Protokoll der Sitzung vom 12.01.2017

[Carsten Schatz (LINKE): Das sind zwei! – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

deren Ideologieprojekte wie Unisextoiletten oder anderen Unsinn aufquatschen lassen. Aber wenn Sie die Sicherheit der Berliner gefährden, hört der Spaß langsam auf. Ich erwarte von Bürgermeister Müller, dass er endlich Durchsetzungsvermögen und Führungsstärke zeigt. Das ist er den Berliner Bürgern schuldig. Das Bild, das die Koalition hier zu Beginn abliefert, ist jedenfalls ein Trauerspiel. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der AfD – Stefan Franz Kerker (AfD): Bravo! – Zuruf von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat der Kollege Schrader das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier schon oft über Videoüberwachung diskutiert. Was hat sich jetzt geändert? – Es gab einen grausamen Anschlag in Berlin. Wenn wir uns fragen, ob die Konsequenz daraus der allgemeine Ausbau von Videoüberwachung sein muss, dann lautet die Antwort: Nein! Terroristen lassen sich dadurch nicht abschrecken; ich glaube da sind wir uns alle – oder fast alle – einig.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Es geht nicht um Abschreckung!]

Im Gegenteil! Sie suchen die maximale Öffentlichkeit, um Angst und Schrecken zu verbreiten, da hatte Klaus Lederer recht, wenn er darauf hinweist.

[Beifall bei der LINKEN – Karsten Woldeit (AfD): Blödsinn! – Frank-Christian Hansel (AfD): Ist doch lächerlich!]

Auch die Ergreifung des Attentäters ist durch eine ganz gewöhnliche, klassische Polizeikontrolle geschehen. Wenn also einige meinen, das wäre nun der Grund, um genau jetzt nach dauerhafter Videoüberwachung auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu rufen, dann ist das nicht nur vollkommen an der Sache vorbei, es ist auch der übliche Reflex bei vielen sogenannten Sicherheitspolitikern, im Rückenwind einer aufgebrachten Debatte zu versuchen, die angestaubten Forderungen nach härteren Gesetzen wieder in den politischen Ring zu werfen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Marcel Luthe (FDP)]

Und gerade bei Ihnen von der CDU ist das so. Fünf Jahre lang hat Ihr Innensenator nichts auf die Reihe gekriegt. Auf den letzten Drücker hat er hier einen mangelhaften Gesetzentwurf eingebracht und ist damit auf die Nase gefallen. Jetzt bringen Sie genau diesen Entwurf noch mal ein und zeigen mit dem Finger auf andere. Das ist schon ziemlich bizarr, muss ich sagen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Frank Zimmermann (SPD) und Benedikt Lux (GRÜNE)]

Einer der schlimmsten Scharfmacher ist leider unser Bundesinnenminister. Herr de Maizière hat gesagt:

Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten hat Sicherheit Vorrang.

[Beifall bei der AfD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Diese Einstellung regt mich wirklich ein bisschen auf, nach dem Motto: Grundrechte sind so ein Spielzeug, ein Luxusproblem für schöne Zeiten.

[Zuruf von der AfD]

Jetzt gab es einen Anschlag, und jetzt sollen diese Datenschützer mal schön die Klappe halten und uns nicht ins Handwerk pfuschen. – Das hat mit freiheitlichen Werten nichts mehr zu tun, und unser Grundgesetz wird damit auch nicht verteidigt.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

So lässt man die Terroristen gewinnen.

Jetzt nehmen wir den Anschlag beiseite, man muss die Dinge ja trennen:

[Heiko Melzer (CDU): Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein!]

Sie behaupten in Ihrem Antrag, mit Videoüberwachung könne man kriminalitätsbelastete Orte allgemein sicherer machen. Über Sie rechts außen will ich gar nicht reden. Sie wollen ja die gesamte Stadt zu einem gefährlichen Ort erklären und damit die flächendeckende Videoüber

(Marc Vallendar)

wachung ermöglichen. Das ist wirklich jenseits von Gut und Böse und wird auch durch Ihre wirre Argumentation nicht besser.

[Zuruf von der AfD]

Ich sage Ihnen, was die Stadt sicherer macht, man muss es ja leider immer wieder sagen:

[Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Wenn wir es schaffen, die Polizei so auszustatten, dass sie im öffentlichen Raum präsenter sein kann, wenn es mehr Personal im ÖPNV gibt, das eingreifen kann, wenn wir an bestimmten Orten mobile Wachen einrichten, auf all das haben wir uns geeinigt, wenn wir die Arbeitsbedingungen bei der Polizei so verbessern, dass sie einen funktionierenden Digitalfunk hat, dass ein ordentliches Einsatz- und Schießtraining stattfindet und dass sie ordentlich besoldet wird, dann ist das ein größerer Gewinn für die Sicherheit, als ihn Gesetzesverschärfungen jemals bringen können.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und bei der FDP]

