Protokoll der Sitzung vom 15.08.2019

rität und des Zusammenhalts für eine unteilbare Gesellschaft setzen.

[Holger Krestel (FDP): Nehmen Sie sich eigentlich selber ernst?]

Das ist, mit Verlaub, das Gebot der Stunde. Ich freue mich auf die Beratung! – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Rissmann das Wort.

Verehrter Herr Präsident1 Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf vielleicht mit einer Frage beginnen: Können Sie sich daran erinnern, dass der Justizsenator des Landes Berlin hier einmal zu einem justizpolitischen Thema geredet hat, ein justizpolitisches Vorhaben hier eingebracht hat?

[Sebastian Walter (GRÜNE): Allerdings können wir uns erinnern! Lesen Sie die Protokolle nach!]

Oder können Sie sich mit mir auch nicht daran erinnern, dass er sich mit einem ähnlich missionarischen Einsatz, mit einer missionarischen Kraft dieser Art und Güte für gute Staatsanwaltschaften, für gut ausgestattete Gerichte, für funktionierende Haftanstalten oder für eine gute Juristenausbildung eingesetzt hat?

[Zurufe von den GRÜNEN: Doch!]

Ich kann mich daran nicht erinnern, und wenn Sie mit mir zu dem gleichen Ergebnis kommen, dann sehen Sie auch schon einen Kern der Kritik an diesem grünen Vorhaben. Es ist nämlich so: Wenn Sie heute einen Berliner fragen würden, was denn aus seiner Sicht ein prioritäres Problem in der Berliner Politik ist, dann wird Ihnen ganz bestimmt kein Berliner sagen, dass ein prioritäres Problem Berliner Politik ist, dass Bürgerinnen und Bürger durch den öffentlichen Dienst des Landes Berlin diskriminiert werden.

[Zuruf von Ülker Radziwill (SPD)]

Und wenn Sie mit mir die gleiche Antwort auf diese Frage haben, dann wird sehr schnell freigelegt, worum es hier eigentlich geht: Es wird in diesem Gesetz nur noch die äußere Form guter Gesetzeskunst gewahrt, indem nämlich im § 1 die Ziele des Gesetzes vorangestellt werden – Herr Behrendt hat diese Ziele ja zitiert, und er meint, es gehe dabei um die Verhinderung von Diskriminierung.

Nach meinem Dafürhalten ist es tatsächlich so: Es ist ganz offensichtlich – und auch die Rede von Herrn Walter gerade hat es gezeigt – moralgetränktes Gutmenschentum,

[Zuruf von Stefanie Remlinger (GRÜNE)]

das mit diesem Gesetzentwurf von eklatantem Regierungsversagen ablenken und ein Nichtthema zum Thema erheben will.

[Beifall bei der CDU, der FDP und der AfD – Zuruf von Dr. Susanne Kitschun (SPD)]

Sie haben in Ihrer Koalition eine unterirdische Stimmung, eine Endzeitstimmung, und Sie wollen damit von der Handlungsunfähigkeit oder der Handlungsunwilligkeit, die eigentlichen Probleme Berlins betreffend, ablenken. Und wenn man eben keine eigenen gemeinsamen Ziele mehr hat, dann nutzt man die moralische Überhöhung und das Sich-selbst-über-alle-andere-Stellen, um irgendwie aus dieser Defensive herauszukommen.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Sebastian Walter (GRÜNE) – Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Wenn man keine gemeinsamen Ziele hat wie Sie, dann braucht man ein gemeinsames Feindbild, und genau das versuchen Sie heute, künstlich zu erzeugen!

[Beifall von Dr. Robbin Juhnke (CDU) und Holger Krestel (FDP)]

Denn – und das werden wir auch gleich wieder zu hören bekommen – es ist ja ganz einfach für Die Linke: Wer gegen ein Antidiskriminierungsgesetz ist, der muss ja für Diskriminierung sein. Das werden wir uns gleich alles anhören dürfen. Dabei ist es im Kern nur die Pinselung der grünen Seele, und es ist vollkommen unverständlich, warum die SPD daran teilnimmt. Ein durchschnittlicher SPD-Wähler wird Ihnen das ganz sicher nicht danken.

