Protokoll der Sitzung vom 30.01.2020

[Beifall bei der AfD]

Und wenn Sie, was ja besonders oft aus den Reihen Ihrer Fraktion erschallt, das nächste Mal der AfD vorwerfen, wir hätten Schwierigkeiten in unserer Haltung bezüglich Antisemitismus, dann schauen Sie mal lieber in Ihre eigenen Reihen! Dieses schizophrene Verhalten bezüglich des Staates Israel ist charakteristisch für die politische Linke in diesem Land, und wenn Ihre Staatssekretärin Chebli vorgestern auf Twitter beklagt, dass sie sehr oft Nachrichten von Deutschen ohne Zusatz höre wie – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

Ist ja alles traurig, was damals passierte. Aber dass der Hass wieder aufkommt, da sind die Juden nicht ganz unschuldig. Siehe Siedlungspolitik, Annexion...

[Frank-Christian Hansel (AfD): Das ist unfassbar!]

Ja, da beginnen die Relativierung und der Antisemitismus der politischen Linken, und Ihre Antragsablehnung ist nun wieder ein weiterer Abschnitt in dieser Beweiskette. – Vielen herzlichen Dank!

[Bravo! – von der AfD – Beifall bei der AfD]

Für die Linksfraktion hat der Kollege Schlüsselburg jetzt das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Montag jährte sich zum 75. Mal die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch Truppen der Roten Armee, und aus diesem Anlass wurde der Millionen Opfer des Nationalsozialismus und vor allem der Shoah gedacht. Ich bin der festen Überzeugung, dass für alle Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Parteien in diesem Haus das Verbrennen oder sonstige Schändungen der Flagge des Staates Israel oder jüdischer Symbole gerade hier in Berlin, wo die Shoah geplant und organisiert wurde, unerträglich ist und von allen aus ehrlichem Herzen verurteilt wird.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Das gilt auch für uns, und ich möchte auch davon ausgehen, dass die hier vorliegende Initiative aus diesem Impuls erwachsen ist. Doch ausschlaggebend für die Erörterung eines Gesetzes ist die Frage, ob es das richtige Instrument und darüber hinaus angemessen ist, das gewünschte Ziel zu erreichen.

[Zuruf von der CDU]

Und hier kommen wir zu einer anderen Antwort, die wir in der ersten Beratung und auch im Ausschuss dargelegt haben: Wir sind uns explizit einig in dem Ziel, aber wir haben eine andere Auffassung bei den vorgeschlagenen Mitteln. Die Linke ist der Auffassung, dass das Strafrecht kein Allzweckwerkzeug gegen jedwedes unerwünschte Handeln ist. Es sollte die Ultima Ratio sein und eng an die Verfolgung von erheblichen Straftaten gebunden sein.

Insofern ist es angemessener, die Verbrennung von israelischen Flaggen oder die Schändung jüdischer Symbole durch das Versammlungs- und Ordnungsrecht zu sanktionieren. Das ist schon jetzt möglich, und wir werden das auch auf Initiative meiner Fraktion als Koalition im neuen Versammlungsfreiheitsgesetz explizit nachschärfen.

Entscheidend ist, dass diese Auflagen und Verbote dann aber auch konsequent umgesetzt werden. Tatsächlich wäre dies vor der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auf die heute niemand eingegangen ist, zu §§ 90a und 104 Strafgesetzbuch mit ziemlicher Sicherheit auch die nachhaltigere Lösung, denn

(Marc Vallendar)

immer wieder hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die entsprechenden Paragrafen nicht oder nicht in jedem Fall geeignet seien, die Meinungs- und Kunstfreiheit einzuschränken. An diese Paragrafen wollen Sie sich ja jetzt auch auf Bundesebene anlehnen. Bei der Verbrennung einer Flagge im Rahmen einer politischen Demonstration handelt es sich nach dieser Rechtsprechung, so widerlich wie wir das alle hier in diesem Saal finden, um eine Meinungsäußerung. Das können Sie in den Urteilen und in den einschlägigen Kommentaren nachlesen.