Wenn Sie belegen wollen, dass die dauerhafte Videoüberwachung das bessere Instrument ist, dann müssen Sie schon mehr vorlegen als ein paar Einzelfälle. Natürlich gibt es Straftaten, bei denen die Bilder zur Ergreifung des Täters beitragen. Das bestreitet niemand. Bei einzelnen Veranstaltungen oder ähnlichen Anlässen, wenn es eine Gefahrenprognose der Polizei gibt, ein Sicherheitskonzept, dann kann man prüfen, ob das temporär Sinn macht. Das gibt das Gesetz schon her. Aber wenn es um generelle Überwachungsmaßnahmen geht, um Maßnahmen, die die Grundrechte von uns allen einschränken, dann ist die einzelne Straftat kein guter Ratgeber. Dann müssen wir uns schon fragen, ob die Videoüberwachung nachweislich die Kriminalitätsrate senkt, ob dadurch insgesamt weniger Straftaten passieren. Nach all dem, was wir wissen, nehmen wir London, nehmen wir Potsdam oder andere Städte, dann ist das nicht der Fall. Das hat nichts mit Ideologie zu tun. Es geht uns hier um eine rationale Sicherheitspolitik, die sich an Fakten orientiert. Wir wollen Sicherheit nicht nur vortäuschen, wir wollen Sicherheit schaffen. Deswegen werden wir solchen Gesetzesverschärfungen nicht zustimmen. So einfach ist das. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Luthe das Wort. – Bitte schön!

[Benedikt Lux (GRÜNE): Farbe bekennen!]

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der hier vorgestellte Entwurf zu einer Videoüberwachung in Berlin – es ist von der CDU im Wahlkampf oft von Videotechnik gesprochen worden, also quasi von VHS-Technik – gehört genau in diese Zeit und ist Sicherheitspolitik der Achtzigerjahre des letzten Jahrtausends.

[Beifall bei der FDP, der LINKEN und den GRÜNEN – Heiterkeit bei der LINKEN]

Wir brauchen keine Aufzeichnung von Straftaten. Berlin braucht – und dazu hatten wir in den letzten fünf Jahren durch Ihre Koalition theoretisch Gelegenheit, praktisch ist nichts passiert – live Polizei vor Ort, um Taten tatsächlich zu verhindern und Verdächtige unmittelbar zu verfolgen. Eine stationäre Videoüberwachung, wie sie jetzt an vielen Stellen praktiziert wird, führt gelegentlich in der Tat zu Zufallsfunden bei Tatverdächtigen und auch nicht mehr. Sie senkt vor allem aber auch nicht die Rate der Straftaten, sondern sie verlagert allenfalls Straftaten. Das zeigen nicht nur vergleichsweise exotische Standorte wie London oder New York, sondern das zeigt Potsdam, aber auch Berlin. Die BVG hat im Jahr 2009 eine Studie zu genau dieser Frage angestellt und festgestellt, dass Videoüberwachung rein gar nichts bringt.

Die stationäre Überwachung verhindert keine einzige vorsätzliche, geplante Straftat, sie sorgt nur dafür, dass sie an einer anderen Stelle stattfindet und bedient damit ein Bedürfnis, danach vielleicht nicht mehr in der Presse davon zu lesen, dass was passiert. Sie sorgt aber nicht dafür, dass die Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner – und die muss unser Ziel sein – tatsächlich gesteigert wird.

Wenn nun einzelne Berichte dazu erfolgen, dass Videoüberwachung zur Ergreifung eines Täters geführt habe, dann haben wir, glaube ich, in jüngster Zeit drei oder vier Fälle, in denen tatsächlich ein Tatverdächtiger mit Videoüberwachung gefunden wurde. Auch da hilft ein Blick in die Kriminalstatistik. Wir haben rund 600 000 Straftaten in Berlin, von denen mittlerweile nur noch 42 Prozent aufgeklärt werden. Das sind aber immer noch rund 250 000 Straftaten, die ganz klassisch durch Polizeiarbeit aufgeklärt werden. Deshalb brauchen wir mehr Polizei und nicht mehr Kameras in dieser Stadt.

[Beifall bei der FDP und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Die Formulierung „gefährlicher Orte“ in Berlin, die teilweise aus der juristischen Literatur übernommen wurde, allen Ernstes in ein Gesetz zu schreiben, ist allein schon eine absolute Bankrotterklärung. Eine Stadt muss an allen Stellen sicher sein. Das kann sie nur durch eine Polizeipräsenz. Im Gesetz festzustellen, dass wir „gefährliche Orte“ in Berlin haben, an die man sich nicht mehr so einfach begeben kann, um Gottes willen, was soll denn

(Niklas Schrader)

das für die Sicherheit in dieser Stadt, für unser Selbstverständnis davon, was wir hier tun, bedeuten?

[Beifall bei der FDP, der LINKEN und den GRÜNEN]

Es sind in den letzten Beiträgen schon einige Zitate verwendet worden. Ich möchte auch noch auf eines zurückgreifen. Unter diesem Aspekt werden wir Freien Demokraten unsere Position zur Sicherheitspolitik in den nächsten Wochen genauer darlegen.

Wir müssen für die Freiheit planen und nicht für die Sicherheit, wenn auch vielleicht aus keinem anderen Grund als dem, dass nur die Freiheit die Sicherheit sichern kann.

So Karl Popper in seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“. Ihr Entwurf, liebe Damen und Herren von der CDU insbesondere, opfert diese Freiheit nicht einmal der Sicherheit, sondern lediglich einer Illusion von Sicherheit. Deshalb werden wir diesen Antrag in dieser Form ablehnen.

[Beifall bei der FDP, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Grüne hat der Kollege Lux das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anhand der vorgetragenen Rede gerade eben kann man ja vor allem dem Antragsteller seine Illusion nehmen, hier würde ein linkes Projekt die ausufernde Videoüberwachung verhindern.

[Zuruf von Michael Dietmann (CDU)]