Protokoll der Sitzung vom 31.10.2019

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Beifall von Hanno Bachmann (AfD)]

Nicht zuletzt ist und bleibt es eine immerwährende Herausforderung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nie als Selbstverständlichkeit zu nehmen, sondern immer wieder neu zu verteidigen. Durch glaubwürdiges politisches Handeln und indem wir Politiker sagen, was wir tun, und indem wir tun, was wir sagen. Gerade in Zeiten einer kurzlebigen Öffentlichkeit, die sich an Spektakeln ergötzt, die schnell durch die Medien rauschen und ebenso schnell wieder vergessen werden wie sie aufgepoppt sind.

(Dr. Robbin Juhnke)

Am Ende bleibt dann nichts mehr übrig als die traurige Einsicht, dass niemand mehr erkennen kann, wofür wir eigentlich stehen.

Aber Politik ist eben nicht nur eine Sache von Politikerinnen und Politikern. Sie ist die Sache eines jeden Einzelnen. Wenn jeder in der DDR gedacht hätte, dass an ihm die Veränderung nicht hängt, dann hätte es nie eine friedliche Revolution gegeben. Was wir im Kleinen tun, ist immer auch Teil des Großen und Ganzen.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Franz Kerker (AfD)]

Der Blick zurück kann zeigen, dass es möglich ist, etwas zu verändern. Wir müssen aber auch sehen wollen, was uns ermutigen kann. Wir müssen den Streit aushalten und lernen, ihn offen und fair miteinander auszutragen. Gerade in unserer großartigen Stadt sollten wir in der Lage sein, diese Herausforderung zu meistern. Es gehört gleichermaßen dazu, dann zusammenzustehen, wenn es darauf ankommt.

Ich bedauere es sehr, dass es heute nicht gelungen ist, einen gemeinsamen Entschließungsantrag einzubringen. Ich bedaure es noch mehr, dass heute – wie ich finde – unser demokratisches Miteinander und auch der Grundkonsens, der hier im Haus besteht, einen immensen Schaden erlitten haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU! Gerade im Hinblick – –

[Gunnar Lindemann (AfD): Wir leben in einer Demokratie und nicht in einer SED-Diktatur! – Carsten Ubbelohde (AfD): Da Sie sich trauen, das an dieser Stelle überhaupt zu sagen! – Weitere Zurufe von der AfD]

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, dass Frau Dr. West das Wort hat!

Sie können ja Ihren Standpunkt gleich in Ihrer Rede deutlich machen. Ich mache es jetzt in meiner. – Ich möchte nämlich die Kolleginnen und Kollegen von der CDU an dieser Stelle fragen: War es das wert?

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD: Ja! – Zuruf von Gunnar Lindemann (AfD)]

Im Übrigen möchte ich mich zum Schluss noch gegen eine Sache verwahren, muss ich ehrlich gestehen, gerade in Hinblick auf meine eigene Parteigeschichte: Zu sagen, dass auch Teile der SPD, oder die SPD, in irgendeiner Form den Blick auf die Geschehnisse in der DDR heutzu

tage verwässern, das muss ich auf das Schärfste zurückweisen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Gunnar Lindemann (AfD): Ihr habt doch mitgemacht!]

Das haben Sie jetzt nicht ernsthaft gesagt? Ich habe gehört, wir hätten dort mitgemacht. – Vielleicht gehen Sie einmal nach Hohenschönhausen, machen dort eine Führung mit und lassen sich berichten über die Mitglieder der SPD, die kurz nach der Zwangsvereinigung dort inhaftiert waren. Das ist sehr interessant. Das kann ich Ihnen an dieser Stelle ganz dringend empfehlen.

[Anhaltender Beifall bei der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Letzter Satz: Es gibt die Chance, dass meine Tochter und alle anderen Nachgeborenen die Geschichte unserer Stadt und unseres Landes verstehen, aber nur dann, wenn wir heute das mit Überzeugung leben, wofür damals gekämpft wurde. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Für die AfD-Fraktion spricht jetzt Herr Trefzer – bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution und dem Mauerfall erinnern wir uns heute an die glücklichen Tage und Wochen im Herbst 1989, als die kommunistische Diktatur in Ostdeutschland zusammenbrach. Wir erinnern uns dankbar derjenigen Menschen, die mutig auf die Straße gegangen sind und ihre Stimme für ein freies, demokratisches und friedliebendes Deutschland erhoben haben. Wir gedenken aber auch derjenigen Menschen, die bis 1989 Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft geworden sind, die ermordet, verfolgt, inhaftiert, physisch und psychisch gefoltert, deren Gesundheit ruiniert oder deren Leben anderweitig beeinträchtigt wurde.

