Protokoll der Sitzung vom 06.06.2019

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Es ist ein großes Thema: Infrastruktur. Aber wenn man sich so die Reden, insbesondere aus den Oppositionsfraktionen bis jetzt angehört hat, frage ich mich an der einen oder anderen Stelle nicht nur, in welchem Paralleluniversum Sie eigentlich leben, sondern auch, ob Sie eigentlich in den letzten Monaten irgendwie verstanden haben, was unsere Zukunftsherausforderungen sind.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Es ist richtig, Berlin ist – und da stehe ich jetzt einmal als Finanzpolitikerin hier und nicht als Verkehrs- oder Stadtentwicklungspolitikerin – in zweierlei Hinsicht deutlich verschuldet. Das eine thematisieren wir oft genug hier. Das ist der Schuldenberg bei den Banken. Eine Zahl, die mittlerweile erfreulicherweise auch durch harte Einsparungen und Opfer der Berlinerinnen und Berliner auf unter 60 Milliarden Euro gesunken ist.

Das andere ist die Verschuldung, die man tagtäglich sieht und erlebt. In der Tat, das ist eine Verschuldung aus unterlassener Instandhaltung. Die geht diese Koalition, geht dieser Senat, seit der ersten Minute aktiv an. Ich weiß nicht, was Sie daran eigentlich rumzumäkeln haben.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Paul Fresdorf (FDP): Wer es glaubt!]

Schauen wir uns doch einmal an: Die FDP hat den Aufschlag gemacht und primär über Brücken geredet. Ja, in der Tat, Berlin hat viele Brücken,

[Zuruf von Henner Schmidt (FDP)]

nun, in der Tat, wir haben da ein ernstzunehmendes Problem. Ich weiß aber nicht, wie Sie sich das vorstellen. Eine solche Brücke wird nicht einfach mal eben so ersetzt. Wenn Sie hier beklagen, dass bestimmte offensichtlich nicht den Festigkeitsanforderungen entsprechende Stähle

(Frank Scholtysek)

verbaut sind, frage ich Sie einmal ernsthaft, was Sie denn machen wollen.

[Henner Schmidt (FDP): Schneller bauen!]

Der Stahl ist verbaut. Wenn ich Ihre Liste so sehe – nein, bitte keine Zwischenfragen, danke – frage ich mich, ob Sie eigentlich alle von denen spontan schließen wollen, oder ob es nicht vielleicht doch eine klügere Entscheidung ist, Stück für Stück, Tag für Tag situationsbezogen zu sagen: Das geht noch, das funktioniert noch, und das, was sofort gemacht werden muss, wird sofort angegangen. In der Tat, wie mein Vorredner aus der Linksfaktion schon gesagt hat, Sie bekommen doch zum Teil gar nicht mehr die Baukapazitäten. Wie wollen Sie es denn machen?

[Katalin Gennburg (LINKE): Das verstehen die da nicht!]

Aber das hat wahrscheinlich zu viel mit Marktwirtschaft zu tun. Das verstehen Sie leider nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Lachen bei der FDP]

Den Eindruck muss man jedenfalls manchmal gewinnen, wenn Sie so alles beschreiben, wofür wir angeblich zuständig sind, beispielsweise der Ausbau des 5G-Netzes. Ich glaube, da läuft gerade irgendwie so eine Auktion und so weiter, wenn man den Meldungen trauen darf. Ich weiß gerade nicht, was Ihr Problem ist, dass wir als Land Berlin keine 5G-Masten irgendwohin bauen. Es wäre mir neu, dass das unsere Verantwortung ist. Ich dachte eigentlich, das läuft anders in diesem Gesellschaftssystem. Aber wahrscheinlich haben Sie das alles noch nicht so ganz verstanden. Es ist ja auch noch nicht so lange. – So!

[Paul Fresdorf (FDP): Wie kann man so arrogant sein?]

Wie man so arrogant sein kann? Das kann ich Ihnen sagen. Man muss Ihnen nur einmal genau zuhören.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Man muss Ihnen nur ganz genau zuhören und sich ernsthaft fragen, was Sie uns hier eigentlich die ganze Zeit versuchen, um die Ohren zu hauen. Da werden wir beschuldigt, einfach nur der parlamentarische Arm irgendwelcher krawalligen, aggressiven Aktivisten zu sein.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Ist ja auch so! Genau so ist es! – Holger Krestel (FDP): Sie machen ja sogar hier Krawall!]

