Protokoll der Sitzung vom 30.04.2020

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN der SPD und den GRÜNEN]

Doch mit diesen neuen Kapazitäten sollten wir dann auch darüber nachdenken, die Behandlung von Menschen, die eine Chemotherapie oder eine notwendige Operation erwarten, besser zu ermöglichen als jetzt. Auch das gehört zum Gesundheitsschutz und kann auch unseren Krankenhäusern in dieser Zeit wirtschaftlich helfen.

Das ist alles nicht neu: Verhaltensänderungen, Verhältnisse dazu in den Blick zu nehmen, und entschlossenes staatliches Handeln in Versorgung und Diagnose, das sind Bestandteile eines Konzepts, dass sich strukturelle Prävention nennt und gegen ein Virus entwickelt wurde, das vor 40 Jahren die Welt erschreckte und veränderte. HIV – für die Älteren! Es fußt übrigens auf der OttawaCharta der WHO, und ich empfehle allen, noch mal die Definition von Gesundheit dort nachzulesen. Ich weiß, dass es vielen als Zumutung erscheint, wenn ich sage, dass wir lernen müssen, auf absehbare Zeit mit dem Virus zu leben. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht leicht ist, aber es geht. Letztlich haben wir auch keine andere Wahl, wenn wir unsere freiheitliche, offene, humane und solidarische Gesellschaft bewahren wollen, denn solidarisch ist man nicht alleine. Das ist das Motto des 1. Mai 2020, der morgen begangen wird. – Vielen Dank! – Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Fraktion hier rechts außen zur Erhellung der dunklen Finanzquellen ihrer Partei beitragen sollte.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD]

Für die Fraktion der FDP hat das Wort Herr Abgeordneter Kluckert. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man sieben Wochen zurückblickt, so ist in dieser Stadt an einem Freitag, dem 13. etwas passiert, von dem ich nicht gedacht hätte, dass es in dieser Stadt möglich ist. Es war am Freitag, dem 13. März, als ein massiver Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte der Berlinerinnen und Berliner vorgenommen wurde. Es war der Tag, an dem Bars, Clubs und Restaurants von heute auf morgen in der Stadt geschlossen haben. Wie Sie alle wissen, blieb es nicht bei Bars, Clubs und Restaurants. Drei Tage später schlossen auch die Schulen und die Kindertagestätten, weitere zwei Tage später musste auch der komplette Einzelhandel bis auf die Supermärkte schließen. Auch wenn diese Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte massiv waren, so waren sie nach dem damaligen Kenntnisstand – davon bin ich auch heute noch überzeugt – absolut richtig.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Die Frage aber, ob sie tatsächlich notwendig waren, beschäftigt mich bis heute. Wenn ich mir mal die Situation in Berlin am 18. März ansehe – das war der Tag, an dem die Geschäfte geschlossen wurden –, stelle ich fest, dass es zur damaligen Zeit in Berlin 513 aktive Coronafälle gab. 513! Als wir die Geschäfte am 22. April wieder geöffnet haben, waren es zweieinhalbmal so viele, nämlich 1 300. Man muss leider sagen, wie es ist: Hätte der Senat eine Maskenpflicht in Geschäften bereits vor zwei Monaten verfügt, hätte man die Geschäfte gar nicht schließen müssen.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Zurufe von der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Dass man, Frau Kollegin, im Nachhinein schlauer ist, liegt in der Natur der Sache, und das nehme ich dem Senat auch überhaupt nicht übel, denn zur damaligen Zeit mit den damaligen Erkenntnissen war es besser, die Notbremse zu ziehen, als es laufen zu lassen. Wie gesagt, im Nachhinein sind wir schlauer. Das nehme ich jedenfalls dem Senat nicht übel.

