Protokoll der Sitzung vom 04.04.2019

(Sebastian Walter)

Zudem hätte ich mir gewünscht, dass gerade im Bereich der Bildung auch Pflichtfortbildungen für Lehrer und gern auch Erzieher eingeführt worden wären, denn häufig erkennt man den beginnenden Antisemitismus ja nicht sofort an dem Punkt, an dem ein Entgegenwirken vielleicht noch möglich wäre. Freiwillige Angebote sind selbstverständlich gut und richtig, erreichen am Ende aber nur diejenigen, die ohnehin sensibilisiert und engagiert sind, und im Rahmen der universitären Lehrerausbildung hat der Senat die Notwendigkeit von Pflichtveranstaltungen ja durchaus erkannt und gehandelt.

Im Bereich Justiz und innere Sicherheit ist ein erster wichtiger Schritt mit der Antisemitismusbeauftragten bei der Berliner Staatsanwaltschaft, Frau Vanoni, getan. Aber hier liegt noch vieles, zu vieles im Argen. Von 440 eingeleiteten Ermittlungsverfahren mündeten nur 65 in einem gerichtlichen Verfahren. Das hat viele Ursachen, z. B. auch die anonyme Begehung im Internet. Aber diese Zahlen schaffen kein Vertrauen bei den Betroffenen. In der Folge der geringen Ermittlungserfolge sind viele Betroffene gar nicht erst bereit, überhaupt Anzeige zu erstatten. Die Dunkelziffer ist extrem hoch. Dass Juden in Berlin antisemitische Straftaten gar nicht erst anzeigen, weil sie nicht von einer effektiven Strafverfolgung ausgehen können, darf es nicht geben.

[Allgemeiner Beifall]

Berlin muss die Verfolgung und Bestrafung von antisemitisch motivierten Straftaten durchsetzen und garantieren. Ein deutliches Signal zum Handeln ist auch die Entwicklung der Anzahl gewalttätiger antisemitischer Straftaten. Sie stieg von sieben im Jahr 2017 auf 27 im Jahr 2018 an. Das sind Alarmzeichen, die wir nicht ignorieren dürfen. Die Berliner Polizei muss dringend mehr Zeit und Energie darauf verwenden, die Hintergründe politisch motivierter Straftaten zu ermitteln.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Paul Fresdorf (FDP) und Holger Krestel (FDP)]

In Berlin werden 80 Prozent der antisemitischen Vorfälle einem rechtsextremistischen Hintergrund zugeordnet. Dies widerspricht bundesweiten Umfragen, wonach der muslimisch motivierte Anteil deutlich höher liegen soll. In einer Studie der Uni Bielefeld gaben Opfer von antisemitischen Straftaten an, zu 81 Prozent von einem muslimischen Hintergrund der Täter auszugehen. In einer weiteren Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte gaben die Opfer an, immerhin zu 41 Prozent einen muslimischen Hintergrund der Täter anzunehmen. Die Diskrepanz zu den Berliner Zahlen ist hier offensichtlich.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Es ist gut investierte Ermittlungsarbeit, sich mit den Hintergründen ernsthaft zu befassen, statt zu stereotypen Feststellungen zu kommen. Dies gilt in alle Richtungen,

aber natürlich ist dazu auch mehr Personal bei der Berliner Polizei und der Staatsanwaltschaft erforderlich.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Stefan Franz Kerker (AfD) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Die geplanten Aus- und Fortbildungen bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei sind sinnvoll und unerlässlich. Selbstverständlich richtig ist die Untersagung antisemitischer Symbole und Parolen bei Versammlungen, so auch am sogenannten Al-Quds-Tag. Nicht durchringen konnte sich der Senat leider zur Frage der Strafbarkeit des Verbrennens israelischer Fahnen. Der entsprechende Antrag liegt ja auch, von der Koalition geparkt, noch im Rechtsausschuss, und über die Bundesratsinitiative kommt die Koalition offenbar zu keiner gemeinsamen Auffassung.

