Protokoll der Sitzung vom 04.06.2020

[Lachen bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von den GRÜNEN: So ein Spaßvogel! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN]

Ja, hören Sie genau zu! – Geld wächst bekanntlich nicht auf Bäumen, daher müssen sämtliche sozialpolitische Maßnahmen hinreichend ausfinanziert sein. Eine reine Neuverschuldung im Zuge der Krise, wie derzeit noch vom Senat vorgesehen, wird mit uns jedenfalls nicht zu machen sein. So einfach kann sich Rot-Rot-Grün nicht aus der Regierungsverantwortung stehlen und – völlig unverantwortlich – den überbordenden Schuldenberg einfach auf kommende Generationen abwälzen.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Deshalb ist es aus unserer Sicht vernünftig, ja geradezu politisch geboten, Einsparpotenziale offen zu diskutieren.

[Steffen Zillich (LINKE): Genau! Alles muss auf den Prüfstand!]

Meine Fraktion hat hierzu diese Woche als erstes bereits konkrete Vorschläge gemacht.

[Sven Kohlmeier (SPD): Echt? Wo denn?]

Die Zeiten, in denen Gelder einfach nach dem Gießkannenprinzip ausgeschüttet werden, sind jedenfalls endgültig vorbei.

[Beifall bei der AfD]

Weitere Soforthilfepakete, beispielsweise für Unternehmer, sind schlicht und ergreifend nicht finanzierbar. Oder wollen Sie jetzt auch noch anfangen, Steuern zu erhöhen?

(Christian Buchholz)

Die AfD-Fraktion wird überall dort den Rotstift ansetzen, wo mit Steuergeldern verschwenderisch umgegangen wird,

[Lars Düsterhöft (SPD): Erzählen Sie mal! – Sebastian Czaja (FDP): Wo denn?]

um damit tatsächlich sinnvolle arbeits- und sozialpolitische Maßnahmen weiterlaufen lassen zu können. Deshalb gehören fehlgeleitete sozialpolitische Instrumente wie das Lieblingsprojekt des Bürgermeisters, das sogenannte solidarische Grundeinkommen mit im Doppelhaushalt veranschlagten 56 Millionen Euro ebenso auf den Prüfstand wie der völlig absurde anonyme Krankenschein, mit dessen Hilfe sich illegal in Berlin befindliche Personen ohne Nennung des Namens auf Steuerzahlerkosten ärztlich behandeln lassen können –

[Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN: Hetze! – Tobias Schulze (LINKE): Wir nennen das Menschenwürde!]

ganz zu schweigen von den nach wie vor enormen Kosten, die der deutsche Sozialstaat durch die fatale Migrationspolitik der letzten Jahre zu tragen hat. Zur Erinnerung: Derzeit halten sich in Berlin über 13 000 vollziehbar ausreispflichtige ausländische Staatsbürger, meist abgelehnte Asylbewerber, auf, die selbstverständlich bis zu ihrer Abschiebung weiter staatlich alimentiert werden. Auch hier braucht es dringend einen Paradigmenwechsel, wenn sowohl die Neuverschuldung des Landes als auch des Bundes nicht in astronomische Höhen schnellen soll.

Bundespolitisch können auch wir uns im Wesentlichen mit den beschlossenen Maßnahmen anfreunden, wie zum Beispiel den aktuellen Änderungen in Bezug auf Kurzarbeit, um direkt drohende Arbeitslosigkeit zu vermeiden. So erhalten Kurzarbeiter, die 50 Prozent und weniger arbeiten, künftig ab dem vierten Monat Kurzarbeit eine höhere Ausgleichszahlung des Staates. Der Bezug erhöht sich dann von zuvor 60 Prozent auf nun 70 Prozent des ausgefallenen Nettolohns. Wer sich erzwungenermaßen zur Kurzarbeit Geld dazuverdienen möchte, profitiert von der neuen Hinzuverdienstgrenze. Unabhängig vom Beruf dürfen Kurzarbeiter nun bis zur vollen Höhe des eigentlichen monatlichen Einkommens hinzuverdienen.

