Protokoll der Sitzung vom 21.03.2019

[Beifall bei der AfD]

Kommen wir jetzt zum eigentlichen Thema: Enteignungen.

[Torsten Schneider (SPD): Sagen Sie mal was Politisches!]

Kollege Dregger hat es vorhin schon angedeutet und gesagt: Es stehen Kosten bis zu 36 Milliarden Euro im Raum. – Zur Erinnerung: Allein der Kernhaushalt von Berlin hat 58 Milliarden Euro. Nach über einem Jahrzehnt Finanznotstand befindet sich Berlin endlich auf dem Weg der Besserung – dank Nullzinspolitik der EZB und der künstlichen deutschlandweiten Hochkonjunktur.

[Zuruf von Andreas Kugler (SPD)]

(Katrin Schmidberger)

Berlin zahlt inzwischen deutlich weniger Zinsen als noch vor Jahren.

[Torsten Schneider (SPD): Jetzt müssen Sie nur noch sagen, Sie haben was damit zu tun!]

Was macht der Berliner Senat damit, Herr Schneider? – Statt die Chancen dieser Zeit zu nutzen, verfällt er in ein gemeinschaftliches rot-rot-grünes Delirium.

[Beifall bei der AfD]

Statt Bauvorschriften zu entrümpeln, Bauleitplanungen zu straffen, Investoren nach Berlin zu holen und damit mehr Wohnraum zu schaffen, liebäugelt der Senat mit dem radikalen Schwert der Enteignung. Statt Zahlen, Daten und Fakten vernünftig auszuwerten, wird über Vergesellschaftung schwadroniert – Vergesellschaftung als linkes Framing für das böse Wort Enteignung.

[Katrin Schmidberger (GRÜNE): Grundgesetz!]

Allein die aktuelle Debatte um eine mögliche Enteignung trägt zur nachhaltigen Beschädigung des internationalen Rufes von Berlin bei. Denn wer wäre betroffen? – Zu großen Teilen internationale Unternehmen, israelische Unternehmen, Unternehmen, die global unterwegs sind. Ist das jetzt plötzlich die Kehrtwende von Links-Links weg von der Globalisierung? – Ich weiß es nicht. Laut Initiator der Volksinitiative „Deutsche Wohnen enteignen“ können beispielsweise Wohnungen der Evangelischen Kirche doch direkt an die Mieter verschenkt werden.

[Heiterkeit von Ronald Gläser (AfD)]

Sind denn Wohnungen auf einmal nichts mehr wert?

[Zuruf von Tobias Schulze (LINKE)]

Die AfD hat in der letzten Hauptausschusssitzung einen Besprechungspunkt angemeldet, um den bisher kolportierten Zahlen und Daten auf den Grund zu gehen. Stellen Sie sich vor, es war nicht der erste, sondern es ist einer von vielen.

[Sebastian Walter (GRÜNE): Hui!]

Was kostet uns die links-grüne-kommunistische Träumerei aus Phantasialand? – So ganz klar ist das nicht. Der Finanzsenator sprach vom Ertragswert als Grundlage, die Linke von einer möglichen Entschädigungszahlung.

Wir wollen Transparenz und haben die Hochrechnungen sowie Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen des Senats zur Einsichtnahme angefordert. Hoffentlich bekommen wir diese Unterlagen bald zu Gesicht, denn schon seit Langem warten wir auf das Gutachten zur Höhe der Pensionsverpflichtungen des Landes Berlin, den tatsächlichen Erhaltungs- und Investitionsbedarf des Landes Berlin, auf den Senatsentwurf zur Schuldenbremse. – Bisher ist nichts da.

Moody’s schätzt, dass allein der Level an ungedeckten Pensionsverpflichtungen Berlins die jährlichen Einnah

men übersteigt. Vor diesem Hintergrund stellt die Debatte um Enteignungen eine extreme zusätzliche Belastung der Bonität Berlins dar. Schulden, Investitionsstau, Pensions- und Enteignungslasten sind für Ratingagenturen ein toxisches Gebräu. Das vorsätzliche Vertreiben und Brandmarken von Investoren sind es ebenfalls. Addiert man das alles zusammen, kommen wir in Berlin auf einen dreistelligen Milliardenbetrag. Wer, bitte schön, soll das denn bezahlen? – Die Hauptstadt Deutschlands wird unter RotRot-Grün zu einem Fanal für die DDR 2.0.

[Beifall bei der AfD – Lachen von Torsten Schneider (SPD)]

Da brauchen Sie gar nicht zu lachen! Sie betreiben Rotfrontpolitik.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD) – Frank-Christian Hansel (AfD): Weil sie den Scheiß erlebt hat! Sie kommt da her!]