All das geschah in einem Staat, in dem Oppositionelle verfolgt oder zwangsausgesiedelt wurden, in dem es keine freien Wahlen gab, in dem Republikflucht unter Strafe stand und Grenzverletzer erschossen wurden, in dem Menschen unmenschliche Haftbedingungen erleiden mussten, in dem physisch und psychisch gefoltert wurde, in dem vermeintliche und tatsächliche politische Gegner der Bespitzelung und Zersetzung durch das Ministerium für Staatssicherheit ausgesetzt waren, in einem Staat, in dem die Vernichtung der bürgerlichen Existenz zur

(Dr. Clara West)

Technik des Machterhalts gehörte, in dem Menschen unter gesundheitsschädlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten, in dem keine grundlegenden Freiheitsrechte geltend gemacht werden konnten, in einem Staat, in dem die Verfassung eine einzelne Partei als höchste Instanz festsetzte, in dem es kein unabhängiges Verfassungsgericht gab, in dem keine freie und unabhängige Presse existierte, in dem die Justiz nie unabhängig von den politischen Vorgaben von Staat und Partei war, ein Staat, in dem das Strafgesetzbuch zahlreiche politische Straftatbestände enthielt und in dem es eine große Zahl politischer Gefangener gab. Dieser Staat war die DDR. Wie sollte man diesen Staat anders bezeichnen denn als Unrechtsstaat?

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos), Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Ich finde es befremdlich, um es einmal vorsichtig auszudrücken, dass sich die Koalitionsfraktionen und die FDPFraktion in ihrem Antrag genau um diese zentrale Erkenntnis wortreich herumdrücken. Mit keinem Wort wird in Ihrem Papier der strukturelle Unterdrückungs- und Unrechtscharakter der DDR erwähnt. Stattdessen ergehen Sie sich in Plattitüden. Peinlich ist, Herr Förster, dass Sie da mitmachen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos), Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Aber auch für Sie, Frau Dr. West und Herr Otto, ist das kein Ruhmesblatt. Ich hätte mich sehr gefreut, Frau Dr. West, wenn die Formulierungen, die Sie hier gefunden haben, auch in Ihren Antrag Eingang gefunden hätten. Stattdessen sind Sie in der Bewertung eines zentralen historischen Ereignisses der jüngeren deutschen Geschichte offenbar der Linken auf den Leim gegangen. – Herr Förster! Ich schätze Ihre Arbeit in der Aufarbeitungspolitik und Ihr Engagement in der Causa Knabe. Dass sie sich aber hier vor den Karren der Linkskoalition haben spannen lassen, ist ein politischer Fauxpas ersten Ranges,

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

denn nicht genug der unverbindlichen Allgemeinplätze – in dem von Ihnen mitgetragenen Antrag sind auch ein paar echte historische Schnitzer enthalten, die ich Ihnen in dieser Form nicht zugetraut hätte, Herr Förster. So heißt es in dem Antrag u. a. – ich zitiere mit der Erlaubnis der Präsidentin –

… die Staatsmacht der DDR musste ihr Grenzregime … nach 28 Jahren aufgeben. Dass dies auf friedlichem Wege geschah, verdient mit Blick auf die deutsche Geschichte besondere Würdigung.

[Heiterkeit bei der AfD]

Man höre und staune: Nicht, dass die Demonstranten und die Menschen auf der Straße friedlich blieben, sondern dass die sozialistische Staatsmacht am 9. November keine Gewalt anwendete, dient nach Auffassung der Koalition und der FDP besondere Würdigung. Dieser Satz ist nach 40 Jahren Machtmissbrauch und Gewalt durch eben diese sozialistische Staatsmacht nichts anderes als purer Hohn und ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die unterdrückt, bespitzelt und gefoltert wurden.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos), Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Stattdessen wittern Sie im Stil der DDR-Propaganda feindlich-negative Kräfte des Populismus, scheinbar mit der Absicht, vom notorischen DDR-Antisemitismus abzulenken. Das grenzt schon an historische Falschmünzerei. Statt einmal die Gelegenheit des historischen Rückblicks zu nutzen, um sich zu fragen, welchen Anteil eigentlich das Erbe des aggressiven DDR-Antizionismus und der Hätschelung arabischer und rechtsextremer Judenfeinde durch die DDR am heutigen Antisemitismus hat, ergehen Sie sich in Sprechblasen. Ihr Papier ist somit eigentlich das beste Beispiel dafür, wie notwendig die Vermittlung von historischem Wissen über die DDR und eine kritische Aufarbeitung heute mehr denn je sind. Wir müssen alle gemeinsam verstärkt darauf hinwirken, das Wissen um den verbrecherischen Charakter des Kommunismus und das Leiden der Opfer im öffentlichen Bewusstsein wachzuhalten, auch und gerade als Mahnung für künftige Generationen. Das ist unser Auftrag, dem wir uns stellen müssen. Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen und der FDP leistet dazu leider einen Bärendienst.

[Zuruf von den GRÜNEN]

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos), Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Herr Abgeordneter Otto. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „30 Jahre Friedliche Revolution“ – das heißt Dankbarkeit, das heißt erinnern an die Menschen, die auf der Straße waren, an den Mauerfall und an die Vereinigung unseres Landes und Europas. Das alles ist heute Gegenstand, und das ist Anlass zur Freude.

