Protokoll der Sitzung vom 12.01.2017

Deswegen will ich auch gerne den Vorschlag der Kollegin Kapek von heute Morgen aufgreifen. Selbstverständlich muss es auch hier im Abgeordnetenhaus in dieser Legislaturperiode wieder eine Stasi-Überprüfung geben. Das ist, wie in früheren Legislaturperioden, notwendig. Es muss ein Ehrenrat eingesetzt werden; der kann sich differenziert mit diesen Positionen auseinandersetzen und dann auch zu Beurteilungen kommen. Aber: Die Wählerinnen und Wähler, die uns alle hierher geschickt haben, haben ein Recht darauf zu erfahren, wer hauptamtlich oder inoffiziell, wissentlich und willentlich für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hat. Deswegen sollten wir nicht lange zögern, sondern zu einer der nächsten Sitzungen diesen interfraktionellen Antrag vorlegen. Es ist unsere Pflicht als Parlament, hier für Transparenz zu sorgen,

(Katina Schubert)

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

gleichzeitig das auch allen Bezirksverordnetenversammlungen zu empfehlen. Mein Heimatbezirk TreptowKöpenick macht das seit 1990. Die Linken machen da immer zähneknirschend mit, unterzeichnen wollen sie den Antrag dann aber auch nicht. Aber immerhin gibt es dort auch Ergebnisse, über die man diskutieren kann. Viele andere Bezirke weichen dem aus. Es würde im Übrigen, das darf ich an der Stelle ebenfalls anmerken, auch den Bezirksverordnetenversammlungen im ehemaligen Westteil der Stadt gut anstehen, das einmal zu überprüfen, denn wir wissen, dass auch in West-Berlin eine hohe Stasi-Dichte vorhanden war,

[Beifall bei der FDP]

auch in der Verwaltung, in der Polizei- und den Senatsverwaltungen und anderswo. Auch das ist beim Thema Aufarbeitung der SED-Diktatur noch eingehender zu untersuchen. In diesem Bereich gibt es sehr wenige Hinweise.

Dann bitte ich ausdrücklich darum, Ausstellungen z. B. der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Anspruch zu nehmen, die uns regelmäßig anschreibt. Das kann in jedem Bezirk gemacht werden; in jedem Rathaus, in jeder Senatsverwaltung können solche Ausstellungen gezeigt werden. Auch hier gibt es immer noch Bezirke, die da sehr zögerlich sind.

Alles in allem, und das ist an der Stelle auch mein Fazit, weil die Uhr gleich abläuft: Wir können es nicht dabei belassen, uns nur auf die Landesregierung zu konzentrieren. Die Kritik des Kollegen Rissmann – alles richtig, vollkommen nachvollziehbar. Herzlichen Dank auch an die Kollegin Dr. West, die das sehr couragiert vorgetragen hat, da viele Leute aus der SPD ja gerade über die Wendezeit und die Bürgerrechtsbewegung in die Politik gekommen sind. Es muss aber für uns als Liberale klar sein: Wir wollen keine Senatoren, keine Abgeordneten, die in irgendeiner Form Stasi-belastet sind. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jetzt der Kollege Gelbhaar.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Bereits in seiner Erklärung zu den Richtlinien der Regierungspolitik hat der Regierende Bürgermeister heute zu Recht darauf hingewiesen: Das vorliegende Thema ist auch und gerade fast 27 Jahre nach der Wiedervereinigung 1990 aktuell und in der gesellschaftlichen Debatte. Diese Debatte fordern und fördern wir als Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist uns wichtig, aus unserer Ge

schichte heraus, aus unserem Selbstverständnis als Bürgerrechtspartei heraus. Wir haben deswegen auch im Koalitionsvertrag verankert, dass wir als Rot-Rot-Grün vor allem den Dialog mit den Opfern von DDR-Unrecht suchen und gestalten wollen, dass wir diesen Dialog als Gesellschaft brauchen. Vielleicht ist es für uns als Bündnis 90/Die Grünen ein Stück weit darüber hinaus auch unsere Rolle, dabei im Gespräch mit unseren verschiedenen Partnern und Mitstreiterinnen und Mitstreitern einen nächsten Schritt zu definieren. Es wird kein Schlussstrich sein, das ist klar, den wird es nicht, den kann es nicht geben,

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Aber es könnte ein nächster Schritt nötig sein im Rahmen der Aufarbeitung, auch der Aussöhnung. Die Wunden bei den Opfern kann das nicht heilen, aber es kann helfen, für das Auskommen miteinander bessere Lösungen zu finden.

