Protokoll der Sitzung vom 30.01.2020

Ja, bitte!

Herr Abgeordneter Dr. Juhnke! Sind Sie mit mir der Meinung, dass diese Diskussion hier von ehemaligen SED-Mitgliedern in die Tagesordnung eingebracht wurde,

[Regina Kittler (LINKE): Sie wissen wohl nicht weiter!]

damit man sich besser hinter anderen geschichtlichen Figuren verstecken kann, nachdem man selber bis zum Jahr 1989 Flüchtlingen in den Rücken geschossen hat? – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Zuruf von der CDU: Richtig!]

Ich finde zumindest bemerkenswert, dass die Linkspartei, die ja die organisatorische, personelle und vor allem finanzielle Kontinuität der SED angetreten hat, jetzt in diesem Haus, wie es vor einigen Jahren passiert ist, nach wie vor Traditionslinien zur KPD sucht,

[Zuruf von der CDU: Pfui!]

einer Partei, die definitiv zum Untergang der Weimarer Republik beigetragen hat.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): KPD-Abgeordnete wurden erschossen!]

Hindenburg hat damals in vielen Äußerungen deutlich gemacht, dass er diesen braunen Parvenü Hitler nicht akzeptieren wollte. Gleichwohl ist das Ergebnis der Reichstagswahlen vom November 1932 bekannt: Die Feinde der Republik und der Demokratie, NSDAP und KPD, hatten die Mehrheit.

[Tobias Schulze (LINKE): Schöne Gleichsetzung! Toll!]

Bedenken Sie die ökonomische Situation, die politische Sackgasse, die damals bestand, die Gesellschaft, die ein Pulverfass darstellte, den Bürgerkrieg, der vor der Tür stand! In dieser Situation wurde der vom Wahlvolk mit der mit Abstand stärksten Macht Ausgestattete zum Reichskanzler ernannt – sicherlich natürlich in der Hoffnung auf baldiges Scheitern und Desillusionierung der braunen Massen.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Rechtfertigen Sie das jetzt ernsthaft?]

Mit dieser Ansicht ist Hindenburg leider zu unser aller Leidwesen grandios gescheitert, und nicht nur deshalb ist Hindenburg eine historisch umstrittene Figur seiner Zeit. Es ist aber Unfug, Hindenburg als Verursacher aller Gräueltaten des 20. Jahrhunderts zu inszenieren.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) – Zuruf von der AfD: Richtig!]

Die SPD, die in der Vergangenheit noch eine besonnenere Position vertreten hat, ist offenbar in ihrer Orientierungslosigkeit inzwischen weichgespült. Mangels materieller Erfolge muss nun für die Linkskoalition ein Skalp her für die ideologische Trophäenwand.

[Regina Kittler (LINKE): Und Sie wollen eine Rechtskoalition, oder wie?]

In der Tat handelt es sich hierbei nicht um ein vordringliches Problem unserer Stadt, es zeigt vielmehr Ihren festen Willen zur Umerziehung und zur Revision von Geschichte. Symbolpolitik ist Trumpf. Sie werden mit diesem Antrag eine ideologisch aufgeladene Spannung erzeugen, die nachwirken wird und die auseinanderdividierte Stadtgemeinschaft weiter spaltet.

[Regina Kittler (LINKE): Sagen Sie mal, mit wem reden Sie eigentlich? Jedenfalls nicht mit der Bevölkerung!]

Wie man es klüger anstellt, zeigt der Blick nach Hamburg. In der gleichen Frage ist man sogar unter der Beteiligung der Grünen zu folgender Erkenntnis gekommen: Ein nicht klar definiertes Aberkennungsverfahren sei

jeweils selbst Ausdruck des Zeitgeistes und riskiere, ein aktuelles Bedürfnis nach politisch-moralischer Richtigstellung zu bedienen. Das aber könne nicht das Ziel einer seriösen Erinnerungskultur sein. – Dieser Auffassung kann man sich nur anschließen.

[Beifall bei der CDU und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Deshalb wird sich die CDU nicht an der ahistorischen Geschichtsrevision beteiligen, die Sie heute durchführen wollen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Dr. Kitschun das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Herr Juhnke! Ich hatte eigentlich nicht gedacht, dass es möglich wäre, das Debattenniveau, das teilweise im Kulturausschuss herrschte, noch zu unterbieten, aber ich habe etwas dazugelernt.

