Protokoll der Sitzung vom 09.05.2019

[Zurufe von der AfD]

Wir schützen selbst das Leben und die Würde von Menschen, die diese bei anderen mit Füßen getreten haben, die die Würde und Rechte anderer Menschen missachten. Das macht unseren demokratischen Rechtsstaat aus, und das macht auch die sehr besonnene Berliner Polizei aus.

[Zuruf von Stefan Franz Kerker (AfD)]

Die rechtliche Lage ist so, dass es nirgendwo eine Rechtsgrundlage dafür gibt außerhalb des UZwG, wonach ein Menschenleben zu nehmen ist. Wenn der Staat überlegt, Menschenleben zu nehmen, unter welchen Bedingungen, dann sollte er das sehr besonnen tun. Dann sollte man nicht von Häuptlingen und Indianern reden oder von irgendwelchen Leuten, die erschossen werden können,

[Zuruf von Marcel Luthe (FDP)]

wie meine Vorredner es gemacht haben. Der Staat muss vielmehr sehr besonnen abwägen, unter welchen Umständen das passieren kann, und das tut er im Bereich des Strafgesetzes. Wir müssen feststellen, dass die Strafgesetzregelungen im Bereich der Notwehr und Nothilfe in den letzten Jahrzehnten gereicht haben. Kein Polizist wurde dafür verurteilt, wenn er in Berlin leider, leider, wie es zum Glück sehr selten vorkommt, einen Menschen erschießen musste.

Die Notwehrregelung ist klar, eindeutig und rechtlich ausgeurteilt: Die erforderliche Verteidigungshandlung gegen einen gegenwärtig rechtswidrigen Angriff kann in den meisten Situationen der Schusswaffengebrauch sein, auch im Bereich einer terroristischen Attacke, auch im Bereich einer Geiselnahme. Wenn man sich die Berliner Fälle anschaut, dann werden Sie sehen, dass die von Ihnen ersonnenen Fälle – Terrorlagen – hier überhaupt keinen Raum hatten. Es sind in Berlin 17 erschossene Menschen zu verzeichnen; ich beziehe mich auf Recherchen zu tödlichen Polizeikugeln des RBB und der „taz“ aus dem Jahr 2014. Von diesen 17 erschossenen Menschen in Berlin war ein Großteil psychisch krank und eine Bedrohung für die Polizei, weil sie im Affekt zum Messer gegriffen, weil sie die Polizei angegriffen haben. Bei den meisten von ihnen kann man nicht mal sagen, dass sie das in klarer Angriffsabsicht getan haben. Viele Fälle legen vielmehr die Schlussfolgerung nahe, dass auch hier das Phänomen Suicide by Cop vorgelegen hat, es sich also um Suizidenten handelte, die sich durch Polizeischüsse

umbringen lassen wollten. Wenn man diese Fälle untersucht, werden Sie sehen, dass ganz wenige in den Bereich „Verbrecher auf der Flucht, erschossen von der Polizei“ fallen. Sie haben in dem Moment vielmehr Polizisten angegriffen. Insofern waren das zulässige Notwehrhandlungen, so die Gerichte. Ein Fall, an den ich mich erinnere: Mitte der Neunzigerjahre – eine Geiselnahme wurde von der Polizei dermaßen professionell gelöst, dass dem Bus-Entführer – die Berliner werden sich noch erinnern, Dieter W. – ins Bein geschossen wurde. Dieter W. sitzt bis heute in der JVA Tegel, der Polizist wurde freigesprochen. Meines Erachtens hat er auch einen Orden verdient.

Das sind doch die Fälle, über die wir reden, und da können wir der Berliner Polizei doch nur zureden und sagen: Gut, wie ihr Leben schützt! Gut, wie ihr das Leben aller verteidigt! Gut, wie ihr auf der bestehenden Rechtsgrundlage Menschen in dieser Stadt schützt!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dregger?

Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Vielen Dank, Herr Kollege Lux! Ist Ihnen bekannt, dass Sie in einem Schriftstück der Grünen, das Sie und Frau Pop erarbeitet haben und das vom 17.08.2016 datiert, angemahnt haben, dass Berlin endlich als eines der letzten Bundesländer eine gute Regelung zum finalen Rettungsschuss benötigt? Und wie erklären Sie Ihren Sinneswandel? – Ich zitiere hier aus einem Papier, das „Sicherheit erhalten, damit Berlin Stadt der Freiheit bleibt“ heißt und ein Diskussionspapier von Ramona Pop und Benedikt Lux vom 17. August 2016 ist. – Ist es Vergesslichkeit, oder haben Sie Ihre Position geändert?

[Beifall bei der CDU und der AfD – Heiko Melzer (CDU): Das war ja vor der Wahl!]

Ich freue mich, wenn Herr Dregger an Papieren von mir aus früherer Zeit interessiert ist, die er auch aufgreift.

[Heiko Melzer (CDU): Daran wollen Sie nicht mehr erinnert werden!]

Aber eben genau da liegt der Unterschied: Wir sind nicht solche Rosinenpicker wie Sie und sagen: Auf diese einzelne Maßnahme stellen wir mal ab! – Frau Pop und ich haben uns maßgeblich Gedanken gemacht, als hier mal so nebenbei den finalen Rettungsschuss zu regeln. Das war eingepackt in ein Gesamtkonzept, Herr Kollege Dregger!

[Zuruf von Burkard Dregger (CDU)]

Wir denken auch darüber nach, das UnmittelbarerZwang-Gesetz komplett zu ändern und nicht nur über den finalen Rettungsschuss zu reden. Im UnmittelbarerZwang-Gesetz wird heute noch der Schuss auf die Menschenmenge zugelassen – im Berliner UnmittelbarerZwang-Gesetz wohlgemerkt. Im Berliner UnmittelbarerZwang-Gesetz können Sie momentan als Polizist die Schusswaffe beim Verdacht eines Verbrechens einsetzen.

[Heiko Melzer (CDU): Lassen Sie sich doch mal daran messen, was Sie selber aufgeschrieben haben!]

Auf diese Probleme, wie unmodern, wie alt das Berliner Unmittelbarer-Zwang-Gesetz überhaupt ist und man es insgesamt ändern müsste, auf diesen Gedanken sind Sie ja gar nicht mal gekommen. – Und Sie, Herr Dregger, müssen schon Artikel von mir lesen, um diesen Gedanken überhaupt anzusprechen! Also so kurz greifen Sie, und so wenig Kenntnis haben Sie über die härtesten Eingriffsmaßnahmen im Land Berlin!

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Noch eins, Herr Dregger, umgekehrt wird ein Schuh draus: Wir haben unsere Innenpolitik immer in das Zeichen der Deeskalation, der Entspannung, der Bürgerfreundlichkeit des Handelns der Berliner Polizei gestellt. Sie tun das nicht! Ihr ASOG sieht vor, die Berliner Polizei zu militarisieren, aufzurüsten, bürgerferner zu machen, und damit folgen Sie Ihren Kollegen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen. – Auch das gehört in diesen Kontext. Wir werden uns doch nicht einem Vorschlag der Opposition anschließen, die nichts anderes kennt, als den Erfolgskurs der Berliner Polizei, nämlich Deeskalation und Behutsamkeit zu verlassen, die Polizei einseitig zu militarisieren, weit weg zu stellen von der Berliner Bevölkerung und der Lebensrealität in dieser Stadt, Handgranaten zuzulassen und fristloses Unterbindungsgewahrsam. – All das sind Sachen, die Sie wollen, und da gehen zu Recht Hunderttausende von Menschen in anderen Bundesländern auf die Straße.