Hören Sie endlich auf, die Zukunft unserer Stadt zu verspielen! Hören Sie auf, über Enteignungen zu fabulieren! Fangen Sie lieber endlich damit an, zu bauen! Sorgen Sie für ein prosperierendes Berlin, damit die Menschen nicht auf soziale Almosen angewiesen sind. Armutsoptimierung durch Rückgriff auf sozialistische Instrumente ist keine Alternative. Setzen Sie als Senat ein deutliches Zeichen und sagen Sie endlich klar Nein zu dieser unsäglichen Enteignungsdebatte. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Für den Senat spricht nun Herr Dr. Kollatz. – Bitte schön, Senator!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich fange einmal mit dem Thema Rating an. Jeder lebt auch ein Stück weit von seinen Erfahrungen. Einige von Ihnen hier im Haus wissen, dass ich ab dem Jahr 2006 bei einer der größten Förderbank der Welt, nämlich der Europäischen Investitionsbank für Risikosteuerung zuständig war. Damals bescheinigte eine auch heute weiterhin aktive internationale Ratingagentur, die auch in Berlin bekannt ist, isländischen Banken ein sogenanntes Triple A, und zwar wegen der Haftungsbereitschaft des Staates für eine sparkassenähnliche Konstruktion. Damit hat sie sehr weit reichende, in den zweistelligen Milliardenbereich hineinreichende Finanzvolumina als praktisch ausfallimmun erklärt. Denn das bedeutet Triple A. Island hat ungefähr die Einwohnerzahl von Steglitz-Zehlendorf. An dem Fall konnte man sehen, dass Ratingagenturen eben durch das Absegnen oder Befördern von sehr spekulativen Finanzprodukten natürlich dazu beigetragen haben, dass es die Finanzkrise gab. Sie haben sie mit

(Dr. Kristin Brinker)

herbeigeführt. Insofern sind Stellungnahmen von Ratingagenturen durchaus mit Vorsicht zu genießen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Ich habe damals in der Europäischen Investitionsbank dafür gesorgt, dass wir, weil wir gesagt haben, offenkundig stehen wir deswegen im Vorfeld in einer großen Finanzkrise, eine sehr risikoaverse Politik betreiben, die übrigens dazu geführt hat, dass die Europäische Investitionsbank nichts in der Krise verloren hat. Darauf bin ich heute noch stolz.

Wir haben in Berlin noch immer 58 Milliarden Euro Schulden, hoffentlich demnächst weniger, weil wir durchaus aus dem Jahresabschluss 2018 einen signifikanten Betrag tilgen wollen. Dabei ist es eben nicht egal, zu welchen Konditionen wir – auch wenn wir keine neuen Schulden machen – aufnehmen und zu welchen Laufzeiten wir aufnehmen. Ich habe schon mehrmals im Hauptausschuss und auch hier im Haus vorgestellt, dass eine gezielte Strategie des Landes Berlin dahin geht, möglichst lange Laufzeiten aufzunehmen. Denn wenn die Zinsen in Zukunft einmal steigen – und das wird irgendwann einmal sehr wahrscheinlich geschehen, weil wir eine eher abnorm niedrige Zinssituation haben –, dann ist es eben nicht egal, ob wir 10 Milliarden Euro im Jahr aufnehmen müssen oder 5 Milliarden Euro. Wir arbeiten daran, dass wir in Zukunft 5 Milliarden Euro aufnehmen werden. Wir sind schon relativ weit gekommen. Das bedeutet aber eben, dass wir auf lange Laufzeiten von 15 Jahren angewiesen sind. Das haben wir uns in den letzten Jahren erarbeitet. Dass wir an den Märkten Papiere mit solchen langen Laufzeiten bekommen können, das ging vor zehn Jahren noch nicht. Das ging auch vor acht Jahren noch nicht. Das haben wir uns erarbeitet.

Da bringe ich jetzt ein Beispiel, weil jeder von seinen Erfahrungen lebt: China ist zum Beispiel mit seiner Finanzagentur, die heißt SAFE, der größte Käufer von USAnleihen weltweit. Gerade die Europäer müssen doch ein hohes Interesse daran haben, dass SAFE nicht nur USDollar-Anleihen kauft, sondern auch im Euroraum Anleihen kauft, das heißt, auch in Berlin. Genauso, wie wir als Berliner Finanzverwaltung kein detailliertes Wissen über die Finanzsituation einzelner Städte in China haben, wäre es sicherlich zu viel verlangt, dass die chinesische Finanzagentur SAFE ein detailliertes Wissen über die Situation von Anleihen einzelner Städte in Europa, in Deutschland hat, z. B. auch Berlin. Diese stützt sich deshalb auf Ratingagenturen, und deswegen sind wir an diesem Punkt verwundbar.