[Lars Düsterhöft (SPD): Und wer hat’s gemacht? – Ülker Radziwill (SPD): Nicht die AfD!]

Um es aber klar zu sagen: Kurzarbeit kann für uns nur als Überbrückung gedacht sein und nicht als Dauerzustand. Irgendwann ist die Arbeitslosigkeit dann leider unausweichlich.

Wer schon vor der Krise erwerbslos war, hat es momentan natürlich besonders schwer, wieder in Arbeit zu kommen. Für alle, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld I zwischen dem 1. Mai 2020 und dem 31. Dezember 2020 auslaufen würde, ist künftig eine einmalige Verlängerung der Bezugsdauer um drei Monate möglich. Auch diese

Entscheidung des Bundestages ist für uns nachvollziehbar.

Wie sich die Zahl der Arbeitslosen in Berlin konkret weiterentwickeln wird, bleibt natürlich abzuwarten. Die Aussichten, das ist uns allen klar, sind leider ziemlich düster. Ich bin mir daher recht sicher, dass wir uns deshalb schon in naher Zukunft an dieser Stelle wieder sprechen werden, wenn die wirtschaftlichen Folgen der vermutlich größten Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs offen zutage treten werden. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Ziller das Wort.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Immer wieder haben wir gehört, dass in der Coronakrise die Stunde der Exekutive schlägt. Von dieser Aktuellen Stunde geht das Signal der Koalition aus, dass es auch die Stunde unseres Sozialstaats bleiben muss. In den letzten Wochen waren die Regierungen von Bund und Ländern damit beschäftigt, die kurzfristigen Folgen der Coronaeinschränkungen zu lindern. Dies ist uns auch in Berlin größtenteils gelungen. Ich werde diese Aktuelle Stunde daher zum Anlass nehmen, auch über die Aufgaben für die kommenden Wochen und Monate zu sprechen, denn angesichts dieser bisher nicht gekannten Herausforderungen ist es umso wichtiger, die mittelfristigen Ausmaße und Folgen in den Blick zu nehmen – für prekär Beschäftigte, für Soloselbstständige, für Wohnungs- und Obdachlose und für all die anderen Menschen, die unsere Unterstützung verdient haben und benötigen.

Beginnen möchte ich aber mit einem Dank an all diejenigen Menschen in unserer Stadt, die ohne zu überlegen in welcher Form auch immer in der Krise geholfen haben, sei es in der Nachbarschaft beim Einkaufen, beim Ausfahren von Lebensmitteln für die Tafeln, beim Engagement für obdachlose Menschen, und, nicht zu vergessen, an die vielen Menschen, die in den Einrichtungen der Sozialverbände und Sozialunternehmen ihr Möglichstes tun, um die Folgen von Corona für die Menschen in unserer Stadt so erträglich wie möglich zu machen. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Diese Heldinnen und Helden beklagen aber zu Recht, dass der Senat mit der ungerechten sogenannten Heldenprämie ein Zweiklassensystem von Beschäftigten etabliert. Die damit verbundene Herabstufung von Beschäftigten in der freien Wohlfahrtspflege ist kein geeignetes

(Herbert Mohr)

Zeichen der Anerkennung. – Ich bitte Sie, Herr Regierender Bürgermeister, nehmen Sie das Angebot der Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege an und suchen Sie gemeinsam nach Alternativen zu dieser dermaßen ungerechten Prämie!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Die Sozialverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales hat in den vergangenen Wochen viel getan, um obdach- und wohnungslose Menschen zu unterstützen. Die Bereitstellung neuer Unterkünfte war ein zentraler Baustein, einige Kolleginnen und Kollegen sind darauf schon eingegangen. Schon vor der Coronakrise haben wir mit den Leitlinien der Wohnungslosenpolitik einen Rahmen für die Arbeit von Senat und Bezirken geschaffen. Das hilft uns auch jetzt in der Krise. In den kommenden Wochen ist es nun Aufgabe, einen Plan zu entwickeln, wie es weitergehen kann – einige Kolleginnen und Kollegen haben die Herausforderungen bei Sammel- und Gemeinschaftsunterkünften schon angesprochen. Dort hat Corona doch einiges an Plänen durcheinandergebracht.

