Protokoll der Sitzung vom 09.05.2019

Jedes Opfer einer Straftat muss danach damit leben, dass es der Staat nicht wirksam schützen konnte. Genau deswegen ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Staat in der Lage ist, alle Maßnahmen, die innenpolitisch möglich sind, zu ergreifen, um menschliches Leben zu schützen und auch die Bürger unserer Stadt zu schützen. Das erfordert eine gesetzliche Grundlage für den finalen Rettungsschuss.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) und von Stefan Franz Kerker (AfD)]

Bisher muten Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, liebe Genossinnen und Genossen, genau die von mir skizzierte verfassungsrechtliche Abwägung, wann denn genau es tatsächlich rechtlich zulässig sein könnte, um einen anderen Menschen zu retten, einen Menschen zu töten, diese schwierige Situation, diese schwierige Entscheidung, gegenwärtig dem einfachen Beamten, insbesondere beim Präzisionsschützenkommando zu. Sie muten es einem Beamten, teilweise des mittleren Dienstes, zu, diese Entscheidung zu treffen. Ich muss sagen, an dieser Stelle dürfen wir die Verantwortung nicht bei den Indianern belassen, sondern müssen sie zu den Häuptlingen verlagern.

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Ich wundere mich ein bisschen, lieber Kollege Stroedter – Sie freuen sich darüber –

[Jörg Stroedter (SPD): Absolut! Ich habe Sie die ganze Zeit vermisst! – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Ich Sie nicht!]

(Vizepräsidentin Cornelia Seibeld)

Ich Sie auch, lieber Kollege Stroedter. – In dem Fall habe ich allerdings eines erwartet, auch von Ihnen, lieber Herr Albers, dass Sie begeisterter applaudieren, denn es waren gar nicht meine Worte, sondern es war Ihr Innensenator Andreas Geisel in seiner klaren Forderung der gesetzlichen Grundlage des finalen Rettungsschuss.

[Beifall bei der FDP – Sebastian Czaja (FDP): Aha!]

Weil er diese guten Ansätze hat, wollen wir von den Freien Demokraten ihn dabei auch unterstützen. Unser Vorschlag ist meines Erachtens auch für Ihre zerstrittene Koalition ideal geeignet, denn um den Gedanken des Innensenators zu Ende zu führen – von den Indianern zu dem Häuptling –, nehmen wir den obersten Häuptling, den zuständigen Innensenator, und überlassen ihm die Entscheidung, ob er selbst oder ein von ihm zu bestimmender Dritter – sinnvollerweise der jeweilige Polizeiführer Schwerstkriminalität – diese Entscheidung treffen soll. Es könnte aber z. B. auch ein weniger schutzfreudiger Innensenator – beispielsweise von Ihren Fraktionen – auf die Idee kommen und sagen: Ich möchte diese Entscheidung selbst treffen, und ich treffe sie als grundsätzliche Negierung. Bei mir soll es keinen finalen Rettungsschuss geben. – Auch das wäre mit unserer Lösung denkbar.

Es sorgt aber zumindest für eines: Es sorgt für Rechtssicherheit. Vor dem Hintergrund dessen, was wir eindeutig festgestellt haben, nämlich der Tatsache, dass der Eingriff in das Grundrecht auf Leben einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage bedarf, können wir mit diesem gegenwärtigen Zustand, irgendwelchen Notkonstruktionen über § 32 oder § 34 StGB, unsere Polizei nicht weitermachen lassen. Das ist verantwortungslos und schlichtweg unseriös.

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Insofern werbe ich deutlich um Zustimmung für diesen Antrag und freue mich auf die Debatte.

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Vielen Dank! – Für die SPD-Faktion hat Kollege Zimmermann das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Thema ist seit vielen Jahren eine Debatte unter den Sicherheitsexperten in Bund und Ländern, und ich will versuchen, es etwas klarer einzuordnen, als mein Vorredner es hier jetzt machen konnte. Wir müssen festhalten: Der finale Rettungsschuss ist ein Mittel, und zwar das letzte mögliche Mittel, um Menschenleben zu retten, und es ist eine Ausnahmesituation, die extrem selten vorkommt, dass eine solche Entscheidung getroffen wer