Für uns ist Vertrauen in die Besonnenheit und das konsequente Handeln der Berliner Polizei ein hohes Gut, und das werden wir schützen, indem wir Ihre sehr, sehr billigen Rettungsschuss- und Militarisierungsdebatten nicht führen. – Vielen Dank!

Dann hat für eine weitere Zwischenbemerkung der Kollege Luthe das Wort.

Lieber Kollege Lux! Das gefiel mal wieder sehr gut; das war sehr unterhaltsam. Noch schöner wäre es gewesen, wenn Sie auch bei der Wahrheit geblieben wären.

[Heiterkeit von Paul Fresdorf (FDP)]

Das fing damit an, dass Sie von der Einführung des tödlichen Schusses bei der Polizei sprechen. Wie Sie und alle Vorredner richtig erkannt haben, ist das jetzt bereits Praxis. Der Unterschied ist, dass wir das Grundgesetz umsetzen und die gesetzliche Grundlage dafür überhaupt schaffen wollen, die Sie im Moment dem Zufall überlassen.

[Beifall bei der FDP]

Sie haben richtigerweise genau wie ich in meiner Eingangsbemerkung auf die Menschenwürde abgestellt, völlig zu Recht. Es ist aber die Frage, und das ist die Abwägung, die wir in diesem Fall eines potenziell tödlichen Schusses haben, der genau dieses Ziel haben soll: eine Person zu töten, die droht, eine andere Person zu töten. – Das ist die Abwägung, die hier stattfinden muss, und die fällt entweder zugunsten des Täters oder zugunsten des Opfers aus. Da sage ich: Im Zweifel müssen wir zugunsten des Opfers handeln.

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Sie haben die Situation der Geiselnahme in der Commerzbank mit Kaperung eines BVG-Busses aus dem Jahr, glaube ich aus der Erinnerung, 2001 angesprochen. Der Fall Dieter Wurm, der sich im Übrigen selbst in seinem Radiointerview damals zu erkennen gegeben hat. Das war schon allein deshalb kein geeignetes Beispiel, weil Sie dort nicht die Situation hatten, die Ihr eigener Innensenator beschrieben hat, sondern Sie hatten dort in der Tat über das Schussfeld die Möglichkeit, gerade weil keine unmittelbare Gefährdung vorlag, sondern er die Waffe gerade gesenkt hatte und nicht mehr in tödlicher Schussabsicht stand. Deshalb konnte man ihn in dem Fall kampfunfähig schießen. Das ist eine völlig andere Situation.

Eine völlig andere Situation ist es, wenn Sie von Tatverdächtigen sprechen, die auf der Flucht erschossen wurden. Das hat überhaupt nichts, nicht im Mindesten mit der Anwendung des finalen Rettungsschusses zu tun. Sie betreiben schlichtweg Klitterung, wenn Sie das Gegenteil behaupten! Der finale Rettungsschuss setzt stets voraus, dass Sie eine klare Anordnung dazu haben, und die wiederum setzt voraus, dass eine entsprechende Prüfung stattgefunden hat, die Abwägung der Verfassungsgüter letztlich des Rechts auf Leben des einen wie des anderen und der Menschenwürde.

(Benedikt Lux)

Genau darum geht es mir: dass wir genau diese Abwägung nicht dem einfachen Beamten überlassen, sondern idealerweise ein kluger Innensenator das stets dem Polizeiführer Schwerstkriminalität überlassen wird. – Darüber reden wir und nicht darüber, ob irgendjemand irgendwo anders mal von der Schusswaffe Gebrauch gemacht hat! Das ist nicht das Thema des finalen Rettungsschusses. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Vielen Dank! – Dann hat wiederum der Kollege Lux das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Sehr geehrter Herr Kollege Luthe! Vielen Dank für Ihre Zwischenbemerkung! Wir sind uns also einig, dass die Würde des Menschen das höchste Rechtsgut ist und die Frage, wie wir das umsetzen, wohl die ist, über die wir hier streiten. Erstens – welches Leben geschützt werden muss: Da waren sich hier alle einig, dass natürlich das Leben des Opfers geschützt werden muss. Da bitte ich Sie, mir wissentlich oder unwissentlich Falsches zu unterstellen.

