Protokoll der Sitzung vom 02.04.2020

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Ich kann nur sagen – ich glaube, da spreche ich für die ganze Koalition –: Für uns ist die Bekämpfung von Armut und auch von Einkommensarmut immer ein Thema – vor der Krise, während der Krise und nach der Krise. Deswegen haben wir vorhin auch über Hilfen für Unternehmen, Kurzarbeitergeld gesprochen, und jetzt geht es um den Landesmindestlohn. Für uns ist das eine systematische Frage, die zu jeder Zeit eine Rolle spielt und auch im Alter wichtig wird. Für alle, die das nicht verstehen: Wenn man heute schlechte Löhne hat, hat man später einen geringen Rentenanspruch und kann davon im Alter nicht leben. Das, was wir mit dem Landesmindestlohn machen, hat ganz langfristige Auswirkungen für alle Menschen, und davon werden die Bürgerinnen und Bürger profitieren.

[Georg Pazderski (AfD): Kluft im Rentensystem!]

Insofern gilt für uns, dass Armutsbekämpfung immer politisches Thema bleibt. – Ich glaube, jetzt hat jemand eine Frage.

Der Kollege Buchholz von der AfD möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

(Christian Buchholz)

Na gut!

Bitte schön, Herr Buchholz!

Herr Ziller! Können Sie zwischen einer normalen wirtschaftlichen Situation und einer Ausnahmesituation unterscheiden? In beiden ist nämlich ein unterschiedliches Vorgehen notwendig.

[Torsten Schneider (SPD): Also normal würden Sie Mindestlohn machen?]

Natürlich gibt es Unterschiede, aber wir erleben ja gerade, was die Bundeskanzlerin derzeit an vielen Stellen macht, nämlich den Menschen das Vertrauen zu geben, dass die Grundlagen unseres Sozialstaats auch während und nach der Krise gelten. Das haben wir gelernt. Ich habe zumindest ihre Ansprache gehört. – Wir können das sehr gut unterscheiden. Aber für uns gilt, auch in der Krise so zu handeln, dass es nach der Krise funktioniert.

Mit dem Gesetz zur Änderung des Landesmindestlohngesetzes setzt Berlin den Grundsatz „öffentliches Geld nur für gute Arbeit“ um. Künftig soll in den vom Landesmindestlohngesetz erfassten Einflussbereichen des Landes – also der Landesverwaltung, den Beteiligungsunternehmen, im Zuwendungsbereich sowie bei Entgeltvereinbarungen im Sozialrecht – ein Stundenentgelt von 12,50 Euro gelten. Der bisherige Landesmindestlohn von 2013 mit 8,50 Euro ist offensichtlich nicht mehr zeitgemäß. Ich glaube, auch Sie gestehen zu, dass man von 8,50 Euro heute in Berlin weder seine Miete und sein Leben bezahlen, noch fürs Alter vorsorgen kann. Der Betrag, der im damaligen Gesetz steht, liegt auch unter dem heute geltenden Bundesmindestlohn. Daher begrüßt Bündnis 90/Die Grünen die Anpassung des Mindestlohns ausdrücklich.

Wichtig war uns – das wurde auch schon gesagt –, dass es im Einklang mit dem Vergabemindestlohn gemacht wird, denn das Land Berlin hat sich mit dem Vergabegesetz das Ziel gesetzt, öffentliche Mittel nur an Auftraggeber zu zahlen, die Angestellten faire Arbeitsbedingungen und eine entsprechende Mindestentlohnung gewähren. Der vorliegende Gesetzentwurf geht daher Hand in Hand mit dem Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz. – Das steht ja nachher noch auf der Tagesordnung. Dazu werden wir uns nachher noch austauschen. – Durch die Übernahme des in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Anpassungsmechanismus gewährleistet er zugleich die gebotene Synchronität zwischen Vergabe und Landes

mindestlohn. Denn überall, wo das Land Einfluss hat, sollen einheitliche Mindeststandards gelten.

Zum Punkt 450 Euro-Jobs: – Einer der Kollegen der Opposition hatte das angesprochen. – Sie haben natürlich recht: Die 450 Euro-Jobs sind ein Problem. Das werden wir mit dem Landesmindestlohngesetz nicht lösen. Dazu braucht es auf Bundesebene Änderungen. In meinen Augen müssen die 450-Euro-Jobs zugunsten eines vernünftigen Übergangs zu mehr Arbeit und mehr Entlohnung abgeschafft werden. Aber das ist eine Debatte, die wir auf Bundesebene gerne führen sollten. Da gibt es verschiedene Debatten. Aber das lösen wir tatsächlich mit dem Landesmindestlohngesetz nicht. Trotzdem bleibt es ein richtiges Thema.

Ein Problem haben wir noch, und zwar haben wir ein Problem mit dem Landesmindestlohn, der jetzt über dem des Bundes liegt und bei arbeitsmarktpolitischen Programmen beihilferechtlich Probleme bringt. Daher unterstützen wir als Fraktion ausdrücklich die Bundesratsinitiative aus Bremen, die endlich Klarheit schaffen möchte. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie alle Ihre Kontakte in die anderen Landesregierungen nutzen würden, um dort für eine Zustimmung im Bundesrat zu werben. Für heute bitte ich Sie um Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die FDP hat jetzt Frau Meister das Wort.