(Martin Trefzer)

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN, der CDU und der FDP]

Das Gebäude, in dem wir seit 1994 als Abgeordnetenhaus tagen, lag an der Mauer, im Grenzgebiet, im Sperrgebiet. Hier kam keiner rein – außer Staatsicherheit und Militär. Hier war Berlin, hier war Deutschland, hier war Europa geteilt, und es ist gut, dass wir als Parlament, als parlamentarische, demokratisch gewählte Vertretung der Berlinerinnen und Berliner gerade an einem solchen Ort unseren Sitz haben. Daran sollten wir uns gelegentlich erinnern.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN, der CDU und der FDP – Beifall von Hanno Bachmann (AfD)]

Ich habe in diesem Jahr etliche Veranstaltungen gemacht, Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern mit einer Ausstellung von Harald Hauswald „Voll der Osten“. Ich habe denen erzählt, dass ich im Alter von 27 Jahren, nämlich 1989, das erste Mal in Wedding oder Reinickendorf war. Das können sich junge Menschen nicht vorstellen. Die können sich auch nicht vorstellen, wie das mit der Mauer war. Die können sich nicht vorstellen, dass man keine Reisefreiheit, keine Pressefreiheit hatte. Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen davon erzählen und wir Orte in Berlin haben, wo das möglich ist. Das ist eine politische und historische Bildungsaufgabe, und ich freue mich, dass unser Haus – nicht zuletzt, indem wir einen ordentlichen Haushalt für den Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur bereitstellen – daran aktiv mitwirkt. Darüber freue ich mich, und ich freue mich besonders, dass das zumindest bisher immer aus der gesamten Mitte des Parlaments geschehen ist. Ich hoffe, dass wir dahin auch wieder zurückkommen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Die Friedliche Revolution konnte nur gelingen, weil die Zeit und die äußeren Bedingungen günstig waren. Denken Sie an Michail Gorbatschow und den „Wind of Change“ in Moskau. Besonders wichtig sind aber für mich, für uns die osteuropäischen Nachbarn – denken Sie an die Gewerkschaft Solidarność, an die Charta 77. Das waren Vorbilder für die Opposition in der DDR, für die Bürgerbewegung. Ich will – das ist von anderen auch schon getan worden – einfach ein paar Leute erwähnen: Bärbel Bohley, Marianne Birthler oder Sebastian Pflugbeil, der jüngst vom Regierenden Bürgermeister den Verdienstorden des Landes Berlin erhalten hat. Das sind Menschen, die Revolution gemacht haben. Sie standen vorne, sie waren besonders mutig. Ich glaube, an sie zu erinnern wird diesem Ansinnen und diesem Tag besonders gerecht.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN, der CDU und der FDP]

Die Vertreter der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und die damalige Bundesregierung haben den Bürgerinnen und Bürgern der DDR einen Beitritt angeboten. Die Bürgerinnen und Bürger der DDR haben dem am 18. März 1990 in einer freien Wahl – in der ersten demokratischen Wahl, die überhaupt in der DDR stattgefunden hat – zugestimmt und haben gesagt: Wir wählen Parteien, die das für uns organisieren wollen. Denen geben wir unser Vertrauen. – Die haben sich mit sehr großer Mehrheit dafür entschieden – nicht alle, es waren auch ein paar dagegen –, aber das war, glaube ich, ein sehr wichtiger Schritt, der mit diesem Datum 18. März zusammenhängt.

Damit hängt aber auch – und da komme ich mit zwei, drei Sätzen auf die Debatte zu sprechen, die wir in letzter Zeit führen – die Frage der Verantwortung des Einzelnen für das, was danach passiert ist, zusammen. Es gibt heute eine Debatte über den Zusammenbruch der Wirtschaft in der DDR, der Betriebe, über die Treuhandpolitik. Da ist nicht alles richtig gelaufen, da ist sicherlich auch das eine oder andere schiefgelaufen. Trotzdem: Es war ein einmaliger Versuch. Man kann das beim nächsten Mal alles anders machen, aber aus heutiger Sicht können wir nur feststellen: Was ist gut gelaufen, was ist nicht ganz so gut gelaufen? – Ich will sagen: In meiner Rückschau sieht das so aus, dass wir insbesondere die Menschen in der DDR nicht rechtzeitig befähigt haben, wirtschaftlich tätig zu sein, die Betriebe selbst zu übernehmen und die Ärmel hochzukrempeln. Ich glaube, das ist zu wenig passiert, und das ist etwas, was man den Leuten in Ostdeutschland auch heute sagen muss: Nehmt eure Angelegenheiten selbst in die Hand! – Das war die Botschaft der Bürgerbewegung: Bürger für Bürger. Wir machen die Politik selbst. – Ich glaube, das ist ein Ansatz, den wir in Berlin in den letzten Jahren ganz gut gepflegt und entwickelt haben: Bürger, kümmert euch, nehmt eure Angelegenheit selbst in die Hand! – Das ist auch eine Botschaft von 1989, die wir nicht vergessen dürfen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN und der FDP]