Protokoll der Sitzung vom 23.05.2019

(Stefan Förster)

Frau Kollegin! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.

Nein!

Nein.

Im Grundgesetz sind starke Grundsätze festgeschrieben worden. Die haben auch erst nach und nach ihre Wirkung entfaltet. Aber gerade daher lädt das Grundgesetz eben nicht zum Ausruhen ein. Das Grundgesetz fordert uns eigentlich immer wieder auf, unsere verfassungsgemäßen Rechte einzufordern, zu nutzen und zu verteidigen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Das machen wir auch!]

Wie erfolgreich das geht, das hat auch die Debatte um die Gleichstellung von Mann und Frau gezeigt. Im vierten Anlauf – das kann man sich heute kaum noch vorstellen – wurde der Satz: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ 1949 in das Grundgesetz aufgenommen. Die Mutter dieses Satzes, die Juristin Elisabeth Selbert, wollte damit das veraltete BGB anpassen. Es hat 20 Jahre gedauert, bis es wirklich funktioniert hat.

[Frank-Christian Hansel (AfD): War gut so!]

Und ja, wir Frauen, wir haben heute die gleichen Rechte. Aber wir Frauen sind trotzdem ganz oft nicht gleichberechtigt, wenn es um die Repräsentation geht. Schauen Sie sich doch einmal um. 33 Prozent der Abgeordneten in diesem Haus sind Frauen und in einigen Fraktionen noch weniger.

[Thorsten Weiß (AfD): Dann müssen mehr kandidieren und gewählt werden!]

In vielen Unternehmensvorständen beträgt der Frauenanteil sogar nur null Prozent. Deshalb streiten wir für echte Gleichstellung, für mehr Frauen in Führungspositionen und für mindestens 50 Prozent Frauen in den Parlamenten.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Und weil im Grundgesetz Männer und Frauen gleichberechtigt sind, sollten Sie es auch in Aufsichtsräten und in den Parlamenten sein. Es funktioniert eben nicht, wie hier gesagt wird: Dann sollen die Frauen doch kandidieren! – Das haben wir jetzt nach 70 Jahren gesehen. Dafür brauchen wir Quoten, dafür brauchen wir ein Paritätsgesetz, denn was wir wollen, ist, Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf von Gunnar Lindemann (AfD)]

Bei der Gleichheit geht es auch um unsere gesellschaftliche Pluralität. Deutschland ist bunter und vielfältiger, als sich das die Väter und Mütter des Grundgesetzes wohl denken konnten. Und das ist gut so.

Doch die Wahrheit ist auch, obwohl alle Menschen gleich sind, dass die Realität oft leider eine andere ist. Thomas ist oft gleicher als Murat. Ben im Glitzerkleid hat es ungleich schwerer. Das dürfen wir als Politik nicht hinnehmen. Da müssen wir für Gleichheit sorgen. Deshalb sind die Debatten von DeutschPlus zur Verankerung der Realität der Einwanderungsgesellschaft im Grundgesetz so wichtig. Deshalb ist der gemeinsame Antrag von FDP und von Linken und von Grünen im Bundestag zur sexuellen Identität in Artikel 3 so wichtig. Denn die Grundrechte sind vor allem die Rechte derjenigen, die im Menschsein zwar gleich sind, aber in einem Merkmal anders als die vermeintliche Mehrheit. 70 Jahre Grundgesetz sind nicht nur ein großer Verdienst, sie sind auch ein Auftrag für die Zukunft, damit die Grundrechte mehr werden als eindrucksvolle Sätze auf Papier. Das müssen wir gemeinsam weiterdenken.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Dieses Weiterdenken gilt auch für den sozialen Bereich. Wenn wir uns in Berlin umschauen, sehen wir auch in Europas trauriges Gesicht. Freizügigkeit, das bedeutet eben nicht nur Party am Ballermann ohne Grenzkontrollen und ohne Geldumtauschen. Nein, Freizügigkeit bedeutet auch, dass Europas Armut in Berlin sichtbar wird.