Gelingt es mit dem neuen Unterbringungsangebot der Senatsverwaltung, Menschen, die vorher auf der Straße lebten, zu erreichen, für die es kein passendes Angebot der Wohnungsnotfallhilfe gab? Gelingt es zu klären, wer von ihnen Ansprüche an den Sozialstaat hat und damit aus der Coronaunterbringung in reguläre Unterkunft oder gar in eine Wohnung weiterziehen kann? Und welche Vorkehrungen müssen wir bis zum Start der Kältehilfe noch bedenken und klären? – Da sind einige Fragen offen, aber auch mittelfristige Fragen rücken nun nach den diversen Soforthilfen in den Mittelpunkt: Wie soll es grundsätzlich mit den Gemeinschaftsunterkünften weitergehen? – Aus dem Kreis wohnungsloser Menschen wird immer wieder die Forderung laut, Menschen in Hotels oder Hostels unterzubringen. Je nach Verlauf der Coronapandemie werden wir uns mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Aktuell halte ich es aber für richtig, die Wohnheime für obdachlose Menschen, also unsere ASOG-Unterkünfte, stärker in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Es ist schade, dass es bis heute keine angemessenen Mindeststandards für diese Unterkünfte gibt und Bezirk und Senat sich jeweils immer nur halbzuständig fühlen. Ich finde, damit muss Schluss sein. Wir werden das Thema weiter diskutieren in der Koalition und setzen darauf, die Unterbringung der Schwächsten in dieser Gesellschaft gemeinsam zu verbessern. Unser Vorschlag ist, die nach dem Vorbild der LAFUnterkünfte vom Land Berlin gesetzten Qualitätsstandards bei der Unterbringung aller Menschen durchzusetzen. Eine Übergangsphase könnte man zum Beispiel bis zum Sommer 2021, also ein Jahr lang, machen, damit die Betreiber die Möglichkeit haben, die nötigen Vorkehrungen zu treffen.

[Beifall von Silke Gebel (GRÜNE)]

Die Betreiber der Unterkünfte hätten dann die Möglichkeit, Rahmenverträge mit dem Land zu bekommen und

ihre Arbeit auf eine neue, qualitätsgesicherte Grundlage zu stellen. Zu dieser Qualität gehört logischerweise auch die Beratung, die in den meisten ASOG-Unterkünften heute zu kurz kommt.

Der Senat hat sich – das will ich an dieser Stelle auch sagen – mit der gesamtstädtischen Steuerung der Unterbringung auf den Weg in diese Richtung gemacht. Der zu erwartende Coronaverlauf mahnt uns jedoch, die Qualität der Unterbringung schneller als bisher geplant auf die Agenda zu setzen.

In den kommenden Wochen werden auch die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt immer deutlicher. Insbesondere prekär und ungesichert Beschäftigte sind von der Krise in ihrer Existenz bedroht. Dabei war ihre Not schon vor der Krise groß. Besonders deutlich tritt das beim Tourismus zutage. Gerade in diesem Bereich, im Hotel- und Gaststättengewerbe offenbart sich die Krise ganz besonders, denn hier ist das Gehaltsniveau so niedrig wie in kaum einer anderen Branche.

