Protokoll der Sitzung vom 30.01.2020

So meint der Kollege sicher auch seine Parteikollegen, die 1949 „Schlussstrich drunter“ „Schluss mit Entnazifizierung“ plakatierten.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Auch dabei lässt sich sagen: Das war damals „Scheiße“ und Ihre Argumentation, die hier ja eine Kontinuität darstellt, ist auch heute kein Maßstab für Aufarbeitungs- und Erinnerungskultur in diesem Hause.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich habe es bereits in meiner ersten Rede zum Thema gesagt: Hindenburg die Ehrenbürgerwürde zu entziehen, ist lange überfällig – wie so vieles an Aufarbeitungsarbeit, die Deutschland, Berlin und wir alle zu leisten haben. Das zeigt auch die Debatte in diesem Haus. Die krude Auslegung und Verdrehung der deutschen Geschichte ist etwas, was tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Es gibt den Demospruch „Oma, Opa und HansPeter, keine Opfer, sondern Täter!“. Er trifft einen Aspekt der deutschen Nachkriegsgeschichte ganz gut: Niemand will Täter gewesen sein.

[Zurufe von der AfD]

Niemand will etwas mitbekommen haben. Gerade in der Aufarbeitung der Nazizeit ist es skurril, wie lange sich der Mythos der guten, unschuldigen Deutschen schon trägt.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Georg Pazderski (AfD): Am besten, Sie machen erst mal ein Geschichtsstudium! Das wäre ja mal was!]

Strukturell wurde nach Kriegsende vieles einfach nicht umfassend aufgearbeitet, bewusst ignoriert und unter den Teppich gekehrt. Aber auch heute ist es erstaunlich, wie sehr sich die deutsche Gesellschaft gegen die schonungslose Wahrheit wehrt, dass die Naziverbrechen so öffentlich, so sichtbar waren und gesellschaftlich getragen wurden. Auch in diesem Kontext muss man Ihre verkrampften Versuche werten, den deutschen Faschismus, den es laut Ihnen ja nicht gab, als Sozialismus zu branden. Das Wort steckt ja drin. Sie können sich gern einmal mit Faschismustheorien beschäftigen. Ich habe auch tatsächlich hier im Haus schon 2017 eine Veranstaltung zu dem Thema abgehalten. Einen Audiomitschnitt, den Sie nachhören können, finden Sie im Netz.

Um schlussendlich aber auf Hindenburg zurückzukommen: Herr Juhnke von der CDU hat im Ausschuss gesagt und das eben auch noch mal im Plenum wiederholt, wir würden versuchen, Hindenburg „als Verursacher aller Gräueltaten des 20. Jahrhunderts zu inszenieren.“

[Zuruf von Dr. Robbin Juhnke (CDU)]

Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was tatsächlich Debatte war, beweist aber auch nur, dass Sie sich die

Debatte unerhört einfach gemacht haben. Hindenburgs Rolle bei der Machtergreifung der Faschisten ist nur ein Aspekt einer durchaus umfangreich problematischen Person. Auch Hindenburg als monarchistischen Kriegstreiber, seine Rolle im Ersten Weltkrieg und bei der Verbreitung der antisemitischen Dolchstoßlegende

[Zuruf von Christian Buchholz (AfD)]

haben wir zur Kenntnis genommen. Seine antidemokratische Haltung und Parlamentsverachtung ist uns ein Begriff. Ich denke, wir sind einer umfassenden Berücksichtigung all dieser Aspekte durchaus nachgekommen und tragen diesen auch mit der gleich folgenden Abstimmung Rechnung. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Förster das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten Redebeiträge haben gezeigt, dass es offensichtlich gar nicht mehr um Paul von Hindenburg und die Ehrenbürgerwürde geht, sondern um eine ganz große historische Neubewertung und Neukonstruktion von Geschehenem bzw. von Personen der letzten Jahrzehnte in Deutschland, denn zu Hindenburg selber ist in den letzten Minuten erstaunlich wenig gesagt worden.

