Protokoll der Sitzung vom 30.01.2020

Drittens, und am wichtigsten: Heute ist die aktuelle – –

[Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Warten Sie! Ich finde es unmöglich, dass Sie permanent dazwischenreden. Jetzt habe ich das Wort. Die Debattenkultur der FDP ist wirklich ausbaufähig.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Henner Schmidt (FDP): Jetzt reicht es! – Holger Krestel (FDP): Das ist so billig!]

Die aktuelle gesellschaftliche und politische Situation ist heute anders als im Jahr 2014. Der Antisemitismus ist in Deutschland wieder stark geworden, und eine Partei sitzt in unseren Parlamenten, die Hitler für – Zitat – einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte hält. In dieser Situation sind wir aufgefordert, besonders sensibel und wachsam zu sein. Deshalb ist auch die SPD der Meinung, dass der Mann, der ohne Not Hitler zum Reichskanzler ernannte, nicht mehr länger Ehrenbürger sein kann. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zurufe von Stefan Förster (FDP), Carsten Ubbelohde (AfD) und Holger Krestel (FDP)]

Für die AfD Fraktion hat Herr Abgeordneter Trefzer das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erfolgreiche Politik hat etwas mit Berechenbarkeit und Stetigkeit zu tun, gerade auf dem sensiblen Feld der Geschichtspolitik.

Die Bürger in unserer Stadt erwarten zu Recht, dass heute noch gilt, was vor wenigen Jahren gesagt wurde, und dass Politiker ihr Fähnchen nicht in den Wind hängen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) – Lachen von Katrin Seidel (LINKE)]

Liebe Kollegen von der SPD! Liebe Frau Kitschun! Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist Ihr gutes Recht, Ihre Meinung zu Hindenburg zu ändern, aber dann müssen Sie Ihre Meinungsänderung auch überzeugend darlegen,

[Regina Kittler (LINKE): Hat sie doch gemacht! Das wollen Sie nur nicht wissen!]

und das ist Ihnen leider nicht gelungen. Sie müssen darlegen können, warum Sie heute eine Streichung Hindenburgs befürworten, die Sie noch vor Kurzem abgelehnt haben, und vor allem müssen Sie sagen, warum gestandene Sozialdemokraten wie Annette Fugmann-Heesing, Axel Lubawinski und Walter Momper irrten, als Sie eine Streichung aus der Ehrenbürgerliste ablehnten.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Das hat sie ja gemacht! Ihr Manuskript ist nicht mehr aktuell! – Regina Kittler (LINKE): Können Sie mal die Kladde wechseln?]

Das ist Ihnen nicht gelungen – jedenfalls nicht in diesen Beratungen, Frau Kitschun.

[Ülker Radziwill (SPD): Das ist ihr sehr gut gelungen! Sie haben keine Argumente!]

Sie bleiben eine überzeugende Begründung für ihren Sinneswandel schuldig, und so zerstören Sie weiter Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Politik.

[Zuruf von Regina Kittler (LINKE)]

Ich erspare Ihnen jetzt die Zitate von Walter Momper, weil Sie die bereits kennen. – Walter Momper hat uns gerade vor ein paar Tagen in einem Artikel in der „B.Z.“ erneut ins Stammbuch geschrieben, dass wir es uns zu leicht machen, wenn wir Hindenburgs Fehlentscheidung vom 30. Januar 1933 zum zentralen Kriterium für seine Beurteilung machen.

Was mich an der Debatte in der ersten Lesung und im Kulturausschuss erstaunt hat, war die Chuzpe, mit der Linke und Grüne in dieser geschichtspolitisch sensiblen Debatte mit DDR-Vokabular um sich geworfen haben.

[Katrin Seidel (LINKE): Geht das wieder los?]

Sie reden ständig vom Faschismus, wenn Sie den Nationalsozialismus meinen, und verkennen dabei die Unterschiede zwischen dem historischen Nationalsozialismus und dem historischen Faschismus. Das ist geschichtsvergessen und gefährlich.

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. West zulassen.

Ja, bitte schön!

Herr Trefzer! Es ist jetzt bei mehreren Wortbeiträgen erwähnt worden, vielleicht können Sie mir weiterhelfen: Man kann der SPD ja wahnsinnig viel vorwerfen, aber warum unsere Glaubwürdigkeit jetzt ausgerechnet an der Frage der Verteidigung von Paul von Hindenburg hängt, habe ich in der ganzen Debatte noch nicht verstanden.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Das werden Sie noch spüren, weil Sie denen hinterherlaufen!]

Liebe Frau Dr. West! Wir reden nicht von anno dazumal. Wir reden von einem Beschluss dieses Hauses kurz vor der letzten Abgeordnetenhauswahl. Sie, auch die Sozialdemokratische Partei Deutschland, sind es Ihren Wählern schuldig, das, was vor der Wahl gilt, auch nach der Wahl zu bestätigen.

[Beifall bei der AfD – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Es gibt neue Mehrheiten!]

Sie können nicht davor etwas anderes sagen als danach.

[Zuruf von Stefanie Fuchs (LINKE)]

Darauf haben sich Ihre Wähler verlassen.

[Beifall bei der AfD]

Dann sollten Sie sich nicht wundern, wenn diese Wähler in Zukunft ihr Kreuz bei der AfD machen, liebe Frau Dr. West.

[Beifall bei der AfD – Zurufe von der AfD: Bravo! – Georg Pazderski (AfD): Die Arbeiter sind bei uns! – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Das nennt sich Demokratie, aber die wollen Sie ja abschaffen!]

Bezeichnend, liebe Frau Dr. West, liebe Frau

Dr. Kitschun, für die Fallhöhe der SPD in dieser Sache finde ich ein Zitat, das mir bei der Lektüre des Plenarprotokolls vom 19. Juni 2014 in der damaligen ersten Lesung aufgefallen ist. Damals hatte Alex Lubawinski

[Ülker Radziwill (SPD): Sie suchen Argumente! Sie haben keine eigenen!]

für die SPD-Fraktion eine Streichung Hindenburgs aus der Ehrenbürgerliste entschieden abgelehnt.

[Regina Kittler (LINKE): Das haben Sie doch alles schon mal vorgelesen!]

Daraufhin entgegnete der Piratenpolitiker Oliver Höfinghoff, heute Oliver Helm, unter dem Beifall von Grünen und Linken an Alex Lubawinski gerichtet – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

Ihre Rede hat noch einmal nachträglich eine Begründung dafür geliefert, warum die Kommunisten in der damaligen Zeit gerufen haben: Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten!

Unfassbar!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Unfassbar! – Sie klatschen, Frau Helm! Es würde mich interessieren, warum Sie an dieser Stelle klatschen.

[Anne Helm (LINKE): Weil mein Mann das gesagt hat!]

Unfassbar, die gleiche perfide Agitprop, die von der stalinhörigen KPD gegen die Weimarer SPD verwendet wurde, recycelt und gegen die SPD gerichtet im Abgeordnetenhaus 2014.

[Regina Kittler (LINKE): Sie recyceln hier die Faschisten!]

Das sollte Ihnen zu denken geben, liebe Frau Kitschun!

Deshalb sage ich: Wenn Sie heute einer Streichung Hindenburgs aus der Ehrenbürgerliste zustimmen,

[Regina Kittler (LINKE): Können Sie bitte mal zu Ihrer eigenen Meinung etwas sagen?]

üben Sie nicht nur Verrat an aufrechten Sozialdemokraten, wie Alex Lubawinski und Walter Momper,