Ich eröffne die erste Lesung. In der Beratung beginnt die Fraktion der FDP und hier der Kollege Swyter.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit diesem Antrag wollen wir aus der Opposition eine konstruktive Rolle für eine funktionierende Stadt Berlin besetzen, wie es unser Fraktionsvorsitzender Sebastian Czaja in seiner Erwiderung auf die Regierungserklärung in diesem Januar bereits angekündigt hat. Es handelt sich bei den Gedanken und Überlegungen zum politischen Bezirksamt, die in den letzten Monaten geäußert wurden, um richtige Gedanken, die wir aufgreifen wollen. Ich darf in diesem Zusammenhang den jetzt nicht im Saal befindlichen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Saleh, zitieren. Ich kann versprechen, dieses Zitat ist nicht blutig, viel freundlicher, auch freundlich in Richtung SPD, deswegen freue ich mich, dieses Zitat hier zu bringen. Er hat in der „Morgenpost“ im November 2016 gesagt, es wäre richtig, sich gemeinsam dem Thema politisches Bezirksamt noch einmal zu widmen und ernsthaft darüber zu beraten. Dazu wollen wir als konstruktive Opposition gerne unseren Beitrag leisten und auch bei der Umsetzung helfen. Wir greifen das Thema insofern mit dem von uns eingebrachten Antrag auf und wollen für die notwendige Diskussion einen Impuls setzen.
Worum geht es? – Die Besetzung der Bezirksämter, die Besetzung der Bürgermeister und Stadträte ist für eine funktionierende Verwaltung auf Bezirksebene sehr wichtig. Sie ist vor allem auch für die politische Willensbildung und die politische Entscheidungsfindung wichtig. Insofern ist es ein wichtiges Thema, denn funktionierende Bezirke gehören schlichtweg zu einer funktionierenden Stadt.
Die Verfassung der Bezirke ist historisch bedingt, inkonsequent und für viele unverständlich. Es ist ohnehin schon nicht ganz einfach, interessierte Bürger für die Kommunalpolitik zu gewinnen, und wenn man sie dann gewinnt, ist dieses Verfahren, wie Bezirksämter gewählt und besetzt werden, ganz besonders widersprüchlich. Es hatte, wie gesagt, historische Gründe, es verstand sich im Rahmen der Einheitsgemeinde eben auch als Kollegialorgan, eben auch als Teil der Verwaltung und nicht als Teil der Legislative, so ist das gewachsen, nicht nur in Berlin, auch in anderen Stadtstaaten, aber die Zeit ist weitergegangen. Die Zeit ist da nicht stehengeblieben, und wenn wir einen Punkt identifizieren, um auch Bürger für Demokratie zu interessieren, dann gehört dazu eben auch Transparenz und Beteiligung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hochgeschätzter Herr Kollege Swyter! Würden Sie meine Auffassung teilen, dass angelehnt an die hessische Kommunalverfassung die Mehrheit der Bundesländer in ihren Kommunen ein Proporzsystem bei der Vergabe von Dezernentinnen und Dezernenten hatte und nicht nur Berlin, wie Sie gerade dargestellt haben? – Vielen Dank!
Erst mal teile ich die Auffassung von Hessen, wo ich herkomme, nicht mehr, denn die hauptamtlichen Dezernenten werden nach politischen Mehrheiten gewählt und nicht nach Proporz. In anderen Gemeindeverfassungen ist das noch der Fall, also ist auch dort eine Bewegung im Gang. Die Vergleichbarkeit einer Kommunalverfassung von Flächenstaaten und der Berliner Gemeinde ist auch nur bedingt, aber ungeachtet dessen glaube ich, dass wir hier die Chance ergreifen sollten, unsere Bezirksverfassung in Richtung Transparenz und Beteiligung weiterzuentwickeln.
Wir haben hier – und das ist wirklich ein Unikum in Berlin – die widersprüchliche Situation, dass wir einerseits die Stadträte streng nach Proporzsystem wählen lassen oder vorschlagen lassen – nicht immer werden sie gewählt, aus Erfahrung –,
und andererseits haben wir Bezirksbürgermeister, die seit den Neunzigerjahren gleichwohl nach politischem Mehrheitsprinzip im Rahmen von Zählgemeinschaften gewählt werden können. Und das führt eben zu mehreren Missständen, möchte ich sagen. Wir haben das Problem, dass die Programme der politischen Mehrheit so nicht umgesetzt werden können, nicht richtig umgesetzt werden können, weil eben dann die ausführende Bezirksverwaltung nicht zu dieser Zählgemeinschaft gehört bzw. Stadträte mit der Umsetzung von Programmen beauftragt werden, mit denen sie nichts zu tun haben wollen. Und das führt natürlich auch zu Intransparenz des Verwaltungshandelns.