[Beifall bei der FDP – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Das stimmt nicht! – Tobias Schulze (LINKE): Das ist nicht wahr! – Regina Kittler (LINKE): Die Deutschen waren ganz großartig im Krieg führen; da haben Sie recht!]

Ich komme gleich dazu, Kollege Schlüsselburg. Sie können die Debatte ja auch noch durch Zwischenbemerkungen bereichern. Im Augenblick bin ich dran.

Ich darf erst einmal darauf hinweisen, dass wir hier kein Seminar über den Ersten Weltkrieg führen können, aber man sollte schon mal ins Geschichtsbuch gucken, wer zum Beispiel in Ostpreußen einmarschiert ist. Auch da darf man die Tatsache nicht auf den Kopf stellen. Das ist ja nun ganz klar. Da kann Frau Tomiak nicht behaupten, die Deutschen wären umgekehrt in die andere Richtung marschiert. Es ist ja ganz klar, wie die Faktenlage da ist. Dass man den Ersten Weltkrieg heranziehen muss, um Hindenburg von der Ehrenbürgerlisten zu nehmen, ist schon ein sehr weiter Spannungsbogen, der da geschlagen wurde, und der offenbart auch mangelnde Geschichtskenntnisse, um das an der Stelle ganz klar zu sagen.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlüsselburg?

Natürlich!

Vielen Dank, Herr Kollege! Wie bewerten Sie denn den von der Kollegin Dr. Kitschun vorgetragenen Auszug aus dem Testament bzw. der Biografie von Paul von Hindenburg, dessen Testament zu der Bewertung seiner Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und die Einbettung in den Kontext, den er vorgenommen hat? Das war ja durchaus ein ganz personenbezogener Grund, den Frau Dr. Kitschun hier vorgetragen hat.

Sie hat ihre Gründe dargelegt. Ich kann aber auch noch einmal darauf verweisen, dass Frau Dr. Kitschun auch schon zu Zeiten diesem Parlament angehörte, in denen auch die SPD-Fraktion einer Streichung der Ehrenbürgerwürde nicht zugestimmt hat, und das mehrfach, als diese Argumente auch schon vorlagen. Übrigens liegen diese Argumente auch der SPD Hamburg vor, und die hat gesagt: Mit uns ist das nicht machbar. – Das ist eben auch der Grund, warum die SPD in Hamburg bei 30 Prozent liegt und die SPD in Berlin bei 15 Prozent. Das hat etwas mit Realitätsverlust zu tun.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Wie bewerten Sie denn das Zitat? – Frank-Christian Hansel (AfD): Meine Rede!]

Kommen wir mal zu den weiteren Argumenten, die noch in diese Debatte eingeführt worden sind. Man kann eben nicht aus dem Jahr 2020 mit den heutigen Erkenntnissen, auch im Wissen um das, was zwischen 1939 und 1945 passiert ist, Entscheidungen von 1933 bewerten und noch dazu jemandem die Schuld am Zweiten Weltkrieg in die Schuhe schieben, der bereits 1934 verstorben ist.

[Beifall von Holger Krestel (FDP)]

Er kann gar nicht gewusst haben, was daraus gefolgt ist. Da muss man mit Fakten eben auch mal richtig argumentieren und darf die Zeitabläufe nicht durcheinanderwürfeln.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Zweifelsohne – auch darauf sei noch einmal hingewiesen –: Die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik – das sollte uns allen eine Lehre sein – war damals am Ende. Es gab keine regierungsfähige Mehrheit mehr in der Mitte. Es gab keine stabile Regierung mehr. Auch das Regieren mit Notverordnungen war auf Dauer