Was ich aber dem Senat vorwerfe, das ist eine gewisse Tätigkeit in gewissen Senatsressorts in den letzten zwei Monaten. Die Berlinerinnen und Berliner haben die vielen Einschränkungen sehr verantwortungsvoll und mit sehr großer gesellschaftlicher Solidarität in Kauf genommen und hatten dabei zwei Erwartungen an den Senat: Erstens, dass die einzelnen Einschränkungen sofort wieder zurückgenommen werden, wenn diese aus medizinischen oder gesundheitlichen Gründen nicht mehr notwendig sind,

[Torsten Schneider (SPD): Das steht sogar im Gesetz!]

und zweitens, dass der Senat die Zeit des Lockdowns sinnvoll nutzt, um die Stadt adäquat auf kommende Lockerungen vorzubereiten. In beiden Punkten, so stelle ich fest, hat der Senat die Berlinerinnen und Berliner enttäuscht.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Es gibt zahlreiche Beispiele der einzelnen Senatsverwaltungen, dass sie die gewonnene Zeit, die die Berlinerinnen und Berliner ihnen geschenkt haben, nicht genutzt haben. Als der Einzelhandel geschlossen wurde, hätte doch klar sein müssen, dass er irgendwann auch wieder geöffnet wird. Ich hätte erwartet, dass man als Wirtschaftssenatorin in der Zeit den Einzelhandel auf die Öffnung vorbereitet und ihm verbindliche Hygieneauflagen rechtzeitig vorgibt, die dann auch umgesetzt werden.

(Carsten Schatz)

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Herbert Mohr (AfD)]

Ich habe das Gefühl, Frau Pop wurde von der Ankündigung von Frau Merkel, dass der Einzelhandel wieder öffnen soll, völlig überrumpelt, und ich stelle mir die Frage: Warum haben Sie eigentlich die sieben Wochen nicht genutzt, den Handel darauf vorzubereiten? – Aber nicht nur Frau Pop war überrumpelt. Verkehrssenatorin Günther hat sich anscheinend in den sieben Wochen auch keine Gedanken darüber gemacht, dass jemand, der arbeiten geht, auch irgendwie in sein Geschäft fahren muss. Anders kann ich mir nicht erklären, warum zuerst der Einzelhandel geöffnet wird, aber erst fünf Tage später eine Maskenpflicht in der BVG erfolgt. Hygienespender an Ein- und Ausgängen, wie sie die FDP schon lange fordert, gibt es weiterhin in der BVG nicht. Sie waren mit Pop-up-Busspuren und -Radwegen beschäftigt, aber die wahren Probleme der Gesundheit waren Ihnen anscheinend egal.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mohr?

Von Herrn Mohr – nein!

[Heiterkeit bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD: War ja klar!]

Die Liste ist lang. Frau Scheeres besteht auf Abiturprüfungen und erwartet, dass sich die Schüler auf diese Prüfungen gut vorbereiten. Die Einzige, die nicht auf diese Abiturprüfungen vorbereitet war, waren Sie, Frau Scheeres! Sieben Wochen haben Sie die Zeit nicht genutzt, und wenn Ihnen nicht die Senatorin für Gesundheit noch einen Tag vorher 700 Liter Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt hätte, dann wären Sie, glaube ich, ganz schön blamiert gewesen am Tag der Schulöffnung. Ich finde es übrigens auch nicht richtig, dass Desinfektionsmittel, welches für Ärzte und Pflegeeinrichtungen bestimmt war, aufgrund Ihrer Untätigkeit zweckentfremdet wurde. Sie hatten sieben Wochen Zeit, Desinfektionsmittel zu besorgen.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Stephan Standfuß (CDU)]

Die Lufthansa hat seit gestern eine Maskenpflicht in ihren Flugzeugen. Im Gegenzug dazu – –

[Torsten Schneider (SPD): Die fliegt nicht !]

Die, die fliegen, Herr Schneider! Es fliegen noch einige.

[Zurufe von der LINKEN und den GRÜNEN – Torsten Schneider (SPD): Die wird doch jetzt verstaatlicht!]

Im Gegenzug dazu bleibt allerdings der Mittelsitz nicht mehr wie bisher frei. Man sitzt also Maske an Maske nebeneinander.

[Antje Kapek (GRÜNE): Fliegen tötet!]

Ich frage mich: Warum geht das in der LufthansaMaschine? Warum geht das in der BVG, aber warum soll das nicht in einem Theaterbetrieb funktionieren?

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Ich hätte mir auch hier gewünscht, dass der Senat die zwei Monate genutzt hätte, um zu prüfen, inwieweit der Spielbetrieb mit einer Maskenpflicht für das Publikum weitergehen hätte können. Warum haben Sie nicht ein Theater unter ärztlicher Aufsicht mit Durchtestung des gesamten Publikums und Erfassung der Kontaktdaten weiterspielen lassen?

