Protokoll der Sitzung vom 20.08.2020

Diese Stichworte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Klar ist aber: Neue rechtsterroristische Tendenzen entwickeln sich nicht mehr nur innerhalb rechtsextremer Organisationen oder Strukturen, sondern auch an ihrem Rand oder sogar gänzlich außerhalb einer solchen rechtsextremistischen Szene. Insbesondere die Detektion von Kleingruppen oder Einzeltätern stellt die Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen, so die Einschätzung des Verfassungsschutzes, und er hat recht damit.

Hinzu kommt, dass immer häufiger Instrumente wie Erpressungsmails oder Sammeln von Daten über politische Gegner angewendet werden. Die Sicherheitsbehörden brauchen jegliche politische und gesellschaftliche Unterstützung für die Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt. Dazu müssen wir im Parlament den richtigen Rahmen setzen.

Der NSU-Komplex, auch darauf hat Kollegin Helm hingewiesen, hat leider erhebliche Defizite der staatlichen Strategie und Praxis gegen Gewalt von rechts offenbart und den Handlungsbedarf in Bund und Ländern aufgezeigt – und wir reagieren. Das beginnt beim Erkennen und Bewerten rechtsextrem motivierter Taten, von der Bedrohung bis zum Kapitalverbrechen. Berlin hat deshalb ein gemeinsames Analyse- und Bewertungszentrum aus Polizei und Verfassungsschutz installiert, das helfen wird, Fehler bei der Zuordnung künftig zu vermeiden. Das geht weiter mit dem Schutz potenzieller Opfer, der nötig ist. Aus der versäumten Warnung im Fall Kocak zieht die Polizei selbst ihre Lehren, aber wir werden zusätzlich das

Sicherheitsgespräch mit einem möglichen Opfer im ASOG ausdrücklich regeln.

Weiterhin stärken wir den polizeilichen Staatsschutz und den Verfassungsschutz durch erheblichen Personalaufbau mit dem Ziel, insbesondere bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus besser zu werden. Damit auch das klar ist: Neben Polizei und Staatsanwaltschaft ist selbstverständlich die Expertise und das Engagement des Verfassungsschutzes hierbei unverzichtbar.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Burkard Dregger (CDU)]

Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir alle Instrumente, auch und gerade die nachrichtendienstlichen Mittel, einsetzen. Beim Kampf gegen rechts ist die Beschaffung von Informationen entscheidend, um vor die Lage zu kommen und Gefahren abzuwehren. Die Bürgerrechte sind aus unserer Sicht nicht in Gefahr, wenn wir zu diesem Zweck auch abhören, observieren, verdeckt ermitteln und auch Personen abschöpfen.

Nicht zuletzt müssen wir aber die Widerstandsfähigkeit der Sicherheitsbehörden gegen extremistische Tendenzen in ihren eigenen Reihen stärken. Eine Frage ist auch in Zukunft für den Umgang mit unseren Sicherheitsorganen entscheidend: Arbeiten wir eher mit pauschalen Vorwürfen, oder bemühen wir uns um eine Differenzierung? – Ich bin für Differenzierung, auch wenn das keine Schlagzeilen verspricht. Aus meiner Sicht gibt es für ein rechtsextremes Netzwerk in der Berliner Polizei keine Anhaltspunkte.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN, der AfD und der FDP]

Die Verdachtsfälle, Chatinhalte und andere Dinge, die in der Diskussion sind, rechtfertigen eine solche Bewertung noch nicht. Gleichwohl müssen alle Fälle, die dort aufgekommen sind, rückhaltlos und vollständig aufgeklärt werden. Das ist gar keine Frage. Lassen Sie uns dies abwarten und dann eine abschließende Bewertung vornehmen! Ich warne auch davor, Befunde aus anderen Staaten einfach auf die Berliner Polizei zu übertragen, etwa was strukturellen Rassismus oder Ähnliches betrifft. Solche Thesen bauen eher Fronten auf und helfen nicht unbedingt bei der Aufklärung.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der AfD]