[Beifall von Ülker Radziwill (SPD)– Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN –]

Erlauben Sie mir hierzu eingangs kurz einen Blick in die überregionale Presse! Als wir das letzte Mal in diesem Haus dieses Thema diskutiert haben, fand es die „Süddeutsche Zeitung“ erstaunlich – Zitat:

[Kurt Wansner (CDU): „Die Süddeutsche“! – Weitere Zurufe von Marc Vallendar (AfD) und Burkard Dregger (CDU) – Lachen von Georg Pazderski (AfD) und Sven Rissmann (CDU)]

wenn man bedenkt, dass in anderen Städten … die Ehrenbürgerschaft.. souverän aufgehoben wurde.

Der Ehrenbürger Paul von Hindenburg ist ein besonderer Fall. Hindenburg war eben nicht nur ein Monarchist an der Spitze der Weimarer Republik, der als ehemaliger Oberbefehlshaber im Ersten Weltkrieg auch für nationalistische Träume stand –

[Holger Krestel (FDP): Blödsinn!]

wir sprechen hier über den Mann, der heute vor 87 Jahren Hitler zum Reichkanzler ernannt hat, und der das tat im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Richtig! Ganz genau! – Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Wir sprechen über den Mann, der 1933 die Notverordnungen unterzeichnete, die die Grundrechte aufhoben. Wir reden über den Mann, der sich zum Beispiel am Tag von Potsdam ganz aktiv in den Dienst der nationalsozia

listischen Propaganda stellte, und wir sprechen über den Mann, der als formales Staatsoberhaupt zusah, als Nazis Bücher verbrannten, auf offener Straße mordeten, und als die ersten KZs errichtet wurden.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Mit seinem Handeln hat Hindenburg die demokratische Staatsordnung der Weimarer Republik ausgehöhlt und die Etablierung der NS-Diktatur befördert. Natürlich können und müssen Ehrenbürger, die zu früheren Zeiten ernannt wurden, nicht all unseren heutigen Wertvorstellungen entsprechen, aber ein solches Handeln ist unvereinbar mit der Berliner Ehrenbürgerschaft.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Sehr richtig! – Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Noch in seinem politischen Testament pries Hindenburg 1934 Hitler. Ich zitiere:

Mein Kanzler Adolf Hitler und seine Bewegung haben zu dem großen Ziele, das deutsche Volk über alle Standes- und Klassenunterschiede zur inneren Einheit zusammenzuführen, einen entscheidenden Schritt von historischer Tragweite getan. … Ich scheide von meinem deutschen Volk in der letzten Hoffnung, daß das, was ich im Jahre 1919 ersehnte, und was in langsamer Reife zu dem 30. Januar 1933 führte, zu voller Erfüllung und Vollendung der geschichtlichen Sendung unseres Volkes reifen wird.

Diese massive Befürwortung und Unterstützung des Nationalsozialismus passt nicht zu einem Ehrenbürger von Berlin, und deswegen werden wir ihn heute von dieser Liste streichen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Jawohl!]

Noch kurz zu zwei Argumenten der Opposition: Sind Zeitzeugen wirklich die besten Ratgeber? – Richtig ist, Hindenburg wurde zeitgleich mit Hitler an dessen Geburtstag zum Ehrenbürger ernannt und 1948 nicht zeitgleich mit ihm wieder gestrichen. Diese Entscheidung der Zeitzeugen kann und darf aber nicht für uns bindend sein. Unbestritten sind Zeitzeugen wichtige historische Quellen, aber ihre Berichte sind eben immer auch subjektiv, und viele Quellen kannten sie damals noch nicht. Außerdem ist die Bewertung Hindenburgs im Jahr 1948 typisch für die Nachkriegszeit. Gerade im Westen herrschte anfangs oft die Sichtweise, nur eine kleine Clique um Hitler sei für die Gräueltaten der Nazis verantwortlich gewesen, die allermeisten Deutschen hätten damit nichts zu tun gehabt. Wenn aber nicht einmal der Mann, der Hitler zum Reichskanzler ernannte, Verantwortung trug, dann waren eben auch alle Mitläufer und Mittäter raus – eine Sichtweise, die heute glücklicherweise nicht mehr trägt.

(Dr. Robbin Juhnke)

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Frau Kollegin! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.

Nein! – Noch ein paar Worte zur Positionierung der SPD:

[Holger Krestel (FDP): Mit wem sprechen Sie?]

Bei den ersten Debatten 2002 gab es die Biografie von Pyta noch nicht. 2014, als wir wieder die Ehrenbürgerschaft diskutierten, waren wir in der Koalition mit der CDU. Dass es da aussichtslos war – dazu muss ich wohl nichts sagen.

[Sven Rissmann (CDU): Richtig! – Holger Krestel (FDP): Was ist denn das für ein Argument?]

Drittens, und am wichtigsten: Heute ist die aktuelle – –