Protokoll der Sitzung vom 20.08.2020

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD und der FDP]

Es ist für das Vertrauen in unsere Justiz außerordentlich schädlich, wenn Abgeordnete der Koalition, so wie gestern im Rechtsausschuss geschehen, ohne jegliche Tatsachengrundlage von rechten Umtrieben in der Staatsanwaltschaft sprechen, sodass sich die Generalstaatsanwältin auf Nachfrage meines Kollegen Rissmann veranlasst sah, diesem weiteren Pauschalvorwurf klar und deutlich entgegenzutreten. Es ist ebenso bezeichnend, dass Ihre Koalition die Anhörung des Vorsitzenden der Vereinigung der Berliner Staatsanwälte gestern jedenfalls verhindert und verschoben hat.

[Zuruf von der SPD: Falsch! – Antje Kapek (GRÜNE): Warum haben Sie zugestimmt? – Zuruf von Sebastian Walter (GRÜNE)]

Meine Damen und Herren vor allem der Linken und der Grünen! Wenn Sie so weitermachen, beschädigen Sie das Vertrauen in unsere Sicherheitsorgane und unsere Justiz ohne Grund und spalten unser Land.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD und der FDP – Antje Kapek (GRÜNE): Wer von „angeblichen“ Todeslisten spricht, „angeblich“ Herr Dregger, der spaltet!]

Sie können gern eine Zwischenfrage stellen. Bei Ihnen würde ich Sie sogar zulassen.

[Oh! von den GRÜNEN]

Verständigen wir uns doch besser darauf, auf der Grundlage von Tatsachen zu bewerten, nicht auf der Grundlage von dünnen Vermutungen. Klar ist doch für uns alle, dass alle dienstrechtlichen Konsequenzen gezogen werden müssen, sollten sich Vermutungen zu Tatsachen erhärten.

Herr Dregger! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kapek zulassen.

Bitte schön!

[Ah! von der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Alles andere wäre jetzt auch sehr verwunderlich gewesen.

[Burkard Dregger (CDU): Ich schätze die Zusammenarbeit mit Ihnen sehr, Frau Kapek!]

Herr Dregger! Ich bin einigermaßen verwundert, dass Sie gestern im Rechtsausschuss der Vertagung zugestimmt haben und das jetzt hier anprangern. Aber die Frage, die mich eigentlich umtreibt, vor allen nach Ihren Ausführungen zur Rigaer Straße, zum LADG und so weiter: Sprachen Sie gerade von „angeblichen“ Todeslisten? Wollen Sie mit den Ausführungen Ihrer Rede ernsthaft die Geschehnisse und das Wiederauftauchen eines NSU 2.0 in Neukölln und weiten Teilen von Berlin infrage stellen und relativieren? – Dann sind Sie derjenige, der hier spaltet.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Sie müssen einfach nur zuhören! Ich habe nicht von angeblichen Todeslisten gesprochen,

[Ülker Radziwill (SPD): Schwarz-Grün klappt nicht, vergessen Sie es!]

sondern von existierenden Todeslisten, und ich kann Ihnen versichern, dass Menschen, die derartig bedroht werden, meine absolute Sympathie haben. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, tatsächlich existierende Gefahren gegen jeden abzuwenden, der auf diese Art und Weise bedroht wird, das steht doch völlig außer Frage.

[Hakan Taş (LINKE): Kurz unterbrechen und nachlesen!]

Es ist unter unserem Niveau, unentwegt infrage zu stellen, dass wir hier gemeinsam zusammenarbeiten wollen. Das ist lächerlich.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Herr Dregger! Ich frage Sie, ob Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Luthe zulassen.

Nein, danke! ich würde gern weiter fortfahren, wenn Sie gestatten. Bitte, nichts für ungut, Herr Kollege!

Lassen Sie mich deshalb festhalten: Erstens: Wir wollen jedwede Form von Extremismus bekämpfen, das gilt für Linksextremismus, Rechtsextremismus, Islamismus,

Antisemitismus und alle anderen Formen. Wir dürfen auf keinem Auge blind sein. Das gefährdet die Sicherheit unseres Landes und unserer Bürgerinnen und Bürger.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Zweitens: Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu unseren Sicherheitsbehörden. Verfassungsschutz, unsere Polizei und unsere unabhängige Justiz müssen endlich wieder spüren, dass dieser Senat ihnen Vertrauen schenkt. Nur dann wird es gelingen, entschieden gegen Extremismus vorzugehen und Gefahren abzuwehren.

Drittens: Der Rechtsstaat muss entschieden gegen extremistische Entwicklungen vorgehen, innerhalb seiner Institutionen genauso wie auch in der Gesellschaft im Allgemeinen. Dafür braucht er eine bessere Ausstattung

[Zuruf von Sabine Bangert (GRÜNE)]

und mehr politische Unterstützung.