Meine Güte, schauen Sie sich doch einmal um! Sie, Herr Hansel, Sie sollten an der Stelle einmal ganz, ganz ruhig sein, wenn ich überlege, mit wem Sie heutzutage so Arm in Arm demonstrieren gehen. Sie sollten den Mund halten, wenn es darum geht, sich mit krawalligen Aktivisten gemein zu machen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von Frank-Christian Hansel (AfD) und – Paul Fresdorf (FDP)]

Wenn ich dann ansonsten die Vorschläge aus der CDU höre: Sie haben eine U-Bahn nach Marienfelde gefordert. Lassen Sie mich ganz kurz als Marienfelderin an der Stelle sagen, warum wir das nicht brauchen. Wir haben da eine S-Bahn, wissen Sie, und die funktioniert. Die funktioniert sehr gut. Mit der bin ich auch heute Morgen hierhergekommen. Ich kann Ihnen sagen,

[Zuruf von Oliver Friederici (CDU)]

da gibt es nichts zu beklagen. Wenn Sie für uns etwas Gutes tun wollen, dann setzen Sie sich im Rahmen der Verkehrswende dafür ein, dass Güter nicht mehr individuell im Schwerlastverkehr die B 101 herunterdonnern, sodass man da eigentlich nicht mehr sicher mit dem Fahrrad fahren kann. Da würden Sie uns wirklich etwas Gutes tun, Herr Friederici, uns als Marienfeldern,

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

ganz nebenbei den Berlinerinnen und Berlinern auch, wenn Sie sich für eine Veränderung des Güterverkehrs einsetzen würden, für mehr Verkehr auf die Schiene.

[Oliver Friederici (CDU): Sie haben keine Ahnung!]

Herr Friederici! Ich lebe dort. Natürlich habe ich Ahnung davon. Dass Sie mir gerade einmal wieder absprechen, Ahnung zu haben, wo Sie hier immer irgendwelche komischen Szenarien von linkem Wohlfühlirgendwas skizzieren, das doch von Ihnen keiner mehr hören will, das können wir doch alle schon im Chor synchron sprechen, Wahrheit ist es trotzdem nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Irgendwer muss Ihnen einmal erklärt haben, dass Worte Realität erzeugen. In der Tat, das ist richtig. Das ist richtig, wenn es um Diskursverschiebung und Ähnliches geht. Aber das, was Sie die ganze Zeit versuchen, Herr Friederici, in jeder Rede, die Sie hier halten, hat eher etwas damit zu tun, dass Sie versuchen, einen Pappkameraden aufzubauen, den Sie dann mit viel Getöse einreiten können. Mehr Funktion hat das nicht, als dass es rhetorisch wäre.

[Holger Krestel (FDP): Der Pappkamerad steht schon da!]

Wenn wir heute über Infrastruktur reden, müssen wir darüber reden, so zu bauen, dass wir uns in 10, 15, 20 Jahren nicht darüber ärgern.

[Sebastian Czaja (FDP): Das ist ja der erste inhaltliche Satz!]

Das ist einer der Gründe, warum diese Koalition an manchen Punkten dann doch einfach einmal drei Monate mehr zum Planen braucht,

[Florian Swyter (FDP): Das ist ja das Problem!]

denn wir nehmen uns diese Zeit, damit die Planung richtig ist.

[Paul Fresdorf (FDP): Wo denn?]