Ausgesprochen erfreulich ist, dass die Senatskulturverwaltung sich entscheiden konnte, Zuwendungsbescheide nur noch mit einer auf dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz fußenden Klausel zu erteilen, mit der jeglicher, auch rassistischer oder antisemitischer Diskriminierung eine Absage erteilt wird. Die Vergabe von Räumen oder finanziellen Mitteln an die BDS-Kampagne oder vergleichbare Strömungen kann damit hoffentlich zukünftig im Kulturbereich tatsächlich effektiv ausgeschlossen werden.

[Allgemeiner Beifall]

Es bleibt die Frage: Warum ist dies in den anderen Senatsverwaltungen nicht möglich oder aber nicht gewollt? Und warum findet sich in dem Papier nirgends die Zusage einer Demokratie- bzw. Extremismusklausel in Zuwendungsbescheiden? – Hier hält sich das hartnäckige Argument, man dürfe niemand vorverurteilen. Wenn sich ein freier Träger, der Zuwendungen vom Land bekommt, nicht zu Demokratie und gegen Extremismus bekennt, dann ist das keine Vorverurteilung mehr.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Dann gibt es zu Recht kein Geld vom Staat. Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist das Fundament, auf dem unser Land gebaut wurde. Unser nunmehr 70 Jahre altes Grundgesetz ist großartig und garantiert allen hier lebenden Menschen Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat. Wer sich hierzu nicht bekennen will, der muss sich um seine Finanzierung anderweitig bemühen.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

Zahlreiche Träger in Berlin leisten hervorragende Arbeit im Bereich der Antisemitismusprävention. Der Senat stellt zutreffend fest, dass Antisemitismus ein seit Jahrhunderten tief verwurzeltes Problem ist, das auch nicht kurzfristig zu beseitigen sein wird, und umso mehr würde ich mir in der Konsequenz wünschen, dass die Präventionsarbeit der zahlreichen Träger zumindest in begrün

deten Fällen nicht ausschließlich projektbezogen und für den haushaltsrelevanten Zeitraum von zwei Jahren abgesichert wird, sondern hier auch längere Finanzierungszeiträume ins Auge gefasst werden.

[Bettina Jarasch (GRÜNE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Frau Kollegin! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Jarasch zulassen.

Nein, danke!

Nein.

Nur so kann abgesichert werden, dass auch über längere Zeiträume die finanzielle Absicherung erfolgen kann und die Präventionsarbeit dauerhaft abgesichert ist. Eine solche Finanzierung muss nicht der Regelfall sein, da die Haushaltswirtschaft dem entgegensteht, sollte aber in begründeten Fällen möglich sein.

Alles in allem ist das Landeskonzept ein erster und längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung – gar keine Frage. Es wird in ein bis zwei Jahren zu evaluieren sein, was von diesem Konzept tatsächlich in die Umsetzung gelangt ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Für die SPD-Fraktion hat nunmehr Frau Dr. Kitschun das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast drei antisemitische Vorfälle werden in Berlin pro Tag gemeldet. Das sind die aktuellen Zahlen, die die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus – kurz: RIAS – für das erste Halbjahr 2018 vorgelegt hat. Die Zahl antisemitischer Vorfälle verbleibt damit in Berlin auf konstant hohem Niveau. Hinzu kommt – das muss man immer mitbedenken – sicherlich noch eine größere Dunkelziffer. Zugleich hat sich die Zahl der gemeldeten antisemitischen Angriffe gegenüber 2017 verdoppelt. Diese traurige Realität auch in unserer Stadt zeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns weiterhin gemeinsam gegen jede Form von Antisemitismus einsetzen und die Präventionsarbeit in Berlin weiter ausbauen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vor zehn Monaten, am 31. Mai 2018, haben wir hier in diesem Haus einen Grundsatzbeschluss zur Verstärkung und Verbesserung des Kampfs gegen Antisemitismus gefasst. Dieser Antrag – „Gegen jeden Antisemitismus! – Jüdisches Leben in Berlin schützen“; er ist schon erwähnt worden – war das Ergebnis eines mehrere Monate dauernden, konstruktiven Beratungsprozesses zwischen fünf Fraktionen und natürlich auch des intensiven Austauschs mit zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren der Antisemitismusprävention. Eingebracht wurde der Antrag am Ende gemeinsam von fünf Fraktionen – CDU, FDP, Grüne, LINKE und SPD. Außerordentlich begrüßt – das war etwas Besonderes, wie ich finde –, wurde unser Grundsatzbeschluss auch vom Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, der hier an dieser Stelle bei der Gedenkstunde zum 80. Jahrestag der Novemberpogrome sogar ganze Passagen aus unserem Antrag verlesen hat.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Buchholz von der AfD-Fraktion?

