Jetzt aber noch mal zurück zur Sache. Natürlich macht es Sinn, die Finanzämter personell vernünftig auszustatten. Wir wissen, dass wir jahrelang darüber diskutiert haben, dass wir viel zu wenig Mitarbeiter haben, um z. B. bei Umsatzsteuerbetrug wirklich die Lücken zu schließen und die Steuern einzunehmen, die dem Staat zustehen. Ich glaube, dass es Sinn machen würde, und da würde ich Sie bitten, das noch einmal genauer zu prüfen, gerade im Bereich der Finanzämter viel stärker mit künstlicher Intelligenz zu arbeiten,
um genau herauszufinden, mit welcher Wahrscheinlichkeit man welche Prüfungen durchführt, um möglichst Steuergerechtigkeit herzustellen. Ich glaube, dass wir da viel genauer liegen, als wenn man das nur an der Einkommenshöhe festmacht. Auch die Zahl der Betriebsprüfungen ist immer nur eine Zahl, denn eine Betriebsprüfung kann sehr umfangreich sein und ein sehr großes Unternehmen oder ein sehr kleines Unternehmen treffen. Insofern glaube ich, dass wir hier einen Bereich haben, wo wir in der Zukunft, wenn wir mit den Möglichkeiten der Digitalisierung arbeiten, zu mehr Gerechtigkeit und am Ende des Tages vielleicht auch zu mehr Steuereinnahmen kommen. Aber auch hier gilt es wieder für alle. – Vielen herzlichen Dank!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Empfohlen wird die Überweisung des Antrags an den Hauptausschuss. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die erste Lesung der Gesetzesvorlage. Zunächst wird der Gesetzesentwurf durch den Senat begründet. Das Wort hat Herr Senator Dr. Behrendt. – Bitte schön!
Danke schön! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Meinen Damen und Herren! Liebe Anwesende! Vereinfacht gesagt besteht beim Thema Diskriminierung gerade folgendes Problem: Wenn Frau
Meier mit Herrn Müller – oder sie können auch anders heißen – einen Vertrag schließt und ihn dabei diskriminiert, dann hat Herr Müller juristische Möglichkeiten, sich zu wehren. Er kann z. B. Schadenersatz verlangen. Wenn Herr Müller aber eine Genehmigung bei einem Berliner Amt beantragt und dabei diskriminiert wird, dann hat Herr Müller faktisch keine juristischen Möglichkeiten, sich zu wehren. Oder anders formuliert: Es besteht bereits ein umfangreicher rechtlicher Schutz vor Diskriminierung, aber nur zwischen zwei Privatpersonen und im Arbeitsleben, nicht im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Hier bestehen Schutzlücken. Das macht keinen Sinn. Warum sollten Menschen im Privatleben besser vor Diskriminierung geschützt sein als Menschen, die mit öffentlichen Stellen zu tun haben?
Gerade der Staat sollte doch die Menschen vor Diskriminierung schützen. Alles andere stellt das Diskriminierungsverbot unserer Verfassung auf den Kopf. Hier klaffen also Gesetzeslücken. Das Landesantidiskriminierungsgesetz schließt genau diese Gesetzeslücken.
Worum geht es konkret? – Der Gesetzesentwurf stärkt an drei zentralen Punkten die Rechte der von Diskriminierung Betroffenen. Erstens: Das Gesetz sieht Ansprüche auf Schadenersatz und Entschädigung vor. Lassen Sie sich doch einmal folgende Frage durch den Kopf gehen: Sollten Menschen, die vom Staat in ihren Rechten verletzt werden, einen Anspruch auf Schadenersatz oder Entschädigung haben? –
Ich meine ja. Die Antwort auf diese Frage kann deshalb nur lauten: Selbstverständlich. Selbstverständlich sollten Menschen einen Anspruch auf Schadenersatz oder Entschädigung haben, wenn sie von staatlichen Stellen in ihren Rechten verletzt werden. Selbstverständlich sollten Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihres sozialen Status oder ihrer Sprache diskriminiert werden, Schadenersatzansprüche und Entschädigungsansprüche haben. Leider gibt es diese Ansprüche bisher nicht.