Wir machen da jedenfalls nicht mit, und es liegt ja auf der Hand: Ihr Gesetzentwurf ist schon handwerklich beschämend. Ich stelle mir geradezu vor, wie ein abgeordneter Richter in der Senatsverwaltung für Justiz gezwungen ist, dieses grüne politische Vorhaben irgendwie in die Äußerlichkeiten eines anständigen Gesetzentwurfes zu packen, in dem es letztendlich nur um grüne Umerziehungsmoral geht, was ganz schnell deutlich wird: Hier stand nicht Herr Behrendt, Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, sondern der Justizsenator, der jetzt eine Behörde, eine öffentliche Stelle leitet. Es steht ihm gar nicht frei – wenn er denn nicht diskriminieren will –, eine Frage zuzulassen und die andere nicht, nur weil sie ihm politisch nicht genehm ist.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Ist das nicht auch Diskriminierung? – Nein, aus seiner Sicht ist es das natürlich nicht, weil allein die Grünen hier im Haus entscheiden, was Diskriminierung ist und was nicht.

So ist auch dieser ganze Gesetzentwurf gearbeitet: Man merkt – wenn man sich anschaut, welche Verrenkungen der arme Referent dort betrieben hat, um hier überhaupt

(Sebastian Walter)

die Notwendigkeit einer Gesetzgebung abzuleiten –, und es wird sehr schnell deutlich, dass man dieses Gesetz nicht braucht, weil es ein über allem stehendes Diskriminierungsverbot in unserem Grundgesetz gibt, das vollkommen ausreicht.

Sie reihen einen unbestimmten Rechtsbegriff an den anderen. Es gibt schlichtweg gar keinen klar umrissenen Tatbestand. Sie setzen die Rechtsanwendung vor vollkommene Unklarheiten, und das wird, sollte es zu Verfahren kommen, zu einer kaum hinnehmbaren Kakophonie in der Rechtsprechung führen. Das sind Allgemeinplätze, die keiner braucht. Sie adressieren unseren öffentlichen Dienst, und ich finde es unverschämt, dass dieses potenzielle Misstrauen unseren Bediensteten entgegengebracht wird. Sie regieren hier in abwechselnden Farbspielchen seit Jahrzehnten unsere Stadt und meinen jetzt ernsthaft, dass der öffentliche Dienst unserer Stadt potenziell Menschen diskriminiere, dass es ein Diskriminierungsproblem gebe. Wenn das im Übrigen so wäre, müssten Sie sich einmal die Frage stellen, wer die politische Verantwortung dafür trägt. – Die Frage bleibt aber auch unbeantwortet.

Sie legen heute ein Gesetz vor, das handwerklich so fehlerhaft ist, dass man keine juristische Prüfung damit bestehen würde. Sie werden damit in der Rechtsanwendung eine Vielzahl von Problemen schaffen und kein einziges Problem lösen. Das Gesetz hat allein den Sinn und Zweck, die grüne Seele zu streicheln und vom Versagen Ihres Regierungshandelns abzulenken. Tatsächlich diskriminieren Sie alle, die sich an Recht und Gesetz halten und sehenden Auges ertragen müssen, was Sie nicht nur am Görlitzer Park täglich zulassen. Sie diskriminieren Eltern, Lehrer und Schüler, die einfach nur wollen, dass Kinder in ordentlichen Schulen ordentlichen Schulunterricht bekommen. Und sie diskriminieren den Verkehrsteilnehmer, der einfach nur zur Arbeit fahren oder seine Kinder zur Schule bringen will, indem Sie durch eine ideologisch geprägte Verkehrspolitik, gepaart mit handwerklicher Unfähigkeit, etwas Ordentliches auf die Beine zu stellen, zu einem Verkehrschaos in dieser Stadt geführt haben. Gehen Sie diese Probleme an und schaffen Sie sich nicht ideologisch geprägte Phantasieprobleme! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Für die SPD-Fraktion hat Frau Dr. Kitschun das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Herr Rissmann! Ich würde gern das Niveau der Debatte der Wichtigkeit des Themas entsprechend etwas anheben und es einmal in einen anderen Kontext stellen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Ich möchte mit einem Zitat aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 beginnen. Dort heißt es im § 2 – ich zitiere:

Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.

So beschloss es die Generalversammlung der Vereinten Nationen drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – aus gutem Grund.

