Protokoll der Sitzung vom 14.11.2019

(Derya Çağlar)

Außer der Einrichtung eines Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung sieht der Senat auch hier keinerlei Handlungsbedarf.

[Franz Kerker (AfD): Typisch!]

Beamte, die mit Zwangs- und Kinderehen in Berührung kommen, erhalten keine speziellen Schulungen. Konkrete Handlungsanweisungen gibt es ebenfalls nicht. Aufklärungsveranstaltungen in Schulen sind nicht im Rahmenlehrplan vorgesehen. Hier handelt jede Schule nach eigenem Gutdünken oder eben auch gar nicht. Statistische Daten von Schülerinnen und Schülern, die nach den Ferien nicht in die Schulen zurückkehren, weil sie im Heimatland beispielsweise zwangsverheiratet wurden, werden nicht erfasst und auch nicht ausgewertet.

Zwangsverheiratungen geschehen nach wie vor mitten in unserer aufgeklärten und modernen Gesellschaft und direkt vor unseren Augen. Die Gleichstellung von Frauen wird mit Füßen getreten. Zwangsverheiratungen sind für viele von uns überhaupt nicht vorstellbar, aber sie sind eine Realität, der wir uns stellen müssen. Um das eigentliche Ausmaß bewerten und wirksam Präventionsmaßnahmen ergreifen zu können, brauchen wir aktuelle und repräsentative wissenschaftliche Erhebungen.

[Beifall bei der CDU und der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Meiner Fraktion gehen die Forderungen im vorliegenden Antrag nicht weit genug. Wir brauchen aktuelle und verlässliche Zahlen, auch auf Bundesebene. Deshalb werden wir einen entsprechenden Änderungsantrag im zuständigen Fachausschuss einbringen. Ich hoffe auf ergebnisreiche Beratungen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Abgeordnete Taş. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die demokratischen Parteien in diesem Hause sind sich einig:

[Frank-Christian Hansel (AfD): Also ohne Die Linke! Oder wie?]

Zwang, Druck und Gewalt vor oder innerhalb der Ehe werden von uns abgelehnt und verabscheut.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Roman Simon (CDU) und Henner Schmidt (FDP)]

Die Ehe ist eine besonders schützenswerte Institution, doch der Weg in die Ehe muss immer auf freiwilliger Basis der Beteiligten geschehen, sonst sprechen wir ja auch nicht von einer rechtmäßig geschlossenen und geführten Ehe.

Was mich aber schon erstaunt, ist, dass die AfD immer dann, wenn der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen – 25. November – näher rückt, plötzlich so tut, als würde Ihnen etwas an Frauenrechten liegen. Es geht der AfD doch nicht um den Schutz der Frauen und ihrer Rechte – darum ging es ihr noch nie.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Ach, Leute! Immer die gleiche Leier! Ist doch Scheiße!]

Ich bin lauter als Sie! – Doch immer dann, wenn man gerade damit Stimmung gegen Muslime machen kann, entdeckt die AfD plötzlich ihr Herz für Frauen, genauso wie für Schwule, für Juden oder sonstige Gruppen im Land.

Dieser Antrag ist wieder mal ein Versuch, auf Kosten der Frauen gegen Muslime zu hetzen

[Frank-Christian Hansel (AfD): Blödsinn! Mein Gott!]

und nazistische Narrative zu bedienen.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Die rot-rot-grüne Koalition unternimmt größte Anstrengungen, um die gesellschaftliche Rolle der Frau zu stärken. Dazu gehört selbstverständlich auch der Kampf gegen Zwangsehen, da Frauen in diesem Zusammenhang meistens zum Kreis der Betroffenen gehören. Neben den ohnehin vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen gegen Zwangsehen werden zahlreiche Projekte unterstützt und selbstverständlich auch ausgebaut, um Menschen jederzeit die Möglichkeit zu bieten, Zwangsehen zu umgehen oder diese auch zu verlassen. Zusätzlich zu den präventiven Maßnahmen unterstützt der Senat intervenierende Projekte, sensibilisiert die Öffentlichkeit für diese Thematik und stärkt niedrigschwellige Angebote. Die Angebote sind vielfältig, und die Koalition ist bestrebt, diese auszubauen, damit die Zwangsehen in unserer Stadt tatsächlich und selbstverständlich der Geschichte angehören.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Klar wären repräsentative Zahlen in diesem Zusammenhang wünschenswert, doch das ist insbesondere aufgrund der sensiblen Sphäre, mit der wir es zu tun haben, nicht zu realisieren. Nicht jeder Betroffene möchte über diese intimen Erfahrungen sprechen. Deshalb sind wir meines Erachtens auf einem guten Weg, wenn wir uns auf das Expertenwissen insbesondere der Frauenhäuser und der Projekte gegen Zwangsehen verlassen.