(June Tomiak)

nicht durchzuhalten. Die Alternative wäre vielleicht noch eine Militärdiktatur gewesen. Wo die dann hingeführt hätte, wissen wir auch nicht. Das sind die Alternativen, die sich damals gestellt haben. Da hat Hindenburg eine Entscheidung getroffen, die aus heutiger Sicht gravierend falsch war. Das wissen wir. Aber gerade er, derjenige, der in den Zwanzigerjahren die Weimarer Demokratie verteidigt hat, der ein Stabilitätsanker war, auf den auch die Sozialdemokraten gesetzt haben, hat es jedenfalls nicht verdient, bei aller Kritik, die man ihm anlasten kann, hier als alleiniger Verursacher des Zweiten Weltkriegs hingestellt zu werden.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Das hat niemand getan!]

Das ist entschieden falsch. Das muss man ganz klar sagen.

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Krestel zulassen.

Herr Kollege Förster! Sind Sie mit mir der Meinung, dass die Rede der Kollegin der SPD-Fraktion wenig mit dem zu tun hatte, was die SPD parteiengeschichtlich betrachtet in den letzten 100 Jahren für dieses Land auch im Hinblick auf historisch umstrittene Persönlichkeiten wie Hindenburg geleistet hat, dass diese Rede wenig damit zu tun hatte, was die SPD in diesem Land bisher ausgemacht hat? – Vielen Dank!

[Beifall von Kurt Wansner (CDU) – Frank Zimmermann (SPD): Was bilden Sie sich eigentlich ein?]

Das ist eine Aussage, die man allgemein unterstreichen kann. Wenn man an Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt denkt, der würde sich bei einer solchen Rede natürlich im Grab umdrehen. Das muss man ganz klar sagen. Es waren andere Zeiten einer Sozialdemokratie in Deutschland. Das ist keine Frage.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Frank-Christian Hansel (AfD): Bravo! – Gunnar Lindemann (AfD): Bravo!]

Wenn man dann darauf verweist – da hat Frau Tomiak offenbar auch eine Geschichtsgrenze –, dass die FDP nach 1949 offenbar überall mit Schlussstrich und Ähnli

chem unterwegs gewesen wäre: Wir hatten Leute wie Thomas Dehler, der mit einer Jüdin verheiratet war, der im Widerstand gewesen ist. Da müssen wir uns von Ihnen wirklich nicht erzählen lassen, von einer Partei wie den Grünen, die 1979 gegründet worden ist, die damals gravierende Probleme hatte, mit demokratischen Prozessen zurechtzukommen, und damit, wie Demokratie funktioniert. Da müssen wir uns von Ihnen nicht belehren lassen. So geht es wirklich nicht. Die Liberalen haben die Demokratie nach 1949 mit aufgebaut, um das ganz klar zu sagen.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Regina Kittler (LINKE): Wer hat denn Ihrer Ansicht nach überhaupt das Recht, sich zur Geschichte zu äußern? Nur Sie, oder wie?]

Frau Kittler, Sie sind mit Ihrem DDR-Staatsbürgerkundeunterricht auch nicht gerade prädestiniert, das hier vorzutragen – um das auch ganz klar zu sagen.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Wir werden zur Kenntnis nehmen, dass Sie das heute mit Ihrer Mehrheit durchziehen. Geschichte ist immer das, was eine Mehrheit an dieser Stelle bestimmt.

Ich darf aber auch noch einmal darauf verweisen, dass Sie diese Debatte in dieser Stadt zur Priorität erklären. Wenn es Ihre Priorität ist, Paul von Hindenburg von der Ehrenbürgerliste zu streichen und gleichzeitig keine Wohnungen gebaut werden, der Verkehr zum Erliegen kommt und die Schulen vergammeln, dann kann ich nur sagen: Machen Sie das zu Ihrer Priorität! Wir werden anders regieren. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Was ist denn Ihre Priorität in dieser Sitzung? – Regina Kittler (LINKE) meldet sich zu einer Kurzintervention.]

Es ist kein parlamentarischer Geschäftsführer da, der die Wortmeldung anmeldet.