In der Tradition dieser Erklärung der Menschenrechte und des darin enthaltenen umfassenden Diskriminierungsverbots sehen wir unsere Arbeit hier im Abgeordnetenhaus. Das ist in keiner Weise ein Nichtthema und in keiner Weise klein, sondern eine grundsätzliche und wichtige Frage unserer Zeit.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Im Jahre 2006 wurde in Deutschland das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zur Umsetzung des europäischen Antidiskriminierungsrechts eingeführt. Das Grundanliegen dieses Gesetzes hat die damalige Bundesjustizministerin, die Sozialdemokratin Brigitte Zypries, bei den Beratungen im Bundestag auf den Punkt gebracht – ich zitiere:

Wir haben eine Gesellschaft, in der möglichst jeder nach seiner Fasson selig werden sollte. Aber … es gibt... Diskriminierung in Deutschland. Insofern ist es richtig, wenn wir uns darauf verständigen, dass der Staat Toleranz zwar nicht verordnen, aber sehr wohl durch seine Rechtsordnung deutlich machen kann, dass er Intoleranz missbilligt und für die Betroffenen Möglichkeiten schafft, sich dagegen zu wehren.

Heute, 13 Jahre später, ist dieses Grundanliegen des Gesetzes – der Schutz vor Diskriminierung – gesellschaftlich breit, auf jeden Fall breiter akzeptiert. Aber zugleich – das hat auch der Justizsenator schon ausgeführt – ist das Thema angesichts polarisierender Tendenzen in der Gesellschaft weiter hochaktuell. Denn Diskriminierung und Alltagsrassismus gehören auch 2019 leider noch zum Alltag vieler Menschen in unserem Land.

Zwei Beispiele dafür: 28 Prozent der Menschen afrikanischer Herkunft erlebten im letzten Jahr in Deutschland Diskriminierung beim Zugang zu öffentlichen und privaten Dienstleistungen. Dieser Wert liegt 13 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Das ist das Ergebnis einer Sondererhebung der EU. – Zweites Beispiel: Fast jeder Vierte machte im Bildungsbereich im letzten Jahr in

(Sven Rissmann)

Deutschland Diskriminierungserfahrungen. Das ist das Ergebnis einer Erhebung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. – Diese Liste lässt sich leider problemlos fortsetzen. Für uns als Koalition ist das inakzeptabel.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Diese Koalition steht für die Vielfalt und den Respekt vor allen Menschen, ganz unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer sexuellen Orientierung und Identität.

Das bundesrechtliche Antidiskriminierungsgesetz deckt viele Lebensbereiche nicht ab. Das gilt insbesondere für das öffentlich-rechtliche Handeln einschließlich des wichtigen staatlichen Bildungsbereichs, für den die Landesebene zuständig ist. Seit 2016 gibt es in Berlin das Amt einer Antidiskriminierungsbeauftragten in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Die engagierte Arbeit der ersten Antidiskriminierungsbeauftragten Frau Saraya Gomis hat gezeigt, wie groß der Bedarf an Beratung und Unterstützung gerade hinsichtlich der Diskriminierung an den staatlichen Schulen ist. Das gilt auch für die Arbeit der Antidiskriminierungsprojekte. – An dieser Stelle deshalb herzlichen Dank für die hier geleistete Arbeit und das Aufzeigen des Handlungsbedarfs!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir brauchen landesgesetzliche Regelungen. Deshalb hat sich Rot-Rot-Grün auf die Einführung eines Landesantidiskriminierungsgesetzes für Berlin als ein wichtiges Vorhaben dieser Koalition verständigt. – Es ist kein grünes Vorhaben, Herr Kollege Rissmann! Es ist ein wichtiges Gesamtanliegen dieser Koalition. Dafür gibt es seit vielen Jahren Beschlüsse von SPD-Parteitagen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Nach intensiver Beratung hat der Senat den Entwurf eines Landesantidiskriminierungsgesetzes beschlossen. Berlin ist das erste Bundesland, das ein solches Gesetz auf den Weg bringt. Wir hoffen, dass uns andere Bundesländer folgen werden. Der Entwurf schafft den dringend notwendigen Diskriminierungsschutz im Bereich des öffentlich-rechtlichen Handelns, insbesondere im Bildungsbereich und bei den Sicherheitsbehörden. Außerdem – das ist ein weiterer wesentlicher Schritt – wird eine Kultur der Wertschätzung von Vielfalt zum Leitbild der Berliner Verwaltung. Das begrüßen wir ausdrücklich.