Sehr geehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Also ich glaube, es macht Sinn, mal ein paar Dinge zu sortieren. Ja, grundsätzlich ist es so, dass jeder von seiner Arbeit leben soll. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, und das ist auch meine persönliche Überzeugung: Wenn mir einer erzählt, er hat eine tolle Unternehmensidee, aber leider könne er jedem Mitarbeiter nur 3 Euro zahlen, aber die könnten ja zum Staat gehen und aufstocken, dann ist das keine Idee, dann ist das Banane. Das ist einfach Blödsinn.

[Beifall bei der FDP, der CDU, der Linken und der AfD]

Das ist erst mal das Erste. So! Jetzt kann ich überlegen, wie man das am besten regeln kann. Und da sehen Sie, wie schwer das ist, wenn man nur versucht, es über die Idee des Mindestlohns zu regeln. Denn warum setzt sich denn die SPD auf Bundesebene nicht für 12,50 Euro ein? Was viel angemessener wäre, denn bundesweit gilt ja noch 9,35 Euro. Warum haben wir in vielen einzelnen Branchen einen sehr viel höheren Mindestlohn? – Weil die Tarifautonomie nach wie vor ein großer Wert ist, weil Sie dort eben branchenbezogen verhandeln können, weil

das viel sinnvoller ist, als wenn sich hier Menschen zusammensetzen und überlegen, was denn ein entsprechender Mindestlohn sein könnte, der für alle passt. Es passt nämlich nie für alle.

[Beifall bei der FDP]

Und da setzen Sie auch noch eine Indizierung rein. Na, das kann ja mal spannend werden in Zeiten nach Corona! Was soll denn das heißen? – Das ist en passant zu erwähnen, der Mindestlohn der Pflegebranche liegt bei 11,35 Euro, 10,85 Euro im Ostteil, die Kräfte, die dieses Spiel am Ende des Tages zahlen, weil der Begriff der öffentlichen Gelder, der so häufig verwendet worden ist, ein bisschen abenteuerlich ist. Es gibt keine Gelder, die irgendjemandem gehören. Es gibt Steuereinnahmen, die an den Haushalt abgeführt werden, und die haben wir mit größter Verantwortung zu verteilen.

[Beifall bei der FDP]

Lassen Sie mich noch einen Satz am Ende sagen! Denn ich glaube, darüber müssen wir alle wirklich nachdenken. Natürlich möchten wir alle, dass unsere Pflegekräfte, unsere Verkäuferinnen, alle, die wir haben, vernünftig bezahlt werden. Ich sage Ihnen aber eines: Solange wir nicht bereit sind, solange wir selber nicht bereit sind, für Pflege zu zahlen, für Lebensmittel das zu zahlen, was sie auch wert sind, werden wir damit immer im falschen Kreislauf sein, und das ist das Erste.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Beifall von Dirk Stettner (CDU)]

Das muss der Punkt sein, wo wir anfangen. Wir müssen uns überlegen, was uns ein Gut wieder wert ist und was uns die erbrachte Leistung am Ende des Tages wert ist. Das müssen wir uns überlegen, und dann müssen wir nicht mehr versuchen, im Kleinklein irgendwas zu regeln, denn dann sind wir nämlich wieder da, nämlich bei der sozialen Marktwirtschaft. – In diesem Sinne herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu der Gesetzesvorlage Drucksache 18/2551 empfiehlt der Hauptausschuss – gegen die Oppositionsfraktionen – die Annahme. Wer der Gesetzesvorlage gemäß Beschlussempfehlung Drucksache 18/2580 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen und ein fraktionsloser Abgeordneter. Ersteres war die Mehrheit. Damit ist das Gesetz so beschlossen. Ich darf auch noch der Ordnung halber fragen, ob es Enthaltungen gibt. – Das nicht der Fall. Damit ist das Gesetz so beschlossen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.4:

Priorität der Fraktion der CDU

Tagesordnungspunkt 25 A

Osterferien nutzen: Jetzt investieren und regionale Handwerksbetriebe durch Aufträge in Schulen und Kitas unterstützen!

Dringlicher Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/2593

Der Dringlichkeit hatten Sie eingangs bereits zugestimmt. In der Beratung beginnt die Fraktion der CDU. Der Herr Abgeordnete Stettner hat das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser grundsätzlichen und leidenschaftlichen Debatte sprechen wir jetzt über die konkrete Lösung der Aufgabe, vor der wir uns befinden, nämlich die Krise zu überstehen und danach schnellstmöglich und so stark wie möglich wieder durchstarten zu können. Sie als die explizit Verantwortlichen, von denen jetzt gerade nicht viele da sind, müssen in dieser Krise Führung und Verantwortung zeigen, und wir als Opposition haben die Pflicht, in dieser konkreten Situation nicht die Fehler zu suchen, nicht das Haar in der Suppe zu suchen, wie es in der Debatte heute schon mal vorkam, und auf diesen rumzureiten, sondern Ihnen zu helfen, Ihre Aufgaben bestmöglich zu meistern.