Ich möchte keine Zwischenfragen, danke!

Nein!

Diese Würdigung unseres Beschlusses durch die Jüdische Gemeinde gerade an diesem Tag schmerzlichen Gedenkens der Verbrechen der Nationalsozialisten hat sicher nicht nur mich bewegt. Zugleich wurde an diesem Tag offensichtlich, warum es eben so war, dass nur fünf Fraktionen diesen Antrag erarbeitet haben, denn der fraktionslose Kollege Wild und AfD-Politiker – er ist immer noch Mitglied Ihrer Partei – verhöhnte bei der Gedenkstunde die Opfer der Novemberpogrome durch das Tragen eines NS-Symbols, der blauen Kornblume.

Zehn Monate nach dem Beschluss hat der Senat nun den Auftrag des Parlaments erfüllt und ein umfassendes Konzept zur Weiterentwicklung der Präventionsarbeit gegen Antisemitismus vorgelegt. Frau Seibeld! Ich finde, es ist ein guter Aufschlag, es ist ein umfassendes Thema und der Senat hat die Zeit gerade einmal um zwei Wochen überschritten, was bei der Komplexität des Anliegens, denke ich, schon eine gute Leistung ist.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

(Cornelia Seibeld)

Frau Kollegin! Ich darf Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wild zulassen, fraktionslos.

Nein! – Eingeflossen in die Entwicklung des Konzeptes – und das begrüßen wir ausdrücklich – ist viel Expertise der Zivilgesellschaft, unter anderem aus dem Arbeitskreis „Antisemitismus“ bei der Senatskanzlei. Wir freuen uns auch, dass der Senat viele wichtige Bekenntnisse des Parlaments bekräftigt hat. Ich will hier nur das Existenzrecht und Selbstverteidigungsrecht Israels nennen und die besondere historische Verantwortung Berlins. Berlin ist, und das, denke ich, ist auch etwas, worauf wir stolz sein können, jetzt das erste Land, das eine solche eigenständige Konzeption zur Bekämpfung von Antisemitismus, Juden- und Israelhass hat.

Lassen Sie mich einige zentrale Punkte des Präventionskonzepts hervorheben: Erstens: Wie vom Parlament gefordert, wird die Arbeitsdefinition „Antisemitismus“ der Internationalen Allianz für Holocaust Gedenken in der erweiterten Form zur Grundlage des Verwaltungshandelns in Berlin. Das ermöglicht eine große Breite des Handlungsspektrums. Jede Form von Antisemitismus muss und soll abgewehrt werden, ganz egal, von welchen Personen oder welchen Personengruppen sie ausgeht. Antisemitismus ist eben nicht nur gegen Juden gerichteter Hass und Diskriminierung von Jüdinnen und Juden. Antisemitismus ist immer auch eine antimoderne Weltanschauung, die sich gegen den Humanismus und unsere freiheitliche Demokratie richtet. Deshalb muss Antisemitismus sowohl in seiner spezifischen Besonderheit als auch im Zusammenhang mit anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bearbeitet und bekämpft werden. Diese doppelte Aufgabe ist konzeptionell im Konzept abgesichert.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Zweitens: Pädagoginnen und Pädagogen, Polizistinnen und Polizisten, Justizangestellte sollen noch stärker sensibilisiert und ihre Kompetenz in der Auseinandersetzung mit Antisemitismus gestärkt werden. Antisemitismus wird deshalb als Querschnittsthema in der Lehrkräfteausbildung verankert. Und es wird mehr und umfassendere Fort- und Weiterbildungsangebote für Pädagoginnen und Pädagogen geben. Das sind wichtige Schritte, damit eine angemessene und konsequente Intervention bei antisemitischen Vorfällen an Schulen gelingt.