Es ist aber kein Grund zum Verzweifeln, sondern ein Ansporn, für ein soziales Europa zu kämpfen, ein Ansporn für bessere Sozialstandards in Brüssel, europaweit für Mindestlöhne und bei uns für eine Stärkung der Arbeitnehmer/-innenrechte. Für mich ist klar, nur ein soziales Europa ist ein starkes Europa. Dafür müssen wir gemeinsam kämpfen und dafür haben wir auch einen Antrag als Koalition eingebracht.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir müssen auch über unsere Grenzen hinweg denken, denn an unseren Außengrenzen auf dem Mittelmeer sterben immer noch Menschen auf der Suche nach etwas Leben. Das Grundgesetz verpflichtet uns zur Menschlichkeit in der Welt. Wir als Rot-Rot-Grün nehmen diesen Auftrag an, und wir sind Teil der Solidarity Cities. Wir sind Zufluchtsort für Geflüchtete, weil wir das Grundgesetz ernst nehmen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Seit Monaten kämpft die jüngere Generation für ihre Zukunft. Das finde ich richtig toll. Das ist mutig, das ist europäisch, das ist visionär, das ist weltoffen, sei es der kreative Protest gegen Upload-Filter oder die Fridays-forFuture-Demos-Bewegung. Auch morgen, an diesem Freitag, werden wieder Hunderttausende junge Leute in Europa auf der Straße sein, werden Zehntausende in Berlin demonstrieren.

[Zurufe von Stefan Franz Kerker (AfD) und Marc Vallendar (AfD)]

Sie ermahnen uns, und sie ermahnen alle in der Politik, endlich den Klimaschutz wirksam und konsequent anzugehen. Ein großer Dank gilt deswegen auch Greta Thunberg.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Lachen bei der AfD –]

Sie ist eine junge Europäerin, und sie ist eine Schwedin.

[Georg Pazderski (AfD): Missbrauch von Kindern!]

Dank Greta ist Weltretten wieder cool. Danke, Greta, für deinen Mut, denn er ist ansteckend und er ist wichtig, denn Klimaschutz kennt keine Grenzen. Die Zeit drängt. Der Direktor unseres Museums für Naturkunde,

Prof. Johannes Vogel, hat es auf den Punkt gebracht. Er hat gesagt – ich zitiere:

Das Perverse beim Klimawandel, das Perverse beim Artensterben ist, wenn alle Leute spüren, dass es eine Notlage ist, dann ist es zu spät.

Wir haben das verstanden.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Die Grünen sind Angstmacher!]

Unsere Haltung ist klar. Wer den Planeten retten will, der fängt am besten zu Hause an.

[Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Berlin ist deswegen auf dem richtigen Weg.

[Zuruf von Georg Pazderski (AfD)]

Seit 2016 setzen wir die bisher ambitionierteste Klimaschutzpolitik in der Berliner Geschichte um. Keine Landesregierung vorher hat so viel für Klimaschutz, Artenschutz und erneuerbare Energien getan. Wir stellen heute die Weichen dafür, dass Berlin bis 2050 klimaneutral wird.

[Zurufe von der AfD]

Das heißt: Energiesparen, Energieeffizienz, Einstieg in erneuerbaren Energie. Berlin ist seit 2017 braunkohlefrei. Das sind schon mal 600 000 Tonnen CO2, die wir hier einsparen. Die nächste Stufe ist steinkohlefrei im Jahr 2030.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Wohnungsfrei! – Weitere Zurufe von der AfD]

Die drei Steinkohlekraftwerke in Berlin pusten jährlich 3,5 Millionen Tonnen CO2 in die Luft, und da gehen wir als Koalition ran.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von der AfD]

Gerade beim Klimaschutz zeigt sich, warum wir europäische Lösungen brauchen, denn: Was hilft es uns, wenn Berlin aus der Kohle aussteigt und in Brandenburg, Polen oder NRW weiterhin Braunkohle abgebaut und verfeuert wird? Umweltverschmutzung macht nicht an Grenzen halt.

[Ah! von der AfD]

Wir haben noch ein Zeitfenster von zehn Jahren, und wir sind die letzte Generation, die den Klimawandel noch aufhalten kann,

[Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

und wer, wenn nicht wir, sollte damit anfangen.

[Zurufe von der AfD]

Trotzdem gibt es immer noch Klimaschutzgegner und Klimaleugner von den Randparteien bis hin in die Mitte.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Gott sei Dank!]