Protokoll der Sitzung vom 15.08.2019

[Zuruf von Carsten Ubbelohde (AfD)]

Diese Entwicklung bereitet mir und vielen anderen Sorge, denn damit wird ein Nährboden geschaffen, auf dem Alltagsdiskriminierung wächst, ein Nährboden, der Diskriminierung im Alltag salonfähig macht. Das dürfen wir nicht zulassen!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und der SPD]

(Senator Dr. Dirk Behrendt)

Auch aus diesem Grund ist dieses Gesetz so wichtig. Dieses Gesetz ist auch eine Antwort an alle diejenigen im politischen Betrieb, die meinen, sie könnten mit Provokation die Grenzen des Sagbaren ständig weiter ausdehnen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und der SPD – Marcel Luthe (FDP): Welche Grenzen denn?]

Wenn wir heute über das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz diskutieren, dann diskutieren wir ein Gesetz, das diskriminierten Menschen juristisches Handwerkszeug bereitstellt, um sich mit Mitteln des Rechtsstaats zu wehren, das europäische Ideen umsetzt und das für eine weltoffene und freiheitliche Gesellschaft steht. Wir diskutieren über ein Gesetz, das auch Ausfluss des Diskriminierungsverbotes unserer Verfassung ist. Mit diesem Gesetz stellen wir eines ganz klar: Wir stehen auf der Seite der von Diskriminierung Betroffenen.

[Holger Krestel (FDP): Danke!]

In § 1des Gesetzentwurfes heißt es:

Das Land Berlin stellt sich gesellschaftlichen Ausgrenzungen und Stigmatisierungen entgegen, um eine gleichberechtigte Teilhabe in einer weltoffenen, solidarischen und vielfältigen Gesellschaft zu verwirklichen.

Ich werbe um Ihre Unterstützung, damit Berlin diesen Anforderungen gerecht wird. – Vielen Dank!

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und Herr Abgeordneter Walter hat das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Das weltoffene Berlin, die offene Gesellschaft ist nicht voraussetzungslos. Sie muss täglich neu erkämpft, neu vermittelt und neu verteidigt werden, gerade wenn der Wind von rechts weht, gerade wenn die vertrauten demokratischen Grundprinzipien ausgehöhlt und angegriffen werden.

[Carsten Ubbelohde (AfD): Meinen Sie sozialistisch?]

Der Wert, die Stärke und die Menschlichkeit unserer offenen Gesellschaft bemessen sich dabei daran, wie sie mit denjenigen ihrer Mitglieder umgeht, die besonders vulnerabel sind oder marginalisiert werden. Diese Mitglieder vor sozialer Kälte und Ungerechtigkeit zu schützen, ist unsere Aufgabe. Sie vor Diskriminierung zu schützen, ist unsere Pflicht. Und, um nicht falsch verstan

den zu werden, nicht etwa aus Gutherzigkeit, sondern frei von Diskriminierung zu leben, ist ein Menschenrecht.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN – Holger Krestel (FDP): „Darauf einen Dujardin!“]

Diskriminierung ist noch immer und überall in unserer Gesellschaft gegenwärtig. Die meisten Berlinerinnen und Berliner können davon im Laufe ihres Lebens betroffen sein. Sei es auf dem Arbeitsmarkt, in der Schule oder beim Ämtergang, die Gründe und Zuschreibungen sind dabei so vielfältig, wie es die Berliner Stadtgesellschaft ist. Diskriminiert wird aufgrund des Alters, aufgrund einer Behinderung, aufgrund des Geschlechts, aufgrund einer rassistischen Zuschreibung und vieler weiterer Gründe mehr.

Wir als rot-rot-grüne Koalition wollen und werden uns damit nicht abfinden. Deshalb gehen wir heute voran, um den Schutz vor Diskriminierung weiter auszubauen und endlich gesetzlich zu verankern – mit einem eigenen Landesantidiskriminierungsgesetz. Und das ist, mit Verlaub, bundesweit einmalig.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Das Landesantidiskriminierungsgesetz, kurz: LADG, schließt – das hat der Senator schon gesagt – für Berlin eine wichtige Schutzlücke, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auf Bundesebene in seinem Geltungsbereich offenlässt,

[Holger Krestel (FDP): Welche Lücke?]

nämlich den Bereich des öffentlich-rechtlichen Handelns. Mit dem LADG erkennen wir erstmals an, dass auch der Staat mit seiner Verwaltung, mit seinen öffentlichen Stellen und Behörden mittel- und unmittelbar ein potenziell diskriminierender Akteur sein kann, dass er eine Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern hat, und wir ermutigen von Diskriminierung Betroffene, ihre Rechte selbstbewusst einzufordern und sich zu wehren.