Wenn Ratingagenturen negativ auf Berlin reagieren, wenn das tatsächlich geschehen sollte, dann wird das nicht dazu führen, dass wir deutlich mehr Zinsen zahlen, aber es wird dazu führen, dass uns der Weg in die langen Laufzeiten ein Stück weit versperrt wird. Deswegen muss man das ernst nehmen, und das tun wir auch. Wir arbei

ten an dem Thema. Es ist aber wichtig, dass wir das Ziel mit den langen Laufzeiten verfolgen. Es ist auch wichtig, dass das Parlament uns dabei unterstützt. SAFE hat zur allgemeinen Überraschung vieler anderer Bundesländer in den letzten Jahren häufig Berliner Anleihen gekauft.

Das führt zum zweiten Thema: Wir versuchen, mit Fakten zu überzeugen. Dem Land Berlin ist es auf einem schmerzhaften Weg gelungen, finanzielle Nachhaltigkeit zurückzugewinnen. Vor Kurzem konnten wir den siebten positiven Haushaltsabschluss hintereinander vorlegen. Dieses Jahr arbeiten wir an dem achten positiven Abschluss in Folge, und ich bin ganz optimistisch, dass uns das gelingt. Es gibt also keinen GAU.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir überzeugen durch Realität, und das gilt auch in Zukunft. Wir führen den politischen Zweiklang von investieren und konsolidieren fort, und zu dem gehört auch das Konsolidieren. Ich habe ich von Anfang an bei meinem Amtsantritt als Finanzsenator deutlich gemacht, dass es beides geben wird. Bitte spielen Sie das nicht gegeneinander aus. Es wird mehr Investieren geben als in der Vergangenheit, aber es wird auch das Konsolidieren geben. Die vorausschauende und strategische Haushaltspolitik ist die Voraussetzung auch für den kommenden Doppelhaushalt. Ich sage zu, dass auch das neunte und zehnte Jahr in Folge mit positiven Zahlen beplant werden. Das Vertrauen, um das Berlin lange Zeit gekämpft hat, wird auch für die Zukunft gesichert. Wir überzeugen mit Fakten.

Zum dritten: Die Entwicklung, über die wir hier jetzt reden, hat viel damit zu tun, dass es eine problematische Entwicklung in der Stadt bei den Mieten gibt. Die Mietenentwicklung ist der Treiber. Es geht dabei viel weniger um den Finanzmarkt. Das Ansinnen, dass es eine Mietenentwicklung gibt, ist nachvollziehbar. Seit 2012 – man kann auch andere Startpunkte nehmen, aber dann ist es nicht wesentlich anders – steigen die sogenannte Angebotsmieten in Berlin, wie auch jährlich von der Investitionsbank berichtet wird, im Schnitt jährlich um 6,3 Prozent. Die sozialen Folgen schlagen unmittelbar auf die Menschen durch, die eine neue Wohnung suchen oder suchen müssen. Sie schlagen viel weniger auf diejenigen durch, die eine Wohnung haben, in der Wohnung bleiben oder auch in der Wohnung bleiben können. Das heißt also: Diejenigen, die sich am Wohnungsmarkt bewegen, tragen die Lasten dieser Entwicklung, und das führt dazu, dass es tatsächlich immer schwerer wird, wenn Normalverdienerinnen und Normalverdiener eine neue Wohnung in Berlin suchen oder suchen müssen, auch eine Lösung dafür zu finden.

In dem Zusammenhang – damit das auch klar ist –, will ich sagen: Einer der Initiatoren des Volksbegehrens zur Enteignung hat mir noch vor wenigen Jahren entgegen

(Senator Dr. Matthias Kollatz)

geschleudert, dass es das Wichtigste sei: Weg mit dem Neubauwahn! – Das habe ich immer für falsch gehalten.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Und das haben wir als Senat auch immer gesagt. Das heißt also: Wer das Mietenthema angehen will, muss wissen, dass es auch immer um das Thema Neubau geht.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Und da gibt es eine klare Prioritätensetzung – die hat der Regierende Bürgermeister mehrmals deutlich gemacht –, dass Neubau die erste Priorität hat,

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der AfD]

dass es wichtig ist, das Thema Neubau um das Thema Mietrecht zu ergänzen, wo wir über die Bundesebene gerne sehr viel mehr sehen würden und auf Landesebene das machen wollen, was wir können.