Zweitens bleibt auch die Zuordnung politischer Verantwortlichkeit bei Erfolgen und auch bei Misserfolgen eben aufgrund dieses Systems unklar. Und das schwächt die effektive Kontrolle in Bezirksämtern und auch in den Bezirksverordnetenversammlungen, was die Wahrnehmung der dann doch faktisch bestehenden Oppositionsrolle anbetrifft, wenn wir einerseits Bezirksämter haben,
die dann doch ein politisches Programm einer Zählgemeinschaft durch Stadträte umsetzen wollen, die wiederum der Opposition angehören. Ein solch unklares Bild halte ich für die Bevölkerung schwer zumutbar, und es ist auch für die Opposition dann schwer, ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Wir haben zwei weitere Probleme, die damit verbunden sind. Wir haben jetzt in den letzten Monaten gesehen, dass es zu Blockadehaltungen kommen kann. Gerade in meinem Bezirk Pankow ist es jetzt zu einer mehrmonatigen Blockadehaltung gekommen, die auch schon die Innenverwaltung beschäftigt hat. Nähere Gründe möchte ich hier nicht bewerten. Und wir haben, wenn Stadträte aus anderen politischen Konstellationen gewählt werden, teilweise auch machtlose Bezirksstadträte, nahezu sozusagen Frühstücksdirektoren, die einflusslose Ämter zu verwalten haben, und damit haben wir dann auch eine ungleiche und ineffiziente Verwaltung organisiert.
Das Problem ist aber auch schon seit Längerem bekannt. Schon in den Neunzigerjahren hat sich eine EnqueteKommission damit befasst, und auch 2008 und 2009 wäre es, ich möchte mal zugespitzt sagen, fast zu einem politischen Bezirksamt gekommen. Die FDP hat dieses Anliegen immer unterstützt. Es ist eben nicht dazu gekommen. Ich glaube, jetzt ist die Zeit aber reif, dass es dazu kommen kann. Das Problem sollte jedenfalls bald angegangen werden.
Wir verfolgen damit auch ein klares Ziel. Wir wollen die Umsetzung und Zuordnung von politischen Maßnahmen der Verwaltung verbessern, wir wollen dann auch mehr Spielraum bei der Besetzung von Bezirksämtern. Und der wichtigste Grund ist, dass die Bezirke als politische Interessenvertreter der Bevölkerung vor Ort gestärkt werden, und das geht nur, wenn man politische Verantwortung klar zuordnen kann. Und das ist der Kern dieses Antrags, dass wir die Bezirksämter sozusagen als Mitspieler in der Berliner Verwaltung stärken und ihnen eine Stimme verleihen, die auch wirklich wahrgenommen und nicht verunklart werden kann.
Wir verstehen diesen Antrag als Impuls, weitere mögliche Verbesserungen der Verfassung zu eröffnen, und wollen damit auch klar die Debatte über Verbesserungen, gerade im Zusammenspiel zwischen Bezirken und Land Berlin, eröffnen. Es gibt weitere diskussionswürdige Vorschläge, die beispielsweise das Wahlverfahren betreffen oder Kontrollrechte der Bezirksverordnetenversammlung oder eine bessere Ausstattung von Fraktionen und Gruppen. Das alles kann und sollte mitdiskutiert werden. Wir als Freie Demokraten haben da entsprechende Vorschläge, die wir dann noch vertieft diskutieren wollen.
Wir haben diesen Antrag aber bewusst so schlank gehalten, weil wir erstens hoffen, dass wir an der Stelle einen
gewissen Konsens für eine Initialzündung erzielen können, und zum anderen, weil wir damit zumindest an einer Stelle hoffen, einen gewissen gemeinsamen Nenner finden zu können.
Eine Bitte hätte ich dann zum Schluss – dass wir diesen Impuls jedenfalls auch nicht durch ewige Diskussionen oder durch ewige Prüfaufträge von Sachverhalten, die uns dann bekannt sind, zerreden. Irgendwann, und auch das gehört zu einer funktionierenden Stadt, muss man entscheiden. Das sollte man jetzt am Anfang tun, solange noch nicht die Gefahr oder der Verdacht besteht, dass man das politische Bezirksamt nur aufgrund politischer Opportunitäten oder gerade vorhandener Mehrheiten anstrebt, und deswegen ist es geraten, dass man eine so überfällige Reform am Anfang einer Legislaturperiode macht, wenn man eben nicht Gefahr läuft, dort nach gerade bestehenden politischen Mehrheitsverhältnissen und Opportunitäten zu entscheiden.
Herr Swyter! Sie haben eben über Pankow gesprochen. Können Sie bestätigen, dass das Hickhack um den Bezirksstadtratskandidaten nur daran liegt, dass die Konsensparteien – unter Einschluss der FDP übrigens – sich weigern, unseren Kandidaten zu wählen?
einen Kandidaten zu wählen, der schlichtweg mit dem Amt nichts anfangen konnte, der in der Tat auch erklärt hat, mit diesem Amt nichts anfangen zu wollen, weil es ja einer machen muss, und der einer breiteren Öffentlichkeit nur dadurch bekannt wurde, dass er sich als Streetfighter in der „heute-show“ betätigt hat. In der Tat, das kann ich bestätigen.
