Ungarn – das Land, das einen wesentlichen Beitrag für die Überwindung der deutschen Teilung geleistet hat – behindert heute die freie Wissenschaft und die freie Presse.
Hier muss die EU eindeutig handeln, und es müssen neue Instrumente entwickelt werden, um derartige Zerwürfnisse zu ächten.
Es muss bei Fragen der gemeinsamen europäischen Werte in Zukunft möglich sein, Sanktionen durchzusetzen. Wer zu Recht nicht mit Erdoğans Türkei über einen Weg zur Mitgliedschaft verhandeln will, der darf nicht länger zuschauen, wie in Ungarn, Polen und anderswo unsere europäischen Werte und unsere europäische Freiheit, die Verfasstheit unserer europäischen Demokratie angegriffen werden.
Wir müssen laut und deutlich sagen: Es kann in Europa keine illiberale Demokratie geben, keine Interpretation von Demokratie.
Zur Demokratie gehören Liberalität, Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung und die Achtung der freien Wissenschaft und Forschung. Das ist unverhandelbar; das muss die Grundlage unserer gemeinsamen Zusammenarbeit werden.
[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zurufe von Paul Fresdorf (FDP) und Heiko Melzer (CDU)]
Aber wir müssen in Europa auch andere Herausforderungen bewältigen. Eine der großen Krisen findet gerade im Mutterland der Demokratie, im ältesten Parlament der Welt statt: Der Brexit ist ein großer Rückschlag für die Europäische Union, aber auch für das Vereinigte Königreich selbst, denn er wird auf allen Seiten nur Verlierer hinterlassen.
Ja, vielleicht wollen gerade Sie, dass es überall Verlierer gibt, damit Sie mit Ihrer Politik dann die einfachen Antworten geben können! Aber er wird Verlierer hinterlassen.
Es gibt, so der verstorbene frühere belgische Politiker Paul-Henri Spaak, nur zwei Typen von Staaten in Europa: kleine Staaten – und kleine Staaten, die noch nicht verstanden haben, dass sie klein sind. – In Zeiten nicht einschätzbarer Großmächte ist ein gespaltenes Europa nur noch ein Spielball im Weltgeschehen, und damit auch die Mitgliedsstaaten, Städte, Unternehmen und Gesellschaften Europas. Die Politik in London muss verstehen, dass sie die Notbremse ziehen muss, und auch dort sind Politikerinnen und Politiker gewählt, um Schaden von ihrem Land fernzuhalten – aber sie tun leider gerade das Gegenteil. Der Brexit und seine Entstehungsgeschichte sind auch ein Beispiel dafür, dass wir die Wahrheit gegen Fake-News durchsetzen müssen und wie wichtig gute Politik gegen blinden Populismus ist.
Die Auseinandersetzung um „leave or remain“ wurde von den Brexit-Befürwortern auch mithilfe von Populismus und Lügen geschaffen. Das zeigt: Auch hier sind die EU, das Europäische Parlament und die Kommission gefordert. Wir müssen endlich einen Weg finden, gegen FakeNews in den sozialen Medien vorzugehen. Hier sind Facebook, Google und Co. aufgerufen, nicht länger wegzuschauen!
Sie profitieren genau davon, und genau deshalb wollen Sie das schützen. Das ist für uns umso mehr Ansporn, dagegen vorzugehen!
Wer am Fundament der europäischen Einigung sägt, der schneidet sich ins eigene Fleisch. Wer auf ein Zurück in den Nationalismus statt auf Zusammenarbeit setzt, der gefährdet den Frieden nicht nur auf unserem Kontinent. Er gefährdet schlichtweg seinen eigenen Arbeitsplatz und unser aller Wohlstand.
Wir brauchen die Europäische Union, und wir brauchen sie ganz explizit als politisches, soziales und stabilisierendes Einigungsprojekt. Denn wir erleben aktuell nicht nur einen gefährlichen und sinnlosen Handelskrieg zwischen den USA, China und Europa. Es gibt daneben dringenden Handlungsbedarf eben auch zur Begrenzung des Klimawandels und zur Bewältigung seiner Folgen. Technologische Umbrüche wie die Digitalisierung stellen weltweit unsere Gesellschaften vor neue Fragen und große Herausforderungen. Diesen Wandel müssen wir sozial gestalten. Nur politisch Engstirnige und ewig Gestrige beantworten solche Herausforderungen mit neuen Mauern, neuen Zöllen oder neuen Zäunen.
Natürlich weiß ich auch, dass die EU nicht perfekt ist. Auch ich würde mir an vielen Stellen mehr Mut für unsere europäische Lösung und für die Stärkung des sozialen Zusammenhalts auf unserem Kontinent sowie mitunter schnellere und klarere Entscheidungsstrukturen wünschen. Die Einführung europäischer Mindestlöhne etwa wäre genauso wichtig wie gerechte Arbeitsbedingungen überall in Europa. Eine europäische Arbeitslosenversicherung und die Umsetzung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ wären auch dafür wichtige Schritte.