Auch in der Aus- und Fortbildung von Justizangestellten und Polizisten und Polizistinnen wird das Thema Antisemitismusprävention ausgebaut. Die Polizei Berlin hat übrigens die erwähnte Arbeitsdefinition „Antisemitismus“ bereits Anfang 2018 als verbindliche Definition

eingeführt. Die Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft, die schon erwähnt wurde, hat bereits gemeinsam mit dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus einen Wissens- und Erfahrungsaustausch mit der Fachabteilung der Staatsanwaltschaft begonnen – auch das eine wichtige Maßnahme.

Drittens: Wirksame Prävention erfordert ein abgestimmtes Handeln. Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Schaffung eines oder einer hauptamtlichen Ansprechpartner/-in für Antisemitismusprävention. Hauptaufgaben werden die Vernetzungsarbeit und die Koordination der vielfältigen Aktivitäten auf Landes- und Bezirksebene sein – und natürlich die Abstimmung mit dem Bund. Diese Ansprechperson, finde ich, sollte bei der Landesstelle für Antidiskriminierung angesiedelt werden, also genau dort, wo im Senat die Förderung der Arbeit für Demokratie, gegen Diskriminierung und Hassideologien koordiniert wird.

Der nächste Schritt wird nun die praktische Umsetzung des Präventionskonzepts sein, das explizit als lernendes Konzept bezeichnet wird. Da der Kampf gegen Antisemitismus uns als Fraktion sehr am Herzen liegt, werden wir diese Umsetzung und die Weiterentwicklung des Konzepts intensiv begleiten. Gerne arbeiten wir dabei auch weiter in der breiten parlamentarischen Aufstellung zusammen, die auch bereits den Ursprungsantrag eingebracht hat. In einem ersten Schritt werden wir das Konzept im Rahmen einer Anhörung im Rechtsausschuss beraten. Natürlich werden wir bei den Haushaltsberatungen im Herbst schauen, ob für das wichtige Schwerpunktthema Antisemitismus genügend Mittel auch aus Sicht der Parlamentarierinnen und Parlamentarier zur Verfügung gestellt werden. Ich gehe aber davon aus, dass der Senat hier schon einiges an Arbeit leisten wird. Das werden wir dann gemeinsam im Herbst bewerten.

Ein Wunsch – vielleicht auch in Richtung Senat: Es wäre schön, wenn wir noch in dieser Wahlperiode einen ersten Zwischenbericht zur Umsetzung bekämen, damit dieses Parlament, das das angeschoben hat, darüber noch in dieser Zusammensetzung beraten kann.

Schließen möchte ich mit einem Zitat von Lala Süsskind, der Vorsitzenden des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus. Dieser jüdische Verein ist Träger mehrerer Projekte, die durch das Landesprogramm „Demokratie. Vielfalt. Respekt. Gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ gefördert werden. Ich zitiere Lala Süsskind:

Der Kampf gegen Antisemitismus ist nicht nur wegen oder für die Juden zu führen, sondern für die offene, liberale, tolerante und demokratische Gesellschaft.

In diesem Sinn: Tun wir gemeinsam etwas für unsere Demokratie und eine menschliche, demokratische Stadtgesellschaft! – Vielen Dank!