Umso wichtiger ist es, dass wir die Verantwortung annehmen: Europa muss als erster Kontinent klimaneutral werden! Deshalb gilt es auch am Sonntag: Gehen Sie wählen, und wählen Sie den Klimaschutz, denn der Klimaschutz ist wählbar! Das zeigt auch diese Debatte.
Die Europawahl wird in der öffentlichen Debatte gerne despektierlich behandelt – sie sei so unbedeutend, es gehe nur um die Krümmung von Bananen und Gurken, Europaabgeordnete hätten doch eh keinen Einfluss. – Das ist falsch! Diese Europawahl ist eine Schicksalswahl.
Es geht um die Zukunft Europas und die Zukunft unseres friedlichen Zusammenlebens auf diesem Kontinent. Wir lassen nicht zu, Europa auf ein Steuersparmodell zu reduzieren. Wir sind dagegen, dass es ein Europa des Nationalen gibt, denn all diejenigen, die das fordern, haben die Idee von Europa nicht verstanden.
Für den Senat spricht der Regierende Bürgermeister Müller. – Bitte sehr, Herr Regierender Bürgermeister, Sie haben das Wort! – Keine Zwischenfragen, ja!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Und ich sage heute auch ausdrücklich: Liebe Berlinerinnen und Berliner!
das sind nur ein paar Namen, die uns vor allem eins sagen: Unsere Demokratie und damit unsere Idee von einem freien Europa stehen vor einer gewaltigen Bewährungsprobe. Die Geschehnisse,
ja, meine Damen und Herren von der AfD, die Geschehnisse von letzter Woche in Österreich warnen uns eindringlich,
die Kräfte, die sich hinter dem Kampfbegriff der illiberalen Demokratie verstecken, wollen unsere Demokratie und unsere Werte bis zur Unkenntlichkeit aushöhlen.
Das Europa, das wir seit Jahrzehnten kennen, hat sich in den letzten Jahren verändert. Manches fällt uns auf, vieles aber ist schleichend, höhlt unsere Werte von innen aus und stellt das Europa der offenen Grenzen, der Solidarität und des Selbstbewusstseins als wegweisendes Friedensprojekt infrage.
Viele wollen das nicht glauben: Können ein paar populistische Politiker ein über Jahrzehnte gewachsenes, großartiges Projekt wie Europa wirklich gefährden?
Diese Behäbigkeit und die von einigen mitunter auch gezeigte Gleichgültigkeit ist gefährlich, denn sie verleitet zur Unterschätzung der Kräfte, die kein solidarisches, vielleicht nicht einmal ein friedliches europäisches Haus wollen.
Ich bin heute Morgen erst von einer Partnerschaftsbegegnung in Tokio zurückgekehrt. Das Partnerschaftstreffen war eingebettet in einen Urban-20-Kongress, kurz vor dem G20-Gipfel in Japan. Viele europäische Städte wa
ren vertreten – Amsterdam, Rotterdam, Madrid, Brüssel und viele andere. Wir wurden von anderen – von Montreal, Buenos Aires, Durban – gefragt: Was ist da los bei euch in Europa? Wie wird es werden, jetzt in den nächsten Tagen vor der Europawahl?
Da ist uns allen bewusst geworden: Wenn wir in Europa über diese Wahlen reden, müssen wir noch weit über den Tellerrand hinausblicken, denn wir leben in einer globalisierten Welt. Im Zusammenhang mit diesem Treffen in Tokio, im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zum G20-Gipfel haben wir uns mit den großen Fragen unseres Zusammenlebens auseinandergesetzt: Wie gehen wir mit dem Thema Frieden in unserer Welt um? Welche Migrationsströme wird es in unserer Welt geben? – Millionen Menschen sind möglicherweise auf der Flucht und suchen ein sicheres Zuhause. – Wie gehen wir mit den Veränderungen im Klimabereich um? Wie schützen wir unsere Umwelt in den nächsten Jahrzehnten? – Darum geht es im Grunde genommen auch bei dieser Europawahl. Eins ist klar: Jeder für sich muss etwas tun, jeder ist verantwortlich. Wir werden aber nur gemeinsam erfolgreich sein und solche großen Herausforderungen bewältigen.
Ich sage aber auch: Wenn wir heute über Demokratie, über Europa, über dieses großartige Friedensprojekt reden, dann sollten wir zunächst einen Moment innehalten, denn heute ist der 70. Jahrestag der feierlichen Ratifizierung unseres Grundgesetzes. Mit diesem Text und den für die Ewigkeit aufgeschriebenen Grundrechten hat unser Land die Grundlage dafür gelegt, wieder in die Gemeinschaft der freien und zivilisierten Welt zurückzukehren. Das Grundgesetz wurde gerade auch aus den Lehren des Nationalsozialismus verfasst. Knapp vier Jahre nach der menschenverachtenden Barbarei des Nationalsozialismus hat sich Deutschland mit dem Grundgesetz in ein Europa des Friedens und der Freiheit aufgemacht. Auf eigentlich wenigen Seiten ist formuliert, was unser Zusammenleben ausmacht. Es geht um die großen Fragen: Es geht um Frieden nach innen und außen, um die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Wissenschaft. Es geht um Gleichberechtigung in jeder Hinsicht. Es geht um Solidarität mit in Not Geratenen. Es geht um soziale Standards, die erst ein offenes Europa für alle möglich machen. Und ja, in unserem Grundgesetz geht es vor allen Dingen um die Unverhandelbarkeit der Menschenrechte und der Menschenwürde. Es geht um ein Europa, das diese Werte lebt, und somit geht es am Sonntag auch um die Werte unseres Grundgesetzes. Gerade in Zeiten von Nationalismus und Rechtspopulismus sollten wir beides heute mehr denn je vor jeglicher Art von Angriffen schützen.