den muss. Es geht in der Tat nicht darum, das Totschießen eines Straftäters zu erleichtern, sondern es ist die von allen hier akzeptierte Rechtsfolge zu sehen, dass nämlich das potenzielle Opfer gerettet werden muss, und diese Rechtsfolge kann und soll möglichst auch ausreichend geregelt sein. Wenn wir uns über das Ziel einig sind, dass der Geiselnehmer ausgeschaltet werden muss, bevor die Geisel stirbt, dann spricht viel dafür, diese Rechtsfolge auch polizeirechtlich zu regeln, damit nämlich die Handelnden in Extremlagen die größtmögliche Rechtssicherheit haben.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Es gibt sogar unter bürgerrechtsfreundlichen Polizeirechtlern die Auffassung, dass es die rechtsstaatlich sauberste Lösung sei, diese Fallgestaltung tatsächlich gesetzlich zu regeln. Zur Einordnung gehört auch, dass der handelnde Polizist natürlich auch ohne eine solche landesgesetzliche Rechtsgrundlage durch das Strafrecht abgesichert ist, und zwar insofern – das haben Sie angedeutet –, als er einen Rechtfertigungsgrund hat und am Ende bei seinem Handeln straffrei bleibt.

[Marc Vallendar (AfD): Und das Land Berlin?]

Am Ende kommt die Rechtsordnung also im Bund und in den Ländern überall zu demselben Ergebnis, dass nämlich der Geiselnehmer als Ultima Ratio erschossen werden darf, um damit die Geisel zu retten.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gerne! – Von wem?

Von Herrn Luthe.

Bitte, Herr Luthe!

Vielen Dank, lieber Kollege Zimmermann! – Sie beschreiben gerade ausschließlich die Geiselsituation. Zu Recht hat Herr Geisel auch vor einiger Zeit mal das Thema Bataclan aufgebracht. Wenn Sie tatsächlich in einer Großterrorlage stürmen müssen, wo sehen Sie da die Möglichkeit, über § 32 oder § 34 StGB auszuweichen? Ich sehe sie nicht, und zumindest die Rechtsprechung sieht sie bisher auch nicht. Auch Ihr eigener Senator sieht sie nicht.

Herr Kollege! Es würde in einer solchen Großlage, wo mehrere potenzielle Täter oder tatsächliche Täter da sind, natürlich dann jeder einzelne Polizist, der mit dem Gewehr, mit der Pistole oder mit dem Zielfernrohr den im Visier hat, in seiner Entscheidung darüber befinden müssen, ob jetzt ein Schuss nötig ist oder nicht. Es ist die Entscheidung jedes Einzelnen, aber die Rechtsfolge in diesem fiktiven Fall wäre in jedem Bundesland dieselbe, dass nämlich dieser handelnde Polizist gerechtfertigt ist und nicht bestraft wird. So, das ist mal festzustellen.

Deswegen zur Einordnung: Dass mit Ihrem Gesetzentwurf sich jetzt alles Mögliche ändern würde, ist nicht der Fall, sondern die Rechtsfolgen sind überall gleich.

[Beifall von Florian Dörstelmann (SPD), Benedikt Lux (GRÜNE) und Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Der Unterschied liegt darin, dass der Weg ein anderer ist. Mit einer Regelung im Polizeigesetz hat der Polizist eine klare Rechtsgrundlage, während er sich ohne diese auf einen Rechtfertigungsgrund nach Strafgesetzbuch berufen muss. Das ist der entscheidende Unterschied, über den man nachdenken muss und wo man entscheiden muss, wie man das regeln will.

[Holger Krestel (FDP): Genau das hat Herr Luthe gesagt!]

Deshalb sollte man – egal, welchen Weg man wählt – eines klarstellen: In einem solchen Fall muss das Land oder die Dienstbehörde und damit das Land die Kosten der Rechtsverfolgung für diesen Beamten übernehmen, damit der eine Sicherheit hat und dann jedenfalls nicht auf irgendwelchen Kosten hängenbleibt.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wenn man also grundsätzlich beide Wege wählen kann, kommt es sehr auf die konkrete Ausgestaltung an, Herr Kollege, und da liegt der Hase im Pfeffer – bei Ihrem Antrag. Sie sagen, die Anordnungsbefugnis müsse beim Senator liegen – die Anordnungsbefugnis, ob jetzt ein Schuss gesetzt werden muss, um das Opfer zu retten.

[Zuruf von Marcel Luthe (FDP)]

Das ist doch wohl realitätsfern und wahrscheinlich sogar gefährlich. Denn wie soll der Senator die reale Lage, die extreme Lage dort vor Ort, einschätzen und dann eine Entscheidung treffen? – Das halte ich für, ehrlich gesagt, abwegig. Es ist abwegig. Eine solche Entscheidung, wenn man es regelt, kann nur ein Einsatzleiter vor Ort treffen, der genau die Lage überblicken und eine verantwortliche Entscheidung treffen kann – niemand anderes sonst.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Holger Krestel (FDP): Sie lassen einfach die Hälfte weg und verfälschen das Ganze!]