[Beifall bei der CDU]

Sehr geehrter Kollege Ziller! Sie haben eben gerade gesagt, dass Sie stets dafür bereit stehen, auch in digitalen Ausschusssitzungen zu tagen und sich fachlich auszutauschen. Wir stehen da vollkommen an Ihrer Seite und würden dem gerne folgen. In unserem Ausschuss haben wir auch bereits beschlossen, dass wir das tun werden.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wenn wir ehrlich miteinander sind, dann ist das für uns alle ein klein wenig ungewohnt, denn die Koalitionsfraktionen sind es gewöhnt, Anträge der Opposition aus Prinzip abzulehnen. Die Regierenden sind es gewohnt, sich nicht von Oppositionspolitikern helfen, geschweige denn belehren zu lassen. Und die Opposition ist es gewohnt, Fehler zu suchen, sie laut zu kritisieren und gutes Regieren maximal eher schweigend zur Kenntnis zu nehmen.

Das alles muss jetzt anders sein. Wir müssen es ändern. Ich glaube sagen zu können, die CDU-Fraktion tut alles dafür, um Sie, die Regierenden, in dieser Krise zu unterstützen. Ich glaube, Sie werden unsere konstruktive Mitwirkung in den Telefonkonferenzen, Ausschüssen und Beratungen registriert haben, das hoffe ich jedenfalls. Sie dürfen das auch von uns zu Recht erwarten und auch weiterhin erwarten.

(Sibylle Meister)

[Beifall bei der CDU]

Herr Kollege Heinemann! Ich bedauere in diesem Zusammenhang, dass Sie eben pauschal die Opposition beschimpft haben. Ich glaube, dass ist der aktuellen Situation nicht angemessen.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Was intendieren wir also hier mit dem vorliegenden Antrag? – Wir müssen die Zeit bis zum Ende der Ausgangsbeschränkungen nutzen. Genau das haben wir gut durchdacht und schlagen Ihnen mit unserem Antrag die aus unserer Sicht sinnvollen Maßnahmen vor. Unsere Schulen sind zu. Unsere Kitas sind zu. Die Familien versuchen, in dieser sehr ungewohnten Situation zurechtzukommen. Die Kinder sind größtenteils zu Hause. Das stellt Eltern und Kinder vor große Herausforderungen. Ich habe drei davon zu Hause. Ich kenne das ganz gut. Wie soll eine Mutter, wie soll ein Vater sein Kind beschulen? Sie kennen doch meist die Lehrinhalte gar nicht. E-Learning in Berlin bedeutet zu 99 Prozent die digitale Übertragung analoger Inhalte. Wenn das ein bisschen zu kompliziert gewesen ist – es läuft in den meisten Fällen folgendermaßen: Lehrer scannen die Aufgaben, senden diese per Mail oder laden sie in eine Cloud, Kinder erhalten diese, laden sie runter, drucken sie aus, bearbeiten sie, Eltern machen PDF draus und schicken sie wieder zurück. Das ist der Ablauf von E-Learning in Berlin 2020.

Das hat mit virtuellem Lehren und Lernen nichts zu tun, ist aber das, was die Lehrerinnen und Lehrer auf der Basis der vorhandenen Struktur momentan tun können, und die Eltern versuchen, neben der Arbeit von zu Hause aus das Beste, was sie leisten können. Virtuelles Lernen heißt Lernen und Lehren im virtuellen Raum mit direktem digitalen Kontakt, mit unmittelbarer digitaler Kommunikation. Wir erkennen hoffentlich jetzt alle, dass wir auf diese Krise sehr schlecht vorbereitet gewesen sind. Wir haben über Monate und Jahre keine guten Voraussetzungen geschaffen. Berlin hat die Digitalisierung unserer Schulen verschlafen. Wir haben nicht die notwendige Hardware in unseren Schulen. Unsere Lehrer und Lehrerinnen sind gewillt und motiviert, aber nicht ausreichend geschult, und der Lernraum Berlin ist ein digitales Baby. Andere Bildungsclouds sind da viel weiter. Ich schätze, dass wir von den ca. 400 000 Menschen, die in Berlin mit Lehre und Bildung zu tun haben, ungefähr 80 Prozent nicht stabil erreichen. Der Landeselternausschuss fordert zu Recht dringend mehr Aktivität.

Wenden wir den Blick heraus aus der Schule, sehen wir uns die Handwerksbetriebe an, die ihren ersten harten Nackenschlag durch den Mietendeckel noch gar nicht verarbeitet haben. Direkt danach kamen die Ausgangsbeschränkungen. Lassen Sie uns nicht darüber streiten, ob der Mietendeckel Fluch oder Segen für Berlin ist, da haben wir sehr verschiedene Meinungen. Gift war er in jedem Fall für die Berliner Bauwirtschaft. Die beste Hilfe für unsere mittelständischen Betriebe sind gut und schnell