Ich bin für eine nüchterne Betrachtung der Fakten. Der Innensenator hat mit seinem 11-Punkte-Programm – das sicherlich noch verfeinert wird, da sollte man für Verbesserungen offen sein – den richtigen Weg aufgezeigt. Von der Ausbildung über die Supervision bis hin zur wissenschaftlichen Begleitung werden wir die Widerstandsfähigkeit der Berliner Polizei erhöhen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Polizei selbst ein Interesse daran hat

und auch aktiv mitwirken wird. – Das werden wir organisieren.

Auch wir haben das dringende Interesse, alle Hintergründe der Neuköllner Anschlagsserie aufzuklären. Auch wir sind besorgt über die ausbleibenden Ermittlungserfolge. Die rechtsextremen Täter müssen gefasst werden. Ich kann mich in diesem Punkt den Ausführungen der Kollegin Helm nur anschließen: Wir brauchen diese lückenlose Aufklärung, und wenn wir mit den bisherigen Ergebnissen nicht weiterkommen, werden wir um die externe Begutachtung durch eine unabhängige Kommission nicht herumkommen. Es ist gut, dass wir dazu jetzt einen breiten Konsens haben. Ich bin überzeugt, dass sie uns die nötigen Erkenntnisse liefern wird und dann womöglich eine parlamentarische Untersuchung in einem Untersuchungsausschuss entbehrlich machen kann. Das werden wir betrachten.

Ein letztes Wort noch zu dem Thema Generalstaatsanwaltschaft: Ich bin sehr betrübt darüber, dass dies auch benutzt wird, um alle möglichen Spielchen zu spielen. Die Generalsstaatsanwältin hat zum Schutz der Behörde bei Verdachtsfällen eine organisatorische und personelle Maßnahme getroffen und möchte die Vorgänge untersuchen, um dann ein Ergebnis vorzulegen. Das ist eine honorige und richtige Vorgehensweise, um die Staatsanwaltschaft wirklich zu schützen. Damit ist keinerlei Vorverurteilung und Festlegung verbunden, sondern auch dabei gilt: offen sein, Fakten betrachten, dann bewerten. Wir sollten uns nicht allzu sehr aufregen, sondern die Generalsstaatsanwältin in ihrem Vorgehen unterstützen, um auch dort die Widerstandsfähigkeit in der Behörde zu sichern. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Woldeit von der AfD-Fraktion.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Sehr geehrter Herr Zimmermann! Ich hätte heute Morgen nicht gedacht, dass der erste Einlass meiner Rede ein Dank an Sie darstellt. Wissen Sie warum?

[Torsten Schneider (SPD): Das wird Herrn Zimmermann aber sehr freuen!]

Das glaube ich. Wir arbeiten im Innenausschuss sehr konstruktiv zusammen.

[Anne Helm (LINKE): Achtung! Hier sitzen Augenzeugen! – Lachen bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

(Frank Zimmermann)

Herr Zimmermann! Sie haben versucht, eine sachliche Debatte herbeizuführen. Das ist gut und richtig. Sie haben auch ganz ausdrücklich betont, dass es nach Ihrer Bewertung keine rechtsextremen Netzwerkstrukturen in der Berliner Polizei gibt. Das ist auch meine feste Überzeugung. Um Vertrauen in die Sicherheitsbehörden herzustellen, sind das die richtigen Worte. Lieber Herr Zimmermann, herzlichen Dank dafür! – Wie gesagt, in der Berliner Polizei gibt es keine rechtsextremen Netzwerke. Das ist meine feste Überzeugung.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Ich bin übrigens auch dankbar dafür, dass Sie den Verfassungsschutz angesprochen haben, denn dieser stellt eine wichtige Säule in der Extremismusbekämpfung dar. Sie haben angesprochen, dass Sie als Koalition den Verfassungsschutz stärken wollen, auch personell. Erlauben Sie mir aber die Frage, ob das denn auch eine Mehrheitsmeinung innerhalb der Koalition ist oder ob es da nicht vielleicht eine Fraktion gibt, die sich nicht so ganz verfassungstreu äußert, was diese Thematik anbelangt.