Ich verfälsche nicht, sondern ich versuche, das ein bisschen einzuordnen, damit man klar sieht, welche Alternativen wir hier haben. – Also der Senator ist nicht der Richtige, der dort anordnen soll, und deswegen krankt Ihr Antrag tatsächlich an einem so gravierenden Mangel, dass wir dem nicht folgen können. Wir werden aber die Debatte weiter führen. – Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Dregger das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der finale Rettungsschuss ist der denkbar schwerste Eingriff in Grundrechte – in das Lebensrecht. Der Eingriff ist nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes nur zulässig aufgrund eines Gesetzes. Das regelt übrigens die Berliner Landesverfassung in gleicher Weise. Daher sind wir, die CDU-Fraktion, ebenfalls der Auffassung, dass eine ausdrückliche, klare und zweifelsfreie Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist. Es ist zwar richtig, dass das Strafgesetzbuch über die Regelungen zu Notwehr, Nothilfe und Notstand Regelungen trifft, die zu einer Rechtfertigung oder Entschuldigung einer Tötung führen können. Aber diese Regelungen sind Jedermannsrechte und keine Ermächtigungsgrundlagen für hoheitliches Handeln.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Diese Regelungen rechtfertigen nachträglich, aber sie ermächtigen nicht zu hoheitlichem Handeln.

Ein zweiter Punkt kommt hinzu: Eine eindeutige gesetzliche Regelung ist auch nötig für die polizeiliche Praxis. Der Polizist schießt ja nicht als Bürger, als Bürger in Polizeiuniform, sondern als Beamter in Wahrnehmung seines hoheitlichen Auftrages, Recht und Gesetz zu schützen. Wenn schon das Verhalten eines Straftäters ein wahrscheinlich tödliches Vorgehen durch die Polizei im Einzelfall unumgänglich macht, dann ist dem Polizeibeamten keine juristische Konstruktion zuzumuten. Dann braucht er eine klare polizeirechtliche Ermächtigungsgrundlage, und es ist nicht zu verstehen, dass unser Polizeirecht für weniger intensive Eingriffe, z. B. Verkehrskontrollen, ausführliche Regelungen enthält, die detailliert beschreiben, unter welchen Voraussetzungen derartige Eingriffe möglich sind, aber ausgerechnet für den gravierendsten Eingriff, den finalen Rettungsschuss, also ein Eingriff in das Lebensrecht, keine polizeirechtliche Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist. Ich bin der Auffassung, dass wir das ändern müssen.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Es kommt noch ein dritter Punkt hinzu, der nicht so ganz klar ist, aber auch wichtig ist. Herr Kollege Zimmermann hat auch über behördlichen Rechtsschutz gesprochen. Nach dem Wortlaut der derzeitig gültigen Regelung – Ausführungsvorschrift zum behördlichen Rechtsschutz – haben Polizeivollzugsbeamte nur dann Anspruch auf behördlichen Rechtsschutz, wenn sie in Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Befugnisse Zwang ausüben und aufgrund dieser Tätigkeit strafverfolgt werden. Und ich muss gestehen, es gibt ja Gott sei Dank nicht viele Fälle, deswegen kenne ich nicht die Praxis, aber ich glaube, im Zuge der Beratung im Fachausschuss tun wir gut daran, auch zu untersuchen, ob eigentlich der derzeit existierende behördliche Rechtsschutz ausreicht, um etwaige gezielte finale Rettungsschüsse bereits jetzt so zu behandeln, dass der Polizeibeamte nicht allein und ohne Rechtsschutz vor dem Strafrichter steht, sondern selbstverständlich eine angemessene juristische Begleitung bekommt. Ich finde, darum müssen wir uns auch kümmern.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Stefan Franz Kerker (AfD)]

Ich freue mich, dass die FDP-Fraktion jetzt auch einen Vorschlag vorgelegt hat. Wir haben das bereits vor über einem Jahr getan, und zwar mit unserem Gesetz zur Verbesserung der Terrorabwehr und der Kriminalitätsbekämpfung, das nach wie vor zur Beratung ansteht. Wir warten ja auf die entsprechende Vorlage des Senates, der mal endlich die Position erkennen lassen soll, was die Koalition eigentlich im Bereich des Polizeirechtes vorhat. Ich hoffe nicht, dass wir darauf noch ewig warten müssen.

[Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

Aber es ist, glaube ich, sehr wichtig, dass wir sehr ernsthaft unsere Polizei befähigen, in dieser schwierigen Situation ohne rechtliche Zweifel und ohne juristische Konsequenzen vorzugehen, denn andernfalls ist es nicht zu verantworten. Deswegen begrüßen wir das, und ich freue mich auf die Ausschussberatung und hoffe, dass wir dann auch mit der Koalition zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]