Der vorliegende Gesetzentwurf beschränkt sich aber nicht allein darauf, sondern er entwickelt Antidiskriminierungsrecht innovativ weiter: Mit einer Ausweitung des Merkmalkatalogs – zum ersten Mal sind Sprache, sind chronische Erkrankungen oder sozialer Status dann gesetzlich verankert –, mit einem Verbandsklagerecht, mit einer erweiterten Verjährungsfrist, mit der Einrichtung einer Ombudsstelle zur Unterstützung von Betroffenen. Und mit der gesetzlichen Verankerung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt und von ganz konkreten Diversity-Maßnahmen in der gesamten Berliner Verwaltung. Damit schreiben wir nicht nur Rechtsgeschichte, sondern nehmen im Ländervergleich eine Pionierrolle ein.

(Senator Dr. Dirk Behrendt)

Bis zur heutigen Einbringung des Gesetzes sind wir einen ziemlich weiten Weg gegangen. Und allen, die seit der vorletzten Legislaturperiode – damals von SPD und Linke initiiert – auf den verschiedensten Ebenen das LADG vorangetrieben haben, sei hier und heute gedankt, nicht zuletzt auch dem gesamten Senat, der Landesantidiskriminierungsstelle, aber insbesondere allen zivilgesellschaftlichen Verbänden, die über die Jahre hinweg nicht lockergelassen haben – danke!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Herr Kollege Walter! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Luthe von der FDP-Fraktion zulassen.

Nein!

[Marcel Luthe (FDP): Schade! – Florian Kluckert (FDP): Das ist jetzt aber Diskriminierung!]

Ich glaube, wir müssen noch viel über Diskriminierung reden. Sie haben ganz offensichtlich nicht verstanden, um was es dabei geht.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN – Holger Krestel (FDP): Witze!]

Wenn Sie weiter auch Witze über Diskriminierung wollen, können Sie das gerne nachher machen, aber das nimmt die Sache nicht ernst genug, Herr Krestel!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Mit dem vorliegenden Entwurf des LADG gehen wir einen großen antidiskriminierungsrechtlichen Schritt voran. Für uns ist aber klar, dass Antidiskriminierungsrecht per se fortlaufend weiterentwickelt und angepasst werden muss. Dies werden wir mittel- und langfristig tun müssen und daher das LADG auch in seiner Umsetzung und Anwendung parlamentarisch eng begleiten.

Um der weiteren Debatte heute vorzugreifen – und das werde ich, glaube ich, hier, nachdem, was alles schon gesagt worden ist, ganz treffend machen: Der FDP sind Bürgerinnen- und Bürgerrechte bekanntlich nur dann etwas wert, wenn sie gratis und unverbindlich sind.

[Henner Schmidt (FDP): Das ist eine Unverschämtheit!]

Im Jahr 2006 beschwor die FDP-Bundestagsfraktion mit der Einführung des AGG – und ich habe alle Protokolle noch einmal gelesen; das war kein besonderes Vergnügen – die Ankunft der apokalyptischen Reiter: Das Gesetz werde Bürokratie, Rechtschaos, Unfreiheit, Finanzrisiken, Gesetzesmissbrauch, Entschädigungserschwindlungen, Massenklagen und gar Diskriminierung selbst mit sich bringen – Herr Krestel hat es gerade eben selbst noch mal gesagt. Ich hoffe inständig, Sie wärmen diese ollen Kamellen von 2006 heute nicht erneut auf, und ich hoffe, wir werden von Ihnen positiv überrascht und ein klares Bekenntnis zu einem gesetzlichen Diskriminierungsschutz auch von Ihnen bekommen.

[Holger Krestel (FDP): Bleiben Sie mal auf dem Teppich!]

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Buchholz – – Keine Zwischenfragen, grundsätzlich.

Das gilt genauso für die CDU-Fraktion: Sie haben sich 2015 bei der Beratung des damaligen LADG-Entwurfs in diesem Haus ebenfalls in einer, würde ich sagen, abenteuerlich-absurden Begründung für Ihre Ablehnung verstiegen. Ich kann nur sagen: Zeigen Sie heute und hier mehr Courage!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist inzwischen 13 Jahre alt, und nichts von dem, was die FDP damals voraussagte, ist eingetreten. Das Abendland ist nicht untergegangen, und ganz im Gegenteil: Die Anzahl der Klagen ist überschaubar – möglicherweise sogar zu überschaubar –, die Urteile sind moderat – möglicherweise zu moderat –, und die Urteile haben im Umgang mit Diskriminierung v. a. eines geschaffen: Rechtssicherheit.

[Holger Krestel (FDP): Herr Walter! Jetzt machen Sie mal keine Richterschelte!]

Genauso wird es sich beim LADG verhalten.

Das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz stärkt die Verwaltung in ihrem Kurs zu mehr Diversität und Offenheit. Das LADG stärkt die Rechte aller Berlinerinnen und Berliner.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Es füllt das Versprechen auf Chancengleichheit und Teilhabe mit Leben, und gegen die spaltenden Angriffe von rechts werden wir damit ein starkes Zeichen der Solida

rität und des Zusammenhalts für eine unteilbare Gesellschaft setzen.