Noch ungeeigneter ist die Initiative der CDU jedoch, wenn man bedenkt, worum es ihr letztlich geht bzw. gehen sollte. Es muss doch allen demokratischen Fraktionen hier im Hause darum gehen, nicht nur mögliche Ausdrucksformen des Antisemitismus zu bekämpfen – dafür haben wir Instrumente –, sondern den Antisemitismus selbst. Dabei helfen aber weder Straf- noch Versammlungs- oder Ordnungsrecht. Im Kampf gegen den Antisemitismus helfen vor allem die Stärkung demokratischer Strukturen, der Zivilgesellschaft, historische Bildung und die Erziehung der Jugend zur Demokratie.

All diese Überlegungen lassen, auch wenn man die gut gemeinte Intention der CDU anerkennt, für uns keinen anderen Schluss zu, als dass wir die hier zur Diskussion stehende Initiative ablehnen müssen, insbesondere vor dem Hintergrund der Abwägung mit der Kunst- und Meinungsfreiheit.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Das ist lächerlich!]

Das fällt uns schwer, aber das ist das Motiv für unsere Abwägungsentscheidung – und nicht die Unterstellungen, die von Ihrer Seite in Bezug auf irgendwelche vermeintlichen Kniefälle gekommen sind. Das machen wir nicht; in der Frage sind wir völlig klar. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Dr. Susanne Kitschun (SPD) und Frank Zimmermann (SPD)]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Krestel jetzt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu diesem Antrag hat der Kollege Rissmann schon viel Richtiges gesagt, dem ich mich aus vollster Überzeugung nur anschließen kann. Ich bitte Sie alle, diesem Antrag zuzustimmen.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Gleichwohl möchte ich hier noch den einen oder anderen Gedanken mit in die Debatte hineingeben. Eine Flagge ist ein besonderer Stoff mit historisch gewachsener Bedeu

tung. Hinter einer Flagge steht also letztlich immer eine Personengemeinschaft. Greift man die Flagge an, verbrennt sie, greift man letztlich im übertragenen Sinne auch die Menschen an, die hinter dieser Flagge stehen.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Zuruf von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Selbstverständlich sehen wir aufgrund der eigenen Geschichte in erster Linie den Schutz der israelischen Flagge im Vordergrund. Ich möchte aber auch jede andere Flagge geschützt wissen, weil das Verbrennen dieses Identifikationssymbols letztlich eine öffentliche Beleidigung für jeden darstellt, der davon betroffen ist, bzw. es ist der Versuch oder die begangene Tat einer öffentlichen Demütigung, die kein Mensch verdient hat. Dies gehört daher bei Strafe verboten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Dr. Vandrey das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Damen und Herren! Zunächst möchte ich für die Grünen-Fraktion klarstellen, dass aus unserer Sicht die Verbrennung von Flaggen inakzeptabel ist, insbesondere – selbstverständlich – das Verbrennen der Flagge des Staates Israel.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU der LINKEN und der AfD– Beifall von Holger Krestel (FDP)]

Ich persönlich empfand die Bilder des Verbrennens der israelischen Flagge anlässlich der Demonstration Ende 2017 vor dem Brandenburger Tor als unerträglich. Selbstverständlich haben wir angesichts des Holocaust eine besondere Verantwortung gegenüber Israel; wir möchten nie wieder sehen, dass hier in Berlin eine israelische Flagge verbrannt wird.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der LINKEN – Beifall von Franz Kerker (AfD), Karsten Woldeit (AfD) und Holger Krestel (FDP)]

Hierüber sind wir uns wohl mit allen Fraktionen einig.

[Dirk Stettner (CDU): Nein!]

