokoll der Sitzung vom 21.02.2019

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Wesener das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Mitte letzten Jahres, im Juni 2018, hat das Institut Forsa im Auftrag des Deutschen Beamtenbunds eine repräsentative Umfrage durchgeführt. Eine der Fragen lautete, ob die Befragten in ihrem Ar

beitsumfeld schon einmal Formen der sexuellen Belästigung oder von sexistischem Verhalten erlebt haben. – Das Ergebnis: 26 Prozent der Frauen – also jede vierte – ist nach eigenen Angaben schon einmal am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden. 19 Prozent gaben an, dergleichen bei Kolleginnen bereits miterlebt bzw. beobachtet zu haben.

Laut dieser Umfrage haben sich lediglich 44 Prozent der Betroffenen gegen dergleichen Übergriffe zur Wehr gesetzt, etwa indem sie sich einem Vorgesetzten oder dem Betriebsrat anvertraut haben. Die Mehrheit der Belästigten, nämlich 56 Prozent, hat laut eigener Aussage nichts unternommen.

Diese Forsa-Daten mögen vergleichsweise aktuell sein – neu im Sinne überraschender Erkenntnisse sind sie keineswegs. Das gilt auch für den Umstand, dass nur eine Minderheit der Frauen, die Opfer von Sexismus, sexualisierter Belästigung oder Gewalt geworden sind, dies melden oder zur Anzeige bringen. In der Kriminalstatistik des Landes Berlin beträgt der Anteil von Delikten gegen sexuelle Selbstbestimmung gerade einmal 0,7 Prozent aller erfassten Straftaten. Die Gründe dafür sind, wie wir aus diversen Dunkelfeldstudien wissen, vielfältig: In der erwähnten Forsa-Umfrage gaben z. B. 10 Prozent der Befragten an, dass sie aus Angst vor beruflichen Nachteilen geschwiegen hätten. Bei 6 Prozent war der Täter der eigene Vorgesetzte, gegen den die Betroffenen aus naheliegenden Gründen nicht vorgehen wollten oder konnten.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stellt in ihrem Leitfaden von 2018 „Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?“ zudem fest, dass sexuelle Belästigung oftmals gar nicht als solche erkannt wird und dass in vielen Fällen eine sogenannte Schuldumkehr stattfindet, also den belästigten Frauen direkt oder indirekt die Verantwortung für den verbalen oder körperlichen Übergriff zugewiesen wird. Dazu heißt es in dem Leitfaden – ich zitiere:

Für die Betroffenen wird sexuelle Belästigung dann zum doppelten Nachteil: Ihnen wird einerseits vollkommen ungerechtfertigt eine Mitschuld zugesprochen. Andererseits wird ihnen die Möglichkeit genommen, sexuelle Belästigung als solche zu benennen. Damit werden belästigte Personen davon abgebracht, sich zu wehren. Sie werden ein zweites Mal zum Opfer.

Was haben diese Zahlen mit unserer heutigen Debatte und dem Fall Hohenschönhausen zu tun? – Ich denke, mindestens zweierlei: Erstens zeigt der Vorgang, dass sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz genauso wie Sexismus, sexualisierter Machtmissbrauch und Gewalt gegen Frauen insgesamt eben kein randständiges Phänomen sind oder lediglich in gesellschaftlichen Nischen vorkommen. Nein, sexuelle Übergriffe sind in Deutschland Teil des Alltags, einschließlich des Berufsalltags, und machen dabei auch nicht Halt vor öffentlichen Ein

(Stefan Förster)

richtungen oder staatlichen Institutionen, in diesem Fall vor einer Gedenkstätte, die als Stiftung öffentlichen Rechts vom Land Berlin und der Bundesrepublik Deutschland finanziert wird.

Zweitens zeigt die Debatte, die in den letzten Monaten öffentlich und heute auch wieder seitens der Opposition geführt wird, warum so viele Frauen in Deutschland immer noch davor zurückschrecken, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren und gegen die Verantwortlichen vorzugehen. Denn was ist der eigentliche Skandal, den AfD, FDP und CDU in Sachen Hohenschönhausen meinen, ausgemacht zu haben? – Offenbar ja nicht der Umstand, dass ein stellvertretender Direktor dem Vorwurf ausgesetzt ist, über Jahre hinweg mehrere Frauen sexuell belästigt zu haben, wobei sein eigener Anwalt bereits ein Fehlverhalten seines Mandanten eingeräumt hat.

Skandalös findet die Opposition in diesem Haus auch nicht, dass der Direktor als oberster Personalzuständiger der Gedenkstätte diesem Treiben anscheinend tatenlos zugesehen hat. Die Betroffenen sprechen in diesem Zusammenhang nicht umsonst von strukturellem Sexismus. Nein, AfD, FDP und große Teile der CDU wittern statt dessen einen ideologisch motivierten Feldzug gegen den ehemaligen Gedenkstättendirektor Knabe, bei dem das Schicksal und die Vorwürfe der betroffenen Frauen allenfalls als willkommenes Alibi für eine politische Intrige von Stiftungsrat, Kultursenator und Kulturstaatsministerin herhalten mussten.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe und Beifall von der AfD]

Und genau das, liebe AfD, lieber Herr Förster, meint die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, wenn sie von dem Problem der Schuldumkehr spricht!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

In Ihren wüsten Verschwörungstherorien

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

ist Herr Knabe der Geschädigte, nicht die Frauen, die sich gegen sexuelle Belästigungen in der Gedenkstätte zur Wehr gesetzt und sein Führungsversagen öffentlich gemacht haben.