Es geht auch um den Wohlstand in einer globalisierten Welt. Das alles ist in Berlin so lebendig wie vielleicht in keiner anderen europäischen Metropole: Zwei furchtbare Weltkriege und die deutsche Teilung mit einer Mauer mitten durch unsere Stadt waren Folgen eines kriegerischen Europas. Während sich unsere Vorfahren über viele Jahrhunderte auf den Schlachtfeldern unseres Kontinents bekämpften, begegnet sich Europas Jugend heute friedlich – auf Reisen, während der Ausbildung, möglicherweise während eines Erasmus-Studiums. Gerade die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland wurde zum Garant dieses Europas. Deswegen wünsche ich mir auch, dass Frankreich und Deutschland wieder gemeinsam Orientierung geben.
Heute zählt mehr denn je: Der europäische Einigungsprozess und seine Erfolge sind hart erarbeitet, und sie sind nicht ewig garantiert. Sich für sie einzusetzen lohnt sich jeden Tag bis zur und natürlich auch jeden Tag nach der Europawahl. Gerade in dieser Zeit der Jahrestage, gerade in Berlin, wird deutlich, was wir Europa zu verdanken haben: 70 Jahre Grundgesetz, aber eben auch 70 Jahre Ende der Blockade, 30 Jahre Fall der Mauer. Das sind auch europäische Daten, Daten eines Europas der Versöhnung statt Vergeltung, eines Europas, das während der Blockade nicht bereit war, mühsam errungene Freiheit und Demokratie kampflos dem sowjetischen Kommunismus zu überlassen.
Es ist ein Europa, das nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs vor 30 Jahren stark genug war, das freie Europa in Ost und West politisch und wirtschaftlich zu begleiten.
Dann der europäische Binnenmarkt, die gemeinsame Währung und die intensiven Handelsbeziehungen, die wir besonders mit unseren europäischen Nachbarn pflegen – das alles sind wichtige Grundlagen für unseren wirtschaftlichen Erfolg und damit auch für Wohlstand in einer globalisierten Welt. Auch wir in Berlin profitieren ganz konkret von der Europäischen Union: 850 Millionen Euro, das ist die Summe, die Berlin in der Förderperiode 2014 bis 2020 aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und aus dem Europäischen Sozialfonds zur Verfügung gestellt bekommen hat.
Die europäische Unterstützung hat viel dazu beigetragen, in Berlin die Folgen der Teilung zu überwinden. Der Ausbau der heute so erfolgreichen Zukunftsorte Adlershof oder Buch wäre ohne den Einsatz europäischer Mittel überhaupt nicht denkbar gewesen.
Ein weiteres Indiz für die große Bedeutung Europas für den Wissenschaftsstandort einerseits und das große wis
senschaftliche Engagement andererseits sind 1 300 Beteiligungen Berlins im Rahmen des Programms Horizon 2020 mit einem Fördervolumen von über 580 Millionen Euro. Gerade in diesen Bereichen, die so stark auf internationalen Austausch und europäische Kooperation angewiesen sind, wird es besonders deutlich: Ohne Europa geht es nicht.
Frau Bentele! An dieser Stelle zu dem, was Sie gesagt haben, noch ein Hinweis: Der gesamte Senat pflegt sehr intensiv die europäischen Kontakte – besonders natürlich der Europa-Senator Herr Lederer, aber auch ich selbst. Wir sind, glaube ich, so gut wie nie zuvor in Brüssel vernetzt. Wir tagen regelmäßig komplett als Senat in Brüssel und pflegen insbesondere den Austausch mit Kommissar Oettinger. Berlin ist ein aktiver Teil der internationalen Städtenetzwerke C40, Metropolis und anderer Organisationen. Man kann mit Fug und Recht behaupten: Berlin hat nie internationaler gearbeitet, als es es jetzt tut, und genau dafür steht dieser Senat, und er wird es auch in Zukunft weiter so tun.
Es ist richtig: Gerade im Zusammenhang mit Wissenschaft und Forschung müssen wir jetzt auch ein Europa der Freiheit verteidigen. Auch wenn Berlin davon profitiert – ich habe das schon bei der letzten Aktuellen Stunde, wo es um Wissenschaft ging, gesagt: Es ist für mich unerträglich, dass mittlerweile Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus östlichen EU-Ländern zu uns nach Berlin kommen, weil sie in ihren eigenen Heimatländern die Freiheit der Wissenschaft eben nicht mehr gewahrt sehen.
Ungarn – das Land, das einen wesentlichen Beitrag für die Überwindung der deutschen Teilung geleistet hat – behindert heute die freie Wissenschaft und die freie Presse.