Indes fragt es sich: Welcher Weg ist der politisch richtige, um dieses Ziel zu erreichen? – Die CDU möchte mit ihrem Antrag kein gesondertes Gebot für Berlin erreichen, sondern eine Bundesratsinitiative, um das Strafrecht auf Bundesebene zu ändern, also das Verbrennen aller Flaggen im StGB unter Strafe zu stellen. Zuständig hierfür ist – klar – der Deutsche Bundestag. Schon weil

(Sebastian Schlüsselburg)

der Bundestag jetzt selbst mit dem Thema beschäftigt ist, dürfte die von der CDU hier im Abgeordnetenhaus gewünschte Bundesratsinitiative inzwischen schlicht überflüssig sein.

[Stefan Evers (CDU): Seit wann ist der Bundesrat Gesetzgeber?]

Unabhängig davon vertreten wir als Grünen-Fraktion allerdings die Auffassung, dass eine Verschärfung des StGB nicht der richtige Weg ist, mit der Thematik umzugehen. Aus unserer Sicht ist der Ruf nach einem immer schärferen Strafrecht nicht geboten,

[Heiko Melzer (CDU): Sie wirken ja besonders gut in der Frage!]

weil wir andere Mittel haben, die uns zur Verfügung stehen. Es ist schon nach dem geltenden Versammlungsrecht möglich, Auflagen zu erlassen; auch Straftatbestände sind im Versammlungsrecht schon jetzt enthalten.

Der Ruf der CDU nach einem schärferen Strafrecht ist meines Erachtens jedoch auch juristisch nicht treffend, weil die CDU mit ihrem Antrag nicht nur das Verbrennen von Flaggen verhindern will, sondern auch Symbole mit religiöser Bedeutung unter den Schutz von § 104 StGB stellen möchte. Dies ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, was spätestens bei der Umsetzung einer solchen Strafnorm erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen dürfte. Außerdem übersieht die CDU offensichtlich § 104a des geltenden Strafrechts. Danach wird eine Straftat nach § 104 nur auf Verlangen des entsprechenden Staates verfolgt. Dies wäre aber bei religiösen Symbolen gar nicht möglich, denn Religionen sind nun mal keine Staaten. Der von der CDU eingebrachte Antrag ist daher schon mit der Systematik des StGB nicht vereinbar.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Im Fazit geht es allerdings meiner Meinung nach bei dem Thema Flaggenverbrennung um einen wirklich politischen Konflikt, der mit den Mitteln des Strafrechts schwerlich in den Griff zu bekommen sein wird. Wichtig ist allerdings tatsächlich, dass wir hier in Deutschland dem immer weiter aufkeimenden Antisemitismus mit vereinten Kräften entgegentreten. Ich hoffe, auch hierin sind wir uns in allen Fraktionen einig.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN und der FDP]

Wir als rot-rot-grüne Koalition haben im Haushalt daher zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich gegen Antisemitismus wenden, gestärkt. Wir setzen auf Aufklärung, Bildung und Integration. Ausdrücklich begrüßen wir die Arbeit der Beauftragten für Antisemitismus bei der Staatsanwaltschaft. Wir alle hier müssen ganz genau hinschauen, was in unserer Gesellschaft passiert. Für Antisemitismus darf es in Berlin keinen Raum geben. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Die FDP-Fraktion hat für den Kollegen Krestel eine Zwischenbemerkung angemeldet.

Ich darf gleich an den letzten Satz, den ich für sehr richtig befunden habe, anschließen. Ich meine auch gehört zu haben, Sie haben am Anfang gesagt, dass der Antrag der CDU mehr oder weniger überflüssig wäre. Dem möchte ich hier ausdrücklich widersprechen. Genauso möchte ich dem vorhin vorgebrachten Einwand widersprechen, man wäre an den Koalitionsvertrag gebunden. Jeder Abgeordnete ist frei gewählt und seinem Gewissen verpflichtet.