Genau daher schafft das Landesantidiskriminierungsgesetz die Ansprüche auf Schadenersatz oder Entschädigung. Das Landesantidiskriminierungsgesetz schließt also diese Gesetzeslücke.
Zweitens: Das Gesetz stärkt die Betroffenen, wenn es darum geht, Diskriminierungen nachzuweisen, denn für die Betroffenen ist es derzeit schwierig, Diskriminierungen rechtssicher darzulegen. Stellen Sie sich folgende Situation vor: In einer Straße sollen drei identische Reihenhäuser unter gleichen rechtlichen Voraussetzungen gebaut werden. Herr Meier beantragt eine Baugenehmigung für das Haus 1, Herr Müller eine Baugenehmigung
Jetzt passiert Folgendes: Herr Meier und Herr Müller erhalten die Genehmigung, Herr Youssef erhält sie nicht. Dass Herr Youssef die Baugenehmigung wegen seiner arabischen Herkunft und seines arabisch klingenden Namens nicht erhalten hat, ist ein Indiz. Er müsste jedoch beweisen, dass es daran lag. Das ist wiederum schwierig. Das Landesantidiskriminierungsgesetz setzt genau hier an und ändert dies. Wenn bestimmte Indizien vorgetragen werden, dann muss die Behörde ihrerseits nachweisen, dass sie nicht diskriminiert hat.
Rechtstechnisch nennt sich das eine Vermutungsregelung, und dieses juristische Werkzeug kennen wir aus vielen anderen Bereichen im Recht. Für den konkreten Fall würde das also bedeuten: Nicht Herr Youssef muss beweisen, dass er diskriminiert wurde, stattdessen muss die staatliche Stelle, hier das Bezirksamt, Bauamt, nachweisen, dass sie nicht diskriminiert hat.
Herr Senator Dr. Behrendt! Die Sachverhalte, die Sie gerade hier schildern, scheinen so schließlich darauf hinauszulaufen, dass sich daraus eine bestimmte Anzahl von Rechtsstreitigkeiten ergibt. Wie viele Kammern, und zwar vollbesetzte Kammern, gibt es denn bei den entsprechenden Gerichtsbarkeiten, die diese ganzen Rechtsstreitigkeiten derzeit im Land Berlin entscheiden sollen?
Danke schön, Herr Krestel, für diese Zwischenfrage! – Als Rechtsausschussvorsitzender wissen Sie ja, wie wir aufgestellt sind, insbesondere im amtsgerichtlichen Bereich. Ich werde auf die Frage, was eigentlich das zentrale
Anliegen dieses Gesetzes ist, antworten: nicht möglichst viele Rechtsanwälte zu beschäftigen und möglichst viele Rechtsstreitigkeiten vor Gericht zu bringen, sondern das zentrale Ziel ist ein anderes. Sie müssen sich aber einen Moment gedulden,
denn ich wollte den dritten Vorteil des Gesetzes noch kurz dartun, und dann komme ich darauf zurück.
Also der dritte zentrale Punkt ist folgender: Die Betroffenen stehen bislang relativ alleine da, wenn es darum geht, ihre Rechte durchzusetzen. Daher stärkt das Landesantidiskriminierungsgesetz die Betroffenen, indem es ihnen anerkannte Antidiskriminierungsverbände, von denen wir einige haben in der Stadt, worüber ich mich sehr freue, zur Seite stellt. Viele Menschen schrecken davor zurück, sich juristisch gegen staatliche Diskriminierung zu wehren. Es ist kompliziert. Es ist eine zusätzliche psychische Belastung, und es ist mit einem Kostenrisiko verbunden. Daher wird anerkannten Antidiskriminierungsverbänden ein Verbandsklagerecht eingeräumt.