Die Gesellschaft, die dieses eigentlich hätte leisten müssen, die DDR-Gesellschaft, gibt es nicht mehr. Die Menschen in der DDR haben 40 Jahre lang eine Diktatur erlebt und ertragen, bevor 1989 das Land reformiert und freie Wahlen 1990 in der DDR erreicht wurden, die dann zur Vereinigung und damit auch zum Ende der ostdeutschen Gesellschaft geführt haben. Also sind es jetzt die Bundesrepublik und dort insbesondere die fünf neuen Bundesländer und Berlin, die in der Pflicht stehen, diese gesellschaftliche Auseinandersetzung weiter zu entwickeln, diese nächste Stufe der Aufarbeitung zu skizzieren, zu beschreiben und zu nehmen. Das gilt gerade auch in Berlin.

Dabei sind wir mitnichten die Einzigen, die sich solchen Fragen stellen müssen. In Polen, Tschechien, Litauen, Ungarn – überall stellen sich diese Fragen, und jeweils gibt es nicht die eine Antwort, wie dieser Antrag hier behauptet. Auch der Koalitionsvertrag in Thüringen setzt vor und nach dem hier zitierten Satz weitere wesentliche und wichtige Sätze, die hier fehlen.

Zum Anlass des Antrags. Der ganze Vorgang hat zwei Teile. Der vorliegende Antrag thematisiert nur den ersten. Der Antrag fordert, dass kein Mitarbeiter des Sicherheitsapparats der DDR der Regierung angehören darf. Unabhängig davon, dass der Antrag überdehnt gefasst ist, stellt sich die Frage, ob ein 18-Jähriger nach über 25 Jahren allein wegen einer kurzen Zugehörigkeit zur Stasi nicht in der politischen Exekutive mitarbeiten darf. Das ist in dieser Pauschalität problematisch. Dabei möchte ich gerne beispielsweise auf den Artikel von Johannes Eisenberg in der gestrigen Ausgabe der „taz“ hinweisen. Er hat dabei die Schuldfrage insbesondere von jungen Heranwachsenden thematisiert und damit einen sehr nüchternen, juristischen Blick in dieser hochpolitischen Debatte gewagt und Maßstäbe herangezogen, wie sie in der Bundesrepublik bei der Bewertung von Schuld und Folgen

(Stefan Förster)

standardmäßig seit Jahrzehnten angelegt werden. Das ist, und das sage ich dazu, wahrlich nicht der einzige Maßstab in dieser Frage, aber ein notwendiger Blickwinkel, denn eine Entscheidung gemäß diesem vorliegenden Antrag würde beinhalten, dass ohne Ansehung der Person, ohne Differenzierung, völlig pauschal Menschen mit einer zudem sehr kurzen ostdeutschen Biografie nicht mehr in einer Regierung mitmachen dürften. Das ist so falsch.

Als Bündnisgrüne wollen und werden wir differenzieren. Es ist schwer, sich in einer Diktatur aufzulehnen, dadurch Unrecht an sich selbst oder nahestehenden Dritten zu riskieren. Es ist leichter, sich anzupassen. Es ist sogar möglich, an eine Diktatur geglaubt zu haben. Heute sind die Anpasser und Mitmacher gefordert, über genau diese ihre Rolle zu reflektieren. Ich persönlich hatte das Glück, als Kind in so etwas nicht einbezogen zu sein, keine solchen Entscheidungen treffen zu müssen. Es ist heute leichter, über die zu richten, die damals nicht aufgestanden sind, die sich anpassten oder gar mitmachten. Dem muss sich Andrej Holm stellen. Und ich sage auch, dass mir einige seiner Äußerungen in den letzten Wochen dabei unverständlich sind und dass Andrej Holm und auch die Fraktion Die Linke hier besonders in der Verantwortung sind.

Damit sind wir beim zweiten Teil des Vorgangs. Das betrifft den Umgang mit der eigenen Vergangenheit, wohlgemerkt mit der eigenen, nicht mit der gesammelten Vergangenheit eines Staates. Dazu sagt der thüringische Koalitionsvertrag ebenso deutlich, dass mit allen, die in der DDR Schuld auf sich geladen haben, die Schuld aber eingestehen, bekennen und ihren Beitrag zur Aufarbeitung leisten wollen, dass mit all diesen zusammengearbeitet wird.

Ich will und ich werde jetzt nicht der Erklärer, der Ankläger oder gar der Verteidiger von Andrej Holm sein. Dazu gibt es in meiner Fraktion übrigens sehr unterschiedliche Auffassungen. Es ist aber schwierig, anhand einer Personalie den weiteren Umgang mit systematischem Unrecht in der DDR klären zu wollen. Deswegen sage ich auch: Dieser Antrag wird dem Thema nicht gerecht. Er wird den betroffenen Menschen aus den beschriebenen und weiteren Gründen nicht gerecht.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Diese Aussprache zeigt, wie wichtig die Befassung mit dem Thema ist, wie viele Verletzungen, wie viel Leid, wie viel Unrecht gestern und heute existieren. Wir wollen diesen Antrag daher in den Fachausschuss überweisen, dort beraten und qualifizieren. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu dem Antrag hat die antragstellende Fraktion die sofortige Abstimmung beantragt. Die Fraktion der SPD beantragt dagegen die Überweisung an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, Digitale Verwaltung, Datenschutz, Informationsfreiheit und zur Umsetzung von Artikel 13 Abs. 6 GG sowie § 25 Abs. 10 ASOG. Über den Überweisungsantrag lasse ich zuerst abstimmen. Wer der Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Grüne und Linke. Gegenstimmen? – CDU, FDP, AfD und der fraktionslose Kollege. Ersteres war die Mehrheit. Gibt es Enthaltungen? – Nicht der Fall! Damit ist der Antrag überwiesen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 16:

Missbilligung der Ernennung von Dr. Andrej Holm als Staatssekretär für Wohnen

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/0066

In der Beratung beginnt die Fraktion der FDP. – Herr Czaja, bitte schön, Sie haben das Wort!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bedanken, dass wir über die Parteigrenzen hinweg die Sitzung heute in die Verlängerung gebracht haben, um diese notwendige, wichtige Debatte zu führen. Die Beratung zum Antrag der CDU hat das, glaube ich, sehr deutlich gemacht, von welcher Notwendigkeit der Austausch in dieser Sache ist und wie unterschiedlich auch die Auffassungen in den Fraktionen der Regierung sind. Sie haben hier einen geschützten Raum, das Parlament, wo Sie genau das diskutieren können, und das hilft. Das hilft vor allen Dingen dann, wenn man seinem eigenen Koalitionsvertrag treu bleiben möchte.

Ich möchte an dieser Stelle mit Erlaubnis des Präsidenten einige Sätze daraus zitieren, denn Sie schreiben:

Für die Koalition ist die Aufarbeitung der jüngeren deutschen und Berliner Geschichte nicht beendet. Wir werden das Gedenken an diese wechselvolle Geschichte unserer Stadt wachhalten.

Aber wachhalten heißt doch nicht, mit Andrej Holm im Senat!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Sie meinen damit doch wohl hoffentlich etwas anderes. Und für eine neue Gedenkkultur suchen Sie, wie es hier steht, den Dialog mit Opfergruppen. Den Dialog können Sie morgen beenden, wenn Sie Herrn Holm nicht endlich entlassen, denn das ist eine Farce, was Sie hier machen. Das ist ein Schlag ins Gesicht. Deshalb wird auch hier die

(Stefan Gelbhaar)

Präambel Ihres Koalitionsvertrags quasi durch Ihr eigenes Handeln untergraben.

Und wenn Sie dann weiter ausführen, die ehemalige Stasi-Zentrale in der Normannenstraße zu einem Lernort für Demokratie zu machen und zu unterstützen, dann wird doch eines deutlich: Sie brauchen das in Ihrer Präambel im Grunde auch nicht weiter zu verfolgen, weil der Lernort und der Erkenntnisprozess zuallererst in Ihren eigenen Reihen reifen und stattfinden müssen. Ich empfehle Ihnen mal einen kollektiven Ausflug dorthin, damit Sie sich dieser Tragweite bewusst werden.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Zuruf von der AfD]

Ja, man könnte vermuten, dass gerade unter einem Regierenden Bürgermeister Michael Müller die Personalie Holm bewusst in Kauf genommen wird, denn auch Michael Müller hat ja einen Hang dazu, seine Senatskollegen hin und wieder mal zu bespitzeln oder zu untersuchen.

[Heiterkeit bei der FDP, der CDU und der AfD]

Insoweit ist es umso wichtiger, dass hier an dieser Stelle ein klares Bekenntnis erfolgt. Ein klares Bekenntnis heißt eine klare Haltung, für oder gegen etwas zu sein. Und damit laden wir Sie mit dieser Missbilligung ein, Haltung zu beziehen, Charakter zu zeigen und nicht einen Antrag in den Ausschuss zu überweisen, wo er so gar nicht qualifiziert werden kann, weil es um die Abstimmung jetzt und hier geht.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Bravo! von der AfD]

Und man kann die Biografie von Andrej Holm hier etwas mehr ausleuchten und an der anderen Stelle etwas mehr ausleuchten. Am Ende bleibt aber – ich habe es eingangs erwähnt – einiges übrig, das sich mit Kontinuität durch die Biografie zieht: Dieser Mann ist antidemokratisch geschult und will einer Regierung angehören. Das passt nicht zusammen. Letzteres finde ich wesentlich schlimmer: Dieser Mann hat nachweislich gelogen, und wer lügt, kann nicht in dieser Regierung sitzen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Herr Kollege Czaja! Sie haben eben ausgeführt, dass der Regierende Bürgermeister seine Senatskollegen gerne bespitzelt. Ich rüge Sie dafür. Das ist beleidigend. Ich wollte es nur nicht vorhin während der Ausführungen machen.

[Mario Czaja (CDU): Hat er doch völlig recht!]

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Rissmann das Wort.