In der Wirtschaftskrise 2009 war die Kurzarbeit noch ein gut funktionierendes Instrument, denn es wurde vor allem von Beschäftigten der Industrie mit gutem Einkommen genutzt. Die Einbußen waren verkraftbar. In der Tourismusbranche gibt es aber unzählige Geringverdienerinnen und Geringverdiener, und die tarifliche Bindung ist gering. Fachkräfte verdienen in der Regel nicht mehr als rund 2 000 Euro brutto im Monat, wenn sie denn Vollzeit arbeiten. Dass diese Gehälter im Fall von Kurzarbeit nicht mehr zur Existenzsicherung reichen, ist offensichtlich. Die Nachbesserungen der Bundesregierung beim Kurzarbeitergeld helfen hier nur bedingt weiter. Gerade für Geringverdienerinnen und Geringverdiener müsste das Kurzarbeiter mindestens bis zur Höhe des Mindestlohns einen Lohnausgleich von 100 Prozent sicherstellen. Die fehlende Hartz-IV-Anpassung – das sprach die Kollegin schon an – geht auf das Konto der Bundesregierung. Wir werden sehen, wie weit uns Corona und die damit verbundenen Einschränkungen weiter begleiten und dann gegebenenfalls eine Bundesratsinitiative zu diesen Punkten ergreifen, denn im Bundesrat und Bundestag müssen wir weiter darüber reden.

Noch härter trifft es Minijobberinnen und Minijobber. Für diese gibt es gar kein Auffangnetz, denn sie haben keinen Anspruch auf diese Leistung. So zeigt sich in der Krise besonders deutlich, wo wir Lücken im System haben, die geschlossen werden müssen. Das ganze System Minijobberinnen und Minijobber sollten wir in der Krise auf den Prüfstand stellen und am besten ohne ein solches Instrument aus der Krise herauskommen und stattdessen vernünftige Übergänge in Arbeit schaffen. Das wäre doch eine positive Wirkung dieser Krise.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Vor welchen arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen wir noch stehen, ist zurzeit noch nicht vollständig ab

zusehen. Das hatten einige Kolleginnen und Kollegen schon gesagt. Wir wissen allerdings bereits jetzt, dass wir Branchen haben, die besonders krisenanfällig sind, und in denen Unternehmen die Krise nicht überstehen.

Die Kollegin hat auch schon gesagt – deswegen will ich es nicht ausführlich darstellen –, dass wir in Berlin uns genau angucken, an welcher Stelle Unternehmen durch gute Arbeit hervorstechen, und wir zusehen, dass wir insbesondere diese Unternehmen unterstützen, damit gute Arbeit in Berlin erhalten bleibt und die Krise möglicherweise dazu genutzt wird, Unternehmen dazu zu bringen, ihr Arbeiten und ihr geschäftliches Wirken auf gute Arbeit zu stützen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Bettina König (SPD)]

Wenn in Berlin in und nach der Krise mehr Arbeitslose vorhanden sind, bedeutet das für viele Menschen eine berufliche Umorientierung. Dringend benötigt wird daher eine gut funktionierende Struktur von Qualifizierungs- und Beschäftigungsträgern. Der Bund hat das bereits erkannt und mit dem Sozialdienstleistereinsatzgesetz eine Möglichkeit zur Absicherung dieser Träger geschaffen. Es regelt die Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschüssen an Einrichtungen und soziale Dienste zur Bekämpfung der Coronakrise.

Zur Vorbildfunktion für die Aus- und Weiterbildung der öffentlichen Unternehmen wurde auch schon etwas gesagt; deswegen will ich es hier nicht ausführlich erläutern. Ich glaube aber, dass wir als öffentliche Hand mit unseren öffentlichen Unternehmen vorangehen müssen.

Eins müssen wir allerdings feststellen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, danke! – Wir müssen leider feststellen, dass die Arbeitsagenturen für Kurzarbeitergeld und andere Fördermaßnahmen in der Bearbeitung noch zu lange brauchen. Damit wird es nicht gelingen, eine angemessene Absicherung zu schaffen. Hier muss der Senat alles tun, um die Bundesagentur zu unterstützen, dort Abhilfe zu schaffen, damit die Anträge der Menschen bewilligt werden.

Abschließend ist in dieser Debatte aus meiner Sicht deutlich geworden, dass es das gemeinsame Ziel dieser Koalition ist, die Menschen, die es am dringendsten brauchen, mit den Folgen von Corona nicht alleinzulassen.