[Torsten Schneider (SPD): Ja, die spricht gerade! – Weitere Zurufe von der LINKEN]

Ja, genau das war Ihre Anmerkung in den Haushaltsberatungen. Das wollen wir nicht vergessen.

Extremismus zu bekämpfen, ist eine wichtige und hoheitliche Aufgabe, und jeder Form von politischem Extremismus ist ganz klar eine Absage zu erteilen,

[Carsten Schatz (LINKE): Treten Sie jetzt aus der Partei aus, oder was?]

sei es von Rechtsextremisten, Linksextremisten oder von Islamisten und anderen radikalen Gruppen.

Frau Helm! Sie sprachen von 137 rechtsextremistisch motivierten Straftaten in Neukölln: Brandanschläge, Bedrohungen, Morddrohungen. Glauben Sie mir – da spreche ich ganz persönlich zu Ihnen –, keiner kann das besser nachvollziehen als ich.

[Katrin Seidel (LINKE): Ach Gott!]

Wir hatten den Fall des linken Kommunalpolitikers, dessen Fahrzeug angezündet wurde. Dazu bestand auch noch die Gefahrenlage, dass das Feuer auf sein Haus übergreift. Diese Brandanschläge, persönlichen Diffamierungen, Beleidigungen und Ähnliches haben zu Recht hohe Wellen geschlagen, und die Polizei hat auch reagiert: mit der Besonderen Aufbauorganisation Fokus. Ich bin kein Freund einer Aufrechnung von Straftaten, aber ich hätte mir gewünscht, dass wir im Rahmen der Extremismusbekämpfung oder zumindest im Anprangern dessen im Verhältnis vielleicht eine ähnliche Empörung in der Berliner Stadtgesellschaft vernommen hätten, als das Fahrzeug von Beatrix von Storch abgebrannt wurde,

[Katrin Seidel (LINKE): Nein!]

als das Fahrzeug von Nicolaus Fest in Brand gesteckt wurde, als das Fahrzeug von Frank-Christian Hansel in Brand gesteckt wurde, als das Fahrzeug von Ronald Gläser in Brand gesteckt wurde, als bei mir die Reifen zerstochen wurden, als mittlerweile 32 links motivierte Straftaten allein gegen meine Person verübt wurden. Kollege Luthe und ich haben einmal zusammengerechnet, dass sich allein gegen uns beide im Zeitraum ab 2016, wenn man die Beleidigungen und Ähnliches mit dazuzählt, rund 150 Straftaten – linksextremistisch motiviert – gerichtet haben.

[Anne Helm (LINKE): Nach eurer Rechnung!]

Jede Straftat ist eine Straftat zu viel. Das sage ich auch im allgemeinen Spektrum.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos), Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Wir dürfen aber nicht mit zweierlei Maß messen. Es ist dem Geschädigten, dem Opfer, egal, wer ihm den Brandsatz unter das Auto gelegt hat, wer ihm eine Morddrohung hat zukommen lassen. Es geht darum, dies wirklich geschlossen zu bekämpfen und nicht in einer einseitigen Art und Weise, und es geht hier auch um ein hohes Maß an Sachlichkeit. – Es geht hier auch um eine hohe Gefahr, werte Kollegen von der Linken und den Grünen! Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass Sie mit Vorverurteilungen, mit Verdachtsmomenten, es gebe Netzwerke, extremistische Strukturen in der Berliner Polizei, eigentlich erst das machen, was wir alle nicht wollen, nämlich Vertrauen in die Polizei zerstören.

[Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Das machen Sie nämlich in dem Augenblick, in dem Einzelfälle aus einem Chatprotokoll hochstilisiert werden, nach dem Motto, es gäbe ganze Bereiche von Polizeibeamten und den Verdachtsmoment, es würden Ermittlungsergebnisse unter den Tisch fallen gelassen, es würden Straftäter geschützt werden. Das ist der falsche Weg. Sie spalten damit, Sie bringen damit kein Vertrauen in den Rechtsstaat, Sie bringen Unsicherheit in die Berliner Polizei, Sie bringen wie kürzlich jetzt auch Unsicherheit in die Berliner Staatsanwaltschaft. Das Thema hat der Kollege Zimmermann angesprochen, der Kollege Dregger auch. Es kann doch nicht sein, dass ein Verdächtiger mutmaßt, der Staatsanwalt gehöre einem beliebigen politischen Lager an, und daraufhin die Generalstaatsanwältin diese beiden Staatsanwälte für befangen erklärt und abzieht. Das kann nicht sein, das ist nicht der richtige Weg, meine Damen und Herren!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Das führt auch zu Verunsicherung. Es führt ebenfalls zu Verunsicherung, wenn Sie im Rahmen der Gesetzgebung dann solche Dinge wie das LADG beschließen. Und Herr Kollege Zimmermann! Genau das gehört mit zu dem

Thema. Wir müssen die Polizei stärken, wir müssen den Verfassungsschutz stärken, wir müssen die Staatsanwaltschaften stärken in ihrem Arbeiten und übrigens auch in ihren rechtlichen Rahmenbedingungen. Wir werden nachher noch über die Novellierung des Polizeigesetzes hier sprechen. Das machen Sie nicht. Sie schüren Misstrauen, Sie schüren Unsicherheit in der Berliner Polizei und das Ganze durch Ihr Regierungshandeln. Das gehört auch mit zur Wahrheit, meine Damen und Herren!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Etwas liegt mir auch noch am Herzen, und da sind auch die Medienvertreter mit im Boot. Wenn es eine gewisse Art und Weise von Polizeifeindlichkeit im Mainstream gibt, ist es dann ratsam, ist es auch aus Ihrer Sicht, hochverehrte Medienvertreter, ein gutes Signal, dass dann solche Satirevideos auftauchen, die die Polizei total diskreditieren? Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade vom öffentlichen Rundfunk! Sie haben dort eine Mitverantwortung: Nehmen Sie diese ernst!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Zuruf von der AfD: Bravo!]

Auch in der Bevölkerung rumort es im Rahmen der Berichterstattung. Wenn ich mir rein die Fakten und Zahlen einmal ansehe – wir wollen eine sachliche Ebene haben: Vorgestern haben wir, leider Gottes, einen schlimmen Terroranschlag in Berlin gehabt und in der Berichterstattung kam als Allererstes: ein psychisch verwirrter Einzeltäter, – das hören wir immer. Ich habe noch nie von einem psychisch verwirrten Einzeltäter der rechtsextremen Szene gehört. Dort ist immer die gesamte Gefahr, die dann dementsprechend hochkommt.

[Anne Helm (LINKE): Ach was! – Carsten Schatz (LINKE): Was? Sie lesen Zeitung?]

Es gibt gewisse Reflexe, die sind einfach da, und die kann man auch nicht wegreden.

Jetzt schauen wir nur uns die Gefährderlagesituation in Berlin an: Wir haben rechtsextremistische Gefährder im unteren einstelligen Bereich – eins bis drei. Wir haben extremistische Gefährder im Linksextremismus im hohen zweistelligen Bereich und im Rahmen des Islamismus im dreistelligen Bereich. Wenn man jetzt die Sicherheitsbehörden im Stärke- und Kräfteansatz dementsprechend einmal im Einsatz betrachtet, dann muss man feststellen: Ja, wir haben rechtsextremistische Straftaten, aber die Gefahr geht nicht allein vom Rechtsextremismus aus – der muss mit aller Konsequenz bekämpft werden, da haben Sie uns an Ihrer Seite –