[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN – Torsten Schneider (SPD): Das nennt man Rohrkrepierer!]
Ich komme jetzt auch zum Schluss: Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist – etwas pathetisch, aber meines Erachtens ist das jetzt genau der richtige Zeitpunkt, die Diskussion zu beginnen. Abschließend ist unser Impuls gar nicht mal gesetzt, aber wir haben jetzt schon mit diesem Vorschlag eine Grundlage für einen Konsens. Und ich würde mich freuen, wenn wir das in den entsprechenden Gremien konstruktiv beraten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Swyter! Ich werde den Eindruck nicht so ganz los, dass Sie hier deshalb so vehement für das politische Bezirksamt streiten, weil Sie bisher nach dem Prinzip des Proporzes, nach dem Stärkeverhältnis der Parteien, in den Bezirksämtern nicht zum Zuge gekommen sind.
Aber ich will nach der leicht polemischen Eingangsbemerkung doch zur Sache sprechen, denn Sie haben hier einen entscheidenden Punkt ausführlich begründet, nämlich dass es zur funktionierenden Stadt gehöre, dass das Bezirksamt politisch, nämlich durch Koalitionsbildung, gebildet werden soll, und da kann ich Ihnen sagen: Die funktionierende Stadt hängt nun nicht davon ab, in welcher Weise das Bezirksamt gebildet wird, ob nach Proporz oder nach Koalitionsbildung. Dass die Stadt funktioniert und das Zusammenwirken von Landesebene und Bezirken funktioniert, hängt von anderen Fragen ab und nicht von dieser einzelnen Bezirksamtsbildungsfrage.
Es hängt eher davon ab, ob wir einen reibungslosen, funktionierenden und austarierten Entscheidungsprozess zwischen Land und Bezirken haben, ob wir einen Konsens darüber haben, was auf Landesebene und was auf Bezirksebene dauerhaft entschieden werden muss, und wie wir auf den unterschiedlichen Ebenen kooperieren. Das zu klären und zu organisieren, daran hat sich der rotrot-grüne Senat gemacht, haben wir auch vorher schon begonnen, das Verhältnis zu verbessern, und darauf kommt es im Wesentlichen an, was die Funktionsfähigkeit betrifft.
Es ist auch eine Frage, Herr Swyter, ob wir den Leuten suggerieren sollten, dass es in den Bezirken auf das Regierungs- und Oppositionsspiel besonders ankäme. Wie
Sie wissen, werden wir die Bezirke nicht aus dem Prinzip der Einheitsgemeinde entlassen. Hier sind wir uns hoffentlich einig. Das wird auch künftig das bestimmende Prinzip sein. Deswegen ist es nicht richtig zu suggerieren, dass die Bezirksverordnetenversammlungen Parlamente und die Bezirksämter Regierungen seien, wo man das Regierungs-Oppositions-Verhältnis stärken muss. Das sehen wir nicht so.
Aber die entscheidenden Fragen sind: Brauchen wir in den Bezirken mehr politische Autonomie oder nicht? Führt das politische Bezirksamt zu mehr Eigenständigkeit der Bezirke oder nicht? Oder verlangt das politische Bezirksamt nicht geradezu vorher eine Entscheidung für mehr politische Eigenständigkeit der Bezirke? Um all diese Fragen drücken Sie sich herum, Herr Swyter! Das ist aber die Voraussetzung: Wir müssen uns klar sein, soll es eine Stärkung der politischen Handlungsfähigkeit der Bezirksämter geben oder nicht? Bevor man das nicht entschieden hat, ist es sehr schwer, so allgemein dem politischen Bezirksamt das Wort zu reden.
Und schließlich: Das Proporzbezirksamt ist nicht unpolitisch. Es zwingt dazu, sich mit den Vorschlägen der anderen zu befassen. Es fördert die Kompromissfähigkeit. Und ist nicht gerade das auch notwendig? Und ist nicht gerade das nicht das Schlechteste in diesen Zeiten der politischen Konfrontation, dass nämlich hier ein Zwang zum Kompromiss geradezu angelegt ist? Und Sie bestätigen auch in Ihrer Begründung, dass auch das geltende Besetzungsverfahren durchaus politisch ist. Es gibt also genügend Gründe, etwas tiefer darüber nachzudenken, ob man diesen Schritt gehen muss oder nicht, als Sie das hier in dieser sehr schlagwortartigen Begründung getan haben.
Ihr Antrag ist also nicht besonders schlüssig und liefert auch kaum zwingende Argumente für ein politisches Bezirksamt.