[Marcel Luthe (FDP): Ich nehme an, Sie sind Zivi gewesen!]

Übrigens: Diese Abwägung hat auch § 32 StGB – Notwehr – vorgeben, den derjenige, der einen tätlichen Angriff ausführt – – Und so versteht man auch eine Geisellage, Herr Kollege Luthe; Sie sind Nichtjurist: Es gibt eine Dauergefahr, eine Dauerangriffslage auch im Bereich des Notwehrrechts. Es gibt sehr, sehr Urteile darüber; auch hier müsste in einer Geisellage § 32 StGB greifen.

Ich habe darüber hinaus wie Kollege Schrader auf die Berliner Fälle aufmerksam gemacht und herausgearbeitet, dass es bislang keinen Anwendungsspielraum für einen finalen Rettungsschuss gab, und wenn Sie genau zugehört hätten, dann würden Sie das, glaube ich, auch unterschreiben, denn auch Sie haben gesagt, dass diese Fälle in der Berliner Historie bislang keine Rolle gespielt haben, sodass man also zu der Frage kommen muss, weshalb Sie das machen und weshalb Sie das jetzt wollen.

Es bleibt Ihr Argument der Verantwortungskette. Gut, das lässt sich hören: Da muss der Innensenator Verantwortung tragen. Er trägt natürlich die politische Verantwortung, und der Einsatzleiter eines solchen Einsatzes trägt die Verantwortung in seinem Einsatzbereich. Aber die Verantwortung für den Schuss, Herr Kollege Luthe – drücke ich jetzt ab? –, wem wollen Sie die geben? – Sie wollen sie vom Schützen wegnehmen; Sie wollen dem Schützen – viele von Ihnen waren auch schon einmal an der Waffe – sagen: Nein, du entscheidest das nicht mehr

selber; die Verantwortung dafür trägt jemand anderes! – Ist das mit der Menschenwürde vereinbar, mit der Selbstbestimmung einer Person, die eine Waffe in der Hand hat, ihr zu sagen: Du bist nicht mehr verantwortlich; das ist dein Einsatzleiter, der Innensenator ganz woanders? – Das ist Ihre Auffassung von Menschenwürde? Herr Kollege Luthe, mit Verlaub: Ich glaube, das ist nicht Ihre Auffassung von Menschenwürde, denn auch die Schützen haben eine Menschenwürde und eine Verantwortung in diesem Moment.

Nächstes Argument: Die Berliner Polizei ist deutlich weiter, als Sie hier insinuieren. Sie hat sich darauf eingestellt. Der praktische Unterschied bei so einer Lage, ob man jetzt trainiert oder so, ist im Vergleich zu den Bundesländern, die den finalen Rettungsschuss im Verwaltungsrecht geregelt haben, so, dass die Berliner Polizei und die Polizeiführung einen solchen Todesschuss, einen Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich endet, freigibt; der Schuss ist freigegeben.

In anderen Bundesländern wird der Schuss angeordnet. Jetzt machen Sie ein großes Bohei, was das jetzt für ein maßgeblicher Unterschied sei. Ich glaube, bei allem Sachverstand, wenn man sich mit der Rechtsprechung, mit der tatsächlichen Lage befasst, dann bleibt wirklich nicht viel übrig von Ihrem Skandalisierungsinteresse,

[Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]

das jede einzelne Oppositionsfraktion hier deutlich machen musste – viel, viel heiße Luft. Aber in der Sache geht der Senat, geht diese Koalition sehr gut und sehr behutsam mit dem Polizei- und dem Zwangsrecht um. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Gesetzesantrags federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und mitberatend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht – dann verfahren wir so.

Ich rufe auf die