[Zuruf von Georg Pazderski (AfD)]

Damit werden Täter zu Opfern gemacht,

[Frank-Christian Hansel (AfD): Darum geht es doch gar nicht!]

während die eigentlichen Opfer auf die Rolle der nützlichen Idioten in einem abgekarteten Spiel der Politik reduziert werden.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Förster von der FDP zulassen?

Nein!

Das ist perfide, und dafür sollten sich die Verantwortlichen schämen. Ihr Vorgehen und die ganze Diskussion zeigen einmal mehr, wie viel Mut es braucht, sexuelle Belästigung beim Namen zu nennen und öffentlich zu machen. Umso mehr bedanke ich mich im Namen meiner Fraktion bei den Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte Hohenschönhausen dafür, dass sie nicht geschwiegen haben, obwohl ihnen bewusst gewesen sein muss, welche Reaktionen und Reaktionäre sie damit auf den Plan rufen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Apropos Reaktionäre: Zu der AfD und ihrem Antrag auf die Durchführung einer Aktuellen Stunde haben einige Vorredner schon das Notwendige gesagt. Die FDP kann sich ihre Krokodilstränen darüber, dass ihr die AfD das Thema wegzunehmen versucht, ebenfalls sparen. Wer so offensichtlich, Herr Förster, versucht, die AfD in puncto Populismus zu überholen, muss sich nicht wundern, wenn die einmal mehr unter Beweis stellt, dass rechts von ihnen nur noch die Wand kommt.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von Martin Trefzer (AfD)]

So, wie Sie, Herr Förster, in den Wald hineinrufen, schallt es dann eben auch heraus.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Super!]

Der Begriff der „Säuberung“ ist natürlich ein ebenso unterirdischer wie bewusster Versuch der Provokation. Was die AfD, Herr Trefzer, dabei vollkommen übersehen hat, ist die Tatsache, dass sie mit dieser terminologischen Gleichsetzung ausgerechnet jene Menschen herabwürdigt, die sie in der Causa Hohenschönhausen zu vertreten vorgibt. Was Sie hier betreiben, ist eine Herabwürdigung der Opfer von Stalinismus und kommunistischer Gewaltherrschaft. Sie relativieren damit politische Verbrechen, durch die Millionen von Menschen zu Tode gekommen sind, aber auch Unterdrückungsapparate wie die Staatssicherheit der DDR.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und

der LINKEN –

Zuruf von Martin Trefzer (AfD) –

Umgekehrt!]

Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen eigentlich bewusst ist, dass Sie sich mit der Einreichung dieser Aktuellen Stunde aus der Debatte um die ehemalige Stasi-Untersuchungshaftanstalt und heutige Gedenkstätte Hohenschönhausen endgültig verabschiedet haben, Herr Trefzer!

Damit komme ich zum Antrag der FDP auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses: Zu diesem Antrag hat eine Person in diesem Haus in einem Satz aus meiner Sicht alles Nötige gesagt. Ich zitiere:

Die Position ist, dass wir keinen Untersuchungsausschuss für angemessen halten und deshalb auch keinen machen werden.

Das sind Ihre Worte, Herr Dregger! Keine nachträgliche verbale Verrenkung wird die jemals zurückholen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Ich will mir nicht ausmalen, welche Diskussionen Sie und Ihre Landesvorsitzende in der eigenen Partei in den vergangenen Wochen führen mussten, aber mein Mitleid hält sich in Grenzen. Denn es wäre Ihre Verantwortung gewesen, Herr Dregger, einer Fraktion, deren Vorsitzenden Sie sich nennen, klar zu machen, dass ein Untersuchungsausschuss als schärfstes Schwert des Parlaments eben nicht dem primären Zweck dient, die eigenen Spitzenleute zu köpfen. Ihre CDU-internen Querelen und die offenen personalpolitischen Rechnungen sind mir herzlich egal, solange sie nicht zu einem Missbrauch parlamentarischer Minderheitenrechte führen, die auf dem Rücken dieses Hauses ausgetragen werden.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Eines, Herr Dregger, muss Ihnen doch klar sein: Ein vorgeblicher Oppositionsführer, der tagein, tagaus in dieser Stadt herumläuft und den starken Mann markiert, es dann aber noch nicht einmal schafft, den Kollegen Kutte Wansner auf Linie zu bringen,

[Heiterkeit]

kann sich den Anspruch auf Führung wirklich in die Haare schmieren.

[Beifall und Johlen bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Wenn Sie Ihre eigenen Leute schon gar nicht mehr ernst nehmen, warum sollten wir, warum sollten die Berlinerinnen und Berliner es tun? Herr Dregger! Wenn Sie ehrlich sind, werden Sie zukünftig bei jeder Ihrer Aussagen eine Fußnote anklemmen, die da heißt: Diese Aussage ist ohne politische Gewähr vorbehaltlich der gegenteiligen Meinung einer Mehrheit in meiner Fraktion. – Somit stehen ein Verlierer und eine Verliererin eines möglichen Untersuchungsausschusses Hohenschönhausen

bereits vor dessen Einsetzung fest, nämlich Herr Dregger