[Antje Kapek (GRÜNE): Wir haben 1. Mai und nicht 1. April!]

Hätten wir vor zwei Monaten damit angefangen und das erprobt, könnten vielleicht einige Theater in einem Monat schon wieder aufmachen, wenn wir sehen, dass es nicht zu einem explosionsartigen Ausbruch kommt.

[Beifall bei der FDP – Torsten Schneider (SPD): Aber hier ist doch genug Theater!]

Herr Schatz! Sie sprachen von der Vereinsamung der Alten durch Besuchsverbote. In einem Hotel in Berlin gibt es am Eingang Sicherheitsschleusen mit Desinfektionsgemisch in der Luft zum Desinfizieren, wenn man reingeht. Es gibt Fieberscanner, die überprüfen, ob jemand, der reingeht, Fieber hat. Es gibt sogar einen Automat, der passt den Schuhsohlen einen Überschuh an. Die Wasserhähne sind alle kontaktlos. Ich frage mich: Warum sind unsere Pflegeheime nicht so ausgestattet? Warum geht das in der freien Wirtschaft, aber nicht in der Pflege?

[Beifall bei der FDP und der AfD – Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD) – Weitere Zurufe von der SPD]

Das Virus ist nach wie vor aktiv, und es ist auch nach wie vor gefährlich. Aber im Gegensatz zur Situation von vor zwei Monaten, und das ist der Unterschied zur damaligen Situation, ist unser Gesundheitssystem auf ein Maximum hochgefahren. Die Voraussetzungen sind also somit erfüllt, dass der Senat sich nun um die anderen Probleme aktiv kümmert, denn mittlerweile sind die Nebenwirkungen zur Pandemie beinahe größer als das Virus selbst.

[Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

Existenzängste vor allem im Hotel- und Gaststättenbereich führen bei den Betroffenen zu Schlafstörungen und sogar zu Herz-Kreislauf-Krankheiten. Die Ungewissheit

in vielen Bereichen, nicht zu wissen, wie man das Geld verdienen und ob man in einem Monat noch die Miete bezahlen kann, führt zu Ängsten, Panikattacken und Depressionen.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Viele Kinder sind mittlerweile verhaltensauffällig und aggressiv, weil ihnen die sozialen Kontakte und die Freunde fehlen.

[Lachen bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Ich weiß nicht, was Sie da lachen, dass Kinder verhaltensauffällig sind. Da würde ich mich schämen.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Antje Kapek (GRÜNE): Darüber lachen wir nicht. Wir lachen über den Zuruf!]

Eltern im Spagat zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung haben ihre psychischen Belastungsgrenzen schon lange überschritten. Die Zunahme häuslicher Gewalt ist mehr als bedenklich. Künstler, Darsteller, Clubbetreiber und Kulturschaffende verfallen in eine Lethargie der Perspektivlosigkeit, da sie wahrscheinlich die Letzten sein werden, die ihrer Tätigkeit wieder nachgehen dürfen. Wenn Sie als Senat diese Existenzängste der Menschen in der Stadt ernst nehmen, dann geben Sie den Menschen auch Antworten und Perspektiven. In dieser Zeit reicht es eben nicht, dass man als Bürgermeister einmal einen Brief an alle Haushalte schickt. Die Menschen wollen von Ihnen Antworten. Sie wollen wissen, ab wann sie mit ihren Restaurants wieder Geld verdienen können. Sie möchten wissen, wann ihre Kinder wieder in die Kita gehen dürfen und was der Senat tut, um die Kinder auch dort vor Infektionen zu schützen. Sie möchten wissen, wann, wie und unter welchen Bedingungen Sie planen, den Schulbetrieb wieder aufzunehmen. Die Menschen wollen wissen, was Sie tun werden, dass auch das Kunst- und Kulturprogramm in dieser Stadt wieder eine Bühne bekommt. Der Senat hat in den letzten sieben Wochen sehr viel Zeit vertrödelt diesbezüglich. Er hat die Krise nicht gemeistert, auch nicht gemanagt. Ich würde sagen, er hat sie verschlafen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP –

Vereinzelter Beifall bei der AfD –

Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) –