(Katrin Vogel)

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN der SPD und den GRÜNEN]

Die Datengrundlage ist insofern zwar nicht repräsentativ, aber sie ist vorhanden. Deshalb geht es einerseits darum, die Maßnahmen gegen Zwangsehen weiterhin auszubauen, und andererseits darum, die gesellschaftliche Rolle der Frau insgesamt in Berlin und in Deutschland zu stärken.

Da wären wir auch wieder bei der Ernsthaftigkeit des Antragstellers. Wer will denn Frauen zurück an die Herdplatte holen? Wer lehnt die Frauenquote in Unternehmen, in der öffentlichen Verwaltung und in Parlamenten ab? Wer vertritt ein Frauenbild des vorletzten Jahrhunderts? – Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Antwort ist ganz klar: Das ist die AfD!

[Zuruf von der LINKEN: Und die CDU!]

Sie sind Teil des Problems; deshalb werden Sie nie Teil der Lösung sein können.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Bettina Domer (SPD)]

Und noch ein letzter Punkt, bevor ich zum Schluss komme:

[Marc Vallendar (AfD): Aber wir sind nicht zwangsverheiratet!]

Auch Angehörige der LSBTI-Community werden oft zwangsverheiratet, weil sich die Täter so erhoffen, die sexuelle Orientierung dieser Menschen zu unterdrücken. Auch viele Freunde von mir wurden durch eine Zwangsehe geschleust, weil sie schwul sind. Und wenn ich mich recht entsinne, gibt es nur eine Partei in diesem Hause, die meint, Homosexualität wäre heilbar,

[Frank-Christian Hansel (AfD): Bullshit!]

die die Ehe für alle im Bundestag – dann hören Sie Ihren Kollegen im Bundestag mal genau zu, wenn sie dort Reden halten – als Vorboten einer degenerativen Geisteskrankheit bezeichnet hat und Homosexuelle in Thüringen am liebsten auszählen lassen würde.

[Frank-Christian Hansel (AfD): So ein Quatsch! – Franz Kerker (AfD): Das ist doch unerträglich!]

Das sind Ihre Kollegen im Bundestag und im Land Thüringen gewesen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Quatschkopf!]

Insofern sind Sie im Geiste Brüder derer, die meine Freunde in eine Zwangsehe geschickt haben, und nun stellen ausgerechnet Sie einen Antrag gegen Zwangsehen. Das ist eine Zumutung!

[Frank-Christian Hansel (AfD): Was ist das denn für ein Propagandamist von Ihnen!]

Das ist nicht Mist, das ist Tatsache!

[Frank-Christian Hansel (AfD): Propagandamist!]

Deshalb konzentrieren wir uns lieber auf die gute Arbeit zur Stärkung der Fraueneinrichtungen und werden diesen Schaufensterantrag hier selbstverständlich ablehnen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Bevor ich Frau Auricht das Wort für die Zwischenintervention gebe, will ich darauf verweisen, dass auch bei Zwischenrufen auf ein gewisses Maß zu achten ist, und „Quatschkopf“ gehört mit Sicherheit nicht dazu. – Frau Auricht! Sie haben das Wort.

Vielen Dank! – Herr Taş! Das Einzige was hier wirklich eine Zumutung war, ist Ihre Rede in diesem Haus. Das war die einzige wirkliche Zumutung.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Ich finde es interessant: Ich habe in meinem Antrag nicht ein einziges Mal Muslime, Islam oder irgendeine andere Minderheit erwähnt. Dass Sie die Assoziation dazu herstellen: Glückwunsch dazu!

Ansonsten möchte ich noch einmal sagen – Frauen an den Herd! –: Ich kann noch nicht einmal kochen; ich glaube nicht, dass mich meine Partei an den Herd zurückschicken will.

Eine Bundeserhebung der Daten nutzt uns nichts. Wir sind hier in Berlin. Mir nutzen die Zahlen über Zwangsehen in Hintertupfingen nichts; ich will sie hier für Berlin haben und nicht in Hintertupfingen oder auf Bundesebene.