Auch muss es uns in Europa endlich gemeinsam gelingen, unsere Verantwortung für den Umgang mit Geflüchteten wahrzunehmen. Es ist eine Schande, dass das Sterben im Mittelmeer weitergeht. Das zu beenden – dazu müssen alle Mitgliedsstaaten mit einer gerechten Verteilung geflüchteter Menschen in Europa ihren Beitrag leisten. Ich glaube, Herr Wolf hat es angesprochen: Ich habe für Berlin diese Verantwortung angenommen und im Juli vergangenen Jahres das Hilfsangebot zur Aufnahme der Flüchtlinge an Bord des deutschen Rettungsschiffes „Lifeline“ gemacht.
Berlin, Hamburg und Bremen haben gemeinsam erklärt, dass sie Mittelmeerflüchtlinge aufnehmen wollen. Tatsächlich wäre es gut, wenn Herr Seehofer das endlich möglich machen würde.
Vielleicht haben es nicht alle gehört; aber leider ist da ja nun eine so räumliche Nähe, dass man das eine oder andere an Zwischenrufen mitbekommt: Es wurde eben schon von einem Abgeordneten oder einer Abgeordneten angesprochen, dass Herr Seehofer etwas zu entscheiden hat. Und an dieser Stelle kam der Zwischenruf von der AfD-Seite: Na, Sie wollen wohl einen Shuttle-Service für Millionen Menschen nach Europa. – Damit es da keine Missverständnisse gibt und Sie immer genau wissen, warum wir uns miteinander streiten, will ich hier für mich, für diesen Senat und, ich bin mir sehr sicher, für die große Mehrheit im Parlament ganz deutlich sagen:
Es stimmt, Flüchtlingsaufnahme ist anstrengend, und sie ist auch eine Belastung. Und es stimmt, es kostet Geld und ist eine harte Arbeit, die uns alle miteinander fordert.
[Georg Pazderski (AfD): Wie viele Menschen wollen Sie denn aufnehmen? Eine Million, zwei Millionen, zehn Millionen?]
Aber Flüchtlingsaufnahme bedeutet schlichtweg, Menschenleben zu retten, und deswegen werden wir es auch weiter tun!
Der Berliner Senat wird sich weiter gegenüber der Bundesregierung und in Brüssel dafür einsetzen, die europäische Integration zu vertiefen. Wir werden weiter dafür werben, die europäische Säule sozialer Rechte zu stärken. Wir werden gemeinsam mit anderen europäischen Metropolen als „Solidarity Cities“ dafür einstehen, dass wir in Europa durch einen menschlichen Umgang mit Geflüchteten unserer Verantwortung für den Schutz von Menschenleben nachkommen. Wir werden uns weiter in die Diskussionen darüber einbringen, wie wir die Institutionen und Entscheidungen Europas für die Menschen vor Ort gerechter machen können. Denn ich glaube, die größte Gefahr für den europäischen Gedanken und unsere Demokratie ist, dass immer mehr Menschen Politik und Wirtschaft nicht mehr als gerecht empfinden. Sie fühlen einen ungezügelten Kapitalismus,
der nur noch überhöhten Renditen hinterherjagt. Sie spüren die Macht von Lobbyisten und Konzernen, deren Erfolg auch auf Steuervermeidung aufbaut. Sie erleben, wie die Schere zwischen Arm und Reich trotz guter Wirtschaftslage immer größer wird.
Es bleibt aber von zentraler Bedeutung, dass die Menschen wieder daran glauben, dass unser gemeinsames Leitbild in der Demokratie das der sozialen Marktwirtschaft ist. Enteignungs- und Vergesellschaftungsfantasien verlieren dann ihren Glanz, wenn Unternehmen sich sozial verhalten. Das Recht auf Arbeit, das Recht auf Wohnen, das Recht auf persönliche Unversehrtheit zu gewährleisten, ist eine Pflicht für uns alle – auch und vor allem für diejenigen, die Arbeit geben, für diejenigen, die Wohnungen vermieten und durch ihre Steuern die Infrastruktur natürlich auch mitfinanzieren müssen. Nur eine soziale Marktwirtschaft, in der jeder seinen Teil beiträgt, und eine soziale Demokratie können den sozialen Frieden gewährleisten.
[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Sebastian Czaja (FDP) – Carola Bluhm (LINKE): Das ist ja ein Anfang!]
Aber die Zukunft Europas ist nicht nur die Verantwortung der Politik, sondern aller Bürgerinnen und Bürger. Jede und jeder Einzelne kann etwas tun, überall auf dem Kontinent und auch hier in Berlin, in jedem Kiez und in jeder Straße. – Diskutieren Sie mit Ihren Nachbarinnen und Nachbarn über das Glück eines friedlichen und unseren Wohlstand garantierenden Europas!
Das Europäische Parlament hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen. Europäische Politik – das ist schon lange nicht mehr nur der kleinste gemeinsame Nenner einer kleinen Gruppe von Staatschefs. Europäische Politik lebt heute von allen, insbesondere von der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.
Deswegen möchte ich alle Berlinerinnen und Berliner dazu aufrufen, am kommenden Sonntag, dem 26. Mai, an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen. Nutzen Sie Ihr Stimmrecht!
Zeigen Sie den Europagegnern die Rote Karte! Wählen Sie eine europabejahende, demokratische Partei und geben Sie damit einer starken demokratischen und sozialen Zukunft Ihre Stimme!