Sie können mit einer Klage also feststellen lassen, dass eine Diskriminierung vorliegt. Auch das ist ein Werkzeug aus dem Handwerkskoffer des Rechts. Das wird in vielen anderen Bereichen bereits angewendet. Das Landesantidiskriminierungsgesetz stellt dieses Werkzeug nun auch für Menschen bereit, die von staatlichen Stellen diskriminiert wurden. Auch hier schließt das Landesantidiskriminierungsgesetz eine Gesetzeslücke.
Schadenersatz und Entschädigungsansprüche, Beweiserleichterung für die Betroffenen und Verbände, die den Betroffenen zur Seite stehen, das sind die zentralen Elemente dieses Gesetzes.
Es geht allerdings noch um mehr. Mit dem Landesantidiskriminierungsgesetz erfüllt Berlin als erstes Bundesland in Deutschland europäische Vorgaben. Schließlich gibt es vier EU-Antidiskriminierungsrichtlinien, und an diese sind auch die deutschen Bundesländer gebunden. Das bedeutet Folgendes: Die EU verpflichtet die Länder beispielsweise zur Schaffung eines – ich zitiere – wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionsregimes – das sind Ansprüche auf Schadenersatz und Entschädigung. Die EU verpflichtet auch zu Beweiserleichterungen vor Gericht – das sind die Vermutungsregelungen zugunsten der diskriminierten Menschen. Und die EU verlangt auch Mitwirkungsrechte von Verbänden – das ist die Verbandsklage. Sie merken, die europäische Dimension ist durchaus wichtig im Antidiskriminierungsbereich, wenn wir heute über das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz sprechen. Denn wenn die Länder diese Gesetzeslücken nicht schließen, dann handeln sie europarechtswidrig.
Sie sehen, es geht ganz sicher nicht darum, einzelne Mitarbeitende im Hinblick auf Diskriminierungen unter Generalverdacht zu stellen oder mit dem Finger auf sie zu zeigen – das ist ein Bedenken, das die Gewerkschaften im Gesetzgebungsverfahren vorgebracht haben. Es geht vielmehr darum, juristische Schutzlücken zu schließen. Und Untersuchungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes – eine sehr verdienstvolle Einrichtung – zeigen: Die Menschen machen auch durch öffentliche Stellen Erfahrungen mit Diskriminierung. Das betrifft viele Bereiche, von den Jobcentern über die Polizei, über die Schulen, über die Jugendämter, über die Ausländerbehörden bis hin zu den Finanzämtern. Damit müssen wir umgehen. Und wir müssen darauf eine Antwort geben. Mit dem Landesantidiskriminierungsgesetz stellt sich Berlin an die Seite all derer, die diskriminiert werden, und gibt auf diese Frage eine Antwort. – Möchte Herr Krestel noch eine Zwischenfrage stellen?
Ich würde jetzt gerne einmal im Zusammenhang ausführen. – Natürlich gehen wir auch auf unsere Mitarbeitenden zu. Mit Informationen und Schulungsangeboten wollen wir die Mitarbeitenden der Berliner Verwaltung für dieses Thema sensibilisieren. Wir wollen sie handlungssicher machen, damit sie wissen, wie sie den Bürgerinnen und Bürgern Berlins, egal welcher Hautfarbe, wo sie herkommen, wie sie sprechen, wie sie aussehen, entgegentreten. Wir wollen damit ihre Diversity-Kompetenz stärken.
Wenn wir heute über das Landesantidiskriminierungsgesetz sprechen, dann ist eine weitere Dimension wichtig – jetzt komme ich auf das von Ihnen, Herr Krestel, Angesprochene zurück: die politische Dimension. Wir leben in besonderen Zeiten, denn in den vergangenen Jahren haben sich neue Gruppierungen im politischen Betrieb gebildet. Diese Gruppierungen zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus: Sie stellen die Gleichheit aller Menschen grundsätzlich infrage. Sie nutzen Diskriminierung als Mittel zum Zweck, und sie bekämpfen Europa.