Berlin, wir alle, stellen uns gegen Extremismus, mit aller Kraft des Rechtsstaates.

[Zuruf von Ülker Radziwill (SPD)]

Dessen sollte sich jeder Extremist bewusst sein. Unser Staat ist wehrhaft, aber er bleibt nur dann wehrhaft, wenn Sie, meine Damen und Herren von der rot-rot-grünen Koalition, nicht unentwegt daran arbeiten, die Legitimation unserer Behörden und unserer Beamtinnen und Beamten zu untergraben. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Ülker Radziwill (SPD): Kein Wort zu Rechtsextremismus!]

In der Debatte folgt jetzt der Kollege Zimmermann von der SPD-Fraktion.

[Torsten Schneider (SPD): Wir machen nur keine Zwischenbemerkung, weil Kollege Zimmermann jetzt dran ist!]

Bitte schön, Herr Zimmermann, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dregger! Was das LADG mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus zu tun haben soll, das bleibt Ihr Geheimnis.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Burkard Dregger (CDU): Vertrauen!]

Die Tatsache, dass Sie hier ablenken wollen, zeigt, dass Sie doch tatsächlich eher relativieren als sich der Sache zu stellen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Seit der NSU-Mordserie sprechen wir zu Recht von rechtsextremen Terror in Deutschland, und die jüngeren schlimmen Taten von Halle bis Hanau – ich erspare mir und Ihnen deren gesamte Aufzählung – zeigen: Die Bereitschaft von Rechtsterroristen zur Begehung schwerster Straftaten bis hin zu Terror und politisch motiviertem Mord nimmt zu, bundesweit. Der Terror von rechts ist eine wachsende Gefahr für unser Gemeinwesen. Deshalb sind wir gut beraten, ausführlich und nüchtern, aber bei der Sache über die Gegenstrategien zu beraten.

Gerade erst vor wenigen Tagen mussten wir den Angriff von Nazis auf einen jüdischen Kneipenwirt erleben, Frau Kollegin Helm hat darauf hingewiesen. Dieser gefährliche Antisemitismus fordert Gegenreaktionen von Staat und Gesellschaft. Wir schützen jüdisches Leben und jüdische Einrichtungen in dieser Stadt. Antisemitismus ist in Berlin geächtet!

[Starker Beifall bei der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der AfD]

Die Berlinerinnen und Berliner verurteilen jede Form von Angriffen auf unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. „Wehret den Anfängen!“,

[Ülker Radziwill (SPD): Sehr wahr!]

diese Forderung kann man schon lange nicht mehr erheben. Rechtsextremismus zieht sich wie eine braune Schleifspur durch die Geschichte der Bundesrepublik, von den Altnazis bis zum Oktoberfestanschlag in den Achtzigerjahren, im vereinten Deutschland dann auch im Osten mit der nur scheinbar aufgearbeiteten Nazivergangenheit dort. Es sind Strukturen vorhanden, die die wehr

hafte Demokratie herausfordern. Wenn wir die Strukturen effektiv bekämpfen wollen, kommen wir – das tut mir leid – um einige Benennungen von Ursachen nicht herum.

Ich will nur einige wenige schlagwortartig nennen: Wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben wir erneut eine nationalistische bis völkische Reaktion auf die Globalisierung, ein rückwärtsgerichtetes Aufbegehren gegen die Moderne mit den Globalisierungsfolgen. Wir haben darüber hinaus Einzeltäter, die sich mit ihren Games oder Blogs in einer virtuellen Subkultur und damit durchaus in Netzstrukturen bewegen. Das sind Menschen, die gleichzeitig kalt, beziehungslos und strikt technologisch orientiert sind, nicht selten auch noch paranoid. Die Einheit von Wahnsystemen und technologischer Perfektion ist ein Merkmal der extremen Rechten. Und schließlich haben wir die geistigen Brandstifter, die permanent ausländer- und muslimfeindliche Ressentiments schüren, sie verstärken und den Resonanzboden für Gewalt schaffen. Die politischen Zerstörungen, die rechte Demagogen produzieren, sind keine Entgleisungen, sondern Kalkül.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Diese Stichworte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Klar ist aber: Neue rechtsterroristische Tendenzen entwickeln sich nicht mehr nur innerhalb rechtsextremer Organisationen oder Strukturen, sondern auch an ihrem Rand oder sogar gänzlich außerhalb einer solchen rechtsextremistischen Szene. Insbesondere die Detektion von Kleingruppen oder Einzeltätern stellt die Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen, so die Einschätzung des Verfassungsschutzes, und er hat recht damit.