Das ist gut so, denn vernünftiges, verantwortliches Vorgehen, was den finanziellen Mitteleinsatz betrifft in der Gesamtlebenszeitbetrachtung von Infrastrukturausgaben, von Gebäuden, von Verkehrsinfrastruktur, von sozialer Infrastruktur, Krankenhäusern, Schulen und allem, was dazugehört, das braucht tatsächlich Planung und nicht einfach mal so ein irgendetwas Dahingezeichnetes und Überlegtes nach dem Motto, das könnte ja mal wer bauen. Dazu sage ich Ihnen ganz klar: Zu den Herausforderungen, vor denen wir stehen, gehört nicht nur, dass Berlin wächst. Dazu gehört nicht nur, dass wir in der Tat eine hohe Dynamik und Mobilität haben. Sie haben gesagt, dass immer mehr Berliner an den Stadtrand ziehen. Das ist nun wahrlich kein neues Phänomen. Das hätten Sie auch schon vor zehn oder 15 Jahren feststellen können. Berlin ist eine Stadt, die sich ständig verändert. Genau deswegen brauchen wir flexible Infrastruktur, die darauf reagieren kann und zwar nicht nur heute, sondern auch in zehn Jahren.

Aber die ganz große Herausforderung, auf die wir reagieren müssen, ist die Klimakrise. Deswegen, auch wenn einige Leute, auch Menschen, die uns sehr nahe stehen, immer wieder bei den Planungen denken, das ist so etwas Angestricktes, das ist so ein bisschen on top, Solarthermie, Fotovoltaik, Regenwassermanagement: Jetzt schon so planen, dass es den Veränderungen standhält, die uns erwarten, das ist tatsächlich nachhaltige, zukunftsfähige Infrastrukturpolitik.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Georg Pazderski (AfD): So sah es in China auch mal aus!]

Vernünftige Infrastrukturpolitik ist zum Beispiel auch, im Rahmen des Regenwassermanagements unsere Kanalisation zu ertüchtigen. Vernünftige Infrastrukturpolitik ist auch, bei den Sanierungen, bei den Bauten und den Investitionen von zum Beispiel Verwaltungsgebäuden das Aufheizen der Gebäude zu berücksichtigen. – Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen in Ihren Wohnungen und Büros geht an Sommertagen, wie wir sie derzeit haben. – Wenn dafür nämlich in fünf oder zehn Jahren zusätzlich etwas nachgerüstet werden muss, wird das teurer. Deswegen haben wir bei unseren Planungen berücksichtigt, aus dem Jährlichen herauszukommen – übrigens auch bei Maßnahmen, die in SIWANA stehen, was ja das Instrument ist, um Kontinuität, Zuverlässigkeit und Planbarkeit auch in der Zusammenarbeit mit der Bauwirtschaft zu erzeugen.

Wir brauchen ein anderes Nachdenken über Infrastruktur und Investitionen. Ich weiß: So, wie wir den Haushalt betreiben, ist es relativ einfach, dass das aus dem Blick gerät. Die Kameralistik ist da nicht unbedingt der aller

beste Ansatz, seien wir ehrlich. Es verbietet uns aber doch keiner, ganz vernünftig darüber nachzudenken: Wie lange muss das Gebäude halten? Wie lange muss es genutzt werden? Wie ist das eigentlich in 30 Jahren, wenn es umgebaut werden muss, wenn der jetzige Bedarf vielleicht nicht mehr vorhanden ist? Das sind die Anforderungen an eine zukunftsfähige Infrastrukturpolitik,

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

und nicht das, was Sie hier eingefordert haben, die Umsetzung einer Verkehrsplanung aus den Sechzigern – oder, wenn es um die A 100 geht: Ich weiß nicht, ob Ihnen das eigentlich bekannt ist, dass die Überlegungen dieser tangentialen Autoverkehrsplanung der Feder eines gewissen Herrn Scharoun entspringen. Der dürfte ja in dieser Stadt bekannt sein. Sie folgt komplett den Annahmen einer autogerechten Moderne, die die Funktionen, die Ansprüche der Menschen auf unterschiedliche Teile einer Stadt aufteilt. Genau dafür ist das geplant. Berlin ist nicht so. Niemand in Berlin will so leben, also: Verabschieden Sie sich von solchen verkehrspolitischen Träumen aus den Fünfzigerjahren!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Kurt Wansner (CDU): Grün und modern schließt sich aber aus!]

Für eine Zwischenbemerkung hat der Kollege Schmidt von der FDP das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Schillhaneck! Ich fand das schwer erträglich – Ihre arrogante, von oben herab erfolgte Belehrung mit dem erhobenen Zeigefinger.

[Beifall bei der FDP,