Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In Berlin leben Menschen aus über 190 Nationen und vielen unterschiedlichen Sozialisationen und Kulturen zusammen. Dies sehen wir – die Linken, und ich denke, die Koalition insgesamt – als Bereicherung und zugleich als eine große Herausforderung an.
[Frank-Christian Hansel (AfD): Wir auch übrigens! – Anne Helm (LINKE): Aber Sie sind gerade nicht dran!]
Zusammenleben in Vielfalt gelingt nur dann, wenn wir die Vielfalt der Lebensentwürfe und Religionen und Weltanschauungen, die Individualität aller Bewohner und Bewohnerinnen akzeptieren und für eine demokratische Stadtkultur eintreten – auch in Kitas und Schulen.
Die AfD will mit diesem Antrag Schulgesetz und KitaFöG ändern, um zu verhindern, dass Kinder religiös konnotierte Kopfbedeckungen in Schulen und Kitas tragen, und das betrifft also dann u. a. das Kopftuch, die Kippa oder Patka bzw. Turban.
Sie sprachen von Kopfbedeckung. Lesen Sie mal nach! – Und diesem Antrag können wir nicht zustimmen, denn das wäre ein Verstoß gegen Artikel 4 Grundgesetz. Ich darf zitieren. Artikel 4 Grundgesetz:
Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Paul Fresdorf (FDP): Lesen Sie den Kommentar dazu! – Zuruf von der AfD: Sie haben ja keine Ahnung! Können Sie nicht mal einen Juristen nach vorne schicken? – Weitere Zurufe von der AfD]
Das Grundgesetz ist ein Jedermann-Grundrecht und gilt selbstverständlich auch und vor allem für Kinder, auch wenn die AfD das nicht will.
Die Religionsfreiheit ist Kindern also zu gewährleisten. Zum anderen ist auch das religiöse Erziehungsrecht der Eltern aus Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz und ebenfalls aus Artikel 4 Grundgesetz ableitbar und als schrankenloses Grundrecht zu gewährleisten.
[Oliver Friederici (CDU): Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben? – Thorsten Weiß (AfD): Aber wenn Mädchen Zöpfe tragen, haben Sie damit ein Problem!]
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.
Schaue ich in die Begründung des Antrages, so wird deutlich, dass es mitnichten um das Kindeswohl geht und auch nicht um alle Religionen, sondern ausgerechnet das islamische Kopftuch verboten werden soll,
Frau Kollegin! Ich darf Sie fragen, ob Sie zwei Zwischenfragen zulassen, einmal von Herrn Vallendar und einmal von Herrn Woldeit, jeweils von der AfD-Fraktion.
[Frank-Christian Hansel (AfD): Aber Ihren Widerspruch erkennen Sie an! – Udo Wolf (LINKE): Hör auf zu brüllen!]
Dazu möchte ich zum Abschluss aus dem Beschluss des Abgeordnetenhauses gegen Hass und Intoleranz, für Menschenwürde und Religionsfreiheit vom April 2018 zitieren:
Berlin ist die Hauptstadt einer freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaft. Es gehört zu den Grundlagen unserer Gesellschaft, dass Bürgerinnen und Bürger die Freiheit haben, ihre religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisse ungestört, ohne Angst vor Verfolgung oder Gewalt auch öffentlich zu leben.
Freiheit findet nur dort ihre Grenze, wo sie die unantastbare Menschenwürde verletzt oder die Freiheit eines anderen beeinträchtigt.
Dies zu achten und zu verteidigen, entspricht dem Wesen unserer Stadt und ist allen Berlinerinnen und Berlinern gleichermaßen Anspruch wie Pflicht.
Pech, Frau Helm! Wir werden mehr Redezeit für uns veranschlagen. – Frau Kittler! Eingangs Ihrer Rede haben Sie behauptet, wir hätten auch die Kippa mit unserem
Gesetzesantrag erfasst. Ich will noch mal die entscheidende Passage vorlesen. Es geht um religiös geprägte Kleidung, die mit der Verhüllung des Hauptes verbunden ist. Ich weiß nicht, ob Sie und ich unter der Kippa dasselbe verstehen. Die Kippa, wie ich sie kenne, bedeckt das Haupt, aber sie verhüllt das Haupt definitiv nicht. Dann haben Sie sich wie auch schon Ihre Vorredner von der SPD auf die Religionsfreiheit bezogen. Ich wollte hier eigentlich kein juristisches Proseminar abhalten.
[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Das können Sie auch nicht! – Frank-Christian Hansel (AfD): Er kann das!]
Die Grundrechte werden in drei Schritten geprüft: Schutzbereich, Eingriff, Verhältnismäßigkeit des Eingriffs. Wir sind auf der ersten Ebene, beim Schutzbereich. Der ist eben bei minderjährigen Mädchen, die Kopftuch tragen, nicht ohne Weiteres als eröffnet anzusehen, sondern im Zweifel ist der als nicht eröffnet anzusehen, und damit geht es – –
Das können Sie zum Beispiel in einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages nachlesen, wenn Sie sich mal bilden würden und nicht nur daherlabern würden.
Sie haben dann noch das elterliche Erziehungsrecht angeführt. In der Tat, aber wenn dieses Recht dazu missbraucht wird, eine archaische Kulturpraxis zu vermitteln, dann – so unsere Ansicht – kann man das gerade im Bereich der Schule durchaus einschränken im Sinne höherwertiger Verfassungsgüter.
Der letzte Punkt war, wir würden die Neutralität missachten, weil wir gezielt auf das Kopftuch abgehen. Wenn eine bestimmte Praxis Mädchen früh sexualisiert und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung hemmt, dann muss man gerade gegen diese Praxis vorgehen. Würde man alles andere darunter auch fassen, so würde man Ungleiches gleich